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01 August 2023

WHH: Von Hann. Münden nach Göttingen

Zwischen der Leine und der parallelen Weser gibt es mehrere Querverbindungen, von Elze nach Hameln zum Beispiel oder am Steinhuder Meer.

Die erste und möglicherweise schönste Querverbindung verläuft auf dem Weser-Harz-Heide-Radweg zwischen Göttingen und Hann. Münden. Diese Strecke von etwa 40 Kilometern sind wir hin- und zurückgefahren, um die Weser kennenzulernen. Wir erkundeten die Stadt einige Stunden lang und radelten dann zurück, bevor es dunkel wurde. Hann. Münden und die Weser gefielen uns ausgesprochen gut, und daher beschlossen wir: Irgendwann fahren wir auch mal den Weserradweg.

In Hann. Münden aus folgten wir kurz dem rechten Werra- und Weserufer entlang der Hauptstraße, vorbei an der Jugendherberge und der niedersächsischen Polizeiakademie. An der dicken Dorfkirche von Gimte bogen wir rechts ab.

Dort wurde es erstmal ein bisschen steil. Wir müssen die erste Hügelkette überwinden, um das Wesertal zu verlassen. Der Radweg und die Hauptstraße folgen dabei einem schmalen Einschnitt, den die Schede geschaffen hat, ein Bach, der zur Weser plätschert.

Dann begegnen wir einer ehemaligen Bahntrasse. Hier wurde sie mit glatten Betonplatten belegt. Sogar alte Signalanlagen stehen noch daneben. Schnurgerade zieht sich der Weg durch Wälder in ein enges Tal. Einfach ein fabelhafter Radweg, besonders für Bahnliebhaber.

Das ist der Weser-Harz-Heide-Radweg von seiner besten Seite!

Bei Scheden führt der Weg an einem Reiterhof vorbei, dessen Eigentümer bei Verfassen von Verbotsschildern ihrer kreativen Ader freien Lauf gelassen haben.

Hier erreichten wir eine hügelige Zwischental-Landschaft aus braunen Äckern. Die könnte man eigentlich auch weglassen und gleich zum nächsten Bahnradweg übergehen, aber ich mache die Landschaften ja nicht.

Leider kann der Radweg nicht die ganze Zeit auf der alten Bahntrasse verlaufen. In verschiedenen Dörfern mussten wir ordentlich auf und ab strampeln, während uns alte Menschen auf Bänken zusahen. Wir passierten unter anderem einen heruntergekommenen Bauernhof mit Ziegen.
Irgendwie wirken Bereiche in Niedersachsen, die keine Bahnanbindung haben, gleich viel ausgestorbener.

In der Mitte des Zwischentals liegt Dransfeld, die einzige Stadt zwischen Göttingen und Hann. Münden. Die Skyline Dransfelds besteht aus dem winzigen spitzen Türmchen der Kirche (links im Bild) und fetten gelben Quadern, in denen sich ein Haus- und Gartenmarkt befindet.

Die Innenstadt ist etwas idyllischer. Ich glaubte plötzlich, ich sei aus Versehen im Harz gelandet - die Fachwerkhäuser mit Schiefer und das eingerückte Rathaus mit Grünanlage davor erinnerten mich ganz stark an die harzigen Städtchen, vor allem an Clausthal-Zellerfeld. So weit entfernt sind die ja auch nicht.
Dransfeld ist überraschend lebendig - an der Hauptstraße waren viele Geschäfte und Imbisse, womit ich nach den ausgestorbenen Dörfern ringsherum gar nicht gerechnet hatte. Es mangelte nur an Fußgängern, die in die Geschäfte hineingingen. Das lag wohl auch an der gewaltigen Hitze.

Gegen die Hitze hilft das putzige kleine Freibad. Es liegt eine Etage höher am Campingplatz, die Straße dorthin führt steil bergauf. Dafür wartet oben eine schöne Aussicht und sehr kühles Wasser (fast schon zu kühles Wasser, aber bei dem Wetter will ich mich nicht beschweren).

