NEU! Das Bergparkleuchten - leuchtende Wasserfälle in Wilhelmshöhe

Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

09 Mai 2022

Eiserner Vorhang: Von Hilders nach Fladungen

Die schöne Rhöngrenze II

Länge: 15,5 km (+31 km Milseburgradweg, +3 km Ulstertalradweg, + 48 km Feldatalradweg)
Grenzquerungen: 2 (+1 am Feldatalradweg)
Bundesländer: Hessen/Bayern/Thüringen
Seite: etwas mehr West als Ost
Erkenntnis: Nebel liebt Freistaaten.

An der Friedhofskapelle von Batten drehte ich mich zum letzten Mal um und blicke hinunter auf das sonnige Ulstertal. Es hat mich treu begleitet und tief in die Rhön gebracht. Ab jetzt musste ich allein klarkommen.

Und das wird richtig anstrengend: Dieses Stück Rhön ist so steil wie der Harz (aber immerhin nicht so lang). Ein kleiner Würfelbunker kündigte an, dass mich oben auf dem Bergrücken die Grenze erwartet. Falls ich dort irgendwann mal ankomme.
Schleife um Schleife schleife ich mich den Berg hinauf, der einfach kein Ende nehmen will. Die Rhöner Römer nannten die Rhön Buchonia (Buchenland). Wurden die Buchen seitdem etwa alle abgeholzt? Nein, da vorne stehen noch welche.

Sobald ich in den Wald eintauchte, ging die Aussicht, ein Teil des Sonnenlichts und schließlich der Asphalt verloren, was mein Tempo auch nicht gerade erhöhte. Aber immerhin konnte ich noch den Weg vor mir sehen.
Radfahren wollte niemand an diesem kühlen Novembertag, aber hin und wieder kamen mir unerschrockene Rhönwanderer entgegen.

Endlich, es war schon deutlich mehr Zeit vergangen als veranschlagt, kam ich auf dem Kamm eines Bergs namens Hoel an. Mit rund 790 Metern ist das der höchste Punkt auf dem deutschen Iron Curtain Trail (sofern man nicht die Variante zum Brocken fährt). Puh!
Der Kamm ist tatsächlich ganz hübsch. Ein Weilchen fuhr ich auf einem Grenzstreifen aus beigefarbenen Wiesen und Rastplätzen. Die dürren grauen Bäumchen verwandeln sich in sattgrüne Weihnachtsbäume. Eine Aussicht erwartete mich auf dem Gipfel jedoch nicht. Die Tannen ließen mich ja kaum durch ihre Nadeln auf die zweite Reihe Bäume gucken - wie sollte ich da ins Tal blicken können? Und selbst wenn die Tannen weniger dicht wären, könnte ich trotzdem nichts sehen. Denn kaum hatte ich Thüringer Boden erreicht, erwartete mich hinter der nächsten Kurve eine Wand aus Nebel. Ab jetzt durfte ich froh sein, wenn ich weiter als 10 Meter sehen konnte.
Das kam unerwartet. Im Westen war noch alles richtig sonnig. Ob das jetzt irgendeine versteckte Symbolik haben soll?
Im Winter 1986 floh jemand in der Nähe durch das Schneegestöber in den Westen. Wenn ich schon keine Aussicht hatte, konnte ich durch das Wetter zumindest diese Fluchtgeschichte ein kleines bisschen besser nachfühlen.

Hinterm Hoel ging es steil abwärts bis nach Frankenheim, das sich nur scheibchenweise aus dem Nebel schälte. Die weiße Stadt befindet sich in einem spitzen Ausläufer Thüringens, mitten im Dreiländereck mit Hessen und Bayern, umgeben von Grenztürmen und Wanderwegen. Rein theoretisch. Behauptet die Karte. Mit eigenen Augen bestätigen kann ich es nicht.
Der Reiseführer 111 Orte in der Rhön, die man gesehen haben muss empfiehlt übrigens, am verwitterten Holzschild des Dreiländerecks eine Yogafigur namens Föderalistischer Flamingo auszuprobieren: Ihr linkes Bein Hand kann in Hessen zum Tode verurteilt werden, Ihre rechte Hand kann in Bayern CSU wählen und Ihr linker Arm würde in Thüringen deutlich weniger Rente bekommen.

