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01 August 2023

WHH: Von Hann. Münden nach Göttingen

Zwischen der Leine und der parallelen Weser gibt es mehrere Querverbindungen, von Elze nach Hameln zum Beispiel oder am Steinhuder Meer.

Die erste und möglicherweise schönste Querverbindung verläuft auf dem Weser-Harz-Heide-Radweg zwischen Göttingen und Hann. Münden. Diese Strecke von etwa 40 Kilometern sind wir hin- und zurückgefahren, um die Weser kennenzulernen. Wir erkundeten die Stadt einige Stunden lang und radelten dann zurück, bevor es dunkel wurde. Hann. Münden und die Weser gefielen uns ausgesprochen gut, und daher beschlossen wir: Irgendwann fahren wir auch mal den Weserradweg.

In Hann. Münden aus folgten wir kurz dem rechten Werra- und Weserufer entlang der Hauptstraße, vorbei an der Jugendherberge und der niedersächsischen Polizeiakademie. An der dicken Dorfkirche von Gimte bogen wir rechts ab.

Dort wurde es erstmal ein bisschen steil. Wir müssen die erste Hügelkette überwinden, um das Wesertal zu verlassen. Der Radweg und die Hauptstraße folgen dabei einem schmalen Einschnitt, den die Schede geschaffen hat, ein Bach, der zur Weser plätschert.

Dann begegnen wir einer ehemaligen Bahntrasse. Hier wurde sie mit glatten Betonplatten belegt. Sogar alte Signalanlagen stehen noch daneben. Schnurgerade zieht sich der Weg durch Wälder in ein enges Tal. Einfach ein fabelhafter Radweg, besonders für Bahnliebhaber.

Das ist der Weser-Harz-Heide-Radweg von seiner besten Seite!

Bei Scheden führt der Weg an einem Reiterhof vorbei, dessen Eigentümer bei Verfassen von Verbotsschildern ihrer kreativen Ader freien Lauf gelassen haben.

Hier erreichten wir eine hügelige Zwischental-Landschaft aus braunen Äckern. Die könnte man eigentlich auch weglassen und gleich zum nächsten Bahnradweg übergehen, aber ich mache die Landschaften ja nicht.

Leider kann der Radweg nicht die ganze Zeit auf der alten Bahntrasse verlaufen. In verschiedenen Dörfern mussten wir ordentlich auf und ab strampeln, während uns alte Menschen auf Bänken zusahen. Wir passierten unter anderem einen heruntergekommenen Bauernhof mit Ziegen.
Irgendwie wirken Bereiche in Niedersachsen, die keine Bahnanbindung haben, gleich viel ausgestorbener.

In der Mitte des Zwischentals liegt Dransfeld, die einzige Stadt zwischen Göttingen und Hann. Münden. Die Skyline Dransfelds besteht aus dem winzigen spitzen Türmchen der Kirche (links im Bild) und fetten gelben Quadern, in denen sich ein Haus- und Gartenmarkt befindet.

Die Innenstadt ist etwas idyllischer. Ich glaubte plötzlich, ich sei aus Versehen im Harz gelandet - die Fachwerkhäuser mit Schiefer und das eingerückte Rathaus mit Grünanlage davor erinnerten mich ganz stark an die harzigen Städtchen, vor allem an Clausthal-Zellerfeld. So weit entfernt sind die ja auch nicht.
Dransfeld ist überraschend lebendig - an der Hauptstraße waren viele Geschäfte und Imbisse, womit ich nach den ausgestorbenen Dörfern ringsherum gar nicht gerechnet hatte. Es mangelte nur an Fußgängern, die in die Geschäfte hineingingen. Das lag wohl auch an der gewaltigen Hitze.

Gegen die Hitze hilft das putzige kleine Freibad. Es liegt eine Etage höher am Campingplatz, die Straße dorthin führt steil bergauf. Dafür wartet oben eine schöne Aussicht und sehr kühles Wasser (fast schon zu kühles Wasser, aber bei dem Wetter will ich mich nicht beschweren).

Der Radweg entlang der Hauptstraße durch Dransfeld ist kürzer, aber auch steiler. Der Weser-Harz-Heide-Radweg verläuft mit Abstand im Bogen um die Stadt herum. Von dort aus sieht Dransfeld so aus wie auf diesem Bild - die gelben Klötze sind auch aus der Ferne zu erkennen. Wer in der Stadt nicht essen oder schwimmen will, muss entscheiden, ob er lieber mehr Strecke oder mehr Höhenmeter zurücklegen will. Ich glaube, ich würde tatsächlich die Höhenmeter empfehlen.
Auf den Bergen hinter Dransfeld steht der Gaußturm. Er erinnert an den Mathematiker und Landvermesser Carl Friedrich Gauß, der in Göttingen gewirkt hat. Der Aussichtsturm ist jedoch dauerhaft geschlossen.

