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29 Oktober 2023

Main: Von Aschaffenburg nach Mainz

Mein Main

Das Angebertal endet - Kleinstädte im Kurzvergleich - Ein langer, flacher Windkanalpark - Die Stadt der boomenden Bücher - Kotzgrüne Kartoffeln - Der Turmbau zu Frankfurt - Wie und unter welchen Bedingungen die verschiedensten Mainbrücken errichtet werden - Anderer Adolf als Architekt - Spitzenleistung

Auf meiner Entdeckungsreise durch Hessen darf natürlich auch der größte Strom mit der dazugehörigen größten Stadt nicht fehlen. Den kompletten Main mache ich ein andermal, vorerst belasse ich es beim hessischen Teil. Einmal quer durchs Bundesland, an einem Tag - ob das klappt? Locker!

Beginnen wir also in Aschaffenburg. Ein imposantes Riesenschloss, hohe Mauern und Weinberge über dem Fluss? Klarer Fall, ich muss noch in Bayern sein. Wow! Wie soll Hessen da nur mithalten können?
Dies ist die typische Kulisse einer bayrischen Mainstadt.

Und in Aschaffenburg ist es tatsächlich nur Kulisse, denn hinter der opulenten Vorderseite kommt wirklich kaum noch etwas Sehenswertes zum Vorschein. Nur noch ein Kleidermarkt.

Nah, lieber schnell zurück ans Wasser, wo es prächtig weitergeht mit bewachsenen Felswänden unter dem letzten Mainwein.

Jenseits der Weinberge wird es schon weniger prächtig: Industrie und Irritation säumen die Ufer. Ich schob Betontreppen auf und ab und fragte mich, auf welchem Ufer es denn nun weitergeht. Antwort: Am Südufer. Ab jetzt kann man mit dem Südufer eigentlich nie was falsch machen.
Hinter mir zogen sich die letzten Berge zurück. Der hessische Main ist ein flacher Fluss. Ausgebremst werden die Radfahrer nur vom kräftigen Westwind, falls sie in Richtung Westen zur Mündung fahren.
Im Jahre 1903 gab es hier zwar schon eine Eisenbahnbrücke über den Fluss, aber Fußgänger kamen nicht rüber. Deswegen erhielt ein Fährmann die Erlaubnis, 24/7 hin und her zu fahren, auch nachts. Irgendwie mussten die Arbeiter schließlich zur Zellstofffabrik kommen. Sogar die Feuerwehr rückte auf dieser Fähre zum Löschen an. Erst 1954 erhielt die neue Brücke einen Fußgängersteg.

Wo ist denn nun Hessen? Der Main wird kurz zum Grenzfluss, dann verbirgt sich die Grenze im grünen Gestrüpp und gibt Rätsel auf. Hier stand mal die Grasbrücke, was auch immer das sein soll. Sie überquerte einen Graben zwischen Hessen und Bayern, und alle Kaufleute mussten auf dem Weg zur Frankfurter Messe einen gesalzenen Zoll abdrücken.

Und dieses Geld steht heute noch herum, also quasi. Die Zölle gingen nämlich ans Kloster Seligenstadt, das damit eine bestürzend niedrige Stadtmauer mauerte.

Hinzu kommen erschreckend schiefe Fachwerkhäuser.

Seligenstadt ist das Gegenteil von Aschaffenburg: Von außen nicht so beeindruckend oder pompös, aber von innen ein echter Hingucker. Und noch dazu voller voller Eiscafés! Definitiv eine Pause wert.

1883 war der Main noch zu flach, und die Schiffe vom Rhein kamen nicht rhein. Die innovative Lösung: Ganze elf dicke Staustufen vergrößern den Fluss, jede mit fetten Betonblöcken, kleinen Wasserfällen, einer blauen Fußgängerbrücke, blauen Treppen und einer Art Flughafenterminal. Die Staustufe Krotzenburg prahlt großkrotzig damit, sie sei die erste der 11 und habe damals als allererste Staustufe moderne Trommelwehre bekommen. Das eingebaute Wasserkraftwerk wurde 1981 aber dichtgemacht.

Im Prinzip fuhr ich jetzt bis zur Mündung fast durchgehend durch einen sehr langen Park. Der hessische Mainradweg ist auf jeden Fall großartig ausgebaut, oft auch an beiden Seiten. Ich bin aber einfach immer im Süden geblieben (außer für zwei Städte).

