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04 Dezember 2023

Gröde

Rückblick: Gröde-Ausflugsfahrt 2012

Ich kann wohl kaum über die nordfriesische Nordsee schreiben, ohne auf ihre ganz besonderen Mini-Inseln einzugehen - so besonders, dass sie eine eigene Bezeichnung haben: Die Halligen. Eine von denen habe ich vor Jahren besucht. In Nordstrand-Strucklahnungshörn bestiegen wir die Adler V - keine Fähre, sondern eine Ausflugsfahrt. Weil die Attraktionen der Insel selbst doch eher überschaubar sind, warten auf der Fahrt unterwegs noch zwei weitere Highlights, bei denen wir den Bewohnern der Nordsee näherkamen. Also, den Tieren, nicht den Inselmenschen, die kommen später.
Highlight Nr. 1: Die Seehundbänke, auf denen hunderte puscheliger Robben chillen. Mit bloßem Auge sind sie ziemlich gut zu erkennen, noch besser mit Fernglas oder Zoom.

Highlight 2: Eine wilde Wanne. Sie funktioniert folgendermaßen: Das Schiff zieht ein paar Minuten einen Behälter hinter sich her. Dann zieht ihn ein Seemann aus dem Wasser...


...und kippt den Inhalt in eine Blechwanne. Nun gucken alle, was sich so angesammelt hat. Alle Kinder dürfen reingreifen und sich von den Krabben kneifen lassen, während der Seemann erklärt, welche Muscheln und Fische sich tagesaktuell so angesammelt haben. Einfach, aber genial! So funktioniert quicklebendige Wissensvermittlung, viel besser als die Tauchgondeln der Ostsee.
Nach ausgiebiger Begutachtung werden die Heizdrähte in der Wanne aktiviert, und kurz darauf öffnet das Bordbistro mit seiner täglich frischen Meeresfrüchte-Suppe. Nein, nur Spaß, sämtliche krabbelnden Krabben werden hinterher wieder in Freiheit gesetzt.

Schließlich hat die Adler die ganze verschlungene Route von einer Betonkante zu einer deutlich kleineren Betonkante zurückgelegt. Auf den ersten Blick scheint es, als wären wir einfach an einem anderen Stück Nordseeradweg angekommen.
Aber Moment mal - wo ist der Deich?

Außerdem ist dieser Asphaltweg derart kurz, dass Radfahren gar keinen Sinn ergibt.

Stattdessen marschiert eine neugierige Karawane an Ausflüglern zu Fuß in die Hallig ein.

Was genau ist denn nun der Unterschied zwischen einer Hallig und einer gewöhnlichen Insel? Es ist nicht die Größe. Klar, Gröde ist total winzig, aber die Hallig Langeneß zum Beispiel kann es bei der Länge schon fast mit gewöhnlichen Inseln mit Amrum aufnehmen.
Der Unterschied besteht im Hochwasserschutz.

Eine normale Insel betreibt einen eher offensiven Hochwasserschutz und baut einen Deich außenrum. In den Eingängen stehen die Siele wie Türsteher, ihr Motto: Ey Wasser, du kommst hier nicht rein.
Auf den Halligen stehen so wenig Häuser in kleinen Gruppen, sodass ein defensiver Hochwasserschutz mehr Sinn ergibt: Okay, Sturmflut, dann komm halt rein, nimm dir die Wiese, die Schafe sind eh im Stall, ups, das eine haben wir vergessen, dann töte es halt, aber bitte nur nicht unsere Häuser, okay?
In der Regel reagieren Sturmfluten nicht auf höfliche Bitten, und deswegen stehen die Häuser auf Warften, also künstlichen Hügeln. Trotzdem drangen bis in die 70er mehrere Stürme in die Warften von Gröde ein, töteten das Vieh und versalzten das Trinkwasser. Heutzutage werden die Warften noch extra mit Ringdeichen drumherum geschützt.

Gröde ist so klein, dass es nur zwei Warften hat. (Eine dritte zerstörte die Flut von 1825.) Und genau die schauen wir uns jetzt an. Der Wegweiser weist uns zu den 2 K, dabei handelt es sich auch schon um die Highlights der Inseln.
Hach ja, was wäre eine Nordseereise ohne das obligatorische Klapptor in der Viehsperre? (In dieser Hinsicht gibt es keinerlei Unterschied zwischen Halligen, normalen Inseln und dem Festland.)