Im Wald bei Ossenfeld beginnt dann der zweite Bahntrassen-Abschnitt. Der besteht zwar nur aus Kies, macht aber wirklich Spaß, vor allem in Richtung Göttingen. Denn dann hat der Weg ein leichtes, unsichtbares, aber doch spürbares Gefälle, sodass es sich fast wie von selbst fährt. In der Gegenrichtung fühlt es sich eher wie ein normaler ebenerdiger Weg an, vielleicht mit einem minimal Widerstand als sonst.
So tauchten wir ins Leinetal ein, und zwischen den Hecken öffneten sich weite Blicke auf die Göttinger Vororte.

Dann wurde es schattiger, und wir drehten eine Schleife um ein Dorf und unterquerten die Straßen in merkwürdigen Tunneln aus Wellblech, die an übergroße Abwasserkanäle erinnerten.
Von der Luftlinie her wäre es eindeutig kürzer, die Bahntrasse zu verlassen und quer durchs Dorf zu radeln. Aber ich bezweifle, dass man dadurch auch nur eine Minuten Zeit spart - es ist so viel unkomplizierter, sich einfach immer weiter durch den Kies abwärts ziehen zu lassen.

Schnurgerade zieht der WHH-Radweg zwischen aktiven Bahngleisen und dem Friedhof hindurch, überquert zwei Hauptstraßen und kommt schließlich am Ufer der Leine in Göttingen raus.

14 April 2023

Eiserner Vorhang: Von Walkenried nach Arenshausen

Die Eichsfeld-Grenze I

Länge: 77 km
Grenzquerungen: 7
Bundesländer: Niedersachsen/Thüringen
Seite: mehr Ost als West
Erkenntnis: Es gab mal einen Ort, an dem Katholiken coole Rebellen waren.

Der Harz liegt hinter mir, also wird es jetzt wieder flach? Falsch! Heute durchquere ich das Eichsfeld, und das bedeutet eine Hügelkette nach der anderen.
Hinter Walkenried führt die Grenze durch eine Wald- und Moorlandschaft zur 1. Kutzhütter Fabrik-Hügelkette. (Hinweis: Die Fabrik befindet sich nicht in dem kleinen Fachwerkhäuschen.)

Es folgt die 2. Tettenborner Hügelkette. In Tettenborn sollte es ein kleines Grenzmuseum geben, das hatte aber noch zu. Macht nichts, später kommt noch eins. Hinter der Autobahn erreicht die Straße Thüringen.

Auf der 3. Limlingeroder Hügelkette stehen zahlreiche Holzbänke aus Paletten. Hier konnte ich den Autoverkehr verlassen und ein bisschen die Einsamkeit eines Radwegs genießen.

Kurz darauf beginnt ein Wald, den ich über ein kleines Tal wieder verlassen habe. Ein Bach, dessen Namen ich nicht weiß, hat das Tal gebildet. Diesem kleinen, anonymen Wasserlauf bin ich wirklich dankbar. Er hat mir an diesem Tag die einzigen paar Kilometer ohne Steigungen geschenkt.

In Fuhrbach fuhr ich am Bach nach Niedersachsen rüber. Hier soll irgendwo eine Friedenseiche stehen, die an die Grenze erinnert. Welcher der Bäume das jetzt war, weiß ich auch nicht. Suchen Sie sich einen aus.
Die Ziegelei Zwinge in Fuhrbach war einer der ganz wenigen DDR-Betriebe, der nahe der Grenze weiterbetrieben wurde. Die Arbeiter wurden jeden Morgen von der Grenzpolizei kontrolliert. Eine Mauer umschloss die Ziegelei, über die es anfangs dem einen oder anderen gelang, in den Westen zu klettern.
Beschilderung für Radfahrer ist kaum vorhanden. Ich habe mich überwiegend an gelben Autoschildern orientiert.

Hier wendet sich die Grenze (links im Wald) wieder nach Süden. Entlang der Straße geht es direkt nach Duderstadt. Auf dem Weg liegt noch die Rothe Warte, eine bekannte Waldgaststätte (nicht nach dem Rot des Kommunismus benannt).
Als die Aliierten 1945 die Zonengrenze bestimmten, sollte ein großer Teil des Duderstädter Waldes an die Ostzone fallen. Bis zur Übergabe erlaubte die Stadt den Bürgern, dort so viel Holz zu fällen, wie sie wollten. Kurze Zeit später erhielten die Sowjets einen äußerst ausgedünnten Wald.

Duderstadt besteht aus rotem Fachwerk. Es ist nämlich eines dieser bezaubernden Fachwerkstädtchen im südlichen Niedersachsen, die ich so gern mag. Auch wenn Göttingen, Einbeck und Hann. Münden noch fachwerkiger sind - direkt am Grünen Band werden Sie in Niedersachsen keine schönere Stadt finden. Duderstadt wurde 1989 kurzzeitig 
Trabbi Town genannt, die Stadt mit den meisten Trabbis, als nach dem Fall alle durch den nahen Grenzübergang hierher trabten.
Was ich auch sehr sympathisch finde: Duderstadt hat ein nicht ganz so abstraktes Grenzdenkmal, das ich verstehe.