Warum? Never change a running system! Und gerannt bin ich in der Tat, geradezu durchgeglitten durch die 100 Kilometer Hessen, wie ein Messer durch Butter, die jemand vergessen hat, in den Kühlschrank zu stellen. Das geht allerdings nur, wenn der kräftige Wind im Maintal in die passende Richtung weht. Und meistens soll er hier von Westen wehen, also wäre es wohl gar nicht so doof, an der Mündung zu starten, falls man den hessischen Main als Tagesausflug fährt.
An beiden Ufern drängen ragen spitze Kirchtürme aus den Baumwipfeln, weiße Häuser gucken besorgt über den Deich, Stadt um Stadt reiht sich aneinander, so viele, dass ich sie mir unmöglich alle ansehen kann.

Klarer Fall: Ich dringe allmählich in ein Ballungsgebiet ein. Aber stellen Sie sich das bitte nicht so vor wie im Ruhrpott: Dieser Ballungsraum ist angefüllt mit vielen überraschend süßen kleinen Städtchen.
Ohne Berge können die Städte ihre Schlösser nicht mehr hoch über dem Pöbel aufragen lassen. Was sie aber nicht davon abhält, Schlösser zu bauen: Die sind dann halt ebenerdig und verstecken sich hinter dicken Stadt- und Schlossmauern.

Dieses putzige Türmchen ragt direkt über dem Mainradweg auf (siehe oberes Bild) und enthält einen Rastplatz. Die Zöllner kassierten hier den Steinheimer Zoll ab, sobald jemand die königlichen Wasserstraßen benutzen wollte. Ui, nach Frankfurt zu kommen war echt teuer damals.

Um dort hineinzukommen, musste ich erstmal in den Schlossgarten von Steinheim (was für ein passender Name) reinfinden. Steinheim wird ist eingeschlossen von einer Pressmauer - wahrscheinlich heißt die so, weil sich die Häuser in der engen Stadt an die Mauer pressten.

Aber auch Druckerpressen gab es in der Stadt. Sie spuckten aber nicht Grimms Märchen oder Goethes Dramen aus, sondern bloß Zigarettenverpackungen und Etiketten. Die müssen ja auch irgendwo herkommen.
Steinheim ist ähnlich ansehnlich wie Seligenstadt, aber deutlich ausgestorbener.

Am gegenüberliegenden Ufer liegt wiederum das Gegenteil von Steinheim: Lebendig, aber mit langweiligem Look. Hanau bewirbt sich gern als Märchenstadt der Brüder Grimm, welche hier schrieben, bis sie als Statuen und Ampelmännchen in den Ruhestand gingen. Doch würden die Brüder heute von ihrem hohen Sockel steigen, wären sie sicher entsetzt, was der Krieg aus ihrer alten Stadt gemacht hat. Märchenhaft sieht anders aus.

Mühlheim am Main hatte ganze 10 Mühlen, die aber alle an den Nebenflüssen standen. Erst später entstand ein Wasserkraftwerk, das mitten im Fluss in die Höhe ragte und deswegen "Kirche im Main" genannt wurde. Seine heiligen Turbinen wurden inzwischen abgebaut und durch ein moderneres Bauwerk ersetzt.
Am Ufer informiert die Klimaroute über die Landschaften am Main, wie zum Beispiel den... Amazonas-Regenwald? Okay, offenbar bin ich weiter gefahren, als ich dachte. Die Infotafel stellt einen Direktvergleich der Flüsse her und kommt zu folgendem Schluss: Der Amazonas ist der fischartenreichste Fluss der Welt, aber die Fische leiden unter Waldbränden, Rodungen und ausgetrockneten Nebenarmen. Am Main dagegen leben viel weniger Fischarten, die von Staustufen in einem unnatürlichen Fluss eingesperrt werden, aber unterm Strich trotzdem weniger gefährdet sind als ihre Amazonas-Artgenossen. Welche Arten das genau sind, verrät eine Wand im Wasser.
Später erzählt die Klimaroute unter anderem von den Auwäldern an der Daugava/Düna in Lettland. Mann, ich komme heute mal wieder richtig weit rum.

