NEU! Das Bergparkleuchten - leuchtende Wasserfälle in Wilhelmshöhe

Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

31 März 2022

RDE: Von Kreiensen nach Seesen

Was ist denn da in mich gefahren? Radfahren am frühen Morgen, bevor ein gewöhnlicher Alltag losgeht, und zwar nur eine kurze Strecke, und das auch noch auf bergigem Gelände? Und das, nachdem ich gerade erst einen Krimi gelesen habe, indem ein so ein Frühradler beim Bergabfahren mittels eines Drahtseils ermordet wird? Ist das sportliche Motivation oder schon Todessehnsucht?


Der Eisenbahnknotenpunkt Kreiensen färbt stark auf die nächste Etappe ab: Ich bin unter, neben und auf einer Bahntrasse gefahren. Eigentlich schade, dass nicht auch noch eine Brücke über eine Bahntrasse dabei war.
Das Unter und das Neben erfolgten gleichzeitig, als nach wenigen Kilometern die ICEs auf einem gewaltigen Betonmonster über meinen Kopf hinweggesaust sind. Ihnen wird es zu eng im Leinetal, deshalb verlassen sie es. Ich und die Regionalbahn zum Harz machen das auch, aber wir suchen uns einen weniger dramatischen Weg.

Er bringt uns durch das Tal der Gande. Das ist ein ganz gewöhnliches grün-braunes Flüsschen mit ein paar Plätschersteinen. Am coolsten sieht die Gande aus, wenn sie in Bad Gandersheim an einer Kirche vorbeifließt und kurz kanalisiert wird. Fische können den Miniwasserfall per Treppe überspringen.


Bad Gandersheim ist eine Stadt der Kirchen und Klöster. Im Gandersheimer Stift lebte Roswitha von Gandersheim, das war die erste Dichterin Deutschlands. Jedenfalls die erste, von der irgendwas erhalten geblieben ist, und das ist ja schließlich das Ziel aller Autoren und Autorinnen. Heute hätte sie vermutlich massive Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden, denn sie schrieb ihre Dramen und Hexameter auf Latein. Unter anderem über Otto I., dessen Fangirl sie war.

Gandersheim ist eine südniedersächsische Fachwerkstadt, deren Schönheit ich irgendwo zwischen Northeim und Einbeck einordnen würde. Hinzu kommen ungewöhnlich viele imposante Steinmauern.
Das Fachwerk zieht sich bis in die Außenbezirke der Stadt. Was andererseits auch nicht so viel heißt, denn soo groß ist Gandersheim nun auch wieder nicht. Je näher ich dem Zentrum kam, desto schicker und restaurierter wurden die Häuser. Je weiter ich nach draußen fuhr, desto blasser und abgenutzter kamen die rotbraunen Balken daher. (Allerdings längst nicht so abgenutzt wie mein Fahrrad, insofern sollte ich mich nicht beschweren - wenn hier etwas ästhetisch nicht reingepasst hat, dann meine ollen Reifen.)

Am Rande der Gande verläuft ein Skulpturenpfad auf einer stillgelegten Bahntrasse. Er enthält keine Skulpturen. Null. Nennt mich pingelig, aber von einem Skulpturenpfad erwarte ich etwas mehr als nur einen... Pfad.
Immerhin: Das mit der Bahntrasse stimmt wirklich. Hier dampfte eine kleine Bahn in Richtung Altgandersheim durch einen grünen Hohlweg, vorbei an schicken Häusern und Kleingärten, über alte und neue Brücken (wobei, die neuen standen damals wohl noch nicht und die alten waren vermutlich neu). Eine besonders lange Brücke bietet einen letzten Panoramablick über die Stadt.
Und was ist das für eine geheimnisvolle Mauer unter den Schlingpflanzen? Wer weiß. Nicht jeder Bahnradweg verrät all seine Geheimnisse.


Nach kurzer Zeit verlässt der Radweg Deutsche Einheit die Bahntrasse wieder, und nach einem weiteren Kilometer entlang der Gande verlasse ich auch das Tal.

