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31 März 2022

RDE: Von Kreiensen nach Seesen

Was ist denn da in mich gefahren? Radfahren am frühen Morgen, bevor ein gewöhnlicher Alltag losgeht, und zwar nur eine kurze Strecke, und das auch noch auf bergigem Gelände? Und das, nachdem ich gerade erst einen Krimi gelesen habe, indem ein so ein Frühradler beim Bergabfahren mittels eines Drahtseils ermordet wird? Ist das sportliche Motivation oder schon Todessehnsucht?


Der Eisenbahnknotenpunkt Kreiensen färbt stark auf die nächste Etappe ab: Ich bin unter, neben und auf einer Bahntrasse gefahren. Eigentlich schade, dass nicht auch noch eine Brücke über eine Bahntrasse dabei war.
Das Unter und das Neben erfolgten gleichzeitig, als nach wenigen Kilometern die ICEs auf einem gewaltigen Betonmonster über meinen Kopf hinweggesaust sind. Ihnen wird es zu eng im Leinetal, deshalb verlassen sie es. Ich und die Regionalbahn zum Harz machen das auch, aber wir suchen uns einen weniger dramatischen Weg.

Er bringt uns durch das Tal der Gande. Das ist ein ganz gewöhnliches grün-braunes Flüsschen mit ein paar Plätschersteinen. Am coolsten sieht die Gande aus, wenn sie in Bad Gandersheim an einer Kirche vorbeifließt und kurz kanalisiert wird. Fische können den Miniwasserfall per Treppe überspringen.


Bad Gandersheim ist eine Stadt der Kirchen und Klöster. Im Gandersheimer Stift lebte Roswitha von Gandersheim, das war die erste Dichterin Deutschlands. Jedenfalls die erste, von der irgendwas erhalten geblieben ist, und das ist ja schließlich das Ziel aller Autoren und Autorinnen. Heute hätte sie vermutlich massive Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden, denn sie schrieb ihre Dramen und Hexameter auf Latein. Unter anderem über Otto I., dessen Fangirl sie war.

Gandersheim ist eine südniedersächsische Fachwerkstadt, deren Schönheit ich irgendwo zwischen Northeim und Einbeck einordnen würde. Hinzu kommen ungewöhnlich viele imposante Steinmauern.
Das Fachwerk zieht sich bis in die Außenbezirke der Stadt. Was andererseits auch nicht so viel heißt, denn soo groß ist Gandersheim nun auch wieder nicht. Je näher ich dem Zentrum kam, desto schicker und restaurierter wurden die Häuser. Je weiter ich nach draußen fuhr, desto blasser und abgenutzter kamen die rotbraunen Balken daher. (Allerdings längst nicht so abgenutzt wie mein Fahrrad, insofern sollte ich mich nicht beschweren - wenn hier etwas ästhetisch nicht reingepasst hat, dann meine ollen Reifen.)

Am Rande der Gande verläuft ein Skulpturenpfad auf einer stillgelegten Bahntrasse. Er enthält keine Skulpturen. Null. Nennt mich pingelig, aber von einem Skulpturenpfad erwarte ich etwas mehr als nur einen... Pfad.
Immerhin: Das mit der Bahntrasse stimmt wirklich. Hier dampfte eine kleine Bahn in Richtung Altgandersheim durch einen grünen Hohlweg, vorbei an schicken Häusern und Kleingärten, über alte und neue Brücken (wobei, die neuen standen damals wohl noch nicht und die alten waren vermutlich neu). Eine besonders lange Brücke bietet einen letzten Panoramablick über die Stadt.
Und was ist das für eine geheimnisvolle Mauer unter den Schlingpflanzen? Wer weiß. Nicht jeder Bahnradweg verrät all seine Geheimnisse.


Nach kurzer Zeit verlässt der Radweg Deutsche Einheit die Bahntrasse wieder, und nach einem weiteren Kilometer entlang der Gande verlasse ich auch das Tal.

Die Bahntrasse ließ mich jedoch nicht los - wo führt die hin, und gibt es irgendwo doch noch Skulpturen? Ein paar Monate später kehrte ich nach Gandersheim zurück und folgte ihr weiter. Nach kurzer Zeit taucht sie aus dem Wald auf - und erst hier wird sie so richtig toll. Der Blick reicht bis zum Harz, und am Weg stehen tatsächlich abstrakte Kunstwerke. Hat hier ein ungeschickter Riese versucht zu sticken? Moment, diese orangenen Bänder hab ich doch schon mal auf einem Foto gesehen. Natürlich, das ist der Radweg zur Kunst, der im Leine-Radführer beworben wurde.
Das größte Kunstwerk des Radwegs sind nicht irgendwelche steinernen Skulpturen, sondern ein perfekt geformter Blättertunnel in Herbstfarben. Die Bahnhofsgebäude sind unauffällige weiße Häuser. Hinter den düsteren Backsteinfassaden von Lampspringe endet die Bahntrasse, der Radweg zur Kunst geht noch weiter.

Auf dem RDE folgen ein paar idyllische Dörfer. Sie enthalten jede Menge Blumen, Holz und weiße Hauswände. Und ein paar Hauswände, die vermutlich früher einmal weiß waren. Normalerweise schreibe ich an dieser Stelle, dass im Dorf überhaupt nichts los war, aber das wäre hier nicht zutreffend - gucken Sie mal, da unterhalten sich zwei Nachbarn! Muss wohl an der frühen Stunde liegen.

Jetzt wird es nochmal so richtig bergig. Steile Serpentinen führten mich eine letzte Hügelkette hinauf. Die finalen Kilometer verliefen zwischen einer Kraftfahrstraße und duftenden gelben Rechtecken, die sich bei näherer Betrachtung und Beriechung als Rapsfelder herausstellten. Dann befand ich mich auch schon in Seesen, an der Schwelle zum Harz - Schluss mit den Hügelchen, jetzt wird ein echtes Gebirge umrundet.

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