Der Radweg entlang der Hauptstraße durch Dransfeld ist kürzer, aber auch steiler. Der Weser-Harz-Heide-Radweg verläuft mit Abstand im Bogen um die Stadt herum. Von dort aus sieht Dransfeld so aus wie auf diesem Bild - die gelben Klötze sind auch aus der Ferne zu erkennen. Wer in der Stadt nicht essen oder schwimmen will, muss entscheiden, ob er lieber mehr Strecke oder mehr Höhenmeter zurücklegen will. Ich glaube, ich würde tatsächlich die Höhenmeter empfehlen.
Auf den Bergen hinter Dransfeld steht der Gaußturm. Er erinnert an den Mathematiker und Landvermesser Carl Friedrich Gauß, der in Göttingen gewirkt hat. Der Aussichtsturm ist jedoch dauerhaft geschlossen.

Im Wald bei Ossenfeld beginnt dann der zweite Bahntrassen-Abschnitt. Der besteht zwar nur aus Kies, macht aber wirklich Spaß, vor allem in Richtung Göttingen. Denn dann hat der Weg ein leichtes, unsichtbares, aber doch spürbares Gefälle, sodass es sich fast wie von selbst fährt. In der Gegenrichtung fühlt es sich eher wie ein normaler ebenerdiger Weg an, vielleicht mit einem minimal Widerstand als sonst.
So tauchten wir ins Leinetal ein, und zwischen den Hecken öffneten sich weite Blicke auf die Göttinger Vororte.

Dann wurde es schattiger, und wir drehten eine Schleife um ein Dorf und unterquerten die Straßen in merkwürdigen Tunneln aus Wellblech, die an übergroße Abwasserkanäle erinnerten.
Von der Luftlinie her wäre es eindeutig kürzer, die Bahntrasse zu verlassen und quer durchs Dorf zu radeln. Aber ich bezweifle, dass man dadurch auch nur eine Minuten Zeit spart - es ist so viel unkomplizierter, sich einfach immer weiter durch den Kies abwärts ziehen zu lassen.

Schnurgerade zieht der WHH-Radweg zwischen aktiven Bahngleisen und dem Friedhof hindurch, überquert zwei Hauptstraßen und kommt schließlich am Ufer der Leine in Göttingen raus.

01 Juni 2020

Eder: Von Frankenberg nach Herzhausen

Ereignisse einer Eder-Expedition
2. Tag: Das Edertal

Am Bahnhof Frankenberg stoße ich auf ein einsames Eisenbahngleis, auf welchem gelegentlich sogar ein Zug fährt. Ich folge ihm über eine schmale Brücke...


...und einen mittelgut gesicherten Bahnübergang. Eine Messung an einem vorbeifahrenden Zug ergibt, dass keine Unfallgefahr besteht, da die Geschwindigkeit der Bahnen kaum die einer Hainschnirkelschnecke übertrifft.


Auf einmal sacke ich zwei Zentimeter nach unten. Der Reifen meines Fahrzeugs ist geplatzt. Auf einer Wiese in Sichtweite der Stadt richte ich meine provisorische Werkstatt ein. Zwar habe ich inzwischen einige Erfahrung in der Reparatur, dennoch wird diese zur besonderen Herausforderung: Auf einmal läuft ein braunes Ungeheuer schnüffelnd auf mich zu, in seinen gierigen Augen glüht der Hunger. Und es ist offensichtlich, wen es als Mahlzeit ausersehen hat: Mein belegtes Brötchen. Verzweifelt verteidige ich alles, was ich an Nahrung bei mir führe. Endlich gelingt es dem Herrn des Monsterhundes, ihn unter Kontrolle zu bringen. Er weist mir den Weg zu einer nahen kostenlosen Reparaturstation mit Werkzeug.


Als nächstes folge ich der Straße vorbei an einer Maschinerie, in der die Abwässer Frankenbergs gereinigt werden. Das funktioniert so gut, dass nicht etwa Gestank, sondern ein Geruch von frischem Seewasser mit einer Prise Pflanzen in meine Nase steigt. Irgendetwas scheinen die Frankenberger bei der Reinigung richtig zu machen.

Nun passiert die Eder ein 20 Kilometer langes Tal mit der einen oder anderen Steigung.

Die Eingeborenen von Viermünden haben das Wasser der Eder durch einen Kanal abgeleitet und mit Netzen Abschnitte