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06 August 2023

WHH: Von Goslar nach Braunschweig

Was macht Niedersachsen anders? Als ich auf dem Iron Curtain Trail durch den Vorharz fuhr, war die Landschaft komplett öde. Als ich auf dem Weser-Harz-Heide-Radweg durch den Vorharz fuhr, war die Landschaft eigentlich ganz nett.

Wie kann das sein? Schließlich hat man auf beiden Strecken denselben Bergblick auf den ersten Kilometern. Hmm... vielleicht waren die Felder ein wenig grüner. Hilfreich ist auch, dass die Radwege meistens asphaltiert sind und nicht mit Betonplatten des Todes ausgelegt. Außerdem ist die letzte Hügelkette nicht nur weniger steil, die einzige bergige Stelle besteht auch noch aus einem eindrucksvollen Einschnitt mit Felswänden auf beiden Seiten - dafür schwitze ich doch gern ein bisschen.


Und auch die Dörfer machen richtig viel her. Am schönsten fand ich diese liebliche Burg in Liebenburg.

Bevor ich weiter nordwärts in Richtung Braunschweig darf, mache ich erstmal einen Bogen in Richtung Osten, zusammen mit einem zugewachsenen Bächleins namens Warne. Oh nein, komme ich dann nicht zu nah ans öde Sachsen-Anhalt ran? Nein, alles gut.
Der Radweg durchs Warnetal endet in Werlaburgdorf. Dort verwandelt er sich an eine schmale Reihe holpriger Fliesen, die sich an einem Garten vorbeiquetschen, in dem Männer Bier trinken und ihr Fachwerkhaus umbauen (aber vor allem Bier trinken).

Bis Goslar verlief der WHH-Radweg auf alten Bahntrassen, doch damit ist jetzt schlagartig Schluss. Ich fahre nun rein ins Urbane Niedersachsen (so nenne ich die Gegend), in dem die größeren Städte dicht beieinander liegen, dementsprechend eng ist das Bahnnetz. Zugegeben, hier im Warnetal fahren nur Museumsbahnen und Draisinen - aber schon jetzt färbt das urbane Niedersachsen immerhin so weit ab, dass keine Gleise mehr entfernt wurden. Und ohne rausgerissene Gleise kein Bahntrassenradweg.

Schließlich mündet die Warne in die Oker, kurz darauf kommt auch noch die Ecker dazu. Eine brandneue Fahrradbrücke direkt neben einer brandalten Eisenbahnbrücke bringt mich ans andere Ufer.

Der Weg entlang der Oker ist ganz nett. Ab und zu guckt der Fluss zwischen den Hecken hervor, ansonsten präsentiert sich mir braune Erde. Die Erntezeit ist offensichtlich schon vorbei.
Bei Börßum kommt gesellt sich eine richtige Bahnstrecke dazu, und der Radweg hat passenderweise genau dort eine Schranke. Ich weiß nicht, was diese Schranke durchgemacht hat, doch ihr Zustand ist ungefähr so gut wie der der Berliner Verwaltung. Ich hätte sie wahrscheinlich einfach aufpusten können. Falls Sie jemals das Bedürfnis verspüren, volle Kanne gegen eine metallene Schranke zu fahren: Nehmen Sie diese, eine ungefährlichere Schranke für dieses Unterfangen gibt es nicht.

Irgendwann endet der Weg an der Oker, und ich musste rüber zur Straße wechseln. Der Radweg wird noch besser, die Strecke dafür öder.
Am Wegesrand befindet sich der Dorstedter Turm, das Gasthaus der vier Lügen: keine door, keine Stadt, kein Turm, kein Gasthaus. Nichts als abblätternde Farbe.

Was haben Braunschweig und Wolfsburg gemeinsam? Beide haben ihre historische Altstadt in einen Vorort outgesourct. Allerdings hat Braunschweig deutlich mehr zum Outsourcen als Wolfsburg.
Das ist nicht einfach eine alberne Beschreibung, sondern tatsächlich mehr oder weniger so geschehen: Die Herzöge von Braunschweig und Lüneburg haben ihre Residenz raus aus der großen Stadt ins Örtchen Wolfenbüttel verlegt, und deswegen sind da die schöneren Bauten. Als die Dänen zwischendurch die Stadt eroberten, stauten die kaiserlichen Truppen vier Monate lang die Oker auf und schwemmten die Dänen quasi weg.
Anschließend ließ Herzog August eine riesige Bibliothek errichten, in der das teuerste Buch der Welt (ein Evangeliar) rumliegt. Einer der hiesigen Bibliothekare hieß Gotthold Ephraim Lessing und schrieb in Wolfenbüttel ein nicht ganz so teures, aber noch viel wertvolleres Werk namens Nathan der Weise, den vielleicht aktuellsten alten Schinken, den ich je im Deutschunterricht gelesen habe.