Und was wäre sie ohne Reetdächer? Einfach unvollständig.
Die meisten Insulaner wohnen in den vier Wohnhäusern der Knudtswarft. Sie hatten pünktlich zu unserer Ankunft einen Kiosk geöffnet, der uns Snacks, Getränke und Souvenirs verkaufte. An den Hängen der Ringdeiche blühte eine bunte Blumenwelt, so etwas haben die gewöhnlichen Deiche auf dem Festland nicht.

Auf der Kirchwarft dagegen stehen die Grundschule, die Lehrerwohnung und (wenig überraschend) die Kirche. Im selben Jahr, als wir die Insel besuchten, schlossen die letzten Gröder Kinder die Grundschule ab und setzten ihren Bildungsweg auf dem Festland fort. Seitdem steht die Schule leer.

Die Kirche ist übrigens schon die siebte seit dem Großen Ertrinken von 1362. Damit der nächste Sturm sie gar nicht erst findet, tarnt sich die Kirche als gewöhnliches Haus mit Reetdach. Von innen sieht die Kirche im Schafspelz aber durchaus kirchlich aus, wenn man von der niedrigen Decke absieht. Wie so oft in Norddeutschland hängt ein Modellschiff von der Decke.

Schade, dass es auf Gröde keine Gröndschüler mehr gibt (also, außer wenn das Schiff für ein paar Stunden welche herankarrt). Droht die Insel also auszusterben, ähnlich wie Neuwerk? Mitnichten, diese Insel ist voll - für neue Einwanderer gibt es gar keinen Wohnraum mehr!

Erst vor wenigen Jahren zog wieder eine neue Familie ein (nur halt ohne Grundschulkinder). Die Einwohnerzahl wuchs dadurch um 43 Prozent. Das heißt, von 7 auf 10. Seitdem ist Gröde nicht mehr die kleinste Gemeinde Deutschlands, sondern teilt sich den Titel mit Dierstedt (NRW). Sogar beim Bürgermeister handelt es sich ursprünglich um einen Historiker aus Berlin, der in einem Anfall von akuter Stadtflucht das Haus seines Onkels kaufte. Er ist komplett begeistert und möchte einem Interview zufolge auf keinen Fall zurück.
Aber womit verdienen die Bewohner ihr täglich Brot? Soo viel Geld haben wir ja nun auch nicht am Kiosk gelassen. Auch das bisschen Landwirtschaft wirft nicht genug ab. Die neuste Familie wollte hier einen Onlineshop aufbauen, was aber nicht so recht klappte. Stattdessen versucht der Bürgermeister, ihnen einen staatlichen Job im Küstenschutz zu besorgen, wie ihn auch die meisten anderen Insulaner haben.


Gröde ist der kleinste Wahlkreis Deutschlands. Achten Sie mal drauf: Bei der Bundestagswahl wird dieser Kreis normalerweise als erstes fertiggezählt und verkündet, wie die zehn Gröder gewählt haben.
Für die Insel selbst wird ein Bürgermeister gewählt, aber kein Gemeinderat. Wozu auch? Es treffen sich einfach alle zur Gemeindeversammlung wie die alten Griechen. Und zwar im Wohnzimmer des Bürgermeisters, denn das neue Gemeindehaus lässt noch auf sich warten. Man finde erst einmal einen Bauunternehmer, der seine Maschinen freiwillig auf diese Insel schifft!

Weiter hinten wird Gröde ein bisschen wilder. Ein Priel spaltet die Insel, als hätte ein göttliche Riesenaxt reingehauen. Dabei war es eher andersrum:
Ursprünglich gehörte das ganze Land zum Festland. Das ist nicht mehr so wegen, Sie erraten es, unserem üblichen Verdächtigen, der Sturmflut. Ein paar Jahrhunderte lang lagen die Halligen Gröde und Apelland nebeneinander, getrennt durch einen Priel. Anfang des 20. Jahrhunderts unterbrachen die Menschen zum Küstenschutz den Priel mit einem Damm, und die Inseln wurden verbunden. Nicht, dass auf der anderen Insel Menschen gelebt hätten, aber immerhin hatten sie mehr Platz für ihre Schafe - auch ein Grund, die Weidevereinigung zu feiern.

Obwohl das Schiff die meiste Arbeit gemacht hat, ist so eine Ausflugsfahrt durchaus anstrengend.
Ungefähr so reagierte übrigens auch damals die achtjährige Tochter des Berliner Historikers, als man ihr eröffnete, sie würde nach Gröde ziehen.

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