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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

07 Dezember 2019

Eiserner Vorhang: Von Ilsenburg nach Walkenried

Die Harzgrenze

Länge: 53 km (plus 10 km vom Bahnhof Bad Harzburg)
Grenzquerungen: 4
Bundesländer: Niedersachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen
Seite: viel mehr Ost als West
Erkenntnis: Im Gebirge ist alles etwas anders.

So, neben all dem Gewander will ich aber auch noch radfahren. Nach dem Weser-Harz-Heide-Radweg war das schon das zweite Mal, dass ich mir vorgenommen hatte, an einem Tag mitten durch den Harz zu radeln - mit einem Tourenrad und ein bisschen Gepäck auf jeden Fall eine Herausforderung. Und wie beim WHH-Radweg wurde es gegen Ende knapp.
Zunächst einmal bin ich vom Bahnhof Bad Harzburg zur Betonbrücke von Stapelburg zurückgekehrt, um dann über diverse Birkenhügel die Schlucht von Ilsenburg anzusteuern. Damit beginnt der Iron Curtain Trail seinen großen Schlenker tief hinein in den Nordostharz, auf dem er die unwegsame Hälfte der Harzgrenze weiträumig umfährt.

Erst das Ilsetal bietet Radfahrern endlich die Möglichkeit, in den Harz einzutauchen. Durch den Wald schlängelt sich ein Kiesweg ganz sanft bergauf. Die Ilse plätschert in kleinen Wasserfällen in die entgegengesetzte Richtung. Auf dem Weg liegt die Prinzess-Quelle, eine der Ilsequellen. Deren Wasser wurde früher über ein Rohr direkt ins Tal geleitet und als Tafelwasser abgefüllt.
Mensch, dachte ich, wer hätte gedacht, dass der Weg in den Harz hinauf so angenehm ist? Ich musste nur ab und zu Fußgänger aus dem Weg klingeln.


An der nächsten Kreuzung sollte ich links abbiegen. Da verschwanden die Fußgänger und das Terrain wurde plötzlich rauer. Der Kiesweg schraubt sich staubig steil bergauf. Plötzlich kam mir ein Bus entgegen. Ich musste ausweichen und fuhr den nächsten halben Kilometer in einer monströsen Staubwolke. Ja, auf diesem abenteuerlichen Weg fahren Linienbusse, und zwar gar nicht so selten. Die einsamen Harzhäuschen sind hier besser an den Nahverkehr angebunden als viele deutsche Dörfer.


Einen Vorteil hatten die Bushaltestellen allerdings: Sie sind gute Orientierungspunkte für die Wegbeschreibung im Radführer ("an der Haltestelle Bielstein rechts").
Ansonsten bin ich den hölzernen Wanderschildern des Nationalparks gefolgt. Fahrradschilder gab es nicht.


Der Harz, das sind ja im Prinzip Halbkugel-Berge mit viel Wald drauf, die in der Ferne aus irgendeinem Grund blau und durchsichtig schimmern. Je höher sich der Weg schraubte, desto öfter hatte der Wald Lücken. Der Borkenkäfer hat wieder zugeschlagen.


Auf diesen leeren Flächen liegen richtig dicke Granitbrocken herum. Also, eigentlich liegen die überall im Harz herum, aber auf den leeren Flächen fallen die mehr auf. Besonders, wenn sie auch noch zu erstaunlichen Stapeln aufgetürmt wurden.
Einer dieser Riesensteine am Wegesrand ist dem Forstmeister Ernst Freiherr von Eschwege gewidmet, der sich für diese Landschaft engagiert hat. Einfach eine Tafel an den Stein tackern, so spart man sich die Statue.
In der Ferne ertönt ein Heulen. Schuhuuu! Was mag das sein?


Es ist die Harzer Schmalspurbahn. Das sind hochpreisige, berühmte Züge, die mit Dampf und Diesel fahren. Im Kalten Krieg waren die Schienen geteilt, heute bilden sie das größte Schmalspurbahn-Netz Deutschlands.

