NEU! Das Bergparkleuchten - leuchtende Wasserfälle in Wilhelmshöhe

Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

09 Dezember 2022

Felda: Von Fladungen nach Dorndorf

FLUCHT AUS DER WEISSEN KUPPEL

Wie ich versuchte, den Feldatal-Radweg im November zu bezwingen, und dank welchem Geschäft ich es doch noch geschafft habe

Rote Zäune im Graugrünen: Die typischen Feldafarben

Vor mir befindet sich ein Weg. Er ist ungefähr zwanzig Meter lang. So viel weiß ich. Dann endet er an einer weißen, feuchten Wand, und mit ihm endet mein Wissen. Der Weg könnte noch 10 Kilometer so weitergehen oder direkt hinter der Wand in einer Sackgasse, einem tödlichen Abgrund oder einem gemütlichen Café enden. Was immer davon zutrifft, meine Augen sind nicht in der Lage, es zu sehen. Obwohl es 21 Meter entfernt ist.

Ich weiß, dass ich nichts weiß:
Gefangen in der Dunstglocke

Ein Blick nach hinten: Dort sieht es genauso aus. 20 Meter Weg, dann weiße Wand. Zumindest weiß ich, was sich dahinter befindet, denn aus der Richtung komme ich.
Ein Blick zur Seite: Noch schlimmer, denn da ist nicht mal ein Weg. 20 Meter schlammige Wiese, dann weiße Wand.
Ich bin eingeschlossen in einer eisigen Kuppel aus fliegendem Wasser. Wer hätte gedacht, dass man oben auf einem Mittelgebirge Klaustrophobie empfinden kann? Irgendwo in der Rhön hat mich der Nebel verschluckt und lässt mich nicht mehr gehen. Mir kommt eine Gruselgeschichte aus der fünften Klasse in den Sinn: Du rennst vor dem Nebel weg, er hat dich fast erreicht, als plötzlich... Ab da sollten wir weiterschreiben. Alle haben irgendein harmloses Happy End gewählt. Nur ich habe mich für das  Naheliegende entschieden: Dass der Nebel tatsächlich eine Art Ungeheuer ist, welches sich den Erzähler einverleibt. Damals kam ich mir irgendwie doof vor mit meinen verstörenden Ende. Heute scheint es fast, als hätte ich recht gehabt. Wie bin ich hier nur reingeraten?

Bye-bye, Bayern! Straße
nach Thüringen
Spulen wir ein bisschen zurück: Eigentlich war ich heute Morgen im kalten, aber deshalb nicht weniger schönen Sonnenschein aufgebrochen. Weil es in der Gegend so wenig Bahnhöfe gibt, wollte ich mehrere Touren kombinieren. Als erstes strampelte ich den Milseburgradweg hinauf nach Hilders. Ich hätte auch den Bus um 10 nehmen können, aber ich dachte mir, mit dem Rad bin ich viel schneller. Das war bereits der erste Fehler: Der Milseburgtunnel war im Winter gesperrt, ich musste die steile Umleitung nehmen. Und die Umleitungs-Abkürzung, die ich entdeckt hatte, stellte sich schlammiger Fehler heraus.
Erst kurz vor dem Bus erreichte ich Hilders und reiste auf dem Iron Curtain Trail weiter - und verschwand plötzlich im Nebel.  Durchgefroren landete ich im bayrischen Fladungen. Hier sollte die eigentliche Radtour beginnen, und ich war bereits ganz schön fertig.
Das nächste Stück war so weit in Ordnung. Ich konnte zwar auch nicht viel sehen, aber mit der Straße nebenan fühlte ich mich nicht ganz so verloren. Ich überquerte den bayrischen Bach Streu mit einer verfallenen Brettermühle und die ehemalige Grenze. Beides nicht wirklich interessant, aber immerhin Orientierungspunkte.
Leicht löchrig: Private
Brücke in Melpers
Es weihnachtet nicht sehr:
Zentrum von Melpers
In Thüringen begrüßten mich die trüben Lichter des frühen Weihnachtsbaumes von Melpers (wo auch die Beschilderung des Radwegs beginnt). Der Nebel schien selbst das Weihnachtsleuchten zu ersticken - zusammen mit allen anderen Lebenszeichen. Und dort bog ich dann auf den verhängnisvollen Feldweg ab, auf dem mich der Nebel endgültig von der Außenwelt isolierte.
Oje. Jetzt kriege ich auch noch Hunger. Mal sehen, was ich noch an Proviant habe... ah ja, ein Croissant. Mist. Ich glaube, das wird heute alles nichts mehr.
Fahren eigentlich irgendwo Busse? Eine kurze Suche bringt ein eindeutiges Ergebnis: Heute nicht. Dann muss ich es durchziehen.