Als nächstes leitet mich die Karte auf die 4. Duderstädter Hügelkette rauf und wieder runter (und später nochmal rauf und wieder runter, und weil es so viel Spaß macht, auch noch ein drittes Mal). Der Radfahrer strampelt über die grünen Felder nach Thüringen. Das nächste Grenzdenkmal nennt sich OstWestliches Tor und ist wieder sehr abstrakt: Zwei geschälte Bäume auf einem Stahlband.

Im Dorf Wehnde habe ich mich ziemlich verfahren, bis ich auf einen Betonplattenweg nach Teistungen gelangte.

Im Mittelalter hatte Teistungen ein großes Kloster namens Teistungenberg. 1962 wurde es abgerissen, nur ein paar alte Efeumauern stehen noch.
Heute steht dort ein neuer Gebäudekomplex, der ein Luxushotel beinhaltet (hinten am Berghang). Auch ein kleiner Freizeitpark soll dort entstehen.

Falls die Hotelgäste mal Lust auf politische Bildung statt Poolbaden haben, können sie die Straße in einem gläsernen Tunnel überqueren. Dort erwartet sie das Grenzlandmuseum Eichsfeld.

Anfangs gab es in ganz Deutschland nur drei Grenzübergänge der beiden deutschen Staaten. Nach dem Grundlagenvertrag kamen 1973 vier weitere dazu, die für den sogenannten Kleinen Grenzverkehr bestimmt waren. Einer davon befand sich im Gebäude, das heute das Museum enthält: Die Grenzübergangsstelle Duderstadt-Worbis.
Kleiner Grenzverkehr bedeutet: Die Westdeutschen durften maximal neun Tage in die Landkreise nahe am Grenzübergang reisen, an diesem Übergang also ins Eichsfeld und in den Ostharz. Für neugierige Touristen war das erfreulich, für Menschen mit Verwandten auf der anderen Seite ein Segen (sofern sie die Verwandten mochten). Ein Visum kostete 15 Mark, außerdem musste jeder Reisende 25 DDR-Mark pro Tag umtauschen. Die BRD-Regierung forderte die Bürger auf, diese Reisemöglichkeit oft zu nutzen, damit sich die Deutschen wieder annähern.
Außerdem wurde 1973 eine direkte Telefonleitung zu den westlichen Beamten eingerichtet, um Grenzprobleme zu klären, zum Beispiel bei der Brandbekämpfung.

Das dürfte das einzige Grenzmuseum mit einem Spiegellabyrinth sein. (Begründung: Grenzen spiegeln Systeme.)

Anschließend muss der Besucher eine Passkontrolle passieren. Die Schaufensterpuppe sagt "Ihren Pass bitte." Ich hatte meinen nicht dabei, durfte aber trotzdem ins nächste Zimmer.
Diese Kontrollschleuse war für Westdeutsche gebaut worden, die in Ermangelung eines eigenen Autos die Grenze mit dem Linienbus überquerten.
Das waren auch schon die aufregendsten Stationen. Ansonsten beinhaltet das Museum viel Text mit Bildern, Zeitungsausschnitte und alte Schreibmaschinen im originalen Stenoypistenraum. Im Keller sollte es eine Arrestzelle für geschnappte Flüchtlinge geben, die habe ich aber nicht entdeckt.
Ein paar Texttafeln widmen sich dem katholischen Eichsfeld. Die DDR-Regierung wollte diese zurückgebliebene Region industrialisieren und den Bürgern durch diesen Aufstieg ihre Religion abgewöhnen. Ersteres gelang sogar ein bisschen, letzteres gar nicht. Auch wenn neue Kalibergwerke, Zementwerke und die größte Baumwollspinnerei Europas (in Leinefelde) neue Arbeitsplätze schufen, hielten die Eichsfelder weiterhin ihre katholischen Prozessionen quer durchs Dorf ab. Anders als im Rest des Landes machen nur wenige Jugendliche die Jugendweihe, in einigen Dörfern sogar null Prozent.

Hinter dem Hauptgebäude stehen noch ein paar alte Militärfahrzeuge und den Mühlenturm, in dem die Stasi die ganze Anlage kontrollierte. Bis 1970 befand sich in dem Turm tatsächlich eine Mühle. Er ist das einzige zivile Gebäude, das jemals zu einem Teil der DDR-Grenzanlagen umgebaut wurde.
Der Mühlenturm gehört nun zum Museum und sollte eigentlich auch geöffnet sein, war er aber nicht. Das hohe Betonding mit DDR-Flagge (rechts hinten) sollte die Autofahrer bei der Einfahrt beeindrucken.

Falls jemand versuchte, die langen Kontrollen abzukürzen, mit dem Auto auf die harte Tour durch den Grenzübergang zu brechen und einfach alles kaputtzufahren, wurde dieser fette Schlagbaum heruntergelassen. Der brachte selbst einen LKW zum Stehen. Der Knopf zum Absenken befand sich ebenfalls im Mühlenturm.
Diese Straße führt zurück nach Duderstadt. Da war ich schon, also lieber kurz vor der Grenze nach links!

