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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

09 August 2023

WHH: Von Gifhorn nach Bad Bodenteich

Es war ein lauer Sommerabend. Ich strandete in Gifhorn, radelte zum Mühlensee und aß Abendbrot im Abendrot, während die Mühlenflügel als schwarze Schatten in die letzten Lichtstrahlen ragten.
Mein spontaner Plan: Ein Stück fahren, im Wald übernachten und morgen dann den Weser-Harz-Heide-Radweg zu Ende fahren.
Meine Pläne sind wie Hefeteig: Oft gehen sie nicht auf.

Nördlich von Gifhorn erstreckt sich der Staatsforst Fallersleben alias Dragen; er grenzt an ein Dorf mit dem witzigen Namen Triangel. Ein erhöhter Waldweg führt schnurgerade hindurch, man könnte ihn glatt für eine Bahntrasse halten, würde nicht einen Kilometer entfernt eine echte Bahntrasse parallel dazu verlaufen. Das heißt, halt, Moment, auf dem Schild steht doch was von einer ehemaligen Bahntrasse, nur halt quer zur Radroute: Die Allertalbahn in Richtung Verden. Auf dem Allerradweg weiter westlich kann man ein Stück auf ihr fahren, hier aber nicht.
Die Nacht war warm und ich neugierig, also probierte ich mal, vom Hauptweg abzuweichen auf eine Schleife zum Waldrand. Der Pfad wurde zwar etwas wilder, dafür fand ich einen wirklich traumhaften Schlafplatz, geschützt von Bäumen, ganz ohne Gras auf herrlich zeckenfreiem, trockenem Laub. Ich rollte meine Matte aus. Dann geschah es.
Hrrr.
Wenn ich jetzt schreibe, es klang wie das Schnurren einer riesigen Katze, klingt das viel zu harmlos. Irgendetwas schlich herum. Ich versuchte, es zu ignorieren. Ich hatte die letzten Tage bestimmt bloß zu viel von diesem Berliner Wildschweinlöwen gesehen. Dass in der Nähe angeblich die Bärenburg stand, war auch nicht gerade beruhigend. (Dass der Braune Bär, nach dem sie benannt wurde, bloß eine Raupe mit braunem Fell ist, dagegen schon.)
Hrrr. Oder war das ein Hecheln?
Wie klingen eigentlich Wölfe? Gute Frage, im Zoo halten die Viecher für gewöhnlich ihre Schnauze. Aber eigentlich spielte es überhaupt keine Rolle, was das war. Selbst wenn es komplette Einbildung wäre (was ich eigentlich inzwischen ausschließe, so laut wie das ist) - ich würde an dieser Stelle kein Auge zu tun. Hektisch packte ich alles ein.

Knack. Hrr. Schlich das Vieh um mich herum? Ich fuhr los. Und kam nach wenigen Metern zum Halt, weil a) meine Kette absprang und b) ein umgestürzter Baum den Weg blockierte. Was ist das bitte für ein Horrorfilm? Statt irgendwie den Baum zu umrunden, kehrte ich lieber zurück zum breiten Hauptweg. Da waren Baumschulen und gefällte Bäume, da ist alles viel menschlicher, bestimmt haben die Viecher da nicht mehr ihr Revier.
Irgendwann denke ich, ich bin weit genug weg und entdecke einen nicht ganz so guten Schlafplatz. Gerade wollte ich mich hinlegen, als etwas bellte.
Es wäre falsch zu sagen, dass mir das Blut in den Adern gefror. Vielmehr wurde mein Blut zu Cola und die Angst zu Mentos. Eigentlich klang es wie ein lauter Hund, aber so nah! Es gab keine Häuser und Gärten in dieser Nähe.
Ich muss raus aus diesem verfluchten Wald!
Das gelang mir zwar recht schnell. Mittlerweile ist es allerdings so spät, dass es kaum noch Sinn ergibt, sich schlafen zu legen. Und so schmeiße ich meinen Plan nochmal um. Ich hatte schon länger mal überlegt, eine ganze Nacht durchzuradeln, nur so, um es mal auszuprobieren. Tja, Überraschung, heute ist diese Nacht!
Eigentlich wollte ich das irgendwann mit mehr Schlaf, mehr Vorbereitung, wärmerer Kleidung und auf einer Strecke, die ich schon kenne, machen. Zum einen kann ich mich dann leichter zurechtfinden, zum anderen könnte ich sonst von der neuen Strecke wenig erkennen.
Tja, immerhin konnte ich folgendes erkennen: Alleen durch Felder, Mini-Dörfer, Mini-Wälder und noch mehr Alleen. Nichts, was ich nicht schon von anderen Routen durch die Lüneburger Heide kenne. Im Grunde war es fast so, als würde ich doch eine bekannte Strecke radeln. Der erste Abschnitt folgt der Ise, also dem Fluss, der später den Gifhorner Mühlensee speist. Um das Jahr 1000 war die Ise die Grenze zum Reich der Slawen, welche immer mal wieder gern für einen netten kleinen Überfall unter Nachbarn vorbeischauten. Deswegen befahl der Kaiser dem Bischof Bernward von Hildesheim, in Wahrenholz eine Burg hinzubauen. (Man stelle sich vor, Olaf Scholz würde heute Kardinal Woelki dafür einsetzen, sich um die Zeitenwende der Bundeswehr zu kümmern.)