Trotz widrigen Wetters wollte ich mir ein paar Sehenswürdigkeiten von Frankenheim anschauen, die nicht ganz so weit von der Route entfernt sind. Der Heilkräutergarten machte im November einen relativ trüben Eindruck, aber zumindest sind die Muster und Farben der Beete zu erkennen.
Vielleicht treffen Sie bei Ihrer Wanderung ja auf einen Bergmolch, eine Blindschleiche, eine Zauneideckse?, fragte eine Hinweistafel.
Nee, überraschenderweise nicht.

Auf den Hinweistafeln im Heckenlabyrinth steht überhaupt nichts. Ein Gewirr niedriger orangefarbener Hecken, in dem zig leere Holztafeln sinnlos herumstehen.
Daneben duckt sich eine Grotte - eine Art Iglu aus Feldsteinen, das mich an die Castelles in Südfrankreich erinnert hat. Die französischen Exemplare dienten als Verteidigungsanlage. Vielleicht galt das auch für dieses Rhön-Iglu - aber nicht im Kalten Krieg, da dürfte es nicht mehr dem Stand der Technik entsprochen haben.

Hinter Frankenheim überquerte ich die Rhönvariante des Kolonnenwegs. Diese Dinger sind echt die einzige Konstante auf dem Grünen Band. Der einzige Kilometer richtig mieser Wegstrecke brachte mich in den Westen, und zum ersten Mal auf meinen Iron-Curtain-Touren betrat ich bayrischen Boden. Beziehungsweise bayrischen Schlamm.
Hier sollte mich eigentlich der sogenannte Heimatblick erwarten, aber... ach, lassen wir das. Lieber ein paar historische Fakten:
Die Franken richteten den Aussichtspunkt ein, entzündeten Signalfeuer und guckten melancholisch rüber in den Osten, das war ihre Art von Protest für die deutsche Einheit.
Der Bundesgrenzschutz beobachtete unterdessen, wie die Soldaten verschiedener DDR-Grenzkompanien untereinander ausgetauscht wurden, rechnete ein bisschen und zog folgenden Schluss: Jeder neue Soldat wurde vier Tage lang in die grausame Geographie seines Grenzabschnitts eingewiesen. Private Informationen über die Gegner fand man im Westen nicht so wichtig: Der BGS kannte nur einen DDR-Offizier an diesem Abschnitt mit Namen, und das auch nur durch private Recherche.
Im Osten legte man auf andere Fakten Wert: Name und Privatadresse aller BGS-Offiziere waren selbstverständlich bekannt.

Eine Weile radelte ich seitlich am Bergkamm entlang, dann ging es wieder steil runter. Normalerweise wäre ich da runtergesaust wie sonstwas, aber im Nebel schien mir dann doch etwas Vorsicht angebracht. Meh, nicht mal die Bergab-Strecken kann ich hier richtig genießen.
Der Rhönwald ist längst abgeholzt, links und rechts erstreckt sich, soweit das Auge reicht (also nicht sehr weit), eine steilgrüne Wiese namens Rhönhut. Hut ab: Für eine unscheinbare Bauernwiese steckt ungewöhnlich viel Geschichte unter den Grashalmen. Die Wiese war kein Privateigentum, alle Dorfbewohner durften dort gemeinsam ihre Rinder, Schafe und Ziegen parken, während ein Gemeindehirte auf sie aufpasste. Quasi eine Art kommunistische Landwirtschaft, die tatsächlich funktioniert hat - und das in Bayern (verraten Sie das lieber nicht der CSU)! Im 19. Jahrhundert wurde die Rhönhut aber unter Privatbesitzern aufgeteilt. 1941 machten die Nazis die Rhön zu einem Musterland, entwässerten die Wiesen, forsteten einen Teil auf, bauten Windschutzstreifen aus Bäumen und ernannten besonders regimetreue Rhöner zu Erbhofbauern. Diese Wiese hat also viele politische Systeme am eigenen Boden erlebt.

Am unteren Ende der Rhönhut liegt die Bundesstraße (inklusive Radweg) nach Fladungen. Eine dicke Stadtmauer (inklusive Graben) schält sich eindrucksvoll aus dem Nebel. Der Maulaffenturm markiert das Tor zur ersten bayrischen Stadt. Er wurde nach seinem seltsamen Wasserspeier benannt.
Die hübsche Altstadt (inklusive Schloss) strahlt auch durch den Nebel in verschiedenen Gelbtönen. Leider fließt der Verkehr mittendurch, eine Fußgängerzone gibt's nicht.

Erreichbar ist Fladungen nur per Bus oder mit der Dampflok Rhön-Zügle, die lediglich an bestimmten Tagen fährt. Ich bin auf den Feldatal-Radweg abgebogen, den ich heute noch mitnehmen wollte.