Die Bewohner von Rodgau schützen sich auf ihre ganz eigene Art mit merkwürdigen Mauern. Gegen das Hochwasser hilft diese spezielle Stadtmauer. Und gegen Banditen, die es auf die Kaufleute auf dem Weg zum Markt abgesehen haben, hilft das Rodgauer Landwehr - einfach zwei Erdwälle plus einen Graben dazwischen komplett mit Pflanzen überwuchern lassen.

Ein Bahngleis begleitet mich nach Offenbach. An seinem Ende knickt es in den Himmel ab und wird zu einer Spirale verdreht. Dieses Kunstwerk hat definitiv meinen Blick gefangen! So ähnlich muss die DNA eines Lokführers aussehen.

Und da ist auch schon der erste Wolkenkratzer! (Im Grunde ist dieses Foto ein super Symbolbild für die komplette Architektur der heutigen Strecke.) In seinem Schatten schrieb Goethe am Faust, wenn er nicht gerade mit seiner Verlobten Lili Schönemann beschäftigt war. Etwa gleichzeitig bewies Sophie La Roche nebenan als erste deutsche Frau, dass XX-Chromosomenträgerinnen nicht nur dichtende Männer inspirieren, sondern auch selbst Erfolgsautorin werden können.
Trotzdem vermarktet sich Offenbach heute eher als Shoppingstadt und nicht als Kulturstadt. Wir haben ein hochwertiges Warensortiment, gute Beratung, starken Service, kurze Wege, heißt es auf den touristischen Tafeln, die eigentlich die Sehenswürdigkeiten hinweisen sollen. Alles schön und gut, aber deswegen reise ich doch nicht extra in eure Stadt.

Im Hafen Offenbach wurden Holz, Kohle und Metall verladen, ach, nee, warte, die Industrielle Revolution ist vorbei, dann machen wir halt einen Ölhafen draus, obwohl, ups, Ölkrise, na gut, dann lass uns da halt ein fancy Wohnviertel reinbauen. Ich bestieg einen der Hafenkräne, um mir einen Überblick zu verschaffen.

Das Hafenviertel ist reich an Grafittikunst, die entweder einen grauen Tunnel mit bunten Schuppen verziert oder auf einer verstörend dunklen Mauer prangt, die aussieht, als sei sie aus Berlin entwendet worden.

Noch ein Wolkenkratzer! Der hier gefällt mir irgendwie. Er sieht aus, als hätte sich im Himmel eine Riesentür aufgetan.

Ah, da ist noch einer... aber wo sind die anderen Hochhäuser? Da drüben müsste doch jetzt schon das Frankfurter Zentrum sein, oder? Ist es auch: Die anderen Glastürme haben sich aus meinem Blickwinkel raffiniert hinter dem vordersten Hochhaus versteckt. Je näher ich komme, desto mehr entfaltet sich das sogenannte Mainhattan.

Frankfurt hat ja nicht direkt den besten Ruf unter den deutschen Städten. Deshalb hat mich überrascht, dass alle Frankfurter, denen ich begegnet bin, wirklich ausnehmend freundlich waren. Die Spaziergänger im Park entschuldigten sich sogar einfach nur dafür, dass sie denselben Weg benutzten (obwohl sie es definitiv durften).
Total unangenehm dagegen waren die Menschen in den Zügen nach Frankfurt. Kann es sein, dass sich der Mythos des asozialen Frankfurt irgendwie verselbstständigt hat und jetzt alle dahinfahren, um sich mal so richtig danebenzubenehmen?
Oder sind das einfach nur zufällige subjektive Erfahrungen, aus denen ich mal wieder eine bekloppte Theorie zusammenspinne?
Nee, das erste muss es sein, eindeutig.

