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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

08 April 2020

Werra: Von Eschwege nach Hann. Münden

Werra-Tag 5: Das finstere Finaltal (oder: Tal der Dämmerung)

gefahren im: Februar 2020
Start: Eschwege, Bahnhof
Ziel: Hann. Münden, Bahnhof/Weserstein
Länge: 60 km
Werraquerungen: 6 (Brücken)
Ufer: rechts, außer im letzten Drittel
Bundesländer: Thüringen, Hessen, Niedersachsen
Landschaft: dunkel dämmerndes Tal mit ein paar Felsquadern
Wegbeschaffenheit: Radwege, Hauptstraßen, Matschwege
Steigungen: nur zweimal
Wetter: grau mit Nieselregen
Wind: leichter Gegenwind
Highlight: Grenzmuseum Schifflersgrund Bad Sooden-Allendorf
Größte Hürde: einbrechende Dämmerung
Zitat des Tages: "Übel cool!" - Junge im Grenzmuseum -

13:19, Bahnhof Eschwege, Kilometer 271 Ich erreiche mit deutlicher Verspätung den Startpunkt und hoffe, dass ich mein Ziel noch erreichen kann.

13:26 Ich verlasse Eschwege und überquere die Arme der Werra über zwei Brücken auf der Brückenstraße. Zweifellos ein passender Straßenname.


13:32 Ich verlasse die Hauptstraße und biege links ab auf einen kleineren Weg.

13:37 Ich durchquere einen kleinen Tunnel.

13:41 Ich überquere eine äußerst schmale Brücke, auf die eigentlich nur Fußgänger dürfen. Gräben und Fischteiche säumen den Weg.




13:42 Auf der anderen Seite entdecke ich einen originellen Wegweiser nach Jestädt.


13:45 Auf dem Weg nach Jestädt wurden Erlebnisstationen aufgestellt. Ich passiere die Wassertretstelle zur schiefen Bank. Die Bank nutze ich trotz ihrer Schiefe gern, doch auf das Wassertreten verzichte ich dankend. Die großen Berge in der Ferne sind in Nebel gehüllt.


13:48 Ich passiere das Hexenholz, ein paar aufgehängte Stöcker zum Gegeneinanderschlagen. Ich schlage sie gegeneinander. Es klingt wie Holz, das gegen Holz schlägt.


1612, Jestädt, Kilometer 275,4 Im funkelnagelneuen Schloss Jestädt schläft der Adlige Friedrich-Hermann von Boyneburg-Hohenstein.


13:51 Im renovierten Schloss Jestädt schläft jeder, der sich eine Ferienwohnung auf booking.com leisten kann.
Ich fahre geradeaus weiter, so spare ich mir einen sinnlosen Umweg nach Niederhone.


13:55 Ich passiere weitere Kleingärten. Es nieselt.

13:58 Der Regen wird stärker. Ich ziehe meinen Poncho über.

13:59 Der Regen hört auf. Ich behalte den Poncho an, um sicherzustellen, dass der Regen nicht wieder losgeht. Es funktioniert hervorragend.
Die Abkürzung ist nicht asphaltiert und schön matschig. Dafür fahre ich direkt zwischen der Werra und einem Naturschutzgebiet mit beigefarbenen Klippen aus schartigen Felsen. Das ist es allemal wert.


14:09, Albungen, Kilometer 281,3 Der Weg wird wieder fest. Ich entdecke noch einen originellen Wegweiser und überquere die Werra auf einer kleinen Betonbrücke. Sie ist schlammbraun vom Regen der letzten Tage.


14:10 Ich sehe mein Zwischenziel, eine Radfahrerkirche. Was die wohl für Radfahrer bietet?

14:11 Sie bietet das einzigartige Erlebnis einer verschlossenen Tür bei Nieselregen.


14:32 Ich fahre durch eine enge Schleife des Werratals unter dem Schloss Rothestein. Es ist nicht rot, sondern gelb. Damit hebt es sich farblich von all den grauen Burgen in der Gegend ab.


14:34 Ich überquere die Zauberbrücke. Sie besteht aus nicht wirklich zauberhaftem Asphalt mit Stahlgeländer.

