NEU! Das Bergparkleuchten - leuchtende Wasserfälle in Wilhelmshöhe

Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

26 April 2022

Havel: Von Klein Quassow nach Blumenow

Havelgeschwafel II: Das Holzgeholper
Bester See bisher - Die Stadt der Steine - Barrierefrei mal anders - Spaß mit Eis und Flaggen - Die Wasserstadt - Lieber Hier Name einfügen, dein Weihnachtsmann - Seenschluss und Schleusenstart - Omas Biogalgen - Warum die genialste Havellandschaft gar nicht am Havelradweg liegt

Während die anderen den direkten Weg in die Stadt einschlugen, machte ich auf den Umweg durch die Havelberge. Hinter einem Bahngleis erwarteten mich die... nein, Berge kann ich das nicht nennen, aber mich erwartete eine hübsche Hügelkette mit einem bezaubernden Nadelwald obendrauf, die im Licht der Morgensonne erstrahlte. Ah, schön! Da war ich doch gleich viel motivierter als gestern.

Mein erstes Zwischenziel waren eigentlich nicht die Berge, sondern

Havelsee Nr. 15: Woblitzsee

Endlich mal ein richtiger Seenradweg, das muss ich doch ausnutzen! Ich bin eine Etage über dem Wasser geradelt und genoss die Aussicht über den länglichen See und seine Steilufer. Zugegeben, die Hecken versuchten ziemlich oft, diese Aussicht zu blockieren - aber weil sie sich noch im grauen Winterschlaf befanden, hatten sie keine Erfolg. Das Blau zwischen den Zweigen blieb die ganze Zeit erhalten.


Und ist dieser schöne See auch zugänglicher als der Labussee? Nicht wirklich. Erst kurz vor der Stadt tauchte die erste strandartige Stelle auf, und die gehört einem Ruderclub, der keine Nicht-Ruderer toleriert.

Heute erwartet uns eine lange Strecke mit zwei Städten, die zu 50 Prozent hübsch und zu 50 Prozent heruntergekommen sind. Die erste Stadt heißt Wesenberg. Das Wesen auf dem Berg von Wesenberg stellte sich als freundliche Hündin heraus, die ihr eigenes Hinweisschild bekommen hat (mal was anderes als die üblichen ACHTUNG, BLUTRÜNSTIGER HUND, DER SIE SOFORT ZERFETZT!!!-Schilder).
Kaum hatten wir den Text gelesen, tappte die Hündin auch schon ans Tor heran und erwartete Streicheleinheiten.

Wesenberg hat sogar eine Burg aus Stein - wurde auch mal Zeit, bisher bestanden alle Havelburgen aus Holz, weshalb von ihnen praktisch nichts mehr zu erkennen war.

Als wir die Kirche ansehen wollten, stand plötzlich ein Sarg vor der Tür. Auf die Frage, ob die Kirche geöffnet sei, antwortete ein Bestatter: "Ist grad schlecht."

Diese Findlinge wurden per Gletscher aus Schweden angeliefert. Der vorne links ist zum Beispiel ein Uppsala-Granit. Wenn der einem auf den Fuß fällt, sagt man vermutlich mehr als nur "Uppsala".
Die Steine werden in einem Findlingsgarten zu Anschauungs- und Sicherungszwecken gelagert. Keine Ahnung, wovor die gesichert werden müssen - Taschendiebstahl jedenfalls nicht.

Hinter Wesenberg durchquert die Havel drei weitere Seen, die wir nicht zu sehen bekamen. Der Havelradweg umrundet sie weiträumig.

Havelsee Nr. 16: Drewensee
Havelsee Nr. 17: Finowsee
Havelsee Nr. 18: Großer Priepertsee


Warum, weiß ich auch nicht. An der Wegqualität kann es jedenfalls nicht liegen - denn viel schlimmer kann es nicht mehr kommen. Wie die reinsten Volltrottel folgten wir der Karte auf einen nervigen Zickzackkurs durch die Wälder. Der Weg ist entweder ein Trampelpfad oder total sandig oder einfach nur ein beliebiges Stück Waldboden, das ein bisschen waagerechter ist als der Rest des Abhangs.
Den Wald zieren viele kleine Seen, die nicht mit der Havel verbunden sind. Es ist, als hätte Gott viele blaugrüne Kleckse im ganzen Wald verspritzt. Die Kleckse haben sich tief in die Erde eingegraben, weshalb wir das eine oder andere Steilufer hinaufschieben musste. Uff! Entsprechend haben wir viele Pausen eingelegt. Die Temperatur ist gefühlt um etwa 20 Grad gestiegen, was aber immer noch nicht genug ist, um uns in die Klecksseen reinzukriegen. Eine alternative Beschäftigung besteht darin, Bäume für all jene, denen das Klettern schwerfällt, mit einer fast barrierefreien Rampe (links im Bild) auszustatten.

