Hinter der zweiten Staumauer wird der Privodný kanál zum Odpadový kanál (Müllkanal?). Aus irgendeinem Grund ist er genauso breit wie oberhalb der Mauer. Wirklich eine seltsame Stauanlage.
Ein paar Kilometer weiter vereinigt sich das alte Flussbett (hinten) mit dem Odpadový kanál (rechts), womit wir wieder eine einheitliche Donau hätten, auf der jetzt auch die Grenze nach Ungarn verläuft.
Am slowakischen Nordufer wurden wir nach wie vor auf dem Deich gebacken, auf der einen Seite Bäume mit zu viel Abstand, auf der anderen tote Dörfer. Nur ein einziges hatte ein Bufet, und an dem fuhren mein vorauspreschender Bruder und ich schnurstracks vorbei.
Und Badeseen? In Klížska Nemá sollte es einen geben. Aber wo ist kristallklare Blau von gestern geblieben? Der schmutzige Kies bricht abrupt ab in eine kotzgrüne Suppe. Dass mitten an einem Samstag kein einziges Dorfkind da drin baden wollte, stimmte uns skeptisch.
Schatten? Gab es auf dem Radweg insgesamt zweimal für jeweils fünf Meter.
Rasthütten? Das hier war die einzige. Immerhin zur Hälfte im Schatten, doch um reinzukommen, musste man sich ducken, und die Hitze staute sich unter dem Teerdach.
So wurde dieser Tag und nicht der letzte zum anstrengendsten der ganzen Tour.
Naja, immerhin bestand fast alles aus Asphalt oder brauchbaren Betonplatten. Lieber so auf dem Deich gebacken werden als auf den längeren Dorfstraßen, wo laut Karte manchmal die Hauptroute verläuft.Trotzdem ist es tragisch. Was die Qualität des Radwegs angeht, scheint Wien-Budapest die beste Staffel des Donauradwegs zu sein, und was die Infrastruktur drumherum angeht, bisher die schlechteste. Solch einen Gegensatz habe ich noch nie erlebt.
Kein findiger Unternehmer traut sich, in einem der leerstehenden Häuser eine Radlerunterkunft zu öffnen. Für wen habt ihr dann diesen Asphaltweg auf den Deich gegossen? Für lokale Rennradler? Davon zischten viele vorbei, auf jeden Fall mehr als die Tourenradler, von denen erst ab 11 zaghaft ganz wenige herauskamen. Aber ist ja auch gut, wenn die Menschen vor Ort etwas von den EuroVelo-Radwegen haben.
Immer wieder fielen uns rätselhafte weiße Steinreihen auf. Da hat jemand mit den Grenzsteinen aber komplett übertrieben. Trennen die die Gemarkungen der Dörfer voneinander oder nur Privatgrundstücke? Egal, es ist zu heiß, um darüber nachzudenken.
Die andere Idee: Einfach wieder in der wiedervereinigten Donau baden. Das Wasser ist zwar nicht unbedingt klarer (auch nicht bedingt), doch nach dem Zusammenfluss entdeckten wir wieder erstaunlich schöne Strände mit Sand, Muscheln und Baumwurzeln, die bis ins Wasser ragten. Die Fahrrinne für Schiffe lag auf der anderen Seite, und so sind zumindest ein paar Schwimmzüge in Ufernähe unter diesen Umständen hoffentlich verzeihlich. Die Gegenstromanlage war eingebaut, denn die Strömung war verdammt stark, die Wellen des einzigen Lastschiffs dagegen noch relativ zahm.
Was also tun, um die Familie heil durch das slowakische Bratblech zu bringen?
Es hilft nichts: Immer wieder runter vom Deich und im Schatten der Bäume ausruhen. Und nochmal. Und nochmal.
Abgesehen davon fanden wir noch zwei andere Ansätze.