Nach über zehn Kilometern Wald bin ich in Drei Annen Hohne rausgekommen. Dabei handelt es sich um eine winzige Handvoll Häuser, einen Bahnhof und einen Imbiss.
Drei Annen Hohne hat also vor allem deshalb einen eigenständigen Namen, damit überhaupt mal wieder irgendein Name auf der Karte steht. Aber wieso ausgerechnet so ein seltsamer Name? Weil sich der Adlige Christian Friedrich zu Stolberg-Wernigerode Anteile an einem Bergwerk gekauft hat, das in der Nähe lag. Seine Mutter, Tochter und Nichte hießen alle Anna, um die Ecke lagen die Hohneklippen, und aus irgendeinem Grund ist daraus Drei Annen Hohne geworden. Das Bergwerk ging übrigens pleite. Der Christian hätte lieber Anteile an dem Imbiss am Bahnübergang erwerben sollen, der ausschließliche Erbsensuppe, seltsame Wurst und Bier serviert. Vielleicht hätten ihm schon damals Radler und Motorradfahrer die Tür eingerannt.


Dann geht der Waldweg weiter. An dieser Bank mit rustikalem Fußhocker habe ich eine kleine Wanderung eingeschoben.

Dabei hatte ich zwei nasse Hindernisse zu überwinden. Dann konnte ich mir endlich den Königshütter Wasserfall ansehen. Da fließt zwar nur ein schmales Bächlein, aber es fällt von einer zauberhaften grünen Klippe, und zwar ziemlich tief. Der künstliche Wasserfall entstand als Nebenprodukt von Bergbauarbeiten.

Am Kreisverkehr von Elend steht Deutschlands kleinste Holzkirche nebst einigen schwedischen Ferienhäusern. Elend ist immerhin ein richtiges Dorf, nicht nur ein Imbiss an der Kreuzung. Trotzdem war es viel ausgestorbener als Drei Annen Hohne, zu essen gab es auch nix. Dafür ist Elend der Ausgangspunkt, wenn man vom Iron Curtain Trail aus zum Wurmberg oder Brocken will.


Nun ist die Zeit der wilden Waldwege zu Ende. Ich bin auf einer schmalen Straße gefahren, die von kleinen gelben Blümchen und zahllosen Bahnübergängen gesäumt wird. Die Schmalspurbahn kreuzt immer wieder den Weg.

Die Grenze kommt aus Richtung Braunlage langsam wieder näher. Im Tal der Bremke gibt es nur miese Lochplatten, also schickt mich der Radweg noch nicht dorthin.


Diese Katze ist in Sorge. Nicht nur, weil sich Gewitterwolken sammeln und weil sich fremde Leute ihrem Restaurant nähern, sondern auch, weil ihr Restaurant im Dorf namens Sorge liegt. Ich habe mich von ihrem grimmigen Blick nicht abschrecken lassen und mir im Sonnenhof den Bauch vollgeschlagen.


Elend, Sorge, später kommt auch noch Zorge… wieso haben die Orte hier so deprimierende Namen, wo sie doch so schön gelegen sind und auch ganz schön aussehen? Der Name Sorge kommt vom altdeutschen Wort zarge für Grenze. Dieses Wort war längst ausgestorben, als besagte Grenze begann, den Leuten so richtig Sorgen zu machen.


Am Bahnhof steht ein kleines Grenzmuseum. Daneben sehen Sie einen der Vollpfosten aus der DDR.


Das Museum besteht aus einem Raum. Darin erklärte der Museumswärter gerade zwei anderen Besuchern die Ausstellungsstücke. Dass ich mittendrin dazukam, störte mich nicht - die allgemeinen Fakten zu den Grenzanlagen hatte ich inzwischen schon zu Genüge gehört. Aber jedes Museum bringt auch ein paar neue Informationen (Wussten Sie, dass Igel und Mäuse durch Löcher im Beton unter den Zäunen durchschlüpfen konnten? Nicht aus Tierliebe, sondern damit sie die Selbstschussanlagen nicht auslösten.) und besondere Ereignisse aus der Region. (An der hiesigen Grenze hinterließ ein genervter junger Grenzsoldat auf seinem abgerissenen Kragen eine verbotene Nachricht an seinen Nachfolger in einer Thermoskanne: Viel Glück und er solle bloß nicht länger beim Militär bleiben als nötig. Oder: Weil der Boden am Grenzzaun mit Chemikalien behandelt wurde, wächst dort oft auch heute nichts mehr. Dennoch wird die Harzgrenze schwerer zu erkennen, denn durch den Borkenkäfer verschwinden auch die anderen Bäume.)