Die Bahntrasse ließ mich jedoch nicht los - wo führt die hin, und gibt es irgendwo doch noch Skulpturen? Ein paar Monate später kehrte ich nach Gandersheim zurück und folgte ihr weiter. Nach kurzer Zeit taucht sie aus dem Wald auf - und erst hier wird sie so richtig toll. Der Blick reicht bis zum Harz, und am Weg stehen tatsächlich abstrakte Kunstwerke. Hat hier ein ungeschickter Riese versucht zu sticken? Moment, diese orangenen Bänder hab ich doch schon mal auf einem Foto gesehen. Natürlich, das ist der Radweg zur Kunst, der im Leine-Radführer beworben wurde.
Das größte Kunstwerk des Radwegs sind nicht irgendwelche steinernen Skulpturen, sondern ein perfekt geformter Blättertunnel in Herbstfarben. Die Bahnhofsgebäude sind unauffällige weiße Häuser. Hinter den düsteren Backsteinfassaden von Lampspringe endet die Bahntrasse, der Radweg zur Kunst geht noch weiter.

Auf dem RDE folgen ein paar idyllische Dörfer. Sie enthalten jede Menge Blumen, Holz und weiße Hauswände. Und ein paar Hauswände, die vermutlich früher einmal weiß waren. Normalerweise schreibe ich an dieser Stelle, dass im Dorf überhaupt nichts los war, aber das wäre hier nicht zutreffend - gucken Sie mal, da unterhalten sich zwei Nachbarn! Muss wohl an der frühen Stunde liegen.

Jetzt wird es nochmal so richtig bergig. Steile Serpentinen führten mich eine letzte Hügelkette hinauf. Die finalen Kilometer verliefen zwischen einer Kraftfahrstraße und duftenden gelben Rechtecken, die sich bei näherer Betrachtung und Beriechung als Rapsfelder herausstellten. Dann befand ich mich auch schon in Seesen, an der Schwelle zum Harz - Schluss mit den Hügelchen, jetzt wird ein echtes Gebirge umrundet.

RDE: Von Stadtoldendorf nach Einbeck

Der nächste Abschnitt ist äußerst durchmischt.


Anfangs existiert der Radweg Deutsche Einheit überhaupt nicht, nur eine einsame Allee, die nicht wie eine Hauptstraße aussieht. Ist sie aber.

Zielstrebig bin ich nach Lenne abgebogen, obwohl ich eigentlich nach Wangelnstedt sollte. Auf diese Weise fand ich heraus, dass Lenne schöner ist als Wangelnstedt.

Das zweite Drittel besteht aus Radwegen. Außer, man ist ich, biegt schon wieder falsch ab und landet auf einem halsbrecherischen Schotterweg.
Der Radweg war nur geringfügig schmaler als die Straße. Der Unterschied bestand darin, dass nicht ein Auto pro Minute eng an mir vorbeirast, sondern ein Trecker pro Stunde eng an mir vorbeituckert. Letzteres ist angenehmer, obwohl es nicht unbedingt angenehmer riecht.
Oben auf der Hügelkette befand sich bis 1390 ein Dorf namens Rockhorst. Davon ist nur eine Wüstung übriggeblieben. Mit anderen Worten: Absolut null Komma gar nichts. Würde Rockhorst heute noch existieren, würde es mit dem Namen vermutlich Festivals veranstalten.

Mitten in einem Bauerndorf verbergen sich die grauen Mauern der Erichsburg. Ein Gatter verhindert jeden Zugang zur Burg und weiteren Informationen. Um dort reinzukommen, hätte ich die ganze Burg für eine Veranstaltung mieten müssen.

Später gibt es beides nebeneinander, Radweg und Straße. Und nach wie vor eine Allee, Bäume sind hier wohl einfach Pflichtausstattung. Womöglich, weil dieses offene Hügelland ohne ein bisschen Schatten schwer zu ertragen wäre.

Markoldendorf begrüßt seine Gäste mit staubigen Fachwerkhäusern und staubigen Industrieanlagen. Das mit Abstand Einladendste in diesem Ort war das Kuchenbuffet. Obwohl es geschlossen war.