07 Mai 2022

Ulster: Von Philippsthal nach Wüstensachsen

Die schöne Rhöngrenze I

Länge: 34 km ( + 23 km zum Bahnhof Wildeck-Bosserode, +31 km Milseburgradweg oder +18 km restliches Ulstertal, davon 3 km Iron Curtain Trail)
Grenzquerungen: 6
Bundesländer: Hessen/Thüringen
Seite: etwas mehr West als Ost
Erkenntnis: Die Vergangenheit bewegt sich in entgegengesetzter Richtung zur Sonne.

Kaum hatte ich Hessen mitsamt der letzten Kali-Förderanlagen hinter mir gelassen, tauchte ich ein auf die Trasse der Ulstertalbahn. Die Mündung der Ulster ist ziemlich zugewachsen, ihr Tal dagegen überaus zeigefreudig. Es blühte in blassen Gelbtönen und bot ein ulstimatives Erlebnis.
Zwischenzeitlich vollführt die Grenze eine ganz komische, superenge Schleife auf dem Fluss und dem Radweg. Trotzdem ist sie längst nicht so chaotisch wie die Werragrenze.

Diese Gegend war eine katholische Exklave, ähnlich wie das Eichsfeld. Doch statt brutal blutigen Jesusfiguren haben die Katholiken hier glückliche Grotten aufgestellt, mit blühenden Blumen, bunten Marienstatuen und künstlichen Felsen. Bei aller Kritik an der katholischen Kirche, mit diesen Grotten hat sie einen Volltreffer gelandet und verschönert jedes Dorf.

Zwischendurch musste ich das Ulstertal verlassen und eine Hügelkette hinauf.
Uff, hier geht es ja echt steil hoch, und jetzt wieder runtaah, stopp, anhalten! Mist, wieso müssen meine Bremsen ausgerechnet jetzt ihren Geist aufgeben?
Och, was für eine süße Brücke! Da oben beginnt die Bahntrasse des Kegelspielradwegs. So viele Bahntrassen, wieso kann ich dann nicht auf einer davon fahren, anstatt mich querfeldein die Berge hochzuquälen? Ach ja, richtig, weil da oben eine der allerwichtigsten Stellen des Eisernen Vorhangs liegt.

Dies ist der westlichste Punkt des kompletten Warschauer Pakts. Die Amerikaner haben ihn Point Alpha genannt und folgendes befürchtet: Wenn die Russen angreifen, dann hier. Also errichteten Sie ein großes Lager. Heute dient es als Grenzmuseum - endlich ein Museum, in dem es mal um die westliche Seite geht! Auf dem Gelände stehen Zelte, blaue Blechbaracken, hohe Nadelbäume sowie eine noch höhere US-Flagge, vor der die Soldaten jeden Morgen salutieren mussten. Für ein Militärlager eigentlich ganz nett. Wenn all die Panzer nicht wären, hätte es fast was von einem Pfadfinderlager.

Anfangs waren hier normale Soldaten stationiert, die in der Besatzungszone auch Aufgaben der Polizei übernahmen. Später wurden sie durch eine kleine Elitetruppe namens Black Horse abgelöst. Die schwarzen Pferde schliefen in Doppelstockbetten zu zweit im Zimmer und mussten ihren Spind nach genauen Vorschriften einräumen. (Das Bild der nackten Frau war vermutlich auch vorgeschrieben.)
Ihre Aufgaben waren: 1. Beobachten und 2. Militärmanöver üben für den Ernstfall. Der nie eintrat. Deswegen hatten sie jede Menge Zeit, um in der Gegend Freibäder zu bauen, betrunken Schaufenster einzuschlagen, in diskrimibierender Weise keine Getränke in lokalen Kneipen zu bekommen, per Präzisionsflug ein restauriertes Kreuz auf einem Kirchendach zu montieren und zu vergewaltigen. All das ist im Laufe der Jahrzehnte vorgekommen. Nicht alle Straftaten durch die Soldaten konnten aufgeklärt werden.

Dass dieses Lager zum Westen gehört, ist schon an der Begrenzung zu erkennen - ein ganz normaler Maschendrahtzaun. Nur die Eingangstür besteht aus dem Streckmetallzaun der DDR. Das liegt daran, dass sie eingebaut wurde, als der DDR-Zaun nicht mehr gebraucht wurde. Der ursprüngliche Eingang befand sich am anderen Ende, möglichst weit weg von der Grenze.
Zum US-Camp gehört natürlich auch ein Beobachtungsturm. Und was für einer!

