Dann bogen wir rechts ab für einen kleinen Ausflug. Dazu fuhren wir zwischen einer gewaltigen Spielhalle und einer gewaltigen gläsernen Straßenbahnstation durch. Diese bizarre, menschenleere Umgebung beschrieb meine Schwester mit den Worten: "Warum ist hier so viel, obwohl hier nichts ist?"
Obwohl die Region so dicht besiedelt ist, gibt es nicht so viele Freibäder in vertretbarer Entfernung zum Rhein. Das waren in der Schweiz deutlich mehr. (Auch die Dichte an Unterkünften ist gar nicht mal so hoch.)
Hier gab es aber mal ein Freibad ganz in der Nähe vom Radweg, und deshalb sind wir direkt hingefahren - obwohl es morgens beim Frühstück in den Nachrichten vorkam. Offenbar haben hier Jugendliche aus dem Ausland randaliert und sind über Zäune geklettert, ohne Eintritt zu bezahlen. 16 Jugendliche haben die Wasserrutsche besetzt. (So eine kleine Breitrutsche, wie passen die da überhaupt alle drauf?)
Deshalb stand nun die Security am Eingang des kleinen Freibads und wir wurden auf Ausweise kontrolliert. Als wir rausgingen, wurden wir auch noch vom Radio interviewt, wie wir den Besuch empfanden. Naja, zur Mittagszeit war es sehr leer und es hat definitiv niemand randaliert. Wir konnten auch durch eine Schleuse ins Hallenbad schwimmen, wo einige Leute ihre Bahnen zogen.
Beim Verlassen des Bades empörte sich ein Jugendlicher lautstark darüber, dass er bei der Ausweiskontrolle abgewiesen wurde. Hoffentlich bekommt das freundliche kleine Freibad seine Probleme so in den Griff, es sah jedenfalls danach aus.
Danach führt der Weg auf dem Deich entlang und wird von einem grünen Auengürtel vom Rhein getrennt. Durch die Hitze war dieser Gürtel teilweise nur noch gelb.
Wir wollten in einem Restaurant bei Kaiserswerth essen, aber das erledigte sich sehr schnell, nachdem wir mit "Keine Fahrräder" angeschnauzt wurden.
Kurze Zeit später erhebt sich direkt neben dem Radweg die Ruine einer Kaiserpfalz, deren Mauern wir bestiegen.Der Keller vorne im Bild wurde manchmal geflutet, um darin Fische zu züchten. Mitten in die Kapelle hat man außerdem später einen großen Brunnen gebaut, damit es auch im ersten Obergeschoss direkten Zugang zu Wasser gibt. Was tut man nicht alles, damit der deutsche Reisekaiser genug zu futtern und zu trinken hat.
Am anderen Ufer liegt Krefeld.
Die Duisburger Industrie taucht schon am Horizont auf. Der Weg nach Duisburg hinein führt nicht am Rhein entlang. Irgendwann muss man rechts auf eine Straße und sodann durch die Vororte Serm, Ungelsheim und Hüttenheim. Allerdings wurde der Radweg am Fluss nach Erscheinen unserer Karte noch ein wenig verlängert, sodass man nun etwas später abbiegen muss. Und diese Verwirrung nutzte ein alter Mann, um... nun zunächst beschrieb er uns nur den Weg, zusammen mit einigen anderen Fahrradrentnern. ("Jürgen, das können die sich doch nicht alles merken." - "Sind Sie die Familie aus Rostock? Wir haben Ihre Tochter drüben bei Mündelheim gesehen.")
Doch als er uns an der nächsten Kreuzung wieder dabei erwischte, kurz auf die Karte zu schauen, ernannte er sich einfach zu unserem Führer. Leider führte er uns schnurstracks in die falsche Richtung. Wir kehrten um, aber er folgte uns einfach weiter. Das war dann schon etwas merkwürdig.
Erst als wir uns in einen Biergarten setzten, wurden wir ihn los.
Danach folgten wir dem Alten Angerbach auf einem schönen Weg.
Dort erhob sich auf einmal ein Berg über uns, die Hildebrand-Höhe. Das ist in dieser flachen Umgebung sehr selten, sodass sich die Duisburger dachten: Da müssen wir unbedingt irgendwas draufmachen auf unseren Berg, eine Landmarke. Ein Aussichtsturm wäre ja zu langweilig. Die Künstler Heike Mutter und Ulrich Genth dachten sich also etwas anderes aus: Eine Treppe in Form einer Achterbahn aus Stahl.
Diese Achterbahn heißt mit vollständigem Namen Tiger & Turtle - Magic Mountain. (Klingt wie eine Kinderserie: Der Tiger und die Schildkröte entdecken den magischen Berg.) Die Treppe führt auf und hab, hin und her, bis hinauf zu einem Looping, der mit Eisengittern versperrt ist, denn da sind die Stufen irgendwann zu steil. (Man hätte den Looping höchstens irgendwie als Klettertunnel gestalten können.)