Je näher ich dem Ziel kam, desto schattiger wurde es. Das verdanke ich der Ilme. Sie spendet den Bäumen und Hecken Wasser, die wiederum spenden mir Schatten. Also folgte ich dem Wasser bis zum Stadtwall von Einbeck.

RDE: Von Holzminden nach Stadtoldendorf

Heute wollte ich mal eine niedersächsische Lücken im Radweg Deutsche Einheit erfahren, in Kombination mit einem schönen Stück Weserradweg.

Hinter Holzminden geht es am rechten Ufer der Weser (nicht, dass dort viel von der Weser zu sehen war) weiter und dann quer übers Feld.

Hier erwartete mich das in jeder Hinsicht überraschende Schloss Bevern, in dem ich weitaus mehr Zeit verbracht habe als geplant. Eigentlich wollte ich nur mal vorbeifahren. Ah, schöne orange Wand, noch eine, ich bog um die Ecke, als... huch, das Schloss ist ja auf einmal weiß! Und hellblau! Im grellen Sonnenlicht hat mich dieser unerwartete Farbwechsel ganz schön geblendet. Dass ich im selben Moment den schützenden Schatten der Bäume verließ, dürfte mit diesem Effekt zu tun haben.
Aber schön ist es schon. Wenn man die Helligkeit etwas runterdreht.

Als sich meine Augen daran gewöhnt haben, folgte sogleich Überraschung Nummer zwei: Ich konnte in den Innenhof reinfahren. Der ist noch viel schöner und farbenfroher. Wahnsinn, wie gut der Rollstuhllift (rechts unten) architektonisch angepasst wurde! Man könnte meinen, Bran Stark hätte hier residiert. 
Das Schloss Bevern ist der kleine, bunte, vollgestopfte und etwas durchgeknallte Bruder vom benachbarten Schloss Corvey.

Das Schloss hat Statius von Münchhausen gebaut, ein Vorfahr des bekannten Lügenbarons. Statius (nein, das ist kein komischer Titel, sondern ernsthaft sein Vorname) konnte anfangs eigentlich echt gut mit Geld umgehen, aber nach dem Bau des Schlosses war er pleite und starb dann auch bald. Für ihn beinhaltete das Schloss also auch Überraschungen, nur keine angenehmen.

Die Schlosskapelle wird für Hochzeiten genutzt und ist streng genommen der einzige original erhaltene Raum. Aber nur streng genommen: In vielen Räumen sieht die Wand in Richtung Innenhof genauso original farbenfroh-fachwerkig aus wie von außen, nur die anderen Wände nicht.

"Hallo", sprach mich eine Frau auf dem Innenhof an. "Unser Atelier ist geöffnet, Sie können gern reinkommen. Ist auch kostenlos." Ein Landschaftsmaler von der Weser hat dieses Atelier mal gegründet, seitdem stellen hier verschiedene Künstler ihre Werke aus. Diese Traumvisionen hat ein Hobbymaler geschaffen, der hauptberuflich Chemiker ist. Ich hoffe, sie kommen nicht von irgendwelchen Dämpfen, die er eingeatmet hat.

Aber das ist noch nicht alles: Das Schloss enthält ein Heimatmuseum, und das ist ebenfalls gratis. Vollgestopfte Zimmer mit alten Webstühlen, Porzellan, Porträts vom alten Pleite-Stachius, ein Raum voller Landschafts- und Tierfotographie, ein moderner Raum mit Tablets ("Das ist grad schwierig, da müsste ich Sie erst einweisen, und ich muss gerade was mit ner Kollegin besprechen.") und eine FrauenOrte-Ausstellung über die mutige jüdische Ärztin Paula Tobias.