So wunderschön die Landschaft auch ist - wenn ich die Strecke nochmal fahren müsste, würde vielleicht lieber die Abkürzung auf der Straße nehmen. Seen und Wald gibt's an der Havel sowieso mehr als genug.

Eine kleine, aber ungewöhnlich hohe Kuriosität am Wegesrand ist diese Windturbine, die sich zu einem unbekannten Zweck emsig im Kreise dreht.

Endlich, endlich hatten wir die verflixte Holperstrecke hinter uns und gelangten auf eine kleine Nebenstraße. Sie folgt im großen Abstand dem nächsten See. Irgendwo dort überquerten wir die Grenze von MV nach Brandenburg. Glaube ich. Ausgeschildert war da nichts.

Dann gerät hinter ein paar Gärten der erste brandenburgische See in Sicht. Sein Name verrät bereits alles über seine Form.

Havelsee Nr. 19: Ellbogensee

Dieser See bildet nun die Grenze von Brandenburg und MV. Die beiden Bundesländern haben offenbar eine besonders befremdliche Corona-Tradition übernommen - den Ellbogengruß. Kein Wunder, dass Christian Drosten hier campen geht.

Der nächste See ist einfach nur rund und hat eine besonders große Strandwiese. Daumen hoch für den

Havelsee Nr. 19: Menowsee


Seit wann ist die Havel denn schon so breit? Riesige Bootsschuppen säumen ihr Ufer. Während alle Boote, die wir gestern gesehen haben, ungenutzt im Schuppen verstaubten, sind heute tatsächlich einige Paddler unterwegs. Liegt es daran, dass wir immer tiefer ins Paddelrevier eindringen? Nein, vermutlich am Wetter.


In Steinförde gönnten wir uns selbstgemachtes Softeis und einen Liegestuhl. Das Motto von Steinförde lautet allem Anschein nach Spaß mit Flaggen. Überall flattern Fahnen der Ukraine, Deutschland, Ukraine, EU, Ukraine, Brandenburg und nochmal Ukraine. Das ist nicht die Art von Beflaggung, die ich in der tiefsten brandenburgischen Pampa erwartet hätte.
(Am Morgen des nächsten Tages sollte ich das Gegenstück sehen: Einen Garten, auf dessen Flaggen die Farben Schwarz, Weiß und Rot dominierten. Vermutlich ist es gut, dass diese beiden Gärtner keine direkten Nachbarn sind.)

Der Rest der Etappe ist das genaue Gegenteil der Holperstrecke. Es ging zwar weiter auf und ab, aber auf perfektem Asphalt und außerdem schnurgeradeaus. Wilder Wald heißt eben nicht zwangsläufig, dass man auf Fahrkomfort verzichten muss. Auf einer Achterbahn würde man eine solche Strecke als Camelbacks (Kamelrücken) bezeichnen. 

So erreichten wir die ersten Villen von Fürstenberg. Sie stehen in traumhafter Lage am

Havelsee Nr. 20: Röblinsee


Fürstenberg nennt sich Wasserstadt. Zu Recht? Mal überlegen: Von außen ist die Stadt von Seen umzingelt und innen von Flüssen durchzogen. Jap, Wasserstadt trifft es, auch wenn Fürstenberg natürlich kein Venedig ist.
Die Havel teilt sich in einen großen und viele kleine Arme auf. Die heißen Gänsehavel, Priesterhavel und Schulhavel. Das auf dem Bild ist die Gänsehavel, glaube ich. Es schwammen zwar keine Gänse drin, aber auch keine Priester oder Matheaufgaben.
Alle Flussarme versuchen, zum nächsten See vorzudringen. Vorher muss jeder noch mindestens eine Wassermühle oder Schleuse überwinden.


Es folgen zwei weitere Seen östlich der Stadt.

Havelsee Nr. 21: Baalensee (im Bild)
Havelsee Nr. 22: Schwedtsee


In Fürstenberg hatten wir die Wahl, ob wir a) der Radroute durch ein Labyrinth aus Kopfsteinpflaster, Nebenstraßen und kleinen Brücken folgen oder b) denken Ach, was solls, uns zum Verkehr auf die zentrale Straße quetschen und die Hälfte der Strecke sparen. Ab dem Marktplatz wechselten wir zu b), um heute noch aus der Stadt rauszukommen.