Dieser Turm hat eine richtige Treppe, großzügige Räume und ein total breite Plattform - kein Vergleich zu den DDR-Klötzen oder dem amerikanischen Hochsitz bei Bad Sooden-Allendorf.
Grüne Säulen (z.B. rechts im Bild) erzählen die Erinnerungen der stationierten Soldaten.
Nur 200 Meter entfernt überragt ein DDR-Grenzturm den amerikanischen Luxusturm. So konnten sich die Machtblöcke aus nächster Nähe klassenfeindselig anstarren.
Falls der Warschauer Pakt hier wirklich angreifen sollte, hatte die NATO folgende Strategien:
  • Bis ca. 1965: Sofort Atomwaffen! Egal, ob die anderen welche einsetzen!
  • Ab ca. 1965: Okay, vielleicht doch nicht sofort Atomwaffen, das kommt auf den Angriff an.
  • Ab 1980: Aus der Luft von hinten den russischen Nachschub bombardieren, damit keine mehr nachströmen.

Wie immer gehört ein kostenloser Kolonnenweg mit originalen Grenzanlagen zum Museum. Im Preis inkludiert ist auch das Haus auf der Grenze, ein relativ normales Grenzmuseum über die Ostseite, in dem ich nichts Neues mehr gelernt habe. Von außen ist es mit Zitaten der DDR-Führung beschrieben. Der Kolonnenweg geht im Gebäude weiter.

Hätte ich diesen Ort vor einem Jahr besucht, wäre das für mich einfach ein spannendes Stück Vergangenheit. Nun sieht das ganz anders aus. Die Vergangenheit ist nie vergangen, sondern nach Osten gerückt. Ich lebe in einer Zeit an einem Ort, in dem Probleme längst erkannt, von Gedenkstätten als vergangene Fehler angemahnt und gleichzeitig weiter aktiv begangen werden, in einer seltsamen Phase zwischen Vergangenheit und Zukunft, die sich Gegenwart nennt.

Zum Frieden mahnen ein runder Tisch und ein riesiges Windspiel. Von allen Mahnmälern hat mich das Windspiel am meisten beeindruckt. Wahnsinn, wie schafft es der Wind nur, die ganze Zeit diese dicken Metallplatten zu drehen? Hm, es ist sicherlich hilfreich, dass es so hoch oben steht, direkt vor dem Panorama der Rhönvulkane, die im Gegensatz zum Kalten Krieg wirklich längst erkaltet sind.
Hoffentlich symbolisiert die Anlage nicht, dass sich die Suche nach Frieden immer nur im Kreis dreht.

Auf der anderen Straßenseite wird der Kolonnenweg zum Pfad der Hoffnung, an dem sich die katholische und kommunistische Vergangenheit der Region künstlerisch überschneiden. Da stehen Skulpturen aus rostigem Edelstahl, welche die Kreuzigung Jesu darstellen, nur dass es eigentlich gar nicht Jesus sein soll, sondern die Widerstandskämpfer der DDR. Was ich aber nur von den Schildern weiß, die Figuren selbst geben keinen Hinweis darauf. Eindeutiger wäre es, wenn Jesus statt Kreuz Hammer und Sichel tragen müsste.

Irgendwann verlassen die Radler den Kolonnenweg wieder - nur wann?
Wer der Karte folgt, nimmt den Waldweg gleich vorne am US-Camp, ohne richtig entlang der Grenze zu fahren. Das ist schade, schließlich ist das die einzige Gelegenheit auf dieser Tagesetappe.
Wer wie ich der Hauptstraße runter nach Geisa folgt, ist ein Trottel und hat sich die nervigste Route ausgesucht.
Und wer den Schildern folgt... nanu, noch weiter auf dem Kolonnenweg? Erst als die Betonplatten völlig unzumutbar zugewuchert sind, knickt der Radweg ab ins Tal. Diese Route hat den Nachteil, dass man nicht direkt durch Geisa kommt.

Und erst ganz, ganz hinten folgt dann der Grenzturm Wiesenfeld. Im Flyer des Point-Alpha-Museums ist er so eingezeichnet, als käme er gleich hinter dem Pfad der Hoffnung. Von wegen, das ist ne Halbtageswanderung zum Turm! Naja, aus der Ferne angucken reicht auch.