Am staubigen Rande der Hauptstraße nach Gabčikovo saß eine einsame Frau an einem Melonenstand. Die Melonen sahen tatsächlich gut aus (auf jedem Fall viel besser als die fliegenübersäten aufgeschnittenen Melonen auf dem Bauernhof ein paar Kilometer vorher). Sie pickte für uns die kleinste heraus, die immer noch verdammt groß war und happige 13 Euro kostete. Mit Ach und Krach bekamen wir sie provisorisch für ein paar Kilometer in meine Fahrradtasche. Ob das eine gute Idee war?
War es. Wir schnitten, schlürften und löffelten das Obst zu viert leer, und sie war so süß und saftig, wie eine Wassermelone nur sein kann, möglicherweise die perfekte Melone. Mit vollem Bauch, satt und das genaue Gegenteil von dehydriert, lagen wir im Gras, und ich konnte nicht anders, mir entwich ein Melonenrülpser. Nur die Idee, die halbe Schale als Helm zu tragen, trug keine Früchte. Für die ersten Kilometer kühlte er noch, dann heizte er sich viel stärker auf als ein Fahrradhelm. Außerdem denken dann alle, man hätte das berühmte Melonen-Fahrradhelm-Experiment komplett missverstanden.
Als ich bis zum Hals im Wasser steckte, hörte ich folgendes: Rrschschsch... Es war das endlose Rauschen der Donaukiesel am Grund, der Gesang des Flusses, aber eben auch, wie Andreas Fath es über den Rhein formuliert hat, "eine große Plastikmühle".
Wobei die Slowakei in der Hinsicht gar nicht so schlimm zu sein scheint. Nach einer Weile fuhren zwei Autos vorbei und parkten direkt am Strand, packten bei laufendem Motor Liegestühle und einen Grill aus. Die waren eindeutig gekommen, um zu bleiben, zumindest länger als wir. Wenn die hier öfter so was veranstalten, dann ist es bemerkenswert, dass wir an diesem herrlichen Strand überhaupt keinen Müll gefunden haben.
Schließlich guckte am anderen Ufer ein fetter skeptischer Kreis aus Backsteinen mit grünem Dach herüber, das Fort Monostor. Es stammt von 1850, damit ist es die größte neuzeitliche Festung in Europa.
Das Fort ist Teil der ungarischen Stadt Komárom, die sich ansonsten mit ein paar Kirchtürmen und Blocks eher bedeckt hält. Aber gut, bei einem derart breiten Fluss kann man nicht erwarten, allzu viel zu erkennen.
Wie gehen die Slowaken sonst mit der Hitze um? Machohaft und nicht unbedingt auf die schlauste Art. Viele radeln oberkörperfrei oder im Bikini. Sonnencreme ist unerwartet teuer und scheint nicht so wahnsinnig verbreitet zu sein. Kurz vorm Ziel kam uns ein Herr in Unterhose entgegen, und seine krebsrote Haut verkündete, dass dem Hautkrebs das gelungen war, woran die Türken einst gescheitert waren: Die Donauufer dauerhaft zu erobern.
Auch scheinen die Slowaken etwas distanzierter und weniger sozial zu sein als die Tschechen. Es dauert, bis sie auftauen - der einzige, bei dem ich lange genug anwesend war, war mein Sitznachbar im Nachtzug nach Wien auf der Anreise. Meine Mutter war sehr froh, dass sie einen Tschechen geheiratet hatte.