Länger als gedacht: Ungefährer Verlauf des Feldatal-Radwegs


Als ich endlich den Abzweig zur Quelle erreiche, biege ich trotzdem ab. Und bereue es augenblicklich.
Bisher war zumindest der Weg in Ordnung. Jetzt quäle ich mich durch eine undefinierbare, grässliche Masse aus Schlamm und zerstückelten Ziegeln, Kies und Gras. Kein Wunder, dass sich mein Rad immer schwerer drehen lässt... Moment, jetzt bewegt es sich gar nicht mehr, was ist da los?
Es plätschert im Beton:
Feldaquelle
Im Hintergrund:
Zweite Feldaquelle
Folgendes ist los: Fette Schlammbrocken verstopfen den Raum zwischen Reifen und Schutzblech. Mit den Händen pule ich das Gröbste heraus. Meine Handschuhe sehen daraufhin selbst aus wie Schlammbrocken.
Echt einladend: Erstes Stück
der Felda
Die Felda trägt ihren Namen zu recht: Sie entsteht inmitten von Feldern. Die Radroute führt hier nicht lang, aber zumindest auf mapy.cz ist hier irgendwo die Quelle der Felda eingezeichnet. Entsprechend erwarte ich nicht viel, aber zumindest irgendetwas, das sich mehr oder weniger eindeutig als Quelle identifizieren lässt. Meine Erwartungen werden nicht enttäuscht. Aber auch nicht übertroffen. Zwei Paar Betonröhren liegen sich gegenüber wie im Schlamm versunkene Panzer, die noch immer aufeinander zielen. Dazwischen ein Meter Straßengraben. Aus dem linken Paar sprudelt das Wasser, im rechten Paar verschwindet es gleich wieder unter einem Feldweg. Und zwar ganz schön viel Wasser! Gibt es überhaupt einen anderen Zufluss der Weser, bei dem so viel aus der Quelle kommt? Ich glaube nicht.
Hinter dem Feldweg vereinigt sich das Bächlein mit einem zweiten Quellbach, der diagonal dazukommt. Der ist ein paar Meter länger (aber laut mapy.cz trotzdem nicht die richtige Quelle) und ein paar Pflanzen zugewachsener. Nach der Vereinigung setzt das Bächlein seinen Weg als Geistergraben entlang einer Allee fort.
Ich verspüre nicht das Bedürfnis, ihr zu folgen.
Jedenfalls nicht so nah. Noch nicht. Lieber kehre ich nach Schafhausen (nein, da ist kein Wasserfall) auf die offizielle Route zurück, wo zumindest der Weg erträglich ist.
Bisher jedenfalls. Aber jetzt hat der Radweg spitzgekriegt, dass ich ihn für einen ollen Feldweg verlassen habe. Um mich zurückzugewinnen, versucht er selbst, möglichst oll zu werden. Danke, das wär doch nicht nötig gewesen.

"Kaltensundheim ist Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Hohe Rhön. Dieser gehören Achenhausen, Birx, Erbenhausen, Kaltensundheim, Kaltenwestheim, Melpers, Oberkatz und Oberweid sowie Frankenheim und..." - Die langweiligste Infotafel ever -

Mann, bin ich breit:
Flussverbreiterung in
Kaltensundheim
Mir fällt ein Stein vom Herzen, als ich in Kaltensundheim ankomme - gleichzeitig mit der Felda, die sich stark verändert. Zum einen macht Kaltensundheim das, was fast jedes mitteldeutsche Dorf mit seinem Bach macht: Es kleidet ihn in senkrechte, graubraune Mauern von begrenzter Schönheit, wahrscheinlich zum Hochwasserschutz. Zum anderen wird die Felda zwischen diesen Steinwänden plötzlich breiter. Der Bach hat sich in ein richtiges Flüsschen verwandelt. Donnerwetter, das ging schnell.
Mal sehen, was es in Kaltensundheim so gibt. Die Informationstafel, welche normalerweise Geschichten und Sehenswürdigkeiten erzählen sollte, beginnt folgendermaßen: "Kaltensundheim ist Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Hohe Rhön." Es folgt eine zehnseitige Aufzählung, welche Dörfer zu dieser Gemeinschaft gehören. Dann ein Hinweis, dass es hier sogar (!) Übernachtungsmöglichkeiten gibt, und ganz zum Schluss werden noch kurz ein zwei Kirchen als Sehenswürdigkeiten erwähnt.
Erstes Upgrade: Verbesserter
Nebelweg von
Kaltensund- nach
Kaltennordheim
Äh, ich fahre mal lieber weiter.
Zack, schon sieht die Schlammwiese wieder aus wie am Anfang. Holztafeln säumen den Weg: Die Sonne, Merkur, Venus, Erde... Mooment, nicht so schnell, soll das etwa ein Planetenweg sein? Die wissen aber schon, dass man dann auch den maßstabsgetreuen Abstand zwischen den Planeten einhalten soll? Ah, der Jupiter steht immerhin ein paar Meter weiter. Nachdem ich dieses ungewöhnlich kleine Sonnensystem durchquert habe, leistet mir die Felda wieder Gesellschaft, damit ich im Nebel nicht vereinsame. Längliche Inseln aus Gras treiben im Wasser einer vernebelten Zukunft entgegen.