Ein Stück darunter, aber immer noch recht weit oben, wartet Geisa, die westlichste Stadt des Warschauer Pakts. Die Amerikaner konnten sie vom Beobachtungsturm aus sehen und erzählten an den Audiosäulen, wie deprimierend das da drüben doch alles ausgehen habe und wie schlimm sie sich das Leben in der Stadt vorstellten.
Seither muss Geisa einmal komplett abgerissen und neu aufgebaut worden sein. Mindestens. Auf mich sah Geisa wirklich alles andere als deprimierend aus. Die Stadt erstrahlt frisch in verschiedenen Orangetönen, ein Brunnen sprudelt, und vom Glasbalkon lässt sich ein grasgrünes Tal mit einer erlesenen Auswahl an friedlichen Vulkanen bestaunen. Es war recht ruhig, aber nicht ausgestorben, rund um die Innenstadt flanierten viele Spaziergänger.

Na gut, ich checke es nochmal aus der anderen Blickrichtung, unten im Tal: Die Ulster plätschert, Kinder spielen zwischen den Teichen im Park und hinter ihnen ragt eine Stadtmauer mitsamt Schloss in den Himmel. Deprimierend? Nope.

Einige Kilometer darauf wechselt das komplette Ulstertal rüber nach Hessen, und da bleibt es dann auch. Ich bin wieder auf der Trasse der Ulstertalbahn gefahren. Glaube ich jedenfalls. Diese Bahntrasse ist so flach, dass sie mich manchmal irritiert hat. Bin ich jetzt auf dem Bahndamm oder daneben? Führte die Bahn wirklich so lange neben der Straße entlang? Wozu diese großen Steine, war das eine historische Version einer Schallschutzwand?

War das mal ein Bahnhof? Wenn ja, hat er seine besten Zeiten hinter sich.

"Nach dem Zusammenbruch der DDR wurden Eiserner Vorhang und Todesstreifen bundesweit zur Privatsache", schrieb bereits der Betreiber der Instagramseite Gärten des Grauens. Traurigerweise war das nicht auf diesen Garten hier bezogen, woraus folgt, dass es mindestens zwei Gärten geben muss, zu denen diese Beschreibung passt.

Aber es wurde noch verstörender. Der nächste Garten wird durch kunterbunte Metallplatten begrenzt. Komische Farbgebung für ein Mahnmal, dachte ich. Dann begriff ich, dass es keins war, sondern Werbung für irgendein Unternehmen, das Metall verarbeitet und Gärten mit Blickschutz ausstattet. Und ausgerechnet am Iron Curtain Trail werben die mit einem Metallzaun und einer Zielscheibe. Wow, da bin ja sogar ich taktvoller.

1 Stunden nach der Reichsgrenze behauptet diese alte Grenzsäule. Die Reichsgrenze der beiden deutschen Reiche BRD und DDR verlief auf den Hügeln rechts im Bild.

Ab jetzt fahre ich auf einer Rhönstraße, die sich wie betrunken hin- und herschlängelt und damit für Nüchterne nur bedingt geeignet ist. Der Bahndamm der Ulstertalbahn verflüchtigt sich zwischen einer Tankstelle und einem Mini-Burgtor. 

Das Original-Tor steht auf dem Marktplatz von Tann. Ein Stadtführer erklärte den Gästen gerade den Brunnen, aber ich stand zu weit weg, um etwas zu verstehen. Mann, ist das schön in Tann in der Rhön. Zugegen, ich war nicht ganz so begeisat wie in Geisa, aber hübsch ist es immer noch.

In diesem Schloss lebte Eberhard von der Tann, der als Theologiestudent in Wittenberg Unterricht von Martin Luther höchstpersönlich erhielt. Später setzte er die Reformation durch, sowohl in Tann als auch anderswo in Thüringen, denn er wurde Amtmann der Wartburg.
Das alles verrät die kleine Sandsteinsäule vor dem Schloss, also quasi. Das Symbol ist eine Kombination aus Eberhards Wappen und der Lutherrose, und den Rest kann man sich dann ja denken, oder? Nicht? Na gut, dann stellen wir eben eine Infotafel daneben.

Die Ulster erzeugt ein wenig Strom. Ein Banner verlangt, dass sie das auch in Zukunft tut. Das Wasserkraftwerk soll anscheinend geschlossen werden.

Der alte Grenzzaun dient nun als Komposthaufen, oder er schützt junge Bäume vor rollendem Geröll. Damit tut er im Grunde genommen dasselbe, was er schon immer getan hat. Denn das einzig Sinnvolle, was der antifaschistische Schutzwall je geschützt hat, war die Natur.
 