Vor langer Zeit (der Sage nach) fischte hier ein Fischer und sah am anderen Ufer ein geheimnisvolles Mädchen. "Kannst du mich rüberfahren?", fragte es. "Nee, sorry, bin voll im Stress, ich muss den Pfarrer morgen mit Fischen für die Taufe meines Kindes bezahlen." - "Bitte!" - "Na guut…" Als er es rüberfuhr, zeigte ihm das möglicherweise magische Mädchen einen herumliegenden Haufen Geld, an dem er sich bedienen konnte. Als er es nach Hause brachte, starb blöderweise seine Frau an dem Schock, weil sie dachte, ihr Mann sei kriminell geworden. Der Fischer hatte dann nicht mehr so viel Lust auf das Geld und gründete in Zusammenarbeit mit der Gemeinde eine Wohltätigkeitsstiftung. Ende.


14:45 Ich umfahre die Steigungen am Ortseingang nach Bad Sooden-Allendorf. Dazu weiche auf einen tieferen Feldweg zwischen diversen Kleingärten aus.

14:56, Bad Sooden-Allendorf, Kilometer 292,5 Ich erreiche die Kirche St. Crucis. Es soll eine Hörspielkirche sein. Leider entdecke ich keine Hörspiele, nur ein großes Kirchencafe unter der Orgel. Die Kirchen in der Gegend halten alle nicht, was sie versprechen.


15:03 Auf einem roten Radweg überquere ich drei verschiedene Arme der Werra und unterquere eine Bundesstraße sowie die Bahngleise.


1683 In Bad Sooden-Allendorf wird ein gewaltiges Gradierwerk errichtet. Dort können die Leute das Salz einatmen, das hier aus dem Boden kommt - und zwar kostenlos. Anders als in Bad Salzungen ist alles offen und einladend.


1683 In der merkwürdigen Schieferpyramide (hinten) wird die Sole aus dem Boden gepumpt (heutzutage elektrisch). Für das Gradierwerk kann das Salzwasser so bleiben, aber ein Teil des Salzes soll auch als festes Speisesalz verkauft werden. Deshalb sieden im kleinen Fachwerkhäuschen (hinten links) ein Siedemeister und sein dreiköpfiges Team das Salz aus dem Wasser.

1881 Neben dem Gradierwerk wird ein Heilbad gebaut.

1906 Die Salzproduktion wird komplett eingestellt. Seitdem konzentriert sich Bad Sooden-Allendorf nur noch auf die Gesundheit der Gäste und zählt zu den besten deutschen Heilbädern.

15:07 Ich schaue mir das Gradierwerk an. Es funktioniert folgendermaßen: Außen verlaufen hölzerne Gänge, innen läuft das Salzwasser tröpfchenweise über eine große Wand mit Schilfhalmen. Ein Teil vom Salz bleibt als weiße Kruste kleben (je wärmer das Wetter, desto mehr Wasser verdunstet und desto weißer das Schilf), ein anderer Teil verteilt sich mit dem verdunstenden Wasser in der Luft. Ich atme eine Weile und gucke den Tröpfchen zu, die hypnotisch langsam nach unten rinnen, bis sie einfach verschwinden, weil sie all ihre Flüssigkeit verloren haben.

15:11 Ich fahre zurück ans andere Ufer und sehe Fachwerkhäuser.

15:12 Immer noch Fachwerkhäuser.

15:13 Fachwerkhäuser.


15:15 Ich sehe im Stadtteil Fischerstad ein Fachwerkhaus mit besonderem Eingang. Überlege kurz, dort einzuziehen, einfach nur des Eingangs wegen.


15:16 Fachwerkhäuser.

15:17 Ich passiere die letzten Fachwerkhäuser.

1982, in der Schlucht Schifflersgrund Der Baggerfahrer Heinz-Josef Große arbeitet für die DDR am Kolonnenweg der Mauer. Da sieht er plötzlich keine Grenzsoldaten mehr. Er fährt mit dem Bagger zum Zaun, hebt die Schaufel und springt auf der anderen Seite herunter.


1982 Heinz Josef Große rennt den Hang rechts hinauf, der noch zur DDR gehört. Vor den Bäumen oben rechts verläuft eine Straße, und die gehört schon der BRD. Die Soldaten haben ihn jedoch mittlerweile entdeckt und erschießen ihn auf halber Höhe des Hangs. Westdeutsche Jugendliche errichten ihm ein Kreuz an der Straße.

1984 Ein westdeutsches Auto hat einen Unfall und stürzt den Hang hinunter in die DDR (aber noch vor der Mauer). Die Grenzsoldaten erlauben relativ unkompliziert die Bergung, was sehr ungewöhnlich ist.

2020 Der Kolonnenweg verbindet den Werra-Radweg mit der Schlucht namens Schifflersgrund. Dabei wird der Wanderer vom völlig verrosteten Grenzzaun begleitet. Für eine Wanderung ist der Weg sehr schön, aber für Fahrräder völlig ungeeignet. Selbst zu Fuß bin ich auf dem letzten steilen Kiesstück ausgerutscht.


1991 Kurz nach dem Mauerfall öffnet hier das Grenzmuseum Schifflersgrund seine Tore. Auf dem Gelände stehen mehrere kleine Baracken, in denen massenhaft Fotos und Zeitungsausschnitte ausgestellt sind. Weiterhin ist da ein 11 Meter hoher Beobachtungsturm, den man betreten, aber nicht besteigen darf.

2020 Draußen stehen verschiedene Fahrzeuge vom Ost- und Westblock des kalten Krieges. Dies ist der Teil des Museums, der für einige männliche Kinder recht interessant ist. "Boah, Papa!" - "Das ist ja ein Biest!", erklingt eine begeisterte Jungenstimme vom sowjetischen Kampfhubschrauber. Vielleicht ist das der menschenverachtenden Geschichte dieses Ortes nicht ganz angemessen, aber andererseits - wann begeistert sich ein Kind schon derart für ein Museum?
Ein kurzer Teil des Grenzzauns ist originalgetreu mit Selbstschussanlagen wiederhergestellt worden. Um sich so richtig vorzustellen, wie die Grenze über einen längeren Abschnitt aussah, ist die Gedenkstätte in Hötensleben besser geeignet. Trotzdem hat mir das Museum in Kombination mit der Wanderung sehr gefallen, zumal es inmitten traumhafter Natur liegt.
Nur eine Antwort blieb mir das Grenzmuseum schuldig: Wieso Schifflersgrund? Wurden hier früher Schiffe hergestellt oder wie? Es gibt jedenfalls kein Gewässer in der Schlucht, das mehr als nur ein Papierschiff tragen könnte.


ca. 1965 Die Agentenschleuse (das heißt, ein Loch im Zaun) verbrennt (das heißt, sie ist nicht mehr nutzbar, weil die Wessis sie entdeckt haben). Die Stelle ist einfach zu gut einsehbar. Ausgewählte Soldaten nutzen das Loch weiterhin, um hinter dem Zaun zu patrouillieren.


1945-1989 Auch die USA hatten übrigens ein paar Beobachtungstürme an der Grenze. Die bestanden aus Holz und sehen irgendwie freundlicher aus, mehr wie Hochsitze. Eigentlich sollten die Türme vor allem Stärke und Präsenz zeigen, die wirklich wichtigen Beobachtungen machten Satelliten. Den Turm am Schifflersgrund darf man heute besteigen.
Auf den Steinhaufen im Vordergrund soll jeder seinen Heimatort mit wasserfestem Stift auf einen Stein schreiben. Blöd nur, wenn man keinen wasserfesten Stift hat.


15:24 Die Grenze kommt vom Schifflersgrund nach unten ins Tal und erreicht den Radweg, der noch ein letztes Mal durch Thüringen führt. Eine Fahrradskulptur der Volkshochschule Witzenhausen markiert die Grenze.


1952-1989 Die DDR-Regierung lässt am Ufer der Werra einen Zaun errichten, der im Laufe der Jahre immer undurchdringlicher wird. Rechts davon verlaufen ein Sperrgraben, den Autos nicht durchqueren können, und der Betonplattenweg, auf dem die Grenzkolonnen unterwegs waren.

Hinweistafel an der Rasthütte

15:33 Dieser Weg ist nun ein Radweg, auf dem ich fahre.


15:49 Ich passiere das hübsche Fachwerkdorf Lindewerra. Es gibt hier ein Stockmachermuseum, weil das Dorf ein wichtiger Exporteur von Gehstöcken ist. Auf dem Fahrrad lässt sich solch ein Stock leider nicht benutzen, also fahre ich weiter.