Besonders interessant fand ich das Modell des optischen Telegraphen:
Dieses Haus stand auf einem Berg über Bevern. Darin lebte der Telegraphenmeister mit seiner Familie. Bei klarer Sicht saß er tagein, tagaus oben in seinem Turm, blickte mit einem Fernglas zum Nachbarturm und sendete dessen Signal aus Richtung Berlin weiter nach Köln. Dazu zog er an Hebeln und verstellte die sechs hölzernen Ärmchen in die richtigen Positionen. Die Dinger hatten über 4000 Kombinationen. Auf dem Bild zeigen sie gerade das Signal Weser.
Terry Pratchetts Klacker gab es wirklich! Naja, zumindest eine Linie. Und nur bis 1852, nach gerade mal 20 Jahren wurde sie auch schon durch elektrische Telegraphen ersetzt.

Zur Radroute gehört außerdem ein Sandstein-Weg. Mit anderen Worten: Alle paar Meter steht ein fetter Standsteinklotz aus einem europäischen Land am Wegesrand. Da konnte ich gleich mal vergleichen, wie sich die Weserfelsen im Vergleich so schlagen. Ergebnis: Sie sind besonders rot, aber nicht besonders gemustert.

Der Rest der Strecke ist auch ganz hübsch anzusehen. Feldwege und Straßen schrauben sich im Zickzack (naja, insofern es Schrauben mit Zickzackmuster gibt) aus dem Wesertal heraus. Dann folgt auch gleich das Ziel.

Stadtoldendorf kann sich nicht entscheiden, ob es eine Stadt oder ein Dorf sein möchte. Deshalb ist es eine Ansammlung von Parks und historischen Wachtürmen. Sie wachen eifersüchtig darüber, dass die Straße unten im Tal nicht so schön wird wie sie. Mit Erfolg.

Der Bahnhof Stadtoldendorf sieht dermaßen nach einer Burg aus, dass die Durchsagen eigentlich folgendermaßen lauten müssten: "Täterätä! Auf Gleis 1 fährt nun ein: Ihre hochwohlgeborene Regionalbahn die 84. von Kreiensen zu Paderborn, Eggebahn des Westfalentarifs, NRW-Tarifs und des Verkehrsverbundes Südniedersachsen!"

LHR: Von Holm nach Harburg

Vom letzten Abschnitt des Leine-Heide-Radwegs kurz vor den Grenzen der Großstadt habe ich nicht viel erwartet, was es dem Radweg relativ leicht machte, mich positiv zu überraschen. In Holm-Seppensen verlässt die Radroute den südlichsten Ring des Seeveradwegs und sucht sich seinen eigenen Weg nach Hamburg. Zu Recht! Diese Route fand ich auf jeden Fall schöner als den Seeve-Flussradweg (und wenn ich das als überzeugter Flussradler sage, muss es stimmen).
Auf der kurzen Strecke liegen zwei Wassermühlen, ein Wildtierpark, ein Schmetterlingspark und gleich zwei landwirtschaftliche Freilichtmuseen. Offenbar will die Strecke mit den drei Heideparks bei Soltau mithalten (sorry, aber die Messlatte ist zu hoch).

Heide wächst hier auch nicht mehr, trotzdem zeigt die Landschaft ein paar schöne Seiten.
Dieser eigenartige Einsturztrichter ist möglicherweise eine Folge der Fluten vom letzten Jahr.

Diese bezaubernde Bach hingegen nicht.

Auf halber Strecke liegt Buchholz in der Nordheide. Anders als der Name suggeriert, ist das aber kein historisches Heidestädtchen mehr, sondern eher ein Hamburger Vorort, der sich im Wald zu weit nach Süden verirrt hat. In der Stadt wird es plötzlich nochmal hügelig. Nanu?

Buchholz in der Nordheide hat vielleicht keine Heide, dafür aber jede Menge Holz. Hinter der Stadt bin ich auf einer endlosen, schnurgeraden Strecke durch den Stuvenwald geradelt. Am Rand befanden sich ebenso viele lebende wie tote Bäume - und etwas Matsch, durch den man lieber schieben als fahren sollte. Letzteres weiß ich, weil ich einem Holzfällerfahrzeug in ebendiesen Matsch ausweichen musste. Dabei hoffte ich, dass der Greifarm den Baumstamm nicht in meine Richtung befördern würde. Gegen zehn Tonnen Buchholz nützt auch ein Fahrradhelm nichts.