Eigentlich besteht das Museum nicht nur aus diesem Raum. Es hat auch noch einen kostenlosen Outdoor-Teil. Um den zu erreichen, leitete mich die Karte doch noch auf den Betonplattenweg. Zuerst durchquerte ich ein Tor im Signalzaun...

...und es folgten der Streckmetallzaun, ein Beobachtungsturm und jede Menge Holz. Der Turm wurde kürzlich frisch hergerichtet, man soll ihn demnächst sogar besteigen können - von innen. Damit wäre er meines Wissens der erste an der innerdeutschen Grenze.


Ein Museum, originale Grenzanlagen, ein Kolonnenweg... was fehlt noch? Richtig, ein künstlerisches Mahnmal.
Man nehme vier alte Betonpfähle, entferne den Zaun, lege einen Haufen totes Holz im Kreis drumherum und pflanze Sträucher, die den Ring zuwuchern. Fertig ist der Ring der Erinnerung. Die Natur holt sich alles zurück.


Nun ist das Freilichtmuseum zu Ende, doch der Kolonnenweg geht immer weiter - und bildet sich offenbar ein, er sei eine Achterbahn. Aaargh… wie tief geht es hier bitte runter?
Ich habe versucht, den Löchern auszuweichen, um nicht komplett durchgeschüttelt zu werden. Aber selbst wenn es mir gelang, ganz gerade in einer Linie zu fahren, nützte das nichts - die Betonplatten waren leicht versetzt.


Nach einigem Auf und Ab führte mich der Weg nach Niedersachsen - zum ersten Mal seit heute Morgen.
Im Westen begrüßte mich ein niedersächsisches Dorf namens Hohegeiß. Der Name lautete früher hogeyz und dann Hohegeist, er hat demnach nichts mit einer Geiß, also Ziege, zu tun. Trotzdem bewacht ein steinerner Geißbock die Kreuzung. Auf seinem Sockel steht geschrieben:
Ich stehe hier zum Lob und Preis
für mein schönes Hohegeiß.
Auf einmal erklingt in meinem Gehirn die Melodie von Gangsters Paradise. Während der restlichen Tour spielt es den Refrain immer und immer wieder mit dem Hohegeiß-Vers ab. Damit es nicht zu langweilig wird, spinnt es den Text noch ein bisschen weiter.
Ich stehe hier zum Lob und Preis
für mein schönes Hohegeiß.
Alter, was ein geiler Scheiß:
Dieser Geißbock steht in Hohegeiß.
Sie bezahlten einen hohen Preis
für die Grenze hier in Hohegeiß.
Doch nun steh ich hier zum Lob und Preis
für mein schönes Hohegeiß.


Zum Schluss muss man nur noch die steile Straße bergab sausen und ist aus dem Harz raus. Wegen des stürmischen Wetters war niemand unterwegs, ich hatte die Bergstraßen für mich.
Leider habe mich entschieden, noch einen Umweg einzuschieben, und eine andere Straße gewählt. Die führte mich zurück in den Osten - also wieder nach Sachsen-Anhalt, oder?


Falsch, nach Thüringen! Ein paar Meter neben der Straße, umgeben von Tannen, treffen sich die drei Harz-Bundesländer Niedersachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen am Dreiländerstein. Der wurde seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr aktualisiert. Deshalb stehen da noch die Kürzel für die früheren Herzogtümer drauf.


Joa, und dann hatte ich die glorreiche Idee, auf einem Waldweg rüber zur Straße mit der offiziellen Route zu wechseln. Ich erwischte leider den falschen Waldweg, der sich eine ganze Weile um die Berge herumschlängelte. Einmal überquerte ich erneut ein Stück Kolonnenweg und wusste, dass ich wieder an der Grenze war - aber wo?
Endlich führte mich der Weg in ein Dorf namens... Sülzhayn? Verdammt, wo bin ich?

Eigentlich hätte ich der Straße und dem Flüsschen Zorge durch ein langgezogenes Dorf namens Zorge folgen sollen, in dem Lokomotiven und Weihnachtspyramiden hergestellt wurden.