Wie schon in Sorge und an vielen anderen Orten hat das Museum als kostenlosen Außenbereich einen Grenzwanderweg mit originalen Grenzanlagen.
Zuerst überquert der Kolonnenweg einen Bach namens Hahle. Die Brücke haben die Grenztruppen damals gebaut. Ein paar Meter weiter stellten sie einen Gitterzaun in den Fluss, in dem sich Treibgut verfing. Manchmal war der Zaun so verstopft, dass die Hahle die umliegenden Äcker überflutete. (Nicht einmal Wasser durfte die DDR ohne Erlaubnis verlassen.) Dann kurbelten die Grenzsoldaten das Gitter nach oben und eine Flutwelle mit Treibgut schwappte in den Westen. Das sorgte nicht nur für Sachschäden, sondern tötete 1981 sogar einen Menschen.
Ein anderes Drama ereignete sich 1964 in diesen Hügeln, als DDR-Soldaten Grenzpfähle herauszogen und weiter im Westen wieder reinsteckten. Laut dem Potsdamer Abkommen sollte die Grenze nämlich genau dort verlaufen (wie früher schon zwischen dem Königreich Hannover und Preußen). Die Briten wichen bei einem Gebietstausch um ein paar Meter davon ab und hielten das in einem Extra-Abkommen mit den Sowjets fest, und die DDR-Führung war anscheinend zu dem Schluss gelangt, dieses Extra-Abkommen sei voll doof und somit völkerrechtlich unwirksam. Als der Bundesgrenzschutz mit Verstärkung zurückkehrte, musste die DDR wortwörtlich zurückstecken.

Ab und zu standen solche kleinen Beobachtungsbunker an der Grenze. Sie sollten offiziell die Grenzsoldaten vor Schüssen aus dem Westen schützen. Auch wenn sie nie auf diese Weise eingesetzt wurden.

Die Flüchtlinge konnten nie wissen, ob sie durch den schmalen Spalt beobachtet wurden, und vermutlich war genau das der Sinn der kleinen Klötze.

Dann trennt sich der lokale Grenzwanderweg vom Iron Curtain Trail und führt in einem Bogen auf der Westseite zurück.
Der interessanteste Ort auf der westlichen Strecke dürfte der Pferdeberg sein. Der heißt so, weil da König Heinrich I. im Jahre 929 möglicherweise ein Gestüt unterhielt, oder auch nicht. Später bauten die Duderstädter dort die Perde-Warde (Pferdewarte), einen steinernen Beobachtungsturm für ihr Verteidigungssystem. Im Kalten Krieg war der längst zerfallen und es entstand ein neuer Turm aus Holz. Der diente allerdings nicht der Verteidigung, sondern dem Tourismus, der politischen Bildung und quasi auch dem Schutz der Bürger vor ihrem eigenen Leichtsinn. Wenn sie die Mauer aus der Ferne gut sehen können, gehen sie hoffentlich nicht zu dicht dran - mit dieser Hoffnung baute der Bundesgrenzschutz hölzerne Hochsitze mitsamt Informationstafeln und war damit plötzlich auf dem Gebiet des Tourismus tätig.

Ich hatte so viel Zeit im Museum und auf dem Grenzweg verbracht, dass es zeitlich langsam eng wurde. Eigentlich wollte ich nicht auch noch zum Pferdebergturm, aber irgendwie hatte ich mich in diesem Wald ein bisschen verirrt. Als sich der Turm plötzlich vor mir erhob, bin ich dann aber doch hinaufgestiegen und konnte das ganze Grenzgebiet nochmal im Überblick sehen.
Okay, neuer Versuch. Ah, das ist der Immingeröder Kreuzweg! Jetzt wusste ich wieder, wo ich war - ungefähr jedenfalls. Und ich wusste, wo es langging - steil nach unten, wieder runter von den Duderstädter Hügeln.
Dieses Kreuz stiftete 1984 die Jungfrau (woher auch immer Informationstafel das so genau weiß) Christine Borchardt aus Dankbarkeit, als sie eine schwere Krankheit heil überstand.
Sehr dankbar waren im Jahre 1961 auch 13 Menschen, als sie dieses Kreuz erreichten.

Unten im Tal habe ich Böseckendorf durchquert. Das Dorf wurde 1961 bekannt für die größten Massenfluchten über die Grenze: Hier ist fast ein ganzes Dorf abgehauen. Zweimal rannten jeweils 13 Menschen (je ein Viertel der Einwohner) trotz Tretminen zwei Kilometer in den Westen. Beim zweiten Mal war furchtbares Winterwetter und der Schlitten mit ihren Habseligkeiten kippte dreimal um. Aber die Zeit drängte, denn ein lokaler Grenzsoldat wollte mitflüchten und helfen, und der sollte bald ausgewechselt werden. In der BRD gründeten sie Neu-Böseckendorf.