Später wird der Stuvenwald idyllischer. Der Radweg schlängelt sich durch wunderschöne Schluchten. Kaum zu glauben, dass Hamburg-Harburg nur wenige Meter entfernt ist! Doch wer es nicht glauben will, bekommt es zu spüren, sobald ihn die letzte Schlucht in den Trubel der Großstadt entlässt.

30 März 2022

LHR: Von Soltau nach Schneverdingen

Hinter Soltau verströmte ein Feld des Grauens einen abnormalen Gestank. Soeben hatte ein Fahrzeug die Fläche mit Gülle gedüngt. Dann wendete es und brauste mir auf dem Feldweg entgegen. Eingehüllt in eine widerwärtige Staub- und Güllewolke hielt ich den Atem an und war ausgesprochen angepisst.


Ein Wegweiser am Wegesrand wies mir den Weg zum Gesundbrunnen. Das Rinnsal, das aus dem rostigen Rohr tropft, ist allerdings ausdrücklich kein Trinkwasser. Moment mal, dieser Bach kommt ja aus der Richtung des Güllefelds und fließt erst danach durch den Gesundbrunnen durch, oder? So gesund kann der echt nicht sein.

Danach verbessert sich der Feldweg rasant. Als hübscher Heideweg verläuft er einmal diagonal durch die Landschaft, eingehüllt in rauschende Wälder. Links und rechts des Weges tauchen die nächsten Heideflächen auf. Eine davon trägt völlig zu Unrecht den irritierenden Namen Schwarzer Dreck. Warum, weiß ich auch nicht, aber das stand so auf der Wanderkarte.
Zwei Heideflächen grenzen direkt an den Radweg, und beide haben eine ungewöhnliche Begrenzung. Die erste ist mit Büschen, Beeten und haufenweise Findlingen ausgestattet. Das Stonehenge der Lüneburger Heide ist ein toller Anblick - sogar im Vorbeifahren.

Die zweite Heidefläche ist von einem X-förmigen Zickzackzaun umgeben und wird von Heidschnucken bewohnt, denn sie gehört zum Schäferhof. Das ist ein Nachbau eines historischen Bauernhofs, um den sich ein Verein kümmert. Die Gebäude kann man für Veranstaltungen mieten, außerdem finden da manchmal Führungen und Schafsfütterungen statt.

Kurz darauf bin ich an der Bundesstraße von Neuenkirchen rausgekommen. Neuenkirchen liegt etwa auf der Hälfte der Strecke und... nee, das war eigentlich alles, was ich über Neuenkirchen zu sagen habe.

Die restliche Route besteht aus Alleen mit besonders vielen Birken. Im Zickzack geht es von Dorfstraße zu Bundesstraße und wieder zurück - gäbe es einen direkten diagonalen Radweg nach Schneverdingen, müsste die Strecke nur halb so lang sein.
Ein Gedenkstein weist auf die Schlacht up de Soltauer Heide von 1519 hin. Das war die letzte Ritterschlacht in Deutschland. Was nicht heißt, dass es danach friedlicher wurde. Die Menschen fanden nur heraus, dass es effizientere Mittel gab als Schwerter und Blechrüstungen.

Kurz vor dem Bahnhof Schneverdingen taucht auf einmal noch eine Heidefläche auf, und zwar eine überraschend große - dabei liegt sie mitten in der Stadt, zwischen grafittibesprühten Hallen und Gleisen. So wird die Lüneburger Heide im Reiseführer normalerweise nicht dargestellt.
Wer sehen will, wie sie im Reiseführer dargestellt wird, hat es von hier aus nicht mehr weit. Denn nun geht es auf dem Wümmeradweg ins violette Herz der Heide.

