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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

28 April 2022

Havel: Von Zehdenick nach Oranienburg

Havelgeschwafel IV: Die Stadtfluchtstrecke
Die Kanalleesation des Havelradwegs - Rosarote Leere - Der ultimative Knick - Havel oder Kanal? - Schleusenschluss und Seenstart - Die Stadt der Adligen - Was Oranienburgs wahres Geheimnis ist und welche Wasserrutschen es einschließt

Heute teilt sich das Wasser in Havel (links im Bild) und Voßkanal (rechts) auf.

Darum hatte dieser Tag endlich mal den Charakter eines Flussradwegs. Nur dass wir streng genommen nicht am Fluss gefahren sind, sondern eben am Voßkanal. Die eigentliche Havel ist rechts hinten anhand der Schlängellinie aus Bäumen zu erkennen.
Aber wen interessierts? (Ja, ich weiß, mich, und sonst niemanden.) Stundenlang radelten wir geradeaus am Wasser entlang, was für ein Traum. Am Wegesrand zeigten die Birken ihre ersten zarten Blätter. Ab und zu passierten wir seltsame Engstellen mit Kopfsteinpflaster. Die störten uns nicht weiter, denn der Radweg war relativ leer. Noch.

Während einer Schleusenpause beobachteten wir, wie das Wasser in die untere Etage blubberte.
Die Schleusentore haben folgende Gemeinsamkeit mit Menschen, die bei solch traumhaftem Wetter nicht Fahrrad fahren: Sie sind nicht ganz dicht. Ein frecher Sprühregen plätschert aus dem Türspalt nach unten.

Das Städtchen Liebenwalde ist ausgesprochen sauber und ordentlich. Was daran liegt, dass hier anscheinend keine Menschen leben. Zumindest keine, die einen wundervollen Ostermontag zwischen den Pflastersteinen ihrer Stadt verbringen wollen.

In der Kirche auch nicht. Wo sind die alle hin?

Hier sind sie! Der Radweg füllt sich immer mehr. (Aus Datenschutzgründen nehme ich trotzdem ein Bild, wo er leer ist.) Die meisten Radler kamen uns entgegen. Wow, die Berliner haben es echt eilig, ihrer Stadt zu entkommen!
Dieser Radweg ist auf jeden Fall eine supersichere Fluchtroute. Er verläuft nicht mehr am Wasser, sondern einmal schräg durch den Wald.

Ganz idyllisch neben dem Grabowsee befinden sich die Überreste einer Lungenheilanstalt.
Müssen wir da rein? Mal schauen: Die bisherige Strecke war total einfach. Atemnot? Keuchen? Fehlanzeige! Also weiter.

Anschließend sind wir an einem neuen Wasserlauf herausgekommen. Da stellt sich erstmal die Frage: Havel oder Kanal? Die Frage enthält bereits die Antwort: Es ist der Havel-Oder-Kanal. Der hat sich mit dem Voßkanal vereinigt, also ist da zur Hälfte auch Havelwasser drin.
Die Berliner Stadtfluchtroute a.k.a. Havelradweg geht also auf einem weiteren wunderbaren Wasserweg weiter. Diesmal ist das Wasser doppelt so breit und von ordentlichem Nadelwald umgeben. Diese Strecke hat mich sehr an den Stichkanal Osnabrück erinnert. Es fehlt eigentlich nur die Flotte aus Stand-Up-Paddlern. 
Am Ufer des Kanals gab es Reis mit Curry aus dem Campingkocher. Wer den besonderen K(n)ick beim Essen sucht, setzt sich nicht auf die Bank, sondern auf einen sehr dünnen, umgestürzten Baum, welcher vielleicht zerbricht oder auch nicht.

Nach einigen Kilometern passiert der Kanal die Lehnitzschleuse. Sie hat ein großes weißes Tor-Durchgangs-Dingsbums und ist deswegen die beeindruckendste Schleuse bisher.