Bei dem Namen Wolfenbüttel habe ich nicht allzu viel erwartet, immerhin liegt da die JVA für das komplette urbane Niedersachsen, also wie schön kann es da sein? Wahnsinnig schön. Die ganze Altstadt erstrahlt voller kunterbunter Prachtbauten, Fachwerkbalken und Schlösser. Um erneut einen Vergleich zu bemühen, mit dem die meisten nichts anfangen können: Wolfenbüttel ist das Pardubice Niedersachsens. Weil einige Wassergräben die Stadt durchziehen, nennt sich ein Teil Wolfenbüttels Klein Venedig. Stadtführungen finden hier per Standup-Paddling statt. Selbst die Mauern der JVA fügen sich einigermaßen in den Stadtpark ein.

Nicht so ungewöhnlich ist, dass Braunschweig auch seinen Tiergarten outgesourct hat: In Stöckheim befindet sich Braunschweigs kleiner, familienfreundlicher Erdnuss-Zoo. Dorthin sollte man eine Menge Erdnüsse mitnehmen - oder sie vor Ort teuer kaufen.
Bei erstaunlich vielen Tieren ist nämlich das Füttern erlaubt. So lassen sich vergleichende Untersuchungen darüber anstellen, auf welch unterschiedliche Weise Waschbären, Stachelschweine, Trampeltiere, Streifenhörnchen, Affen (ups, da war das Füttern doch verboten) und Nasenbären Erdnüsse essen. (Leider finde ich davon keine Fotos mehr.) Das größte Entzücken bei Kindern rufen die Berberaffen hervor, wenn sie ihnen die Nüsse mit ihren kleinen Händchen genau wie Mini-Menschen aus der Hand nehmen. Menschen mögen nun mal das, was ihnen am ähnlichsten sieht.
Doch egal, wie genau sie es tun: Alle Tiere in diesem Zoo essen Erdnüsse. Vermutlich würden selbst die Tiger welche essen, wenn man an sie herankäme. Außerdem haben in Braunschweig nicht nur Menschen, sondern auch Zwergotter ihre eigene Wasserrutsche. 


Zwischendurch musste ich nochmal auf die Straße, aber rund um die Städte durfte ich die meiste Zeit der Oker folgen. Der Fluss ist nahezu unsichtbar, da er sich unter einer dicken Schichten Entengrütze verbirgt.

Je näher ich Braunschweig kam, desto mehr verwandelten sich die Felder in Parks, bis ich von beiden Seiten in eine grüne Oase eintauchte. Nicht nur die Oker begleitet mich, sondern auch majestätische, weißblaue Teiche ganz ohne Entengrütze - in diesem Park gibt es Tempel statt Tümpel!
Der Fluss teilt sich in zwei Teile, macht immer spitzere Zick-Zack-Kurven und umfließt Braunschweig in einem hübschen Sternenmuster. Auf der Landkarte sieht das cool aus, aber in der Realität ist das etwas zu groß geraten.

Braunschweig ist die Stadt der Löwen, Erdnüsse und unpraktischen Entfernungen. In der Mitte steht der dürre Braunschweiger Löwe, welcher offenbar unter Magersucht leidet. Er fährt auch als Logo auf allen LKWs mit, die in Braunschweig produziert wurden. Dass Braunschweig sich als Löwenstadt bezeichnet, liegt an folgender Sage: Herzog Heinrich der Löwe brachte einen echten Löwen von seinen Reisen mit. Fertig. Das war die Sage. Ja, ich habe da jetzt auch etwas Spannenderes erwartet.

Rund um den Löwen liegt eine Altstadt mit einer Handvoll obligatorischer historischer Gebäude: Ein Dom und ein Schloss, in dem sich ein gewöhnliches Shoppingcenter befindet. Die Braunschweiger Altstadt ist tatsächlich braun - hellbraun, um genau zu sein.

Ein Stück weiter wird Braunschweig grauer und es beginnen lange, lange Strecken. Mit dem Fahrrad ist das weniger problematisch, aber zu Fuß dauert das echt lange. Alternativ kann man auch bei halsbrecherischen Busfahrern oder nicht ganz so halsbrecherischen Straßenbahnen einsteigen. Dann kommt die sternförmige Oker. Und noch mehr graue Entfernungen. Als nächstes der Hauptbahnhof. Dann noch mehr graue Entfernungen. Und dann erst irgendwo weit draußen stehen weitere Ausflugsziele wie ein Schwimmbad aus formschönem Parkhausbeton oder der Zoo.
Man könnte einwerfen, dass alle Großstädte dieses Muster haben, aber ich fand es in Braunschweig besonders ausgeprägt.

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