29 März 2022

LHR: Von Hodenhagen nach Soltau

Beim Radeln musste ich mir schon öfter Mühe geben, um keine Nacktschnecken zu töten. Doch der Leine-Heide-Radweg forderte noch Weitaus mehr von mir ab: Keine Babynacktschnecken zu überfahren. Dieser trübe Frühlingstag wurde anscheinend zum Wandertag einer ganzen Generation frischgeschlüpfter Schnecken ernannt. Eine Generation, die ich trotz gutgemeinter Ausweichmanöver etwas verkleinert habe.
Diese Nacktschnecken waren ehrlich gesagt auch das Interessanteste auf den ersten Kilometern hinter Hodenhagen. Felder, Allen, noch mehr Felder und... habe ich die Alleen schon erwähnt? Es machte nicht mal einen Unterschied, ob ich auf einem Radweg neben der Bundesstraße gefahren bin oder auf einer Mini-Straße, die echt keinen Radweg brauchte.
Tja, das kommt davon, wenn ich einem Radweg ohne Fluss folge. Die Landschaft ist gleich viel langweiliger. Oder?

Auf der Suche nach irgendetwas Sehenswertem bin ich auf die Variante nach Walsrode abgebogen und entdeckte dort erst einmal...

...einen Fluss namens Böhme. Und bähm (beziehungsweise böhm) - sofort wird die Strecke spannender! Ein Zufall? Nein!

Walsrode ist aus einem Kloster entstanden. Durch den Klostergarten darf man jederzeit schlendern, doch das Innere ist nur während einer Führung geöffnet.

Eigentlich. Aber irgendwer muss eine Tür offengelassen haben. So war es mir vergönnt, den Klosterflur von Walsrode zu betrachten, der sogar ein bisschen schöner aussieht als die Straßen von Walsrode. Heute ist Walsrode aber nicht mehr bekannt wegen seiner Mönche, sondern wegen ganz anderer schräger Vögel.

Denn an dieser Etappe liegen gleich drei große Heide-Familienparks. Heidepark Nr. 1 war der Serengetipark in Hodenhagen.
Nun folgt jetzt Heidepark Nr. 2. Dieser trägt den Namen Weltvogelpark Walsrode. Das Wort Welt- haben die vermutlich nur vorne drangehängt, um den Namen spannender zu machen und weil sich der nahe Zoo Hannover schon das coolere Wort Erlebnis- gekrallt hatte. In Walsrode flattern zwar auch exotische Vögel herum, doch eigentlich hat dieser Zoo einen starken regionalen Fokus. Kurz hinter dem Eingang begrüßten mich Diepholzer Gänse aus Niedersachsen. Später entdeckte ich ein Storchennest auf einer Windmühle und einen Käfig mit Heidekraut drin. Ganz klar: Dieser Zoo steht in der Lüneburger Heide.
 
Über dem ganzen Zoo liegt eine faszinierende Geräuschkulisse. Störche schweben immer wieder über das Gelände hinweg und klappern dabei wortwörtlich ihre Nester ab. Einen ganz seltsamen Ruf hat der Elsterwürger direkt am Eingang: Er klingt nach einer Mischung aus Papagei und Amsel, die sich lautstark auf überraschend melodische Weise darüber beschwert, dass ein fremder Wagen in seiner Einfahrt parkt.

Das ist der zweite Vogelpark, den ich kennenlernen durfte. Anders als der Vogelpark Marlow hat dieser hier wirklich fast nur Vögel. Große Spielplätze, Fütterungen, ein feuchtwarmes Dschungelhaus und eine Freiflughalle (eigentlich eine Art Riesenzelt aus Netzen) - all das gibt's hier wie in den meisten Zoos. Auch eine Flugshow mit einem wirklich witzigen Pfleger und ungewöhnlich unmotivierten Eulen ist dabei. Außergewöhnlich war das Ende der Show. Dann flatterte ein Schwarm bunter Aras kreischend über einen Springbrunnen. Fast wie im Dschungel - nee, eigentlich besser, denn im Dschungel gibt's keine Fontänen.

Der Großteil des Parks sieht jedoch relativ alt aus. Wem hochmoderne Zoos mit immer krasseren Multimedia-Erlebnissen auf den Keks gehen, der wird sich superwohl fühlen, wenn er in Walsrode durch die südliche Vogelparkhälfte schlendert - denn die ist im Prinzip ein Stadtpark, nur dass in den Teichen nicht nur Enten, sondern auch Pelikane, Pinguine und Flamingos nisten.