Echte Facharbeit:
Kaltennordheim
Diese Zukunft heißt Kaltennordheim und ist in mancherlei Hinsicht ein Upgrade des öden weißen Kaltensundheim.  Rotweißes Fachwerk ziert die Wände, unter denen mehrere Bäche sprudeln. Besondere Sehenswürdigkeiten springen mir erst einmal nicht ins Auge. Oder Menschen, wenn wir schon dabei sind. Aber die Infotafel hat deutlich Interessanteres zu berichten: Im Schloss wohnte der legendäre Rhönpaulus, die rögionale Variante von Robin Hood bzw. Klaus Störtebecker. Der Rhönräuber lebte hier allerdings nicht freiwillig, sondern als Gefangener. Am Ende wurde er hingerichtet. Auch Goethe besuchte Kaltennordheim mehrmals (und wurde, soweit bekannt, weder gefangen noch hingerichtet). Nicht dass Kaltennordheim so eine tolle Inspiration für Gedichte wäre - der Schriftsteller war nebenbei ja auch noch Minister und musste mehrmals wichtigen Kram mit der Stadt klären.
Tja, ich nehme mir lieber Goethe als Paulus zum Vorbild, indem ich die Stadt lebend und in Freiheit wieder verlasse. Die Felda führt mich durch eine längliche Grünanlage. Zum
Nett hier, aber waren Sie schon
mal in Göttingen?
Kaltennordheim
 Durchfahren ist Kaltennordheim schon echt schön (und anders als der Name sagt, längst nicht so kalt wie das Gebiet oben in den Bergen). Wenn ich jetzt noch etwas zu essen fände... aber nein, das Croissant muss noch weiter Treibstoff liefern.
"Nächster Halt:
Kaltennordheim, Rewe"
- Start des
Bahntrassenradwegs
Am Ende des Parks reihen sich mehrere Supermärkte aneinander. Ich finde sie gar nicht so super, unter anderem, weil sie alle geschlossen sind. Dafür entdecke ich dort endlich die Bahntrasse. Der Grund, warum dieses Flüsschen überhaupt einen Radweg hat. Der Grund, aus dem ich hier bin.
Hier soll die wirklich eigentliche Radtour beginnen, und ich bin... gar nicht mehr so fertig. Dann kann's ja losgehen.


Roter Zaun und rote Blätter:
Im Feldatal
Eine Minute später bin ich glücklich. Im Vergleich zur Schlammstrecke an der Quelle hat sich mein Tempo um gefühlt 500 Prozent gesteigert. Obwohl - wahrscheinlich nicht nur gefühlt. Gerade wie ein Gleis bahnt sich die Bahntrasse ihren Weg das Tal hinab. Was ich an Bahnradwegen so mag, ist die Abwechslung ohne Anstrengung. Mal fahre ich auf einem Damm und blicke von oben über das weite Tal, mal in einem kuschligen Hohlweg zwischen aufgeschütteten Wänden, und manchmal wird sogar das ganze Tal zum Hohlweg aus Herbstblättern. Dann höre ich, wie die kräftige Felda in ihrem Flussbett rauscht, als wollte sie die Erinnerung an ihren hässlichen Anfang genauso schnell hinter sich lassen wie ich.
Im Moos nichts mehr los:
Bildhübsche Bahnbrücke
bei Fischbach
(Die Bahntrasse ist oben.)
   
