Radfahr'n nach Radvaň macht Spaß. Denn zum heutigen Ziel waren es weniger als 25 Kilometer. Und das brauchten wir auch. Denn als wir die Váh auf einer rostigen Brücke überquert hatten, landeten wir wieder einmal auf dem gleichen heißen Dammweg.
Außer das auf einmal graue Grundmauern neben dem Damm und eine Unesco-Symbol auf dem Radweg auftauchten.
Die Römer schipperten und schnupperten an dieser Stelle auch am Nordufer der Donau vorbei. Während der Markomannenkriege bauten sie ein einfaches Lager und sicherten es mit Erde und Holzpalisaden. Die Germanen fanden das ästhetisch nicht sonderlich ansprechend und äußerten diese Architekturkritik, indem sie alles zerstörten. Als die Kriege ausgefochten waren, baute Rom ein stabileres Lager mit meterdicken Steinmauern. Das hielt dann auch tatsächlich stand, bis sich das Römische Reich im 4. Jahrhundert generell aus der Gegend verzog. Kommandiert wurde es einem Grabstein zufolge von Marcus Vinius Schwanzus Longinus.
Heute ist vom Lager Kelemantia nicht mehr so viel übrig, das Wesentliche kann man eigentlich schon vom Radweg aus überblicken. Ein bisschen lässt sich an der Außenmauer noch ablesen, wo Türme und Tore standen, das war's aber auch schon.
WruummmMMMMMM...!
Ein Speedboat schoss die Donau herunter. Und wieder rauf. Und wieder runter. Ahja, richtig. Diesen eiligen Herrn hatten wir schon vorhin an der Váh-Mündung gehört, doch natürlich war die Fahrt auf diesem Fluss langfristig nicht genug, um sein Selbstwertgefühl aufzuwerten.
Gegenüber lag übrigens ein Lastschiff an einer komischen Betonfestung, vielleicht ein Kriegsüberbleibsel, das nun als Anlegestelle dient.
Diese Etappe ist doch ein bisschen lebendiger: Es gibt eine Fähre rüber nach Ungarn und zwei Imbisse in erreichbarer Nähe, das ist für die Länge okay. Und auch zwei Rasthütten, deren komisch gebogene Dächer aber keinen gescheiten Schatten spendeten. Besser war da schon der kühle römische Wachturm, auch wenn seine Fenster etwas schmuddelig waren. Anders als damals ist er frei zugänglich per Treppe, während in der Antike jemand von oben eine Leiter runterlassen musste. Aber genau wie damals zieht sich ein hölzerner Balkon einmal außenrum. Da drin hatten vier bis fünf Männer Dienst, die den Abstand zum nächsten Lager durch intensives Gucken überbrücken sollten. Anders als damals ist der Turm heute für jeden frei zugänglich.
Oben sahen wir im Prinzip dasselbe wie von unten, nur halt von oben. In der Ferne erschienen neue Blaue Berge - sollen das schon die Berge am Donauknie sein, die wir übermorgen erreichen? Ich weiß ja, dass unsere Tagesetappen jetzt kürzer sind, aber so kurz? Nein, die vordersten Berge werden schon heute erscheinen, allerdings am anderen Ufer.
Ansonsten machte das Thermalbad von Patince Kupele, anders als diverse Bewertungen sagen, auf mich durchaus einen ordentlichen und gepflegten Eindruck. Klar, die ganze Umgebung des Ferienparks, verfallene Betonwege und rostige Kassenhäuschen, deuten darauf hin, dass die Anlage mal ein gutes Stück größer und wichtiger war, vielleicht noch im Sozialismus. Aber das, was erhalten wird, wird auch erhalten.
In Žitava erwarteten uns gleich mehrere Überraschungen: Der Deichweg war zu Ende und ging in die einzige Dorfstraße über. Ein kleiner Weinberg (ohne Berg) erstreckte sich am Wegesrand. Und auf ihn folgte so ein eigenartiges Denkmaldach mit... einem Halbmond drauf? Ich dachte, die Türken waren hier immer die Feinde gewesen?
Okay, aber wieso ist der Deichradweg zu Ende? Mein Bruder war zunächst erleichtert, bis ich darauf hinwies, dass die Dorfstraße keineswegs mehr Schatten bietet.
Unsere Fahrräder übernachten hinterm Bartresen, ebenfalls mit Donaublick.
Neben der Fahrradinfrastruktur nahm auch die Dichte an Störchen und sichtlich abgeschrabbelten Häusern deutlich zu.
Wieso hat eigentlich jedes Kaff hier eine Miniversion des Berliner Fernsehturms? Mapy.cz gab Antwort, es sind Wassertürme. Meine Mutter gab weitergehende Antworten, nämlich, dass die Dinger einst "Steuerknüppel des Sozialismus" genannt wurden.
Bei dem Wetter hat jeder das Bedürfnis nach einem Bad, auch römische Soldaten. Es gibt Berichte, wonach die Römer aus dem Lager Kelemantia gern in matschigen Seen badeten, aus denen 27 Grad heißes Wasser aufstieg. In Patince, am südlichsten Punkt der Slowakei und nur ein kurzes Stück vom Radweg entfernt, beginnt eine Reihe heißer Quellen, die entlang der Donau bis zur Marghareteninsel in Budapest reicht. (Wobei es auch schon in Komárno ein ganz ähnliches Thermalfreibad geben soll, warum das nicht zur Kette gehört, erschließt sich mir nicht.) 1953 wurde intensiv nach dem Wasser gebohrt, und heraus sprudelten neben H2O auch Biocarbonate, Kalzium, Magnesium und Sulfate. Die sollen gut für Muskeln und Skelett sein, was bekanntlich Ausrüstungsgegenstände sind, die man immer gebrauchen kann, nicht nur beim Radfahren.