Naja, auf jeden Fall führte in Sülzhayn ein Weg aus dem Harz hinaus. Gemeinsam mit dem Getreide wogte ich dort im Wind.

Die Grenze verlässt den Harz ein paar Kilometer weiter, sobald sich das Tal der Zorge zu einer Wiese öffnet. Hier bekommt man Einblicke ins Next Farming (so stand es auf dem Auto), die Zukunft der Landwirtschaft: Ein next Farmer fährt mit seinem Auto rum, an dem hinten einen dickes Teil rangebaut wurde. Es bohrt alle paar Meter lautstark tiefe Löcher ins Gras. Welche Pflanze muss den so tief eingesät werden? Oder sucht er nach Öl?


Nach einer gesperrten Straße und einer Umleitung bin ich in Ellrich endlich auf die offizielle Route gestoßen. Ellrich ist nicht so schön wie andere Harzstädte, besonders düster ist es aber hinter dem Bahnhof. Dort befand sich Juliushütte, ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald.


Die unterernährten Häftlinge mussten aus diesen Felswänden Gips abbauen.

Weil das Lager genau auf dem Grünen Band lag, ist es während des Kalten Krieges völlig verfallen. Hier entstand keine umfangreiche Gedenkstätte wie in Buchenwald, Sachsenhausen, Bergen-Behlsen und all den anderen schrecklichen Orten. Die Natur hat sich bemüht, die Erinnerungen an diesen Ort zu tilgen. Nur noch die Grundmauern sind übrig. Die Tafeln daneben verraten, dass zum Beispiel diese Mauern der Küche gehörten.
Juliushütte ist (zusammen mit der Topographie des Terrors in Berlin) vielleicht der einzige deutsche Ort, der das volle doppelte Grauen des 20. Jahrhunderts abgekriegt hat. Nirgendwo sonst dürften so viele ruhelose Geister unterwegs sein.

Als ich in den Wald eingetauchte, wurde es schlagartig dunkel. Donner grollte, Regen peitschte der Weg wurde zu einem schmalen Trampelpfad, und immer neue Überreste der grauenhaften Anlage schälten sich aus der Finsternis. Das nenne ich gruselig.


Der Weg führte zwischen ein paar Teichen von Walkenried hindurch. Er wurde immer mieser und hatte kleine Brücken, die vermutlich nicht für Radfahrer gedacht waren. Ich wünschte, ich wäre an den Resten von Juliushütte umgekehrt und das letzte Stück auf der Straße gefahren.
Die offizielle Route führt auf Pfaden durch diesen Wald, aber bestimmt nicht auf diesem Pfad. Ich war schon wieder falsch. Fluchend hievte ich mein Rad zwischen großen Teichen über matschige Wege, die kaum noch als solche zu erkennen waren. Panik erfasste mich. Sollte ich umdrehen? Aber wie lange war ich schon auf dem falschen Weg, und würde ich den letzten Zug des Tages dann überhaupt noch schaffen? Sowohl ich als auch der Wald waren zu nass für eine Übernachtung in der Wildnis.

(Nachtrag: Auch bei Tageslicht ist die richtige Strecke, die in der Karte wirklich verzeichnet ist, größtenteils Mist. Nur wenn man den Online-Karten auf einen breiten Waldweg folgt, geht es.)

Aus irgendeinem Grund kam ich nachts bei den Bahngleisen heraus. Zum Glück verlief daneben ein etwas besserer Pfad, dem ich dann einfach gefolgt bin. Dabei habe ich auch einen Tunnel durchquert, was vermutlich nicht so richtig erlaubt war. Obwohl, ein Verbotsschild war da auch nicht.

Kurze Zeit später überquerte etwas den Radweg. Im Dunkeln brauchte ich ein paar Sekunden, um eine Horde Wildschweine zu identifizieren, inklusive Frischlinge. Großzügig, wie ich nun einmal bin, gewährte ich ihnen Vorfahrt.


Als ich am Bahnhof von Walkenried erreichte, war ich weitgehend durchnässt und hatte an dem Tag keine Zeit mehr, die eindrucksvollen Ruinen des Zisterzienserklosters zu bewundern.

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