Vorsicht an der Bahnsteigkante:
Ein komischer Typ radelt durch.
Bitte nicht einsteigen!
Vor den feuchten Holzbrücken bremse ich stets ab, das hat mich eine unerfreuliche Erfahrung auf dem Solztal-Radweg gelehrt. An den erinnert mich so einiges, von den grau gemauerten Bahnbrücken, den einsamen, unglaublich langen Bahnsteigkanten bis zu den hübschen Bahnhofsgebäuden. Letztere fand ich sogar hübscher als auf anderen Bahntrassen. Sie wurden nicht einfach lieblos zum 0815-Vorstadthaus umgebaut, sondern so, dass man regelrecht erkennt, dass sie früher ein Bahnhof waren. Einige Bahnhofsbewohner hatten schon die Weihnachtsbeleuchtung angeknipst. Für bahnbegeisterte Kinder muss es großartig sein, in so was zu wohnen. Oder zumindest in so was zu Besuch bei Oma und Opa zu sein - wahrscheinlich ist es mittlerweile schon fast die Großelterngeneration, die mit einem normalen Gehalt so ein Haus erwerben konnte.
Ein Zella-Bahnhof: Hier
fuhren Mikroben Zug
Doch wenn dieser Radweg ein einzigartiges Markenzeichen hat, dann sind es keine Bahnhöfe, Brücken oder Bahnsteigkanten, nicht einmal der Nebel (der ist hier ja hoffentlich nicht immer). Es sind die roten Zäune. Unendlich lange, nicht enden wollende, leuchtendroooooteeeeee Zäääääüüüüüneeeeee. Wann immer die Bahntrasse ein Bächlein auf einer Brücke überquert, oder ein winziges Rinnsal unterm Weg in einem Betonrohr verschwindet, oder der Wegesrand ein kleines bisschen steil aussieht, oder sonst irgendeine Situation auftritt, in der ein fallender Radfahrer tiefer als 0,5 Zentimeter bergab stürzen könnte - zack, irgendwer hat rote Zäune aufgestellt. Und zwar für die nächsten 10 Kilometer, um ganz sicherzugehen.
Ende Gelände
(nicht die Protestbewegung):
Unterbrechung des
Bahntrassenradwegs
Ein bisschen albern ist es schon, aber gestört hat es mich nicht. Das grelle Rot war ein idealer Wegweiser  durch den Nebel. Damit hätte ich mich sicher zurechtgefunden, selbst wenn ich nur noch einen Meter weit gesehen hätte.
Wie kann es sein, dass dieser tolle Radweg nicht zum Bahnradweg Hessen gehört? Nun ja, zunächst einmal, weil er in Thüringen liegt. Und weil das erste Stück ja bekanntermaßen alles andere als toll ist. Aber nach ein paar Kilometern entdeckte ich, dass es noch einen Grund gibt: Er ist unvollständig. Auf einmal endete der Radweg an einem Haufen Betonschwellen. Die lagen ohne Gleise auf dem
Schlamm statt Bahn:
Erster Umweg bei Fischbach
Bahndamm rum, als hätte ein Riese (oder ein echt großer Bagger) sie mit der Hand zusammengerafft, dann aber doch keinen Bock gehabt, die schweren Dinger wegzuschleppen. Tja, nun durfte ich die Bahntrasse auch mal von der Seite bewundern. Auch schön. Gerade die Brücken kommen so viel besser zur Geltung. Aber wieso muss ich dazu schon wieder durch den Schlamm? Soll die Bahntrasse irgendwann noch ausgebaut werden oder warum ist die Umleitung so mies?
Als ich wieder auf dem Damm bin, stelle ich verblüfft fest: Der Nebel hat sich zurückgezogen.
Nebel statt Lava:
Der letzte aktive Rhönvulkan
Naja, natürlich nicht ganz. Aber ich kann komplette Ortschaften erkennen, weit entfernte Kirchtürme, sogar Berge schälen sich aus dem Dunst. Ist das so, wenn man richtig sehen kann? Hatte ich ganz vergessen.
Heiliges am Horizont:
Die Probstei Zella
Schließlich tragen nur noch die Berggipfel eine weiße Wolkenmütze. Anscheinend sind die Vulkane der Rhön erneut ausgebrochen, nur diesmal speien sie anstatt todbringendem Feuer einen klammen, feuchten Dunst. (Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was davon mir lieber wäre.)
Doppelt hält besser:
Radwege nach Dermbach
Bald müsste ich gleich die Hälfte geschafft haben. Vorher taucht etwas auf, mit dem ich Null gerechnet habe: Ein zweiter Radweg. Direkt neben dem Bahndamm folgt er schnurgerade dem Rand des Feldes. Warum? Soll das ein Weg für die Traktoren sein, der rein zufällig haargenau die Breite eines Radwegs hat? Und wenn ja, wieso ist er perfekt asphaltiert, der Schlammweg für die Radler vorhin aber nicht?
Nächster Halt: Bahnhof Dermbach
Ausstieg zum
Bäcker der Erlösung
in Fahrtrichtung rechts
Mit nebelfreier Sicht und doppeltem Weg kann ich die Stadt Dermbach gar nicht verfehlen. Zum Glück. Denn dort leuchte ein kurzes Stück die Hauptstraße runter ein verheißungsvolles Schild - eine Tankstelle. Ja, endlich! Mittlerweile ist mir alles recht, wo es auch nur einen Happen essen geben könnte.
Bäcker der Erlösung:
Papperts in Dermbach
Trotzdem werde ich diese Tankstelle niemals betreten. Denn auf dem Weg dorthin entdecke ich etwas noch Besseres: Einen Bäcker. Ein richtiges Bäckerei-Cafe, das sogar geöffnet hat. (Ich schulde der Tankstelle trotzdem einen Dank, dass sie mich zu ihm hingeführt hat.) Es ist gut besucht. Kein Wunder, viele Alternativen gibt es ja nicht. Als ich die Toilette betreten möchte, ist sie verschlossen. "Sie müssen an der Kasse nach dem Code für die Türklinke fragen.", meint ein Rentner. Tatsächlich, da sind kleine Tasten auf dem Griff. Wie wohl der Rhönräuber mit solch neumodischen Sicherheitsvorkehrungen zurechtgekommen wäre? Vermutlich ohne Probleme, denn der Code ist so simpel, dass sich jeder Experte für IT-Sicherheit sofort im Klo aufhängen würde.