Eine echte Achterbahn hätte allerdings viel zu wenig Schwung, um durch den Looping zu kommen. Naja, sagen wir mal, die hätte einen Katapultstart, dann würde es gehen.
Ich glaube, ich habe auch verstanden, wieso das Ding Tiger & Turtle heißt. Nachdem die Menschen das Gebilde betreten haben, verwandeln sich nämlich manche in Schildkröten und tapsen zögerlich über die schwindelerregend verdrehte, hohe Treppe. Andere Menschen werden Tiger und stapfen ebenso selbstbewusst über die Stahlstufen wie auf der Treppe in ihre Wohnung.
Das Ruhrgebiet ist ja für seinen Stahl bekannt. Das Tiger & Turtle ist also gewissermaßen auch Werbung: Guckt mal, solche abgefahrenen Sachen kann man aus unserem Stahl bauen!
Im Zentrum von Duisburg gibt es viele dicke Straßen, und alle haben am Rand rote Radwege. So gestaltet sich die Fahrt durch die Innenstadt sehr angenehm.
Nun ja, sonderlich sehenswert ist die Innenstadt allerdings nicht. Wir haben trotzdem gleich neben der Fußgängerzone in einem Businesshotel geschlafen. Bei den Businessmenschen ist gerade keine Saison, deshalb bietet das Hotel zur Zeit günstigere Zimmer für Familien an, damit es nicht leersteht. (Beim Frühstück saßen dennoch einige Anzugträger und runzelten die Stirn über den Kinderlärm.)
Kreisverkehre und Brunnen werden mit weiteren rostigen Stahlgebilden geschmückt. Eine Ausnahme stellt diese bunte Figur dar. Obwohl, selbst da ist noch ein bisschen Stahl untendrunter.
Diese Ausgrabungen sind Spuren des alten Duisburg. Dahinter erhebt sich das Rathaus.
Wer Duisburg durchqueren will, für den gilt folgendes:
Über fünfe Brücken musst du gehen.
Fünf Gewässer wirst du dabei sehen.
Zwei davon werden natürlich sein,
und zwar der Fluss Ruhr und auch der Rhein.
(Was dann folgt, ist wirklich unerhört,
denn die sechste Brücke ist gesperrt.)
Brücke Nr. 1 führt über den alten Innenhafen, der heute wie in Düsseldorf ein Medienhafen ist.
Über fünfe Brücken musst du gehen.
Fünf Gewässer wirst du dabei sehen.
Zwei davon werden natürlich sein,
und zwar der Fluss Ruhr und auch der Rhein.
(Was dann folgt, ist wirklich unerhört,
denn die sechste Brücke ist gesperrt.)
Brücke Nr. 1 führt über den alten Innenhafen, der heute wie in Düsseldorf ein Medienhafen ist.
Brücke Nr. 2 führt über die Ruhr. Dieser Fluss ist international bekannt für das nach ihm benannte Gebiet. Vom Kabarettisten Torsten Sträter, der aus dem Gebiet stammt, habe ich folgendes gelernt:
1. Es heißt Ruhrgebiet, nicht Ruhrpott. Im Pott wohnt man nicht, auf den Pott geht man.
2. Die Luft im Ruhrgebiet ist sehr gut. Nur halt nicht zum Atmen, sondern für den Fahrradreifen.
Wir mussten die Luft notgedrungen für beides verwenden. Unsere Lungen und Schläuche haben es überstanden.
Die Ruhr ist die Südgrenze des Ruhrgebiets, allerdings nur so ungefähr. Gefühlt waren wir schon vorher in dem großen Industriegebiet, wo alle Städte so dicht an dicht liegen, dass sie zusammenkleben. Düsseldorf wird ja teilweise auch schon dazugezählt.
Normalerweise heißen die Mündungen der Nebenflüsse in den Rhein ja alle irgendwas mit Eck. Nicht so die Ruhr, deren Mündung wird als Rheinorange bezeichnet. Denn an der Ecke steht ein gewaltiger oranger Quader, der zu glühen scheint wie frischer Stahl. Darauf einen Orangensaft!
Brücke Nr. 3 führt über den Rhein-Herne-Kanal, dessen Mündung ganz rechts zu sehen ist. Der fließt hier parallel zur Ruhr. Er verbindet den Rhein mit dem Dortmund-Ems-Kanal und der Ems, mit dem Mittellandkanal und so mit der Hase, Hunte, Weser, Leine, Aller und Elbe verbunden.
Nördlich vom Kanal liegt noch der Stadtteil Ruhrort mit Brücke Nr. 4 über den Vinckekanal, es folgt die größte Brücke Nr. 5 über den Rhein (im Hintergrund).