Aber so ein Oldschool-Zoo hat auch seine Schattenseiten, und diese bestehen aus langen Reihen grüner Käfige, in denen überraschend große Vögel leben. Natürlich kann ich nicht abschließend beurteilen, wie artgerecht das ist. Beurteilen kann ich allerdings, dass sich einige Käfigecken des Zoos selbst für Menschen irgendwie ungemütlich anfühlen. Und das, obwohl wir ja nicht die Viecher sind, die in den Dingern leben muss.

Das absolute Highlight sind die Keas. Die Intelligenz dieser neuseeländischen Papageien mit Multifunktionsschnabel ist legendär, aber in anderen Zoos zeigen die Keas nicht sonderlich viel davon.
Die Walsroder Keas dagegen sind dermaßen agil und zutraulich, dass sie den Schnabel durch das Gitter stecken und sich von Kindern an der Zunge streicheln lassen. Ja, ich weiß, dass klingt jetzt nicht direkt nach einer Freizeitaktivität, bei der man mit allen zehn Fingern nach Hause zurückkehrt, aber zumindest bei den Kindern neben mir ging alles gut.
Außerdem handelt es sich um die einzigen Zootiere, die erfolgreich daran arbeiten, ihre eigene Informationstafel zu demontieren.

Für den Vogelpark musste ich einen weiten Umweg machen. Weil ich die ganze Strecke nicht wieder zurückwollte, bin ich auf direktem Wege an der Hauptstraße weitergefahren. Also dann, auf nach Bad Fall... oh, wo gehts denn da hin?
Diesem Abstecher konnte ich einfach nicht widerstehen, denn dort befindet sich das allererste Stückchen Heide am Leine-Heide-Radweg. Okay, es ist eigentlich nicht in dem Sinne am Radweg, aber zumindest so grob in der Nähe. Am Eingang begrüßte mich erst einmal ein Heide-Memoryspiel. Das war überraschend knifflig. (Moment, diese Schafherde sieht ein bisschen anders aus als die andere, oder?)

In der kleinen Tietlinger Wacholderheide sind überraschend viele Spaziergänger unterwegs - kein Wunder, wäre ich auch, wenn ich Heide vor der Haustür hätte. Die Heide hat ein paar kahle Stellen, aber auch so richtig voll violette.
Zusätzliche Sehenswürdigkeiten mitten in der Heidefläche sind das Lönsdenkmal und das Lönsgrab. Die beiden liegen nicht weit voneinander entfernt und werden etwa auf Google Maps ständig verwechselt, was mir die Orientierung auch nicht leichter gemacht hat. Merke: Das Lönsdenkmal ist ein komischer steinerner Thron, unter dem kein Toter liegt.

Das Lönsgrab ist einfach ein riesiger Stein, unter dem ein Toter liegt.
Der Heidedichter Hermann Löns ist im ersten Weltkrieg in Frankreich gefallen und reiste anschließend mehr herum als zu seinen Lebzeiten - nicht weil er zum Zombie wurde, sondern wegen seltsamer Bürograbie. Zuerst landete er in einem Militärgrab in Luxemburg, das aufgelöst wurde, dann in einem Massengrab in Frankreich, in dem 1934 jemand seine Knochen anhand der Marke um seinen Hals wiedererkannte. Die nächste geplante Grabstätte wurde kurzfristig zum Truppenübungsplatz ernannt, sodass Löns' Leiche stattdessen in einer Hotelgarage geparkt wurde. Seine Familie wollte ihn genau hier in der Tietlinger Wacholderheide beisetzen, aber weil Gerüchte aufkamen, die Leiche sei ein Fake, vergruben die Nazis ihn fix woanders in der Lüneburger Heide (nicht weit vom Wümmetal), um die Sache zu beenden. Die verwitwete Frau Löns und der Rest der Familie waren deswegen sehr angepisst und setzten beim Reichskriegsminister durch, dass er doch hierherkam.