Als ich die Bäckerei kurz darauf verlasse, fühle ich mich wie neugeboren. Keine Ahnung, was die in ihre Heiße Zitrone tun, aber ich schätze mal, es ist der Zaubertrank von Asterix. Mindestens.
Stadtschlösschen
und Trampolindelta:
SchenkStadtlengsfeld
"Rapunzel, lass... ach, du bist
schon rausgeklettert." -
Türmchen in Weilar
Die zweite Hälfte der Bahntrasse sieht ganz ähnlich aus, nur dunkler. Was daran liegen könnte, dass die Dämmerung hereinbricht. Eigentlich kein Problem, ich sehe trotzdem noch genug. Nur meine Kamera bekommt langsam Probleme. Schade, denn das Tal wird jetzt wieder enger und enthält ein paar kleine Seen und interessante Bauwerke. Im Park von Weilar (wo übrigens auch die Verbindung zum Rosatal-Radweg abzweigt) ragt ein pittoreskes Steintürmchen in die Höhe, dessen Zweck mir unbekannt ist. In Stadtlengsfeld (das ich andauernd mit Schenklengsfeld am Solztal-Radweg verwechsle, argh) säumt ein richtiges gelbes Schlösschen das Flussufer. Die Felda fächert sich dort zu einer Art Mini-Delta auf, welches an einen Trampolinpark mit tausend dicken Graskissen erinnert. Nur die Wassermühlen, auf die mapy.cz hinweist, sind nicht der Rede wert - einfach irgendwelche 08/15-Häuser, die früher mal ein Mühlrad hatten.
Stahl und Lichtstrahl:
Eisenbahnbrücke Weilar
Beinahe-Bahnradweg:
Rechts die Felda,
links der Bahndamm
Unterdessen taucht die zweite große Lücke in der Bahntrasse auf. Die nervt nicht ganz so, denn diesmal ist der Umweg gut ausgebaut und verläuft oft direkt neben dem Bahndamm. Darauf liegen richtige Gleise, nicht nur Betonschwellen. In Weilar verschwinden sie für eine Weile ans andere Ufer und nutzen dazu so eine industrielle Eisenbahnbrücke aus Stahlträgern - schade, da oben wäre ich schon gern rübergefahren, aber unten im Park ist es auch schön.
Straßenbahnradweg:
Gleise in Dietlas
Im Dorf Dietlas sind die Gleise längst wieder da und vereinigen sich für einen kurzen Moment mit dem Radweg und einer Dorfstraße: Die Gleise sind in den Asphalt eingesenkt, sodass eine Art Straßenbahnradweg entsteht. Das erinnert mich an eine Idee, den ich mal hatte: Das Einzige, was man auf einem Bahnradweg definitiv nicht von der historischen Bahntrasse sieht, sind die Gleise. Und wenn man die Gleise irgendwie unter einer Glasscheibe unter dem Weg verbaut? Nee, viel zu teuer und würde ganz schnell zerkratzen. Auf die simple Lösung eines Straßenbahnradwegs bin ich nicht gekommen. Wäre auf längeren Strecken aber zu gefährlich.
Ein klares Zeichen, dass ich mich der Werra nähere: Hier wurde 1911 ein Bergwerk gegraben. Woher ich das weiß? Wie in buchstäblich jedem Bergbauort stand da eine alte Lore auf Gleisen, natürlich mit diesem Bergbausymbol drauf. Diese Dinger sind anscheinend gesetzlich verpflichtend, sobald unter einem Dorf auch nur ein Krümelchen abgebaut wurde. 1961 waren die Gänge so weit gewachsen, dass die Bergleute mit durchschlagender Wirkung eine Verbindung zum Bergwerk Merkers herstellten. Fünf Jahre später machte die Mine dicht. Eine Gedenktafel von fragwürdiger Grammatik und noch fragwürdigerer Empathie erinnert mit den Worten "Gasausbruch dabei starben" an die Opfer.

"Gasausbruch dabei starben Heinz Günther Weilar Peter Rohs Stadtlengsfeld Rudolf Dengel Stadtlengsfeld... [N.v.d.R.g.]" 
- eine eher gefühlskalte Gedenktafel, Bergwerk Weilar -

Keine Sorge! Das ist nicht
der böse Computer HAL9000,
sondern die Bauampel BAL95.
Eigentlich soll ich jetzt ans westliche Ufer wechseln. Sagen jedenfalls mapy.cz und der Wegweiser. Den blöderweise irgendwer in Folie eingewickelt hat. Und irgendwer hat einen laminierten Zettel aufgehängt, der behauptet, ich solle die stark befahrene Straße in der Dunkelheit als Umleitung nutzen.
Warum ist der Radweg für Radler gesperrt? Eine Baustelle? Ein Erdrutsch? Schlechter Belag? Alles falsch. Das einzige Hindernis stellt eine Bauampel dar, die in der Finsternis einsam und sinnlos von rot zu gelb zu grün zu gelb zu rot schaltet. Hinter ihr befindet sich keine Baustelle. Der Weg ist genauso schmal wie vorher. Mit solch einem Hindernis werde ich gerade noch fertig.
Jetzt wirds salzig:
Die Feldatal-Bahn trifft auf die
Werra-Kali-Bahn in Dorndorf
(Keine Ahnung, ob die Namen
offiziell richtig sind. Außer
Dorndorf, das ist richtig.)

Kurz darauf schieße ich aus dem engen Tal heraus. Zwei olle Brücken zeigen an: Ich bin in Dorndorf angekommen. Die Gleise vereinigen sich im Licht der Straßenlaternen mit der berüchtigten Güterzugstrecke, welche die Salzbergwerke im Werratal verbindet und Kalten Krieg für Streit sorgte. Triumphale Musik erklingt. Nanu? Es ist der Posaunenchor von Dorndorf, der mir zur Begrüßung ein Lied spielt.
Gut zu erkennen, nur halt nicht
auf diesem Foto:
Feldamündung in Dorndorf
Geschafft. Naja, fast. Bleiben noch mindestens 11 Kilometer zum Bahnhof Bad Salzungen, oder mehr als 20 Kilometer nach Bosserode. Puh, nee, für heute reichts. Da quetsche ich mein Rad lieber in den Bus nach Hersfeld. Ja, im Werratal gibt es sogar richtige Busse!
Bis der Bus kommt, mache ich noch einen Abstecher zur Werrabrücke. Ob ich von da oben die ferne Mündung der Felda sehen kann? Wahrscheinlich nicht, denke ich.
Doch, kann ich: Auch am Abend ist die dunkle Linie aus Büschen, die zielstrebig im spitzen Winkel zur Werra dazustößt, deutlich zu erkennen. Zumindest mit meinen Augen. Meine Kamera sieht da gar nichts. Anscheinend sind meine Augen doch nicht so schlecht. Zumindest im Vergleich zu einer altersschwachen Canon-Digitalkamera. Immerhin.