Der Rest der Strecke bietet kaum noch historische Relikte, sondern nur noch Steigungen, Steigungen und Steigungen. Besonders steil ist die 5. ätzend hohe Hügelkette bei Etzenborn und Neuendorf.

Uff! Dann noch die 6. Weißenborner Hügelkette und die 7. finale Hügelkette ins Leinetal. Bei Mengelrode bietet sich ein Ausflug ins schöne Heiligenstadt an.
Eigentlich sollte es hier Radwege geben. Nun ja. Grundsätzlich ist das ein Radweg, aber Autos sind erlaubt... alles klar. Diese merkwürdigen "Radwege" waren teilweise zweispurig mit Leitlinie und so breit wie eine gewöhnliche Landstraße.

An der Autobahn hatte ich dann das Schlimmste hinter mir, ab jetzt ging es vor allem bergab.
Dabei entdeckte ich doch noch ein Zeugnis der Vergangenheit: Ein Bauer benutzt den alten Streckmetallzaun, um seine Weide zu begrenzen. Laut dem Museumswärter in Sorge kam das ziemlich häufig vor, dass sich alle am Zaun bedienten, denn sie wussten, dass dieses Material für die Ewigkeit gemacht war. Zwischen "Weg damit, ich will das nie mehr sehen!" und "Wir müssen das unbedingt als Zeugnis und Mahnung für unsere Nachkommen erhalten." gab es auch diese ganz pragmatische, eigennützige Herangehensweise.

Ein weiteres Kuriosum ist diese Riesenbank.

Noch ein bisschen bergauf, bald ist es geschafft. Im Hintergrund erhebt sich die restaurierte Burg Rusteberg. Die Burgen hier sehen irgendwie alle nur wie gelbe Hotels aus.

In Marth führt eine Pflasterstraße steil nach unten. So bin ich rasend schnell wie ein sehr holpriger Falke ins Leinetal hinuntergesaust.

Unten bin ich auf den guten alten Leineradweg gestoßen, der an der Hauptstraße nach Arenshausen führt. Die Leine ist der einzige größere Fluss, den ich kenne, der die Grenze einfach nur kreuzt und nicht selbst zur Grenze wird. Auch der Radweg ist nur ganz kurz mit dem Leineradweg identisch. (Da gibt es dann auf einmal wieder Fahrradschilder.) An der Leine empfiehlt sich ein Abstecher zum Museum Friedland, wo seit 1945 ein Auffanglager für Flüchtlinge steht. Es ist vielleicht kein herkömmliches Grenzlandmuseum wie die anderen, aber es hat auch mit der Grenze zu tun.

Fährt man in Richtung Friedland, so überquert man die Grenze an dieser Stelle. Direkt an der Grenzlinie befindet sich neben dem üblichen braunen Schild auch das Rittergut Besenhausen und ein kleiner Wanderweg mit Hinweistafeln. Darauf erzählen zum Beispiel Anwohner, wie sie auf der Rückfahrt vom Kleinen Grenzverkehr stundenlang von der Stasi verhört wurden, bloß weil jemand gesehen hatte, wie ein DDR-Bürger sie kurz nach Westgeld gefragt hatte.

13 April 2023

Eiserner Vorhang: Von Ilsenburg nach Walkenried

Die Harzgrenze

Länge: 53 km (plus 10 km vom Bahnhof Bad Harzburg)
Grenzquerungen: 4
Bundesländer: Niedersachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen
Seite: viel mehr Ost als West
Erkenntnis: Im Gebirge ist alles etwas anders.

So, neben all dem Gewander will ich aber auch noch radfahren. Nach dem Weser-Harz-Heide-Radweg war das schon das zweite Mal, dass ich mir vorgenommen hatte, an einem Tag mitten durch den Harz zu radeln - mit einem Tourenrad und ein bisschen Gepäck auf jeden Fall eine Herausforderung. Und wie beim WHH-Radweg wurde es gegen Ende knapp.
Zunächst einmal bin ich vom Bahnhof Bad Harzburg zur Betonbrücke von Stapelburg zurückgekehrt, um dann über diverse Birkenhügel die Schlucht von Ilsenburg anzusteuern. Damit beginnt der Iron Curtain Trail seinen großen Schlenker tief hinein in den Nordostharz, auf dem er die unwegsame Hälfte der Harzgrenze weiträumig umfährt.

Erst das Ilsetal bietet Radfahrern endlich die Möglichkeit, in den Harz einzutauchen. Durch den Wald schlängelt sich ein Kiesweg ganz sanft bergauf. Die Ilse plätschert in kleinen Wasserfällen in die entgegengesetzte Richtung.

Auf dem Weg liegt die Prinzess-Quelle, eine der Ilsequellen. Deren Wasser wurde früher über ein Rohr direkt ins Tal geleitet und als Tafelwasser abgefüllt.
Mensch, dachte ich, wer hätte gedacht, dass der Weg in den Harz hinauf so angenehm ist? Ich musste nur ab und zu Fußgänger aus dem Weg klingeln.