Auf dem Marktplatz von Fürstenberg ragt eine eckige Kirche in die Höhe. Wir kauften ein in einem Gebäude, das nach einer Mischung aus Festung und Parkhaus aussah, sich jedoch als Netto herausstellte. Sodann verzehrten wir ein gesundes Mittagessen, das unsere Radlerkörper in Form hielt. (Nämlich Döner. Ich habe nicht gesagt, dass es sich um eine gute Form handelt.)

Hinter Fürstenberg wurde es komisch. Alles ist abgesperrt, Schilder warnen vor Sprengfallen im Boden. Ein Panzer steht am Wegesrand, danach ein paar hübsche, verfallene Häuser. Wer mag hier gelebt haben? Vermutlich ein paar nicht sehr freundliche Aufseher.

Dann öffnet sich das Blickfeld, und auf einmal erstreckt sich neben dem Radweg eine riesige Einöde, auf der verloren ein paar Holzbaracken herumstehen. Hier stand das Konzentrationslager Ravensbrück. Meine Güte, war das riesig! Die anderen Gedenkstätten, die ich gesehen habe, kamen mir längst nicht so groß vor (und man konnte sie nicht von einem Radweg aus sehen). Unheil flimmerte in der warmen Luft. Wir fühlten uns nicht sehr wohl und fuhren schnell weiter.

Da sich jemand aus unserer Truppe nicht ganz fit fühlte, wechselte er in Fürstenberg spontan auf ein Leih-E-Bike. Ausgerechnet auf dieser Strecke haben wir das alle mal ausprobiert und kamen wirklich unnatürlich schnell voran. Dabei hilft es eigentlich nur bei den ersten paar Pedaltritten, bis man richtig Fahrt aufgenommen hat - aber schon das macht einen gewaltigen Unterschied.

Nur wenige Kilometer entfernt liegt Himmelpfort. Dort steht ein Weihnachtspostamt, in dem man sogar übernachten kann. Wir hatten überlegt, genau das zu tun, aber dann wäre die morgige Strecke zu lang gewesen. Das hier ist einer der fünf Orte in Deutschland, wo Kinder ihre Wunschzettel an den Weihnachtsmann hinschicken, um denselben 0815-Antwortbrief erhalten, in dem im Idealfall ihr richtiger Vorname eingetragen ist.

Natürlich ist der Name Himmelpfort viel älter als die Idee des Weihnachtsmannes. Der Sage nach war Markgraf Albrecht III. auf der Flucht vor nicht näher definierten Feinden, als ihn die Jungfrau Maria an dieser Stelle auf nicht näher definierte Weise rettete. Albrecht rief: "Das ist die Pforte des Himmels!"
Zack, hatte der Ort einen Namen und ein paar Zisterziensermönche bekamen zum Dank ein neues Kloster spendiert. Sie bauten sich zwei Kirchen mit komplett verschiedener Innendekoration. In der einen wuchern Schlingpflanzen über die alten Mauern, in der anderen Bauzäune. Ich persönlich finde ersteres ein bisschen malerischer, aber das ist natürlich eine Frage des persönlichen Geschmacks und vielleicht auch der Glaubensvorstellungen.

Auch Himmelpfort ist von Seen umzingelt, zur Havel gehört allerdings nur

Havelsee Nr. 23: Stolpsee

Der Stolpsee beherbergt ungewöhnlich viele Motorboote und ist der letzte Havelsee. Vorerst.

Ach ja, die Radwege sind nach wie vor traumhaft geblieben. Ein Gürtel aus Bäumen schützte uns vor den Abgasen der Straße.
Am Wegesrand krümmt sich ein 600 Jahre alter Baum dem Himmel entgegen. Er heißt Großmuttern a.k.a. Schwedeneiche. Der zweite Name könnte daher kommen, dass schwedische Soldaten im Dreißigjährigen Krieg seine Äste als nachhaltigen Bio-Galgen benutzten. Äh... bleiben wir lieber bei Großmuttern.

Die meisten Haveldörfer sehen ungefähr so aus: Eckige Fachwerkkirche, abgeschnippelte Stümpfe von Weiden und angenehme Streifen aus Pflastersteinen, die Radfahrern das Kopfsteinpflaster dazwischen ersparen. Vor allem für letzteres bin ich dankbar.

Kaum ist das Land der Havelseen zu Ende, beginnt das Land der Havelschleusen. Die erste Schleuse steht in Bredereiche und ist ungewöhnlich grün - die reinste Wiesenschleuse.