Solz: Von Bad Hersfeld nach Heimboldshausen

Willkommen im Solztal! Dieser süße Bahntrassenradweg verbindet Werra und Fulda. Wenn ich den mache, lerne ich einen kleinen Zufluss der Weser kennen und bin gleichzeitig den kompletten nördlichen Ring vom Bahnradweg Hessen gefahren. Auf geht's!

Der Anfang des Radwegs ist so konsequent wie kein anderer Bahnradweg. Normalerweise geht es erst da los, wo die alte Bahntrasse von anderen Gleisen abzweigt.
In Bad Hersfeld starten die Radfahrer direkt neben einem echten Bahnhofsgebäude auf ihrem eigenen asphaltierten Gleis, wie ein abfahrender Zug - direkt neben echten abfahrenden Zügen (sogar ICEs). Wenn Sie sich auf dem Fahrrad mal so richtig wie eine Eisenbahn fühlen wollen, ist dieser Radweg ein Muss.
Etwa einen Kilometer geht es neben dem Bündel an Gleisen her, erst danach zweigt der Solztal-Radweg auf seinen eigenen Bahndamm ab.

Wenige Minuten später bin ich auch schon auf einer steinernen Bahnbrücke über die Fulda gerollt. An der ungewöhnlich großen Brücke klebt ein Holzhäuschen, das möglicherweise zur Hersfelder Kläranlage gehört.
Von oben werfe ich einen Blick auf die Solz-Mündung. Die Solz hat an dieser Stelle keine Brücke, sondern nur ein paar umgefallene Bäumchen, die das Flüsschen verdecken.

Das Solztal ist ein breiter Wiesenstreifen, der seitlich zum Fuldatal dazukommt. Am Rande der Waldhügel verläuft der Bahndamm, und daneben das Wasserband der Solz - bis es plötzlich in einem unnatürlich rechten Winkel abknickt und auf die andere Seite wechselt. Richtige Schleifen sind dem Fluss nicht erlaubt, sonst wären die Grenzen der Grundstücke ja nicht gerade.
Im Frühjahr kommt Leben in die Tümpel, behauptet ein Schild, denn im Solztal leben viele Lurcharten. Im Herbst kommt eher nicht so viel Leben in die Tümpel, aber die Strecke macht immer noch Spaß. Der Fuldaradweg findet sie sogar so toll, dass er hier entlangführt - nanu, habe ich die Fulda nicht schon hinter mir gelassen? Gerade noch rechtzeitig fällt dem Fuldaradweg auf, dass er ins falsche Tal abbiegt, und er sucht sich einen Feldweg, um zurück ins Fuldatal zu gelangen. (Ich habe damals bei meiner Fuldatour die Variante an der Hauptstraße genommen und kannte die Strecke noch nicht.)

Im Tal verläuft auch der sogenannte Kinderweg mit Schnitzereien, Lehrtafeln zur Natur und kleinen Spielplatz-Elementen. Am auffälligsten ist die hölzerne Lokomotive.
Die echte Hersfelder Kreisbahn, die früher über diese Trasse dampfte, bestand nicht aus Holz, sondern verbrannte nur welches. Und trotz ihres Namens fuhr sie auch nicht im Kreis - Kreisbahn bedeutet, dass sie dem Landkreis gehörte. Erst 1983 privatisierte man die Kreisbahn zu einer GmbH. 10 Jahre später wurden auch die letzten Güterzüge eingestellt.

Der Weg überwindet 255 Höhenmeter, aber das Gute an Bahntrassen ist ja, dass man die nur sehr sanft und allmählich überwindet. Nach den ersten Kilometern am Waldstreifen schlängelt sich die Trasse einmal um das Dorf Sorga. Hier begegnete ich zum ersten Mal einem anderen Menschen, der seinen Hund aufs Feld führte, auf dass das Tier die Erde noch ein wenig matschiger mache.

Die weißen Fassaden von Sorga sind so gleichförmig, dass ich wirklich nicht sagen kann, welches Gebäude den Bahnhof enthielt. Das einzige, was in den Dörfern ein bisschen heraussticht, sind die Flaggen. Das Solztal zeigt ungewöhnlich viel Flagge und ist damit für windstille Tage weniger geeignet.
Das Leben ist ein Hauch, verkündete vor wenigen Kilometern eine künstlerische Sitzbank in verschnörkelter Schrift. In besagtem Hauch flattern träge Deutschland, die Europäische Union, nochmal Deutschland, die Europäische Union, Deutschland mit Reichsadler und eine fast komplett abgerissene Piratenflagge auf einem kleinen Piratenschiff, das in einem deutschen Vorort gestrandet ist und sich ein bisschen fehl am Platz fühlt.