Die dritte Stadt im Ulstertal heißt Hilders und sieht nicht allzu interessant aus - die Pracht der Ulsterstädte nimmt offenbar in Richtung Süden ab. Zu den schöneren Gebäuden zählt der ehemalige Bahnhof, der nun mitsamt Spielplatz und altem Bahnwagen auf einem Privatgrundstück steht.

Echte Züge sind hier Mangelware, der nächste Bahnhof liegt in Gersfeld an der Rhön. Da kann man ebensogut direkt nach Fulda fahren, denn die Strecke dorthin ist ein Traum: Am Bahnhof Hilders endet ein anderer Bahnradweg. Während die Ulstertalbahn die Region allgemein wirtschaftlich erschließen sollte, war die Milseburgbahn vor allem als Anbindung für ein Braunkohlebergwerk gedacht. Der Milseburgradweg auf ihrer Trasse ist nicht nur schöner und besser ausgebaut, sondern führt auch noch mitten durch einen der Rhönvulkane durch.

So, und weiter bin ich an jenem Tag nicht gekommen. Der Ulstertal-Radweg geht aber noch ein kleines Stückchen weiter. Nicht auf der Bahntrasse, sondern ein paar Meter daneben. Und zugleich ein paar Meter höher. Liegen da noch Gleise? Schwer zu erkennen durch das graue Gestrüpp. Das ist das letzte entspannte Stück auf dem Iron Curtain Trail für die nächste Zeit.


Lange dauert er nicht. In Batten fuhr ich quer durch den Bahndamm - zum Glück hat er an der Stelle eine Lücke. Der Iron Curtain Trail verlässt hier das Ulstertal und steuert steil auf die Berge am Rand des Tals zu, wo immer noch die Grenze verläuft.

Aber als ich in einer Karte zum Rhönradweg blätterte, entdeckte ich, dass der Ulstertalradweg immer noch weitergeht - und der bleibt entspannt, und auch noch in richtig gutem Zustand! Hoch an der Talseite führt er in sanften Wellen auf und ab, dem Ende des Tals entgegen. Die letzte Ansiedlung heißt Wüstensachsen. Das klingt so ungefähr nach dem letzten Ort, den man besuchen möchte. Aber auch wenn es in Wüstensachsen eher ruhig zuging - niemand sprach sächsisch, und der Ort sah ein bisschen besser aus als in Hilders (vor allem die Kirche). Zu den Attraktionen zählen das Sternenkino, eine drehbare Bank zum Sternegucken, und ein Eis-Automat, in dem jede Sorte außer Lakritz ausverkauft war.
Vorsicht: Die Busse hier haben die bösartige Angewohnheit, manchmal ein paar Minuten zu früh abzufahren.

Nun neigen sich die Wiesen des Ulstertals allmählich steiler nach oben. Die Ulster trifft auf ein erstes Nadelöhr im Wald - und legt erst richtig los. Was bislang wie ein energischer, aber normaler Fluss aussah, wird im Oberlauf zum wahrscheinlich schönsten und kräftigsten Bach der Rhön! Diese moosbedeckten Steine sind perfekt abgerundet und sehen aus wie auf einem Gemälde. Die Ulster gerät kräftig ins Rauschen, und an einer Stelle stürzt sie tatsächlich einen kleinen Wasserfall runter. Okay, Harz- und Alpenbewohner mögen über diesen Fall vielleicht schmunzeln, aber nachdem ich mir die Ödnis des Nüst- und Suhltal-Radwegs gegeben habe, weiß ich auch solche kleinen Highlights zu schätzen.

Noch ein paar steilere Felder, dann verschwindet das Bächlein endgültig im Wald. Inzwischen ist es zwar deutlich schmaler, zieht sich aber durch richtig schmale Waldschluchten. Das sieht man freilich nur, wenn man ein Stück auf dem Trampelpfad nebenher wandert.
Der Radweg macht einen Bogen und kommt pünktlich zur Quelle wieder dazu. Neben einem Wanderrastplatz sammeln sich die Rinnsale und feuchten Wiesen, verschwinden in einem Steinhaufen - und schießen auf der anderen Seite volle Kanne aus einem Holzrohr heraus. Wow, hier kommt fast so viel raus wie aus der (hässlicheren) Feldaquelle. Das erklärt dann wohl die Power vorhin am Wasserfall!