An der nächsten Kreuzung sollte ich links abbiegen. Da verschwanden die Fußgänger und das Terrain wurde plötzlich rauer. Der Kiesweg schraubt sich staubig steil bergauf. Plötzlich kam mir ein Bus entgegen. Ich musste ausweichen und fuhr den nächsten halben Kilometer in einer monströsen Staubwolke. Ja, auf diesem abenteuerlichen Weg fahren Linienbusse, und zwar gar nicht so selten. Die einsamen Harzhäuschen sind hier besser an den Nahverkehr angebunden als viele deutsche Dörfer.


Einen Vorteil hatten die Bushaltestellen allerdings: Sie sind gute Orientierungspunkte für die Wegbeschreibung im Radführer ("an der Haltestelle Bielstein rechts").
Ansonsten bin ich den hölzernen Wanderschildern des Nationalparks gefolgt. Fahrradschilder gab es nicht.


Der Harz, das sind ja im Prinzip Halbkugel-Berge mit viel Wald drauf, die in der Ferne aus irgendeinem Grund blau und durchsichtig schimmern. Je höher sich der Weg schraubte, desto öfter hatte der Wald Lücken. Der Borkenkäfer hat wieder zugeschlagen.


Auf diesen leeren Flächen liegen richtig dicke Granitbrocken herum. Also, eigentlich liegen die überall im Harz herum, aber auf den leeren Flächen fallen die mehr auf. Besonders, wenn sie auch noch zu erstaunlichen Stapeln aufgetürmt wurden.
Einer dieser Riesensteine am Wegesrand ist dem Forstmeister Ernst Freiherr von Eschwege gewidmet, der sich für diese Landschaft engagiert hat. Einfach eine Tafel an den Stein tackern, so spart man sich die Statue.
In der Ferne ertönt ein Heulen. Schuhuuu! Was mag das sein?


Es ist die Harzer Schmalspurbahn. Das sind hochpreisige, berühmte Züge, die mit Dampf und Diesel fahren. Im Kalten Krieg waren die Schienen geteilt, heute bilden sie das größte Schmalspurbahn-Netz Deutschlands.

Nach über zehn Kilometern Wald bin ich in Drei Annen Hohne rausgekommen. Dabei handelt es sich um eine winzige Handvoll Häuser, einen Bahnhof und einen Imbiss.
Drei Annen Hohne hat also vor allem deshalb einen eigenständigen Namen, damit überhaupt mal wieder irgendein Name auf der Karte steht. Aber wieso ausgerechnet so ein seltsamer Name? Weil sich der Adlige Christian Friedrich zu Stolberg-Wernigerode Anteile an einem Bergwerk gekauft hat, das in der Nähe lag. Seine Mutter, Tochter und Nichte hießen alle Anna, um die Ecke lagen die Hohneklippen, und aus irgendeinem Grund ist daraus Drei Annen Hohne geworden. Das Bergwerk ging übrigens pleite. Der Christian hätte lieber Anteile an dem Imbiss am Bahnübergang erwerben sollen, der ausschließlich Erbsensuppe, seltsame Wurst und Bier serviert. Vielleicht hätten ihm schon damals Radler und Motorradfahrer die Tür eingerannt.

Diesen Bahnhof habe ich später auch als Ausgangspunkt für eine Radtour an der Holtemme genutzt.

Dann geht der Waldweg weiter. An dieser Bank mit rustikalem Fußhocker habe ich eine kleine Wanderung zum Königshütter Wasserfall eingeschoben.

Am Kreisverkehr von Elend steht Deutschlands kleinste Holzkirche nebst einigen schwedischen Ferienhäusern. Elend ist immerhin ein richtiges Dorf, nicht nur ein Imbiss an der Kreuzung. Trotzdem war es viel ausgestorbener als Drei Annen Hohne, zu essen gab es auch nix. Dafür ist Elend der Ausgangspunkt, wenn man vom Iron Curtain Trail aus zum Wurmberg oder Brocken will.


Nun ist die Zeit der wilden Waldwege zu Ende. Ich bin auf einer schmalen Straße gefahren, die von kleinen gelben Blümchen und zahllosen Bahnübergängen gesäumt wird. Die Schmalspurbahn kreuzt immer wieder den Weg.

Die Grenze kommt aus Richtung Braunlage langsam wieder näher. Im Tal der Bremke und Bode gibt es aber nur miese Lochplatten und sogar eine große Kreuzung vieler Lochplatten, also schickt mich der Radweg noch nicht dorthin.


Diese Katze ist in Sorge. Nicht nur, weil sich Gewitterwolken sammeln und weil sich fremde Leute ihrem Restaurant nähern, sondern auch, weil ihr Restaurant im Dorf namens Sorge liegt. Ich habe mich von ihrem grimmigen Blick nicht abschrecken lassen und mir im Sonnenhof den Bauch vollgeschlagen.