In den nächsten Dörfern passiere ich drei Arten von Bahnhöfen:
  • Level 1: Nur eine steinerne Bahnsteigkante
  • Level 2: Bahnsteigkante und ein hölzernes Bushäuschen
  • Level 3 - die Vollversion: Bahnsteigkante, Bushäuschen und weißes Bahnhofsgebäude
Ich hoffe mal, auf dem Radweg hält kein Bus. Sahen die Bahnhöfe wirklich aus wie Bushaltestellen, sollen das Rasthütten sein oder wieso ist alles voll von diesen Buden?

Die zweite Brücke des Solztal-Radwegs (nach der Fuldabrücke) ist eine kurze Hängebrücke auf dem Kinderweg, die zu einer Plattform mit Blick auf den Tümpel führt. (Da muss man nicht mit dem Fahrrad rüber. Kann man auch gar nicht. Wahrscheinlich nicht mal per Mountainbike.)
Später gibt es schicke Bahnbrücken aus braunem Stein. Auch eine der Betonbrücken für die Bundesstraße hat versucht, sich in diesem Stil einzukleiden.

Eine Brücke ist mir in besonderer Erinnerung geblieben (nicht in positiver). Die Brücke des Verderbens bestand zu je einem Drittel aus Holz, Wasser und Moos. Leider war ich so schnell unterwegs, dass ich diese gefährliche Zusammensetzung erst mitbekam, als ich noch schneller unterwegs in Richtung Brückenboden war. Den Rest der Tour machte mein Knie leicht widerwillig mit.

Wenn gerade keine Brücke da ist, dann beschützt mich ein Drängelgitter vor dem kümmerlichen Straßenverkehr. Normalerweise sind die Dinger so nervig, dass sich außenrum ein fest etablierter Trampelpfad gebildet hat, auf dem die Radfahrer sie umrunden. Aber hier wird nur der halbe Radweg blockiert, sodass ich mich nirgendwo durchquetschen muss. Das ist doch nett.

Windräder drehen ihre Runden auf den Hügeln am äußersten Randgebiet der Rhön, und auch die Bahntrasse dreht eine weite Runde durchs Tal. Und scheint trotzdem die ganze Zeit geradeaus zu führen.

Als das Tal wieder schmaler wurde, bin ich inmitten der gleichförmigen Wiesen auf einen farbenfrohen Streifen aus Hecken, Moos und Heide gestoßen. Naja, farbenfroh für November-Verhältnisse, aber immerhin.

Jetzt taucht die Trasse ein in eine Schlucht, wo die Solz auf spitze Steine trifft. Wirklich wild wird sie dadurch immer noch nicht. Aber immerhin kann ich hier und da mit bloßem Auge erkennen, wie sich das Wasser bewegt.

Damit sich noch ein bisschen mehr bewegt, hat irgendeine freundliche Person zwei winzigkleine Staustufen eingebaut. Ich präsentiere: Die Solzfälle. Wow! Da kann der Rheinfall einpacken.

Kurz vor Schenklengsfeld muss ich die Bahntrasse kurz verlassen, denn zum ersten Mal tauchen wieder Gleise auf. Und bald darauf verlasse ich den Bahndamm endgültig.

Die erste (naja, und einzige) Stadt im Solztal gehörte ebenso wie die Bahntrasse zu Bad Hersfeld. Allerdings nicht dem Landkreis, sondern dem Kloster. Es platzierte Vögte in der Schenklengsfelder Burg, die über alles Wichtige entschieden. Die Mönche verloren die gelbe Stadt erst nach dem 30-jährigen Krieg und hinterließen hübsche Fachwerkbauten (sie sind insbesondere dann hübsch, wenn man sie mit den öden Dörfern vergleicht).

Wenn Bauern nach Schenklengsfeld kamen, wurden sie Strohhäischer genannt. Sie hatten nämlich die Aufgabe, den Forstbeamten Steuern in Form von Stroh zu bezahlen. Weil sie brav bezahlten, wurde ihnen eine Statue aufgestellt.
Die künstlerische Qualität der Statuen hat sich seit unförmig geschnitzten Stöcken am Kinderweg deutlich verbessert.

Als ich den ehemaligen Marktplatz umrunden wollte, entdeckte ich einen Baum. Und was für einen! Ist das so eine Tanzlinde wie an der Werra, in der gefeiert wird?
Nein, anscheinend soll das 65 Meter lange Bau(m)gerüst einfach nur die Äste stützen. Und dieser Baum hat es verdient, gestützt zu werden, denn es handelt sich um Deutschlands älteste Linde. Vier fette Wurzelstränge mit einem Durchmesser von insgesamt 18 Metern reichen nicht aus, um all das Holz zu stabil zu verankern. Ein Zweig der Linde hat es ins Stadtwappen geschafft. (Für den ganzen Baum hat der Platz einfach nicht gereicht.)