Hinter der Schleuse wird aus dem Kanal

Havelsee Nr. 25: Lehnitzsee

Von allen Havelseen hat dieser hier den bislang schönsten Seenradweg. Ein Gürtel in den unterschiedlichsten Grüntönen säumt seine Ufer. Die kleinen Bäume treiben hellgrüne Knospen, die großen werden vom dunkelgrünen Efeu erwürgt. Hach ja, der Kreislauf des Lebens.

Später lösen einfarbige Wiesen den Baumgürtel ab. Hier könnten wir eigentlich wirklich mal im See baden geh... oh, eine Spaßbad!
Die Oranienburger Schwimmhalle ist nicht allzu groß (in Relation zum Eintrittspreis), doch die Rennrutsche ist in der Lage, innerhalb von drei Minuten und 48 Sekunden mürrische Teenager in ambitionierte Wettrutscher zu verwandeln.

Das Bad nennt sich aus irgendeinem Grund TURM. Das bezieht sich anscheinend auf diesen Wasserturm, der überhaupt nicht Teil des Bades ist, sondern bloß in der Nähe herumsteht.

Bisher kannte ich von Oranienburg bloß den ollen Bahnhof und den langweiligen Bahnhofsvorplatz. Für diese Tour hatte ich mir ein ambitioniertes Ziel gesetzt: schöne Ecken in Oranienburg zu finden.
Für Radfahrer bietet die Stadt ein riesiges Parkhaus und breite Radwege. Das ist praktisch, aber schön kann man dieses Grau in Grau noch nicht nennen.

Vom Bahnhof aus bin ich dem Louise-Henriette-Steg gefolgt, und auf einmal wurde die Stadt wieder grüner. Kurz darauf erreichte ich eine Fußgängerbrücke über die Havel (also dem Teil der Havel, der kein Kanal ist). Weil die Brücke ein bisschen nach oben geht, nannte man sie auch Schwindsuchtbrücke. (Ernsthaft? So steil ist sie nun auch wieder nicht, da kenne ich echt steilere.)
Wer ist diese Louise, nach der dieser Radweg plus Brücke aus dem Jahr 1895 benannt wurde? Sie war Kurfürstin - und Niederländerin. (Da hätte ich auch selbst drauf kommen können - bei dem Radweg!) Ein Schild erzählt, sie habe Oranienburg mit Mut und Toleranz auf nicht näher definierte Weise modernisiert.

Später lebten in Oranienburg andere Adlige, die Hohenzollern. Die waren noch mächtiger, aber nicht ganz so fortschrittlich eingestellt.
Ein Uferweg führt zum Schloss hinauf, das weißer strahlt als die Zähne eines Zahnarztes. Dort oben verwandelt sich das Ufer in Betonmauern (um das Schloss vor dem Wasser schützen vielleicht). Trotzdem macht die "richtige" Havel ähnlich viel her wie der Kanal/Lehnitzsee. Wieso führt der Havelradweg eigentlich nicht hier lang?

Ergebnis: Es gibt tatsächlich schöne Stellen in Oranienburg, aber ausschließlich am Wasser. Im Grunde wie in Zehdenick, nur noch extremer. Sobald ich mich von der Quelle des Lebens entfernte, wurde die Stadt auf der Stelle.... lebloser. 

Freilich kann Oranienburg auch noch viel dunkler sein: Im Vorort Sachsenhausen befindet sich die Konzentrationslager-Gedenkstätte, die nicht nur in Ken Folletts Romanen vorkommt, sondern in die vor allem auch Schüler aus dem Einzugsgebiet Nordostdeutschland geschafft werden, um ihnen zu zeigen, dass sie sich für immer für ihr Land schuldig fühlen müssen wozu normale Menschen unter der falschen Führung imstande sind. Der düstere Eingang Tor A wurde komplett nachgebaut. Innendrin stehen oft nur verfallene Mauern. Was aber ausreicht, wenn erklärt wird, wozu genau diese dienten.

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