Nun teilen sich die Wege. Die offizielle Radroute macht einen Bogen nach Westen in Richtung Dannenwalde, obwohl die Havel da nicht langfließt.
Wir haben den direkten Weg durch Blumenow genommen, weil wir dort eine tolle Ferienwohnung gemietet haben.
Kurz vorm Ziel radelten wir an der abweisenden, etwas ollen Riesenfassade eines langen Gutshauses vorbei. Müssen wir da wirklich durch? Ja, da ist ein Schild! Zögernd radelten wir durch die Einfahrt - und standen plötzlich in einem Paradiesgarten. Ich weiß, ich nehme alle Ortsnamen immer viel zu wörtlich - aber der Name Blumenow passt hier wirklich super.
Auf dem Schornstein thront ein Nest, in dem seit 50 Jahren Störche klappern. Das Nest ist 1,6 Meter groß. Behauptet zumindest eine Hinweistafel, bei der eventuell ein Komma verloren gegangen ist.

Auf derselben Tafel steht irgendwas von einem Gutshof, der zuletzt einem Holländer gehörte und 1946 abbrannte.
Und tatsächlich entdeckte ich im Garten eine geheimnisvolle Ruine, umrankt von Efeu und Bäumen. Sogar ein künstlicher Teich und eine Bogenbrücke gehören dazu - hat hier etwa ein römischer Senator gewohnt? Oder sind das die Überreste des abgebrannten Holländerhauses? Wenn ja, hat der Regen den Ruß längst abgewaschen.
Nach sorgfältiger Prüfung der Statik (einmal dagegenklopfen), entschied ich der Osterhase, dass die Ruine ein qualifiziertes Osterversteck darstellt. Hinzu kam ein Haufen Ziegelsteine im Garten, der thematisch hervorragend zur nächsten Tagesetappe passt.
Dann erfahren wir nämlich, woher die Ziegel kommen, aus denen die Ruine besteht.
 

Und wo ist jetzt eigentlich die Havel? In Blumenow jedenfalls nicht. Die Havel will noch nicht in die hektische Metropole Berlin. Deswegen macht sie erstmal einen Bogen ganz weit nach Osten, in eine richtig, richtig ausgestorbene Gegend. Kein Radweg führt hier entlang, jedenfalls keiner, den man von unserer Seite ohne Weiteres erreichen könnte. Ich habe Glück, dass ich diesen Teil der Havel bereits kenne.
Drei Schleusen und eine Ziegenkäserei mit köstlichen Käseplatten säumen das Flussufer. Ansonsten: Stille, nichts als das Rauschen des Windes in den Nadeln und endlose Schleifen des Flusses durch die abgelegenste Stelle der Uckermark.

Und doch verbirgt sich genau hier eine erstaunliche Landschaft, die anderswo zur absoluten Sehenswürdigkeit geworden wäre. Erschaffen wurde sie von (da kommen Sie nie drauf) sowjetischen Panzern. Von deren Anwesenheit zeugen auch zugewachsene Bunker, deren Dach man über eine Treppe besteigen kann, sofern man keine allzu strengen Ansprüche an Treppenstufen hat. Oder überhaupt irgendwelche Ansprüche an Treppenstufen. Also genau genommen ist das eine steile Rampe aus Kies, und hier und da guckt die bröckelnde Kante einer Betonstufe raus.
Die Panzerfahrer haben beim Training jahrzehntelang die Bäume plattgewalzt und damit so ungefähr das Beste geschaffen, was die Sowjetunion in Deutschland nach 1945 je bewirkt hat.

Hier wächst die Schorfheide. Diese Heidelandschaft kann es locker mit den großen Flächen der Lüneburger Heide aufnehmen, aber kein Schwein kennt sie.
Sprich: Im August schimmert hier alles in strahlendem Lila. Aber das folgende Foto entstand im Juni, und da dominiert eine ganz andere Pflanze: grün-blau-pinkes Gras. Also die Art von Natur, die man anderen gegenüber gar nicht wahrheitsgemäß beschreiben kann, weil sonst Rückfragen wie "Was hast du geraucht?" kommen. Das normale Heidekraut ist noch dunkelgrün, wird aber verdrängt von diesen seltsamen Gräsern, die ich eher auf dem Meeresgrund erwartet hätte.

Für das perfekte Naturerlebnis empfehle ich kurze Hosen, um in intensiven Kontakt mit der Umwelt (Zecken, Brennesseln und Mücken) zu kommen (nicht direkt in der Heide, sondern im nahen Wald). Auf unnötigen Ballast wie zum Beispiel Karten sollte verzichtet werden. Da kein Handyempfang bis hierher reicht und keine Wegweiser herumstehen, wird die Erlebniswanderung so deutlich länger, egal ob Sie wollen oder nicht. Das ist Absicht. Der NABU stellt auf diese Weise sicher, dass nicht zu viele in diese unberührte Natur besuchen (ja, auch indem er den Ausbau des deutschen Mobilfunknetzes verhindert, ganz bestimmt).

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