Die Solz sucht sich in ausgesprochen flachen Rinnen ihren Weg durch die Stadt und taucht in zwei Röhren unter der Bahntrasse durch. Ich folgte ihr aus der Stadt, wo sie sich auf verschiedene Gräben zwischen den Feldern verzweigt.

Fast direkt aus dem Bahndamm sprudelt eine Quelle des Rhön-Clubs. Die Solzquelle kann es nicht sein, höchstens eine Solzquelle, denn der Fluss geht ja noch weiter.
Im Jahre 1688 wurden in Schenklengsfeld verifizierte Heilquellen gefunden. Die Bewohner der abgehängten Stadt hängten sofort Schilder mit der Aufschrift Bad Schenklengsfeld auf und freuten sich über den Heil-Hype, der aber nur wenige Jahre anhalten sollte. Heute kommt aus der Quelle kein Trinkwasser, also lasse ich lieber die Finger davon. Das Heilwasser ist offensichtlich Geschichte.

Wenn die Nicht-mehr-Heilquelle nicht die Solzquelle ist, wo beginnt der Fluss dann? Ich mache einen Abstecher, um seine Quelle zu suchen. Südlich der Stadt verläuft die sogenannte Point-Alpha-Schleife vom Radweg Deutsche Einheit am Flussufer. In kleinen Wellen gleite ich durch feuchte Wiesen mit Schafen drauf. So hübsch hatte ich mir das gar nicht vorgestellt. Die Solz ist immer noch ein recht breiter Bach, der immer wieder graue Gruppen von Bäumen versorgt.

Am Wegesrand steht eine Sammlung wertvoller Grabsteine, manche stammen sogar aus dem 17. Jahrhundert. Behauptet jedenfalls ein Schild. Ich sehe nichts, was einem Grabstein ähnelt. Der Friedhof wurde komplett unter Blechplatten begraben, aus welchem Grund auch immer. Im Hintergrund ragt nur noch das Predigerhäuschen auf, in dem Beerdigungen durchgeführt wurden.
Auf den Platten darf man nur mit 5 km/h fahren. Logisch, alles andere würde ja die Totenruhe stören. Ich bin mal davon ausgegangen, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht für den Radweg gilt, und mit mehr als 5 km/h weitergedüst.

Die Point-Alpha-Schleife verabschiedet sich, und weil ich schon am Point Alpha war, folge ich weiter der Solz. Hinter Oberweisenborn ist der Bach nur noch ein Graben in graubraunem Gewucher und möchte anscheinend nicht mehr, dass ich ihn verfolge. Der Feldweg wird zu zwei schlammigen Streifen auf der Wiese. Weiter hinten stehen tropfenförmige Baumgruppen, die sich auf dem kalten Feld zusammendrängen und die mutmaßliche Quelle bewachen. So richtig sehen kann ich das allerdings nicht. Tja, das hier ist halt kein Flussradweg, sondern ein Bahnradweg - da kann man keine ausgewiesene Quelle erwarten.

Und der Bahnradweg geht in eine ganz andere Richtung weiter. Ab Schenklengsfeld sind die Gleise wieder da. Diese Bahntrasse ist nicht so zerhackt wie im Felda- oder Ulstertal (mal darf ich auf den Bahndamm, mal wieder nicht), sondern einmal genau in der Hälfte aufgeteilt. Den ersten Teil fahre ich auf der Bahntrasse, und den zweiten daneben. Und zwar erstmal direkt daneben - gleich hinter der Stadt stoße ich auf die Gleise und folge ihnen durch eine breite Hochebene.
Ein eher ungewöhnliches Bauwerk auf diesem Abschnitt war ein kleiner Bahntunnel aus Wellblech (für die Schienen, nicht für mich, ich bin obendrüber geradelt). Das Dorf Wehrshausen wurde auch Wellblechshausen genannt, weil sein Bahnhof aus demselben Zeug bestand. Gelbes Gras bedeckt die Schwellen, aber theoretisch könnte hier wohl noch ein Zug oder eine Draisine fahren. Tun sie aber nicht. Keine Ahnung, warum die Gleise der Wellblech-Hälfe überhaupt noch liegen.

Nur die letzten Kilometerchen fahre ich völlig abseits der Bahntrasse und mache gezwungenermaßen einen Umweg durch Ausbach. Auf der Karte sah das lästig aus, aber eigentlich ging es echt fix. Von der Ausbacher Höhe bewunderte ich einen Panoramablick. Windräder drehten sich am Horizont, und die Kaliberge des Werratals guckten hinter den Hügeln hervor. Vor diesen Hügeln hat ein anderer Bach ein Tal in den Wald geschnitten.

In diesem Tal düse ich auf der Straße bis nach Heimboldshausen an der Werra (bei Heringen). Auch die Gleise landen am Ende in der Waldschneise, obwohl ich sie nicht sehen konnte. Im Werratal vereinen sie sich mit den Güterzugstrecke für das Kalisalz.

So, dann wollen wir mal sehen, wie weit ich gefahren bin. Diese nette Grafik hat Relive zu meiner Tour erstellt. 57 Kilometer, immerhin. Der reine Solztalradweg ist aber nur 27 Kilometer lang, meine persönliche Endabrechnung enthält zusätzlich den Ausflug zur Quelle und die Abreise zum Bahnhof Wildeck-Bosserode.