Und nach wie vor haben wir überall Radwege. Blöd war nur der riesige Kreisverkehr, um den ich eine komplette Runde drehen sollte, nur um auf die andere Straßenseite zu kommen. An einer Ausfahrt sollte ich dann auch noch 170 Meter für Ihre Sicherheit vom Kreisverkehr wegfahren, die Straße überqueren und wieder zurück. Da gerät man durchaus in Versuchung, einfach den Radweg auf der falschen Straßenseite zu nehmen. Dann wird man vom Radweg allerdings darauf hingewiesen, dass man falsch ist.
Von Brücke Nr. 3 (Rhein-Herne-Kanal) aus ist der heutige Duisburger Hafen zu sehen, der sogenannte duisport. Einst war das ein kleiner Umschlagplatz für die Kohlen, die hier gefördert wurde. Dann wuchs er zusammen mit dem Ruhrgebiet immer weiter. Durch die Vertiefung des Rheins wurde das Hafenbecken jedoch flach, und bald wäre kein Platz mehr für große Schiffe gewesen. Glücklicherweise fand man unter dem Becken in der Erde Kohle, sodass die Bergleute die Hafenarbeiter retteten. Sie bauten die Kohle ab, danach war der Hafen wieder richtig tief.
Heute ist das der größte Binnenhafen der Welt. Man kann man von verschiedenen Logistikunternehmen sein Zeug in Containern um die Welt schaffen lassen.
Abends machten zwei von uns noch einen Ausflug. Das waren zwar nochmal sieben Kilometer hin und zurück, doch ohne Gepäck und auf nach wie vor durchgehenden Radwegen war das ziemlich entspannt. Es ging unter anderem auf dieser Platanenallee entlang.
Wir fuhren in den Landschaftspark Duisburg-Nord. In diesem weitläufigen Parks steht ein stillgelegtes Industriegebiet mit zahlreiche Hochöfen. Ein Künstler hat dort eine abendliche Lichtinstallation eingebaut, doch von dieser prächtigen Beleuchtung sahen wir unter der Woche leider nur die Mini-Version.
Gerade fand ein Open-Air-Kino statt. Auch sonst wurde die Ruine außerordentlich kreativ verarbeitet. Alte Gasometern, wo die giftigen Gase aus den Hochöfen reingeleitet wurden, wurden meist gesprengt (wie in Hattingen an der Ruhr) oder zu Veranstaltungsräumen (Dortmund), doch in Duisburg (hinten rechts) ist das Gasometer mit Wasser gefüllt und ein Tauchbecken.
Für die Menschen aus dem Ruhrpott war solche eine Anlage noch vor ein bis zwei Generationen schnöder, stinkender, anstrengender Alltag. Wir jedoch kommen aus einer Region, deren traditionelle Einnahmequelle im Eintreiben von Strand-Kurtaxe besteht. Das Wort Hochofen hörte ich zum ersten Mal in der neunten Klasse im Chemieunterricht. Für uns ist das daher eine völlig irre Science-Fiction-Landschaft.
Was ebenfalls toll ist: Wie schon bei Tiger & Turtle ist alles kostenlos und 24 Stunden geöffnet und man darf ohne Führung auf eigene Faust herumstromern. Der Hochofen 5 kann jederzeit von jedermann bestiegen werden.
Unterwegs passierte ich mehrere "Bühnen" (Stockwerke), wo mich die Wegführung zwang, durch finstere Technik-Gänge zu wandern, bis es mit der nächsten Treppe weiterging. Informationstafeln erklären, wie genau die Arbeiter auf dieser Ebene gekühlt, geprüft, Giftgase gemieden und herumgewerkelt haben, damit unten guter Stahl herauskam.
Zwischen den Betonmauern der Vorratsbunker führt ein Hardcore-Klettergarten mit nur wenigen Stahlseilen und Stahlstufen entlang. Da muss man sich allerdings vorher mit einer Gruppe von mindestens 10 Personen anmelden. Die Spielplatzrutsche hingegen ist jederzeit nutzbar.
Am Beton wachsen sogar Farne, die sich sonst nur an den Hängen der Alpen wohlfühlen.
In besagten Bunkern (links) wurde Koks und anderes Zeug gelagert, das man oben in die Öfen gekippt hat. In einem Bunker wird eine Filmaufnahme von Arbeitern auf dem Gelände abgespielt. Ein anderer ist mit Wasser gefüllt, hier laicht die seltene Kreuzkröte.
Luft, Wasser und Boden sind im Ruhrgebiet heute sicherlich viel grüner und nicht mehr so dreckig wie früher. Einige Hochöfen brennen noch, doch ganz viel Stahl kommt heute aus China. Als ich aber eine Trinkflasche mit Leitungswasser leertrank, spürte ich, dass hier auch heute noch so manches toxischer ist, als es aussieht. Mir wurde sehr übel.
Spannend zu lesen! Man bekommt Lust, auch einmal loszufahren...
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