Als das Nordufer an die Slowakei ging, wurde diese Stadt in zwei Hälften geteilt, und damit man die auch auseinanderhalten kann, heißt der slowakische Teil Komárno. (Obwohl der Name wahrscheinlich von komár, also Mücke, kommt, nahm die Mückendichte mit der Einfahrt in die Stadt rapide ab.) Eine neue Straßenbrücke, eine Eisenbahnbrücke und schließlich eine alte Straßenbrücke verbinden die beiden - erst gibt es ewig keine Brücken und dann gleich ganz viele auf einen Streich. Eine davon muss die Brücke der Freundschaft sein. Dabei war durchaus wenig Freundschaft zu spüren, als diese Donaugrenze 1918 gezogen und die Stadt geteilt wurde. Der größte Feind waren damals nicht irgendwelche fernen Deutschen oder Russen, sondern der Nachbar direkt gegenüber. Es gab ungeklärte Konflikte um den Grenzverlauf, Aufrüstung und die Befürchtung, dass Ungarn als Verlierer des Ersten Weltkriegs sich das verlorene Ufer (auf dem eine beträchtliche ungarische Minderheit lebte) zurückholen will. Wollte es auch unbedingt, aber durch Verhandlungen. Bei der Konferenz in Komárno 1938 machte die Tschechoslowakei verschiedene Kompromissvorschläge, aber einen so großen Teil ihres Gebiets wollten sie natürlich nicht einfach so abgeben. Weil sie sich auf nichts einigen konnten, wollten sie durch Schiedsspruch entscheiden lassen, und als Schiedsrichter wählten sie zwei ganz objektive, vernünftige Männer namens... Hitler und Mussolini. What?! Beide hatten sich heimlich mit Hitler verständigt und waren sicher, er würde in ihrem Sinne entscheiden. Aber Ungarn hatte zusätzlich Mussolini auf seiner Seite, und der überzeugte Hitler, Ungarn vollumfänglich Recht zu geben. Mit den Ersten Wiener Schiedsspruch kam das Nordufer also nochmal für ein paar Jahre zurück nach Ungarn.
Der Platz wurde nach General Georg Klapka benannt, der da auch als Statue rumsteht. In seiner militärischen Karriere stand die Stadt immer wieder im Mittelpunkt, er hat sie gegen Russen und die Revolutionäre von 1848 verteidigt, wurde zwischendurch bei einer Belagerung komplett eingeschlossen und brachte es dabei zum provisorischen Kriegsminister und Abgeordneten.
Neben dem Schiffbau scheint die Stadt noch einen zweiten Wirtschaftszweig zu haben: Goldhandel und Pfandleihen. Die Stadt wimmelt von diesem Geschäftsmodell, das ich eigentlich nur noch aus Geschichten kannte. Im Dönerhandel dagegen bekleckert sich diese Stadt wirklich nicht mit Ruhm, sondern lediglich mit Tatarská und Ketchup.
In der eindrucksvollen Barockkirche haben alle Omis Stammplätze, die an der mit Vornamen beschrifteten Tüte zu erkennen sind. Darin steckt das Kissen, auf dass sie sich im Gottesdienst niederknien.
Von dem Fenster unserer Wohnung sahen wir direkt auf den Europa-Platz, ein etwas versteckter zweiter Marktplatz mit Hinterhof-Aura, der ursprünglich Teil einer Festung war. Um den Springbrunnen stehen die Statuen europäischer Monarchen. Nur der Sockel von Bela III. ist leer. Was hat er angestellt, damit er nicht gezeigt werden darf - eine Punkband gegründet?
Rundherum drängen sich 45 Häuser, die verschiedene Länder und Regionen in Europa repräsentieren sollen. Der genaue Plan, welches Haus welches ist, findet sich nirgendwo online, sondern nur versteckt in einer Ecke am Platz, damit alle erstmal raten. Das deutsche Haus (das Fachwerkhaus rechts) stammt als einziges nicht vom Ende des 20. Jahrhunderts, sondern ist das älteste der Stadt. Wir übernachten allerdings im rosaroten dänischen Haus in einer Wohnung, deren Architekt alles superfancy machen wollte, selbst wenn dafür die Funktion komplett baden geht, oder der komplette Flur, weil die Dusche ausläuft.
Es war damals die größte Festung in Ungarn, und weder das Osmanische Reich noch die Revolutionäre von 1848 schafften es rein. Weder mit List noch mit Kraft soll irgendwo an der Spitze reingeschrieben sein. Mag sein, aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Die Türken gingen einfach außenrum und schafften es so bekanntlich bis kurz vor Wien.
Die Festung steht in der Landspitze zwischen Donau und Váh (Waag), der zentrale Fluss der Slowakei, welcher der Donau jede Menge Wasser aus der Hohen Tatra mitbringt. Quasi die slowakische Moldau.
Unsere Räder stehen heute Nacht in einer Art Wäscheraum.
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