Das obere Foto zeigt das Bild, das vermutlich jeder von Frankfurt hat.
Das untere Foto zeit ein Bild, das vermutlich nicht jeder von Frankfurt hat. Mit dieser hübschen Aufnahme können Sie sogar Menschen überraschen, die schon mehrfach dienstlich in Frankfurt waren (für Sie getestet). Ja, Frankfurt hat eine rotweiße Altstadt aus Sandstein und Fachwerk. Längst nicht so groß wie in Mainz, aber auch nicht superklein. Und eigentlich auch nicht schwer zu finden. Außer wenn man nicht sucht, weil man null damit rechnet, so etwas in einer Stadt zu finden, von der man ein völlig anderes Bild im Kopf hat.
Zu sehen ist das Rathaus, das aus irgendeinem Grund Römerberg heißt, obwohl es weder aus römischer Zeit stammt noch auf einem Berg steht.
Nicht weit entfernt in Mainz hatte ja Gutenberg der Buchdruck erfunden, und so siedelten sich die ersten Buchhändler am Frankfurter Kornmarkt an und verdrängten die Handwerker. In der Buchgasse erschien die erste gedruckte deutsche Bibel, und in der freien Reichsstadt waren sogar Luthers Texte noch legal erhältlich. 1480 überlegten sich die Händler, sie könnten noch mehr Buchnerds aus ganz Europa anlocken, indem sie einfach zweimal im Jahr ein extragroßes Event veranstalteten. Und so wurde hier die weltberühmte Buchmesse geboren (die heute natürlich längst in riesige Glashallen zum Stadtrand umgezogen ist).
Auf diesem Platz fand aber auch das genaue Gegenteil einer Buchmesse statt: Bücherverbrennungen. Eine kleine mobile Ausstellung erklärte mir, wie genau die Nazis hier Gedanken in Asche umwandelten, zuerst wahllos, später bestens organisiert in schwarzen Listen, zuerst in Innenstädten, später auf extra brandschutzkonformen Flächen außerhalb (eine ähnlicher Umzug wie die Buchmesse also, schon makaber). Die meisten Verbrennungsorte sind bis heute nicht gekennzeichnet.

Jetzt ergibt es auch endlich Sinn, das Goethe hier geboren wurde - zwischen den Glastürmen der Banken konnte ich ihn mir nicht so richtig gut vorstellen. Ein Struwwelpetermuseum zeigt die berühmten deutschen Kindergeschichten, die sich bis heute hervorragend eignen, um Amerikaner zu verstören. Und das Museum gegenüber überraschte mich im Schaufenster mit einem Gedicht des Satirikers und Verlegers Friedrich Stoltze, von dem ich vorher noch nie gehört hatte.

Man soll sein Lichtlein ohne Not
Nicht untern Scheffel setzen,
Das ist ein biblisches Gebot,
das wissen wir zu schätzen;
Doch weil in dieser Zeit voll Wind
stets in Gefahr die Lichter sind,
so stecken wir, als kluge Herr'n,
Das unsrige in die Latern'.

Natürlich ist auch Luther mehrmals hier gewesen (Worms ist ja nicht weit entfernt). Er pennte unweit der Nikolaikirche. Für gewöhnlich ist auf den Luther-war-hier-Tafeln dann die Rede davon, dass er predigte und Anhänger fand. In Frankfurt dagegen soll er von vorneherein von seiner begeisterten Fanbase bejubelt worden sein, woraufhin er sich die ganze Nacht mit den Frankfurtern die Köpfe heißdiskutierte. Kein Wunder in einer Stadt der Buchnerds.

Meine Mittagspause in Frankfurt abzuhalten, erwies sich als Fehler. Ein Geschäft warb mit einer Spezialität namens Frankfurter Grüne Soße. Bei dieser Soße handelt es sich um eine kalte Pflanzenpampe, bei der zwei lauwarme Kartoffeln weder Geschmack noch Temperatur retten können.

Erst hinter der Altstadt beginnt der Bereich, in dem sich die meisten Hochhäuser konzentrieren. Als Fan hoher Aussichtspunkte war mir natürlich wichtig, einen davon zu besteigen. Welchen nehme ich denn? Tja, die Auswahl ist nicht sonderlich groß. Es gibt nur einen einzigen, von dem man als Normalsterblicher ohne großes Gewese runtergucken darf. Das macht Frankfurt jetzt nicht unbedingt sympathisch, aber egal.
Der Maintower ist eine verspiegelte Riesenröhre, die aussieht, als sei sie aus riesigen, gebogenen Glaspuzzleteilen zusammengesetzt. Eintritt zahlen, durch eine Flughafenkontrolle und ab in den Aufzug. Jawoll, endlich mal ein Fahrstuhl in einem derart besonderen, hohen Turm, bei dem nicht extra ein Liftboy mitfahren muss. Frankfurt traut seinen Besuchern zu, selbst auf einen Knopf zu drücken! Das macht die Stadt wieder sympathischer.
Die Kabine zischt 200 Meter aufwärts. Oben stecken ein Fitnessstudio und ein Restaurant drin. Was in den restlichen Stockwerken ist? Wahrscheinlich Büros, die man aber auf anderem Wege erreicht. Im Aufzug gab es nur die Knöpfe Erdgeschoss, 52 und 53, dazwischen absolut gar nichts.