Nur haben die Sulfate eine gemeine Nebenwirkung: Sie riechen nach den Eiern, die dein Mitbewohner vor dem Urlaub im Kühlschrank vergessen hat. Am intensivsten roch es auf dieser hölzernen Insel auf einer originalen Thermalquelle. Über den Seerosen spritzt und sprudelt das Eierwasser kühl und erfrischend aus einem pilzförmigen Springbrunnen, macht das Holz saumäßig glitschig, lässt die völlig verrosteten Schrauben wie Seepocken aussehen, und riecht.
Allzu lange blieb hier niemand sitzen.
Im Innen- und Außenbereich gibt es verdammt viel Beckenfläche. Ein Wegweiser verweist zur Rutschenwelt, obwohl nur eine einzige langsame Rutschen am Außenbecken steht. Ist diese Rutschenwelt hier mit uns im Raum? Ist sie, mehr oder weniger. Wer den Wegweisern etwa einen Kilometer an leeren Becken vorbei folgt, der erreicht mit verbrannten Fußsohlen tatsächlich diesen Rutschenturm.
Am Imbiss nebenan ließ sich derweil ein deutsch-slowakisches Ehepaar nieder. Der schüchterne Deutsche bat seine Frau, ihm auf Slowakisch ein großes Bier zu bestellen.
Die burschikose Frau entgegnete: "Das schaffst du doch selber. Sag einfach: Jedno. Velke. Pivo. Prosim."
"Nein, mach du lieber."
Das wiederholte sich einige Male, ehe die Frau zum Tresen ging und mit derselben slowakischen Subtilität, die wohl auch für das tschechische Haus in Komárno verantwortlich ist, ein kleines Bier bestellte.
In Žitava erwarteten uns gleich mehrere Überraschungen: Der Deichweg war zu Ende und ging in die einzige Dorfstraße über. Ein kleiner Weinberg (ohne Berg) erstreckte sich am Wegesrand. Und auf ihn folgte so ein eigenartiges Denkmaldach mit... einem Halbmond drauf? Ich dachte, die Türken waren hier immer die Feinde gewesen?
Ja. Und deshalb erinnert das Denkmal an den Frieden von Žitava, als der deutsche Kaiser, der ungarische König Rudolf I. und der türkische Sultan Ahmend I. 1606 ihre Streitigkeiten durch Verhandlungen beilegten. So etwas gab es eben auch.
Unsere Pension in Radvaň nad Dunajom beantwortete die Frage: Kein Platz. Diese Dörfer sind nah am Wasser gebaut. Den Zusatz nad Dunajom ("über der Donau") haben sie sich redlich verdient, indem sie so ganz ohne Angst vor Hochwasser gebaut haben. Andererseits: Der Höhenunterschied zum Wasser ist wahrscheinlich höher als der Deich vorhin. So langsam machen sich die Berge auch auf dieser Seite bemerkbar.
Die Lage ist auf jeden Fall ein Traum, eine Terrasse mit Donaublick hinter jedem Zimmer, eine Donauterrasse am Restaurant, eine grüne Donauterrasse mit Mini-Pool und schließlich ein Donaustrand. Die Deko im Restaurant deutet darauf hin, dass hier oft Hochzeiten stattfinden, und das einzige, was daran keinen Sinn ergibt, ist: Wo sollen die restlichen Gäste unterkommen, sobald alle Zimmer (1 bis 5) voll sind?
Noch immer düsten Sport- und Speedbootfahrer durch die Gegend. Aber auch ein Trio aus Kanufahrern verließ gerade das Restaurant und kehrte zu seinen Booten zurück. Ach, die wollen hier gar nicht übernachten? Warte, wo paddeln die denn jetzt noch hin, die Sonne geht doch schon unter?
Und wie kommen sie überhaupt zurück? Die Strömung ist brutal, stromaufwärts schwimmen konnte ich nur mit großer Anstrengung. Wer entspannt schwimmt, schwimmt rückwärts. Ein paar Meter weiter draußen konnte ich nicht mal stehen, die Donau schleifte zu ihrem ewigen Gesang meine Füße über den Kies. Wie!? Der Rhein war längst nicht so heftig, als er so breit war.
Aber die Kanufahrer wollten ja stromabwärts, also entfernten sie sich schnell und mussten nur symbolisch paddeln. Ah! Das erste Kanu steuerte eine größere Donauinsel an, dort wollten sie bestimmt ihr Zelt aufschlagen. Ihre Nacht wird damit wahrscheinlich ungefähr so malerisch wie unsere.
Später ging der Vollmond auf. Im Nachbarzimmer brabbelten die Kinder, die abends um acht im Restaurant noch Kofola getrunken hatten, unruhig in die Nacht hinaus. Die Grillen zirpten (taten sie schon den ganzen Tag) und die Donau rauschte in erstaunlich lauten Wellen an den Strand. Warum ist das nur nachts so laut zu hören? Selbst von unserem Zimmer aus klingt sie wie ein großer See oder ein kleines Meer. Es ist ein Geräusch des tiefen Friedens, welchen die Eltern der Kofolakinder in diesem Moment vermutlich nicht empfanden.
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