Elend, Sorge, später kommt auch noch Zorge… wieso haben die Orte hier so deprimierende Namen, wo sie doch so schön gelegen sind und auch ganz schön aussehen? Der Name Sorge kommt vom altdeutschen Wort zarge für Grenze. Dieses Wort war längst ausgestorben, als besagte Grenze begann, den Leuten so richtig Sorgen zu machen.


Am Bahnhof steht ein kleines Grenzmuseum. Daneben sehen Sie einen der Vollpfosten aus der DDR.


Das Museum besteht aus einem Raum. Darin erklärte der Museumswärter gerade zwei anderen Besuchern die Ausstellungsstücke. Dass ich mittendrin dazukam, störte mich nicht - die allgemeinen Fakten zu den Grenzanlagen hatte ich inzwischen schon zu Genüge gehört. Aber jedes Museum bringt auch ein paar neue Informationen (Wussten Sie, dass Igel und Mäuse durch Löcher im Beton unter den Zäunen durchschlüpfen konnten? Nicht aus Tierliebe, sondern damit sie die Selbstschussanlagen nicht auslösten.) und besondere Ereignisse aus der Region. (An der hiesigen Grenze hinterließ ein genervter junger Grenzsoldat auf seinem abgerissenen Kragen eine verbotene Nachricht an seinen Nachfolger in einer Thermoskanne: Viel Glück und er solle bloß nicht länger beim Militär bleiben als nötig. Oder: Weil der Boden am Grenzzaun mit Chemikalien behandelt wurde, wächst dort oft auch heute nichts mehr. Dennoch wird die Harzgrenze schwerer zu erkennen, denn durch den Borkenkäfer verschwinden auch die anderen Bäume.)

Eigentlich besteht das Museum nicht nur aus diesem Raum. Es hat auch noch einen kostenlosen Outdoor-Teil. Den kann man sich mit vorher runtergeladenem Audioguide oder sogar zu Hause rein virtuell angucken. Um das Freilichtmuseum zu erreichen, leitete mich die Karte doch noch auf den Betonplattenweg - diesmal ist es die Holperei wert. Zuerst durchquerte ich ein Tor im Signalzaun...

...und es folgten der Streckmetallzaun, ein Beobachtungsturm und jede Menge Holz. Der Turm wurde kürzlich frisch hergerichtet, man soll ihn demnächst sogar besteigen können - von innen. Damit wäre er meines Wissens der erste an der innerdeutschen Grenze.


Ein Museum, originale Grenzanlagen, ein Kolonnenweg... was fehlt noch? Richtig, ein künstlerisches Mahnmal.
Man nehme vier alte Betonpfähle, entferne den Zaun, lege einen Haufen totes Holz im Kreis drumherum und pflanze Sträucher, die den Ring zuwuchern. Fertig ist der Ring der Erinnerung. Die Natur holt sich alles zurück.


Nun ist das Freilichtmuseum zu Ende, doch der Kolonnenweg geht immer weiter - und bildet sich offenbar ein, er sei eine Achterbahn. Aaargh… wie tief geht es hier bitte runter?
Ich habe versucht, den Löchern auszuweichen, um nicht komplett durchgeschüttelt zu werden. Aber selbst wenn es mir gelang, ganz gerade in einer Linie zu fahren, nützte das nichts - die Betonplatten waren leicht versetzt.


Nach einigem Auf und Ab führte mich der Weg nach Niedersachsen - zum ersten Mal seit heute Morgen.
Im Westen begrüßte mich ein niedersächsisches Dorf namens Hohegeiß. Der Name lautete früher hogeyz und dann Hohegeist, er hat demzufolge nichts mit einer Geiß, also Ziege, zu tun. Trotzdem bewacht ein steinerner Geißbock die Kreuzung. Auf seinem Sockel steht geschrieben:
Ich stehe hier zum Lob und Preis
für mein schönes Hohegeiß.
Auf einmal erklingt in meinem verdrehten Hirn die Melodie von Gangsters Paradise. Während der restlichen Tour spielt es den Refrain immer und immer wieder mit dem Hohegeiß-Vers ab.
Ich stehe hier zum Lob und Preis
für mein schönes Hohegeiß.
Alter, was ein geiler Scheiß:
Dieser Geißbock steht in Hohegeiß.
Sie bezahlten einen hohen Preis
für die Grenze hier in Hohegeiß.
Doch nun steh ich hier zum Lob und Preis
für mein schönes Hohegeiß.


Zum Schluss muss man nur noch die steile Straße bergab sausen und ist aus dem Harz raus. Wegen des stürmischen Wetters war niemand unterwegs, ich hatte die Bergstraßen für mich.
Leider habe mich entschieden, noch einen Umweg einzuschieben, und eine andere Straße gewählt. Die führte mich zurück in den Osten - also wieder nach Sachsen-Anhalt, oder?


Falsch, nach Thüringen! Ein paar Meter neben der Straße, umgeben von Tannen, treffen sich die drei Harz-Bundesländer Niedersachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen am Dreiländerstein. Der wurde seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr aktualisiert. Deshalb stehen da noch die Kürzel der früheren Herzogtümer drauf.