Zum Glück funktionierte meine Fahrradbeleuchtung perfekt, und es war niemand da, den ich blenden konnte, wenn ich mein Vorderlicht etwas weiter in die Ferne richtete. Das heißt, doch, ein einziges Mal kam mir in tiefster Nacht ganz überraschend ein Radfahrer entgegen (sorry).
Irgendwann beschloss die Sonne, meinem Licht Unterstützung zu leisten. Die Wolken hatten fast den gesamten Himmel abgedichtet, doch ausgerechnet am Horizont ließen sie einen Streifen frei, den die Morgendämmerung im grellsten Rot einfärben durfte. Wow! So grell und hell, als hätte man den Sonnenaufgang über den halben Horizont ausgewalzt. So intensiv habe ich das nicht mal bei den Touren erlebt, wo ich gegen 4 oder 5 Uhr aufgestanden bin. Selbst die dicke Wolkendecke, die in wenigen Stunden deprimierend grau sein wird, erstrahlt jetzt noch in einem magischen Lila.

Vrrrm. Nanu, was ist das jetzt wieder? Auf jeden Fall kein Wolf, die Biester klingen doch nicht wie Dieselmotoren. Immer wieder kam ich an brummenden Traktoren vorbei. Neben ihnen standen Rollen, so groß wie ein Auto, von denen halb ausgerollte Schläuche hingen. PFT, PFT, PFT. Klingt genau wie ein Rasensprenger, ist aber weitaus größer: Die Landwirte bewässerten ihre Felder, und hin und wieder auch mal den Radweg. Da hieß es den richtigen Moment abpassen, wenn der Schlauch gerade in die andere Richtung spritzte - zum Beispiel hinein mitten in den Morgendämmerungsstreifen. Jetzt verstehe ich, warum das Morgenrot hier so kräftig und prächtig gewachsen ist - es wurde einfach gut bewässert.

Die Strecke ist 65 Kilometer lang und passiert zwei (etwas) größere Örtchen:
Wahrenholz hatte nichts zu bieten als Ziegelsteine und eine Tankstelle. Ob es dort womöglich einen Nachtkaffee gibt? Nee, alles zu.
Das größere Hankensbüttel war zwar auch geschlossen, aber immerhin hübsch anzusehen. Der Ort entstand aus einem Kloster, das als eines der ganz wenigen die Reformation überlebt hat. Was Twitter, Sky und der NPD nicht so richtig zu gelingt, hat dieses Kloster erfolgreich gemeistert: Imagewechsel durch Umlabeln, in diesem Fall von Zisterzienserkloster zu Evangelisches Damenstift.

