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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

02 Dezember 2019

Eiserner Vorhang: Die Rabenklippen

Ich muss mich korrigieren: Im Grunde könnte man in der Eckerschlucht problemlos Radfahren. Warum der Iron Curtain Trail hier trotzdem nicht langführt? Vielleicht, weil die Schlucht dann eine außerordentlich lange Sackgasse wäre.
Auf der kapitalistischen Westseite steht Papierfabrik - Wanderer müssen deshalb in die DDR ausweichen. Dort taucht eine breite Birkenallee ins Tal ein. Da stehen dermaßen viele Birken, dass ich anfangs gar nicht sehen konnte, dass ich mich in einem Tal befand. Dieser Waldweg hätte so auch im Flachland sein können.
Nach einem Kilometer habe ich die Ecker wiedergesehen. Das klare Wasser plätschert zwischen braunen Steilufern und Felsbröckchen dahin. Zumindest der Fluss bemüht sich, ein bisschen den Eindruck zu erwecken, als befänden wir uns in einem Gebirge.

Irgendwann erwecken auch die Berge diesen Eindruck - einfach, indem sie zu sehen sind.
Als im mittelalterlichen Goslar Kupfer verarbeitet wurden, blieb sowohl giftige als auch (was für Menschen natürlich wichtiger ist) wirtschaftlich nutzlose Erzschlacke übrig. Wohin damit? Kein Problem, einfach über die Grenze und im Osten verbuddeln! Da wächst dann halt erstmal nichts, außer Heidekraut natürlich - das ist doch Heide, oder? Nope, laut Schild handelt es um Kupferblümchen und Grasnelken. Hm, das erklärt, warum sie im Oktober noch blühen.
Die mittelalterliche Giftmülldeponie wurde Jahrhunderte später einem Grenzsoldaten zum Verhängnis, der dank der freien Sicht problemlos von seinem Kollegen erschossen werden konnte. Anscheinend nicht wegen eines Fluchtversuchs, sondern aufgrund eines mysteriösen Missverständnisses. Immerhin kam es noch in der DDR zu einem Mordprozess, und der Vorgesetzte des Schützen wurde sogar zu kurzer Haft verurteilt, weil er den Schützen falsch eingewiesen haben soll. Was zur Hölle hat er ihm gesagt, das sogar die SED das nicht okay fand? Dass er auf seine eigenen Kollegen schießen soll - und dann hat er leider vergessen zu erwähnen, dass das nur gilt, wenn besagter Kollege auch versucht zu fliehen?


Die Eckerschlucht wird immer enger und dunkler. Ein graublaues Licht dimmert von oben herab und lässt mich zweifeln, ob das da drüben noch eine Felswand oder wieder normaler Waldboden ist. (Oder vielleicht brauche ich eine neue Brille.)
Neben Papierfabrikanten und Grenzsoldaten gab es noch jemanden, der sich regelmäßig im Eckertal aufhielt. Alardus von Burgdorf fand es hier ganz gemütlich und baute die Ahlsburg auf einem majestätischen Felsturm mitten im Tal. Davon sind nur noch Grundmauern und Gräben übrig.

Über dem Tal erheben sich die Rabenklippen. Sie bestehen aus diesen typischen graubraunen Harz-Felsen. Die Felsklumpen sind hier zu einer richtigen Klippe zusammengewachsen und liegen nicht einzeln herum wie anderswo im Harz. Was sie mit Raben zu tun haben, bleibt ebenso schleierhaft wie die Aussicht. Der neblige Winter ist nicht die beste Jahreszeit, um von dort herunterzuschauen und mit etwas Glück die Talsohle erkennen zu können. Die schlechteste Jahreszeit ist es aber auch nicht. Selten ist eine Landschaft so radikal weiß.


Die Rabenklippen sind ein beliebtes Ausflugsziel - außer im Winter, da war ich der einzige, der sich zu den Klippen traute. Denn dazu musste ich die völlig vereiste und zugeschneite Treppe überwinden, die zu einer rutschigen Rampe des Todes verkommen war. Weil ich mich mit beiden Handschuhen am Geländer festhielt, habe ich es überlebt und wäre nur zweimal fast hingefallen.

Direkt hinter den Klippen stolzieren Luchse mit aufgerichtetem Schwanz durch ihr weitläufiges Luchsgehege. Die großen grauen Katzen scheinen sich im Schnee unglaublich wohlzufühlen und wälzen sich gelegentlich gemeinsam in dem kalten Zeug, wobei ich nicht weiß, ob das nun Spiel, Kampf, Paarungsritus oder alles zugleich war. 
Die Luchse sind im Prinzip das Gegenteil der Eckerschlucht - sie sind ausschließlich im Winter zu sehen. Im Sommer starren ratlose Wanderer auf ein leeres Gehege und führen Dialoge wie: "Haben Sie hier schon mal Luchse gesehen?" - "Ja, im Fernsehen."

Zwischen Harzburg und Stapelburg zieht sich ein Netz aus Forstwegen durch den Harz. Es ist ausgestattet mit laut sprudelnden Bächen und Gräben, den typischen Harzholz-Wegweisern (als mal einer fehlte, bin ich natürlich direkt falsch abgebogen) und Wasserfällen aus Gras. Diese Wege führen zu weiteren Sehenswürdigkeiten, von denen eine sogar noch etwas mit der Grenze zu tun hat.