Joa, und dann hatte ich die glorreiche Idee, auf einem Waldweg rüber zur Straße mit der offiziellen Route zu wechseln. Ich erwischte leider den falschen Waldweg, der sich eine ganze Weile um die Berge herumschlängelte. Einmal überquerte ich erneut ein Stück Kolonnenweg und wusste, dass ich wieder an der Grenze war - aber wo?
Endlich führte mich der Weg in ein Dorf namens... Sülzhayn? Verdammt, wo bin ich?

Eigentlich hätte ich der Straße und dem Flüsschen Zorge durch ein langgezogenes Dorf namens Zorge folgen sollen, in dem Lokomotiven und Weihnachtspyramiden hergestellt wurden.


Naja, auf jeden Fall führte in Sülzhayn ein Weg aus dem Harz hinaus. Gemeinsam mit dem Getreide wogte ich dort im Wind.

Die Grenze verlässt den Harz ein paar Kilometer weiter, sobald sich das Tal der Zorge zu einer Wiese öffnet. Hier bekommt man Einblicke ins Next Farming (so stand es auf dem Auto), die Zukunft der Landwirtschaft: Ein next Farmer fährt mit seinem Auto rum, an dem hinten einen dickes Teil rangebaut wurde. Es bohrt alle paar Meter lautstark tiefe Löcher ins Gras. Welche Pflanze muss den so tief eingesät werden? Oder sucht er nach Öl?


Nach einer gesperrten Straße und einer Umleitung bin ich in Ellrich endlich auf die offizielle Route gestoßen. Ellrich ist nicht so schön wie andere Harzstädte, besonders düster ist es aber hinter dem Bahnhof. Dort befand sich Juliushütte, ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald.


Die unterernährten Häftlinge mussten aus diesen Felswänden Gips abbauen.

Weil das Lager genau auf dem Grünen Band lag, ist es während des Kalten Krieges völlig verfallen. Hier entstand keine umfangreiche Gedenkstätte wie in Buchenwald, Sachsenhausen, Bergen-Behlsen und all den anderen schrecklichen Orten. Die Natur hat sich bemüht, die Erinnerungen an diesen Ort zu tilgen. Nur noch die Grundmauern sind übrig. Die Tafeln daneben verraten, dass zum Beispiel diese Mauern der Küche gehörten.
Juliushütte ist (zusammen mit der Topographie des Terrors in Berlin) vielleicht der einzige deutsche Ort, der das volle doppelte Grauen des 20. Jahrhunderts abgekriegt hat. Nirgendwo sonst dürften so viele ruhelose Geister unterwegs sein.

Als ich in den Wald eingetauchte, wurde es schlagartig dunkel. Donner grollte, Regen peitschte der Weg wurde zu einem schmalen Trampelpfad, und immer neue Überreste der grauenhaften Anlage schälten sich aus der Finsternis. Das nenne ich gruselig.


Der Weg führte zwischen ein paar Teichen von Walkenried hindurch. Er wurde immer mieser und hatte kleine Brücken, die vermutlich nicht für Radfahrer gedacht waren. Ich wünschte, ich wäre an den Resten von Juliushütte umgekehrt und das letzte Stück auf der Straße gefahren.
Die offizielle Route führt auf Pfaden durch diesen Wald, aber bestimmt nicht auf diesem Pfad. Ich war schon wieder falsch. Fluchend hievte ich mein Rad zwischen großen Teichen über matschige Wege, die kaum noch als solche zu erkennen waren. Panik erfasste mich. Sollte ich umdrehen? Aber wie lange war ich schon auf dem falschen Weg, und würde ich den letzten Zug des Tages dann überhaupt noch schaffen? Sowohl ich als auch der Wald waren zu nass für eine Übernachtung in der Wildnis.

(Nachtrag: Auch bei Tageslicht ist die richtige Strecke, die in der Karte wirklich verzeichnet ist, größtenteils Mist. Nur wenn man den Online-Karten auf einen breiten Waldweg folgt, geht es.)

Aus irgendeinem Grund kam ich nachts bei den Bahngleisen heraus. Zum Glück verlief daneben ein etwas besserer Pfad, dem ich dann einfach gefolgt bin. Dabei habe ich auch einen Tunnel durchquert, was vermutlich nicht so richtig erlaubt war. Obwohl, ein Verbotsschild war da auch nicht.

Kurze Zeit später überquerte etwas den Radweg. Im Dunkeln brauchte ich ein paar Sekunden, um eine Horde Wildschweine zu identifizieren, inklusive Frischlinge. Großzügig, wie ich nun einmal bin, gewährte ich ihnen Vorfahrt.


Als ich am Bahnhof von Walkenried erreichte, war ich weitgehend durchnässt und hatte an dem Tag keine Zeit mehr, die eindrucksvollen Ruinen des Zisterzienserklosters zu bewundern.