Die Bürger von Hankensbüttel scheinen ein ungewöhnlich gutes Verhältnis zu ihren Beamten zu haben (jedenfalls früher, keine Ahnung, ob das heute noch so ist), die in diesen Fachwerkhäusern ihr Werk verrichteten: Der Landrat aus Hannover wollte den Bau von Straßen und Schienen vorantreiben und musste von den Bauern getröstet werden, wenn es mal nicht klappte. Und der Richter Franz Töpel übernahm manchmal selbst die Gerichtskosten und war Mittelpunkt der lokalen, sehr aktiven Musikszene.

Der Ort ist mit Tierstatuen geschmückt. Zwei metallene Otter tollen vor dem Isenhager See herum und werben für das Otterzentrum, wo die Otter nicht aus Metall bestehen.

Dann wurde es hügeliger, denn ich musste die Wasserscheide von der Weser zur Elbe überqueren. Das Land besteht aus Birken und Wäldern, Mooren und Heideflächen.
Die erste Heide bei Oerrel enttäuschte mich: Vielleicht war es noch zu dunkel, aber ich erkannte nur ganz gewöhnliche Gräser, obwohl ich ein gutes Stück hineinlief.
Die Bokeler Heide begann ähnlich enttäuschend: Wo soll denn da die Heide sein zwischen diesem abgeholzten Chaos aus Büschen und Baumstümpfen. Doch ein paar Meter weiter sah es schon ganz anders aus - soo kenne ich die Lüneburger Heide. Bereits im Juli schimmerten die Pflanzen ganz leicht violett.
In dieser Gegend entspringt auch der Bokeler Bach, der später zur Aue, Stederau und Ilmenau wird - irgendwo zwischen einem Waldrand, Moor und einem Bauernhof auf einem Grundstück, das eher privat aussieht.

Zum Schluss muss ich irgendwo falsch abgebogen und in Izbica gelandet sein. Nein, nicht Ibiza, sondern Izbica in Polen - der Weg war fast genauso versandet. Och nöö, ich bin doch fast da.

Entschädigt wurde ich mit einer letzten Heidefläche, der Bodenteicher Heide. Die schimmerte zwar noch nicht so richtig, war dafür aber viel größer. Hmm, diese Hügel (links am Rand) sehen fast so aus, als könnte da ein Steinzeitgrab oder eine alte Siedlung drin sein wie schon bei anderen Heideflächen. Stimmt das? Mal nachlesen:
Die Saaleeiszeit hat den Sand herantransportiert, der gleichmäßige Regen in Niedersachsen hat ihn ausgewaschen (und tat das auch jetzt gerade in diesem Moment), fertig ist der Podsolboden, der aus viel Sand und wenig Nährstoffen besteht. Damit da aber dauerhaft keine Bäume wachsen, muss zusätzlich der Mensch ran. Neben den üblichen Jungsteinzeitmenschen, ihr Vieh grasen ließen, waren in der Bodenteicher Heide auch Holzfäller am Werk, die Holz für die Saline in Lüneburg lieferten.
Heute wird die Heide um ihrer selbst gepflegt, und zwar mit etwas exzentrischen Maßnahmen wie abbrennen (ja, ernsthaft, dadurch verteilen sich die Samen der neuen Pflanzen besser) und abplaggen. Das bedeutet, wie schon in der Steinzeit wird die oberste Bodenschicht ganz dünn abgekratzt. Da sammelt sich nämlich Hummus, und in dem wachsen dann andere Pflanzen wie die Krähenbeere und verdrängen die Heide. Meistens reichen aber die Schafe aus, wenn sie den Boden festtrampeln und die Spinnennetze zerreißen. Wie bitte, die Spinnennetze? Ja, denn dadurch verfangen sich weniger Bienen und es werden mehr Heidepflanzen bestäubt.

Der Regen wurde immer schlimmer, und so war ich doch sehr froh, als ich gegen sieben Uhr den nebligen Elbe-Seitenkanal überqueren und zum Bahnhof Bad Bodenteich abbiegen konnte. Den Rest des Weser-Harz-Heide-Radwegs bis nach Lüneburg kenne ich ja schon vom Ilmenau-Radweg.

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