Über den Bergen von Bad Harzburg ragt das Kreuz des Deutschen Ostens aus Nebel und Schnee. Es ist ungefähr dreimal so groß, wie es auf dem Foto aussieht. Als ich es auf einer Wanderung gesehen habe, fühlte ich mich richtig überrumpelt, als der Koloss aus Holz und Eisen plötzlich auf mich herabschaute. Neben der Grenze erinnert das Kreuz vorwiegend an die Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Deshalb stehen ringsherum Felsbrocken mit den Wappen der früheren deutschen Ostgebiete.

Selbst im tiefsten Winter sind hier zwei Tierarten aktiv: Laut pochende Spechte und leise schleichende Luchse. Beide haben mich irgendwie beeindruckt.
Der Specht (in der Mitte links am Stamm) war nämlich der erste seiner Art, den ich nicht nur in der Ferne klopfen gehört, sondern auch gesehen habe. Er flatterte immer wieder um den Baum und hatte sich noch nicht endgültig für eine bestimmte Stelle entschieden, wo er sein Nest in den tiefgefrorenen Baum hämmern wollte. Sein Meißelschnabel sah kleiner aus als gedacht, ein zähes kleines Ding.

Bad Harzburg hat eine große Vorliebe für Raubkatzen: Der Luchspfad führt zum Luchsgehege, und der Wildkatzenpfad zum Wildkatzengehe. Wildkatzen sind scheue Tiere, da ist es nur passend, wenn der Wildkatzenpfad durch das überaus ruhige, versteckte Tal des Reichenbachs führt. Der Pfad ist mit einer Bushaltestelle für Wildkatzen, geschnitzten Wildkatzenfiguren und Wildkatzenbänken ausgestattet. Dahinter plätschern ganz leise die, nun ja, nennen wir sie mal Reichenbachfälle. Diesen Sturz hätte Sherlock Holmes vermutlich überlebt.


Ganz anders sieht es im Nachbartal aus. Da verlaufen neben einem Steinbruch sowohl die Bundesstraße als auch ein Fluss namens Radau. Bei dem Namen kann man sich schon denken, dass es da nicht ganz so leise und idyllisch ist. Trotzdem kann ich einen Ausflug in dieses Tal absolut empfehlen, und der Grund dafür ist ein Eisenbahner aus dem Jahr 1859. Der grub damals einen schnurgeraden Graben und schnorrte sich dadurch ein bisschen Wasser von der Radau.

Diesen Graben ließ er so clever an der Seite des Tals entlanglaufen, dass das geborgte Wasser viel höher als der ursprüngliche Fluss fließt. Es möchte jedoch gern zurück zu seinem ursprünglichen Fluss. Und das tut es, in dem es sich zielstrebig über die Kante einer Klippe stürzt - und runterfällt.

So entsteht der Radau-Wasserfall. Unter allen Wasserfällen im Harz habe ich bisher keinen gesehen, der höher war oder einen lustigeren Namen hatte.
Eine Regel im Harz lautet: Ist der Wasserfall zu hoch, dann ist er nicht natürlich. Von oben ist das an dem kleinen Kanal zu erkennen, von unten sieht der Fall auf den ersten Blick echt aus. Das Wasser plätschert um die kleinen Felszacken und sammelt sich rauschend am Fuß des Felsens. Obwohl, Moment mal, das entspricht viel zu sehr der menschlichen Idealvorstellung eines Wasserfalls, um natürlich zu sein!
Warum hat sich der Eisenbahner so viel Mühe gemacht, den Wasserfall anzulegen? Ganz einfach: Er wollte Touristen anziehen. Das klappt bis heute super, über und unter dem Wasserfall ist immer was los. Kein Wunder, dieser Fall ist nicht nur der spektakulärste im Harz, sondern auch noch super mit dem Auto oder Bus (1 Haltestelle von Harzburg) zu erreichen.

Noch weiter oben, auf einer abgeholzten Einöde, liegt das Wildkatzengehege. Das ist ein achteckiger Ring aus mehreren Zäunen. In der Mitte steht ein Holzhaus mit Aussichtsplattform und einem geschlossenen Museum. Hier leben Wildkatzen, die zur Auswilderung nicht geeignet sind. Sie zu sehen kostet nur n Appel und zwei Euro.

Wildkatzen sind sehen im Prinzip aus wie beige Hauskatzen, nur der Schwanz erinnert an einen Waschbären. Sie schleichen ähnlich elegant durch ihr Gehege, rollen sich ein, kämpfen und fauchen, abgesehen vom fehlenden Miauen wirken sie fast wie Hauskatzen. Die Ähnlichkeit täuscht - und der übermächtige Drang, sie zu streicheln, ist eine tödliche Falle.

Deutsche Wildkatzen sind mit deutschen Hauskatzen so gut wie gar nicht verwandt, weil alle Hauskatzen von der ägyptischen Falbkatze abstammen.
Außerhalb des Geheges lief auch eine weiße Hauskatze herum, und die Wildkatzen haben sie komplett ignoriert - für sie war das kein Artgenosse, sondern irgendein Tier, da hätte ebensogut ein Marder sitzen können.

Etwa alle zwei Stunden findet eine Fütterung statt. Als die Pflegerin das Gehege betrat und ihnen Küken zuwarf, hauten die Katzen nicht ab - so gut hatten die sich schon an ihre Wildkatzenlady gewöhnt. Aber Streicheln ist bei denen genetisch nicht drin, für den Versuch wird man mit zahn- und krallenbedingter Blutvergiftung plus lebenslangem Misstrauen bestraft (für Sie nicht getestet). Der größtmögliche Vertrauensbeweis ist, wenn die Wildkatze das Küken nicht wegträgt, sondern vor Ort laut knackend zum Kükenschredder wird - fast so gnadenlos wie die Geflügelindustrie!

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