Über dem Fitnessstudio befindet sich ein komplett verglastes Stockwerk mit Toiletten. Hm, die Aussicht ist zwar nicht schlecht, aber das kann noch nicht die Plattform sein - sonst würden die Bauarbeiten auf dem Balkon nicht so viel verdecken, oder? Tatsache, die Treppe dort bringt mich noch höher.
Das letzte Stockwerk ist auch verglast, aber nur noch so halb. Die Fenster bilden zugleich das Geländer, und auf der einen Seite wurden sie als Windschutz erhöht - ein Safe Space für alle, deren eisgekühlte Ohren eine Pause von den scharfen Luftströmen brauchen.
In der Mitte gruppieren sich Sitzbänke (ohne jeden Windschutz) um einen Mast, der misst, wie stark genau es gerade weht. Ich bin mir sicher, die kleinen Windrädchen kamen zu folgendem Ergebnis: Sehr stark.
Oben an der Ostsee flutete gerade ein Sturm die Küsten, aber auch hier unten in Hessen pfiff der Wind ordentlich. Und auf Deutschlands viertgrößtem Haus umso mehr.

Das Nette am Wind war allerdings: Er jagte die Wolken so schnell über die Bühne, sodass sie gar keine Zeit hatten, um die Sicht zu verdecken oder gar Wasser zu lassen. Und so konnte ich doch erstaunlich weit gucken. In Richtung Norden funkeln in der Farbe von tiefschwarzem Obsidian die zwei Türme einer Bank - sind das die, bei deren Eröffnung es damals so viele gewaltsame Demos gegeben hat? Und dahinter, überraschend nah, die ersten Gipfel des Taunus.

Im Südwesten sind auch Berge, wenn auch weiter entfernt. Hm, welches Gebirge war denn da nochmal? (Der Odenwald. Das musste ich nachschauen, weil ich da noch nie war und der Geographieunterricht zu lange zurückliegt.)
Ständig steuern irgendwelche Flugzeuge die grauen Linien am anderen Ufer an, das muss der Frankfurter Flughafen sein. Oder, ach nee, das Flugzeug da drüben fliegt gerade erst los. Für Flugzeugfans könnte das hier der beste Aussichtsturm Deutschlands sein (mal abgesehen von Aussichtsplattformen direkt in Flughäfen).
Ich bin ja aber eigentlich Fluss- und Fahrradfan, wie viel sehe wohl vom Main? Fast nichts! Schon nach der ersten Biegung wird der breite Fluss unsichtbar, selbst das Grün der Bäume am Ufer lässt sich zwischen all den Gebäuden kaum ausmachen. Ich hatte gehofft, in der Ferne schon den Rhein zu erkennen, aber das konnte ich mir definitiv abschminken. Ob das da am Horizont Mainz ist? Absolut keine Ahnung. Ganz schön schwierig in einem Ballungsgebiet.

Andererseits: Immer noch besser als der Blick nach Osten. Denn die Konkurrenz hat ihren Wolkenkratzer gerade verlängert und dem Maintower damit den Blick auf die Altstadt und alles, was ich heute schon vom Main gesehen habe, geklaut. Frechheit! Gott, kannst du mal bitte das mit Babel wiederholen?

Wie auch immer, zurück ans Südufer. Im Norden mündet die Nidda im höchst mittelalterlichen Höchst in den Main, im Süden muss ich das Ufer verlassen, weil der nicht ganz so mittelalterliche Industriepark von Höchst gern direkt am Wasser Insulin und andere Medikamente produzieren will. Macht aber nichts, der Radweg führt trotzdem ganz bequem an einem Erdwall entlang, nur halt ohne Wasser dahinter.