15:58, Werleshausen In der nächsten Flussschleife lasse ich die Grenze endgültig hinter mir, kurz darauf auch den Iron Curtain Trail. Ich bin wieder in Hessen.

1415 Hier verlief schon lange vor der DDR eine umstrittene Grenze - zwischen den Erzbischöfen von Kurmainz und Hessen. Auf der Kurmainzer Seite verstecken sich Raubritter in der Burg Hanstein, nachdem sie geplündert haben. Um sie gegenüber in Schach zu halten, bauen die Hessen Burg Ludwigstein gebaut. Ein grimmiges Gesicht wird in die Burgmauer gemeißelt, das schon lange vor dem Kalten Krieg miesgelaunt nach "drüben" guckt.


16:18 Ich habe Hunger und suche etwas zu essen.

16:39 In Unterrieden finde ich eine Bio-Metzgerei mit kalten Würsten. Immerhin.

16:50 Die Brücke in Unterrieden ist gesperrt. Ich kann nicht direkt nach Witzenhausen fahren. Mist.


16:59 Also muss ich den langen Umweg an der Bundesstraße nehmen. Immerhin werde ich von einigen Felsformationen entschädigt. Der Muschelkalk guckt immer noch ab und zu heraus.


17:08, Witzenhausen, Kilometer 312 In der sogenannten Kirsch- und Universitätsstadt Witzenhausen wechsle ich das Ufer. Ich warte an der stark befahrenen Hauptstraße, bis sich eine Lücke im Verkehr auftut.

17:10 Ich warte immer noch.

17:14 Plötzlich fällt mir auf, dass ein Tunnel unter der Straße durchführt.
Auch Witzenhausen besteht aus einer Fachwerk-Altstadt, die im Vergleich zu Bad Sooden-Allendorf etwas bescheidener ausgefallen ist. Ansonsten kenne ich von Witzenhausen noch das Kino.


4 Monat zuvor war ich in besagtem Kino, weil ich Freikarten bekommen hatte. Das Kino ist wirklich empfehlenswert, es ist klein, zeigt aber nicht nur künstlerische Kleinfilme. Trotzdem muss man nach dem Kauf von Snacks und Getränken nicht Privatinsolvenz anmelden.


17:48 Die Dämmerung holt mich ein. Ich bezwinge einige Steigungen bei Hedemünden. Hier verläuft die Benrather Line, eine Sprachgrenze. Im Mittelalter sprach man nördlich davon Niederdeutsch und Mitteldeutsche Dialekte, südlich davon Hochdeutsch. Was das mit der Werra zu tun hat? Eine ganze Menge.

17:57 Auch heute gibt es hier noch eine Grenze: Ich bin nun in Niedersachsen.

0 Während irgendwo ganz weit weg Jesus geboren wird, sitzen in Hedemünden römische Legionäre in einem Militärlager. Das ist einer der wenigen Orte in Niedersachsen, wo römisches Zeug ausgegraben wurde.


18:18 Es ist dunkel und ein bisschen unheimlich. Ich fahre unter einer Eisenbahnbrücke durch. Daneben liegen haufenweise gefällte Bäume, die aus unerfindlichen Gründen von Rasensprengern nassgespritzt werden. Dabei ist ohnehin alles nass vom Regen.

1 Monat später fahre ich die Strecke noch einmal im Hellen und entdecke ein Expemplar der Werra-Huckepackkröte. Sie hüpft sehr langsam und erschöpft über den Radweg, während sie einen Artgenossen transportiert.


18:36 Geisterhafte Bäume greifen nach mir. Ich kann ihnen entkommen. Damit ich auf den Matschwegen nicht aus Versehen ins Wasser fahre, schalte ich auf Fernlicht: Ich richte meine Lampe weiter nach oben, damit sie einen größeren Teil des Wegs beleuchtet. Es ist ohnehin niemand da, den ich blenden könnte.


18:48, Hann. Münden, 116, 5 m ü. NN, Kilometer 331 Ich komme in der bezaubernden Fachwerkstadt Hann. Münden an. Da ich müde bin und sie schon kenne, biege ich links zum Bahnhof ab und fahre heim. Die Werra wird derweil vor dem großen rosa Welfenschloss (heute Amtsgericht) von einer großen Steinbrücke überspannt. Sie teilt sich in zwei Arme, auf der Insel dazwischen liegen Kleingärten.

2010 Die deutschen Vorschriften für Wasserkraftwerke werden reformiert. Im Zuge dessen erhält Hann. Münden ein kleines Wasserkraftwerk mit zwei Archimedesschrauben. Das Besondere: Die Höhe lässt sich verstellen, weil der Wasserspiegel durch die besondere Lage an den drei Flüssen stark schwankt. So muss der die Werra auf den letzten Metern noch etwas Strom produzieren,...


...bevor sie sich mit der Fulda (hinten) zur Weser (rechts) vereinigt.

Bis ca. 1100 hatten die Weser und Werra noch denselben Namen, nämlich Wisara oder ähnliche Varianten. Die beiden galten also als derselbe Fluss. Das ergibt auch Sinn, denn die Werra ist deutlich länger als die Fulda.

Ab ca. 1100 verschwindet durch eine Lautverschiebung das S in der Werra. Die Namen Werra und Weser trennen sich, und zwar wegen der Benrather Linie, die ganz in der Nähe verläuft. So lautet zumindest die wahrscheinlichste Erklärung. Darum hat das Wasser, das in Siegmundsburg und Fehrenbach aus dem Thüringer Waldboden sprudelt, nicht mehr denselben Namen, wenn es in Bremerhaven ankommt.

07 April 2020

Werra: Von Hörschel nach Eschwege

Werra-Tag 4: Das total tolle Tal (oder: Die Kleingartenklippen)

gefahren im: März 2020
Start: Hörschel, Bahnhof
Ziel: Eschwege, Bahnhof
Länge: 52 km
Werraquerungen: 7 (Brücken)
Ufer: etwas mehr rechts als links
Bundesländer: Thüringen, Hessen
Landschaft: Wald und Muschelkalkklippen
Wegbeschaffenheit:
 Radwege, Kieswege
Steigungen: wenige leichte
Wetter: sonnig und kühl
Wind: keiner
Highlight: Ebenauer Klippen
Größte Hürde: wenig geöffnete Einrichtungen
Zitat des Tages: "Die Ansiedlung Ebenau liegt auf einem Gleithang der Werra, gegenüber am Prallhang aufragende Felswände der Nordmannsteine mit gut sichtbarem Profil des Unteren Muschelkalks." - Hinweisschild, formuliert von Geologen -

11:30, Hörschel, Kilometer 219 Ich steige in Hörschel aus, fahre unter der gewaltigen Autobahnbrücke hindurch und zwischen Kleingärten auf und ab.

1925, Spichra Das älteste und größte Wasserkraftwerk an der Werra wird in Betrieb genommen und rauscht noch heute vor sich hin.


1211, Creuzburg, Kilometer 125,5 Die Heilige Elisabeth lebt in Creuzburg auf der Creuzburg. Die war vor der Wartburg Hauptsitz der Landgrafen von Thüringen. Deshalb gibt es dort eine Ausstellung über Elisabeth. Weil Elisabeth in der Burg aber keine Corona-Klinik gegründet hat, ist sie geschlossen.


12:07 Ich fahre zwischen Kleingärten hindurch.

12:08 Mehr Kleingärten.

ca. 700 Der Missionar Bonifatius christianisiert die deutschen Heiden und gründet unter anderem in Creuzburg ein Kloster.

12:09 Ich entdecke einen Kleingarten mit einem Stück der ehemaligen Klostermauer drin. Ob die Kleingärtner Christen sind, bleibt unklar.


12:15 Noch mehr Kleingärten.

12:24 Nanu, bin ich aus Versehen zum Grand Canyon abgebogen? Die Werra prallt gegen einen Prallhang und legt harten Muschelkalk frei. Zunächst ist die Sicht noch halb von Bäumen bedeckt.


12:28 Doch auf einer schmalen Brücke habe ich dann volle Sicht auf den grau geriffelten Fels. Die Ebenauer Klippen sehen faszinierend und exotisch aus. Wüsste ich es nicht besser, würde ich vermuten, dieses Foto käme von einem anderen Kontinent, jedenfalls nicht aus Thüringen. Auf der Brücke wachsen nur wenige Liebesschlösser. Diese Sehenswürdigkeit ist ein echter Geheimtipp, sie ist nicht mal in der Fahrradkarte eingezeichnet. Dabei ist das die spektakulärste Stelle im Werratal. Entsprechend überrascht war ich über meine Entdeckung.


12:34, Buchenau, Kilometer 229,3 Ich überquere die Werra auf einer nicht sehr vertrauenerweckenden Brücke.

12:35 Am anderen Ufer ist nur eine Hauptstraße und eine Bushaltestelle. Ich stelle fest, dass ich mich auf der Karte verguckt habe, und kehre um.


13:11 Und noch eine auffällige Brücke, diesmal in Dunkelblau. Und diesmal muss ich wirklich rüber.


ca. 1800, Frankenroda, Kilometer 240 Weil es so nervig ist, immer den Fährmann zu rufen, bauen sich die Frankenroder einen Steg. Er ist aber nicht so stabil und geht im Winter und bei Hochwasser kaputt. Deswegen wird er zur Wintersaison meistens von allen gemeinsam abgerissen, was etwa 2 Tage dauert. Der Aufbau im Frühling dauert sogar 4 Tage.

1977 Frankenroda bekommt eine richtige Brücke, der Steg wird abgerissen. Die Dorfbewohner sind ihm aber emotional so verbunden, dass sie ihm ein Denkmal auf den ehemaligen Brückenköpfen errichten. Außerdem stellen sie Hochwasser-Messlatten auf (Rekordhalter ist 1909) und beschriften alle Baumarten.


13:33 Noch mehr Klippen! Ich liebe diese Strecke. (Natürlich gibt es zwischendurch oft längere Abschnitte mit Wald ohne Klippen, auch wenn ich das nicht immer zeige.)


1525 Thomas Müntzer, über den wir im Geschichtsunterricht unter dem Titel Reformator oder Revolutionär? referieren sollten, predigt von der Bauernkanzel (links) zu den Bauern. Er teilt ihnen mit, sie sollten an den Bauernkriegen teilnehmen und Adlige abschlachten. Tun sie dann auch, bringt ihnen aber keine Verbesserung.


13:52, Falken, 244 Ich betrete den Blauen Schrank, eine kleine Hütte mit saunaähnlicher Temperatur. Dort verkauft ein Biohof Wurst, Kaltgetränke, Tee, Eis und Senf gegen Kasse des Vertrauens. Mit einem Eierlikör-Eis verlasse ich den Schrank wieder.


14:15, Treffurt, Kilometer 249,5 Treffen sich drei Furten. Sagt die erste: Hey, da ist eine Stadt. Sagt die zweite: Hm, wie könnten wir sie nennen? Sagt die dritte: Benennen wir sie doch nach uns!


14:28 Ich wechsle an einem ordentlichen Grenzhäuschen von Thüringen nach Hessen. Auf dem Erdwall da drüben verlief höchstwahrscheinlich der Grenzzaun der DDR. Erde und Gestein haben wieder einmal einen rötlichen Ton, Sandstein unterbricht den Muschelkalk.


 14:29 Ich durchquere den Wall in einem recht fotogenen Tunnel.


1962 Die DDR errichtet hier eine Fluchtsperre quer über die Werra, also ein Gitter, das bis zum Grund reicht. Lediglich Wassermoleküle und kleine Fische können dem Arbeiter- und Bauernstaat entkommen.

Foto im Grenzmuseum Schifflersgrund (auf der nächsten Tagesetappe)

ca. 1680, Wanfried, Kilometer 261,5 Die Kaufleute machen durch den Handel am Fluss eine Menge Geld, anders als in vielen Fachwerkstädtchen macht ihnen nicht einmal der Dreißigjährige Krieg vollends einen Strich durch die Rechnung. Ihre Waren verschiffen sie am historischen Hafen namens Schlagd. Sogar Anton Harmes, ein reicher Kaufmann aus Bremen, baut sich hier eine Niederlassung.


17.10.1753 Herr Harmes wird tot im Harmesschen Handelshaus aufgefunden. Warum? Der Legende nach wurde er nach dem Tod von Frau und Kind zum posttraumatisch belasteten geldgierigen Irren, sodass er nicht einmal zu deren Beerdigung gehen konnte. Er sah die Särge nur durch ein Loch im Dachboden. Als er dann eines Nachts in seiner Geldtruhe wühlte, schlug der Deckel zu und durchtrennte seinen Hals. Tatsächlich vermutet die Stadtchronik einen Selbstmord durch Halsaufschneiden. Er soll in dem Haus spuken und manchmal bei Beerdigungen durch das Dachbodenloch zusehen. Wer ihn erblickt, soll innerhalb eines Jahres sterben. Ich habe ihn nicht gesehen, also alles gut.


17.9.1945 Das Wanfrieder Abkommen wird hier geschlossen. Dabei tauschen die Amerikaner ein paar Dörfer mit den Sowjets. Dadurch verläuft zumindest eine der Eisenbahnlinien einheitlich auf amerikanischem Gebiet und nicht für 3 Kilometer in die Ostzone. Bei der Durchfahrt gab es vorher immer Verspätungen, einmal erschoss ein sowjetischer Soldat sogar einen Lokführer.

Eine andere Bahnstrecke wurde direkt nach Kriegsende dichtgemacht, doch heute ist sie zu neuem Leben erwacht und bietet sowohl Draisinen als auch Radlern eine herrliche Route bis nach Dingelstädt.

15:36 Ein asphaltierter Radweg führt durch das Tal, das nun wieder ziemlich breit ist. Ich fahre zwischen einigen Teichen zur Fischzucht hindurch.

15:47 Nun soll eine sogenannte Freiluftgalerie erfolgen. Ist das schon die erste Skulptur? Vielleicht soll das die rohe, kantige und schmutzige Seite des menschlichen Wesens darstellen, die... ach nee, ist ein Stromkasten.


15:51 Aber jetzt! Diese Skulptur heißt Begegnung am Meer. Sie zeigt auf zwei großen Buchseiten einen sitzenden Menschen und einen Mond oder so, ein Meer erkenne ich nicht. Es ist also fraglich, ob dieses Kunstwerk einen Meerwert hat.
Praktisch: Damit es bei Regen nicht rostet, wurde es schon völlig verrostet aufgestellt.
Später hat die Galerie noch ein weiteres Kunstwerk, das sogar noch abstrakter aussieht.

15:57 Ich erreiche den Leuchtberg (hinten). Nur er steht noch zwischen mir und meinem Ziel. Er leuchtet zwar nicht, aber dafür verbirgt sich in seinen steilen Wäldern ein Kletterwald.


16:02 Ich kann den steilen Leuchtberg zum Glück umfahren. An seinem Fuß mache ich eine Teepause. Ein Bach plätschert. Direkt hinter der Bank liegen eine Reihe Steine im Bach, die das Plätschern erzeugen. Ansonsten liegen nirgendwo so viele Steine. Ich frage mich, ob die jemand extra dort platziert hat, damit auf der Bank ein idyllisches Plätschern zu hören ist.


16:07 Direkt neben dem Weg verläuft die Werra, dahinter der große Werratalsee. Der Name ist vielleicht etwas einfallslos, passt aber sehr gut. Der See sieht aus wie die Werra in breiter, er hat dasselbe vertrocknete Schilf und dieselbe graublaue Farbe des Himmels.


ca. 1000, Eschwege, Kilometer 271 Kaiser Otto vermacht seiner Frau Theophanu (welch schöner Frauenname) eine Siedlung als Altersvorsorge. Ihre Tochter Sophie gründet ein Kloster. Dank dieser Frauen entwickelt sich Eschwege an der günstigsten Taldurchquerungstelle zur "Stadt der Gerbereien".

16:16 Ich bin in Eschwege angekommen. Fachwerkhäuser gibt es auch hier straßenweise. Das eindrucksvollste Gebäude aber ist das Landgrafenschloss. Ja, auch da saßen mal die Thüringer Landgrafen drin, die wir schon von der Wartburg und Creuzburg kennen. Die konnten sich wohl echt nicht für eine Burg entscheiden. Heute ist darin die Kreisverwaltung anzutreffen.

16:36, Eschwege, Bahnhof Ich steige in den Zug zurück.