Unter der Kirche von Bad Fallingbostel rauscht die Böhme durch wilde Stromschnellen, die aus unerfindlichen Gründen mit Fahrradständern ausgestattet wurden. Nein danke, da parke ich mein Rad lieber nicht!

Dahinter tauchen zum ersten Mal die klassischen Schafe der Heide auf, die Heidschnucken.

Die Bornmühle von Dorfmark wurde im Gegensatz zu den anderen Mühlen der Gegend zu einem modernen Mietshaus umgebaut, so richtig mit Glaswänden und allem. Früher war das mal der größte Arbeitgeber in Dorfmark. Was jetzt andererseits auch nicht so viel bedeutet. Außerdem hat Dorfmark ein Strandbad, in dem man in "echtem Moorwasser" baden kann. Klingt echt... verlockend. Äh. wie weit ist es noch bis zur Soltau-Therme?

Der Radweg macht dann noch einen Bogen durch irgendwelche Folienfelder voller Spargel und wird ein bisschen hügelig. Joa, die Strecke an sich ist immer noch nicht spannender geworden. Aber trotzdem fahre ich jetzt mitten durch den zentralen Erlebnisteil der Lüneburger Heide.

Kurz vor Soltau bin ich zwischen der Böhme und dem Breidingsgarten durchgeradelt.

Diesen Garten hat eine Adelsfamilie... ach nee, warte, Soltau war seiner Zeit wohl voraus, eine Industriellenfamilie hat den angelegt. Angeblich enthält er eine künstliche Ruine und ein Moor, ich habe aber nur kleine Teiche entdeckt. Die Bäume hatten es im Laufe der Geschichte nicht leicht, ihnen setzten Orkane und explodierende Munitionszüge auf den benachbarten Gleisen zu.

Soltau hat einen Roten Bahnhof. Der heißt so, weil darin die SPD ein Parteibüro hat - eigentlich ist der Bahnhof größtenteils gelb. Inwiefern das farblich zur SPD passt, muss jeder selbst beurteilen.


Zwar war Soltau auch eine Handelsstadt, aber anders als in Lüneburg spielten die hiesigen Salzquellen keine so große Rolle, sondern eher Flachs, Seile und die weltweit erste Dampfmaschine, die mit Torf geheizt wird (so geht norddeutsche Industrialisierung).
Seltsamerweise scheint Soltau in einer Erdbebenzone zu liegen, denn die Straße weist einen eigenartigen Spalt auf. Ist das Kunst? Wie auch immer, falls Sie sich beim Schlendern durch die Fußgängerzone wundern, warum es plötzlich bergauf geht - Vorsicht! Sie plumpsen gleich einen Meter abwärts!

Soltau ist aber nicht bekannt wegen seiner Fußgängerzonenspalte, sondern wegen ganz anderer Adrenalinkicks. Ein Stück weiter nördlich, im Vorort Wolterdingen, befindet sich Heidepark Nr. 3, der äh, Heidepark.
Dieser Freizeitpark hat richtig dolle Achterbahnen... und jo, das ist es hauptsächlich.
Bei zwei der Achterbahnen hat sich irgendjemand gedacht: Mensch, die Fahrgäste sitzen immer nur oben auf den Schienen drauf, wie langweilig. Was könnten wir stattdessen machen? Antwort: Die Leute sitzen entweder unter der Schiene wie in einem Skilift (eine Umgekehrte Achterbahn, englisch Inverted Coaster)...
 

...oder neben den Schienen, quasi auf Flügeln (deswegen Wing Coaster). Letztere ist auch die längste und beste Bahn im Park.
Der Heidepark ist in erster Linie ein Park für große und sehr große Kinder, die auf der Suche nach Adrenalin gern einen solchen Gesichtsausdruck aufsetzen. Für kleinere Kinder haben andere Freizeitparks mehr zu bieten.

Die größte Holzachterbahn der Welt durchquert seit Neustem den Kopf eines feuerspeienden Dämonen. Eigentlich erstaunlich, dass sich das mit deutschen Brandschutzbestimmungen vereinbaren lässt.