Nebenan wurde mit Saatgut und Düngemittel experimentiert. Diese Versuchsfelder hat die Natur inzwischen gebraucht zurückbekommen.
Kurz darauf sprang mir ein kleines Kirchlein ins Auge. Ob darüber etwas auf der Infotafel neben dem Eingang steht... nope, es geht ausschließlich um die kanadische Raffinerie für transatlantisches Öl, das über Rotterdam hierherkam und anschließend Europas Tankstellen versorgte.
Die Caltex-Raffinierie ist inzwischen schon wieder Geschichte, aber bis heute steuern Schiffe voller Öl den Ölhafen von Raunheim an. Damit ich nicht schon wieder einen Umweg machen muss, führt eine Ölhafenbrücke über die Einfahrt. Dieser eindrucksvolle weiße Schnörkel wurde extra so gebaut, wie die Ölkonzerne ihn gern haben wollten: Möglichst kompakt, deshalb fahre ich in einer Spirale hinauf. Und das ganz spezielle Geländer ist besonders breit, um zu verhindern, dass irgendwer brennende Zigaretten in die Ölschiffe wirft. Zugegeben, das ist mal eine vollkommen nachvollziehbare Forderung eines Ölkonzerns.

Auch die nächste Brücke wurde von und für die Industrie gebaut: Auf der sogenannten Opelbrücke sollen die Angestellten über den Main kommen, um Autos zusammenzuschrauben. Davon finanzierten Fritz von Opel und Direktor Wenske in ihren weißen Opelvillen. (Ja, die heißen wirklich so.) Die olle Festung nebenan hatte da ihren Status als Machtzentrum längst verloren.
Passenderweise zeigt das moderne Kunstwerk im dazugehörigen Park ein Rad, und auch in den Villen ist heute Kunst untergebracht.

Bevor das Dampfschiff erfunden wurde, wollten die Seefahrer auch gern den Main hoch bis nach Frankfurt. Aber wie? So kräftig bläst der Wind im Maintal nun auch wieder nicht. Wie an der Ruhr wurden die Schiffe von Pferden und sogenannten Leinenreitern gezogen. Und wie an der Ruhr ist der Ursprung des Flussradwegs eigentlich der Leinpfad, auf dem sich diese tierischen Arbeitskräfte kaputtschufteten. Allerdings waren der Fluss und dementsprechend auch die Schiffe etwas breiter als an der Ruhr, deswegen brauchte es bis zu sechs Pferde pro Schiff. Eine Statue erinnerte an diese harte Arbeit. Wahrscheinlich sitzt der Leinenreiter verkehrt herum, damit er das Schiff im Blick hat.

Tja, und befand ich mich auf einmal schon auf dem Gebiet der Stadt Mainz, und zwar im Stadtteil Gustavsburg, dessen Name im Grunde schon seine ganze Geschichte enthält. Als der schwedische König Gustav Adolf nämlich im Dreißigjährigen Krieg hier vorbeikam, da sah er Mainz, dachte sich "Meins" und besetzte die Stadt. Weil es in der Stadt keine Burg gab, die seinen Ansprüchen genügte, baute er sich eine am anderen Rheinufer. Und woraus genau bestand diese Gustavsburg? Nun, wenn ich mich im Park so umsehe, dann errichtete Gustav Adolf offenbar eine lückenhafte Burgmauer aus Gabaionen (das sind diese Drahtgitterkästen voller Steine), legte einen Steinkreis der Geborgenheit an und baute in die Mitte einen düsteren Holzturm voller Kletternetze für seine Kinder.
War bestimmt nicht einfach, das zu verteidigen. Aber immerhin: Der Kletterturm wird abends abgeschlossen.

Ich musste nochmal kurz vom Main weg, und raste ich auch schon auf die Spitze zwischen Main (links) und Rhein (rechts) zu. Die Eisenbrücke rechts bringt bringt Radfahrer und S-Bahnen rüber nach Mainz.

Bequeme Liegen luden mich dazu ein, die Mainmündung zu bewundern. (In trockenem Zustand wären sie allerdings noch bequemer gewesen.) Ein riesiges Schild für die Schiffe markiert die Mainspitze, und falls es zum Lesen schon zu dunkel sein sollte, blinkt obendrauf ein rotgrünes Lämpchen. Die Spitze ist nicht so spektakulär geraten wie das Deutsche Eck an der Mosel, aber zumindest die alte Skyline von Mainz ist gut zu erkennen. Und zum Schiffegucken ist der Ort spitze.
Weil ich Mainz ja schon vom Rheinradweg kannte, konnte ich direkt zum S-Bahnhof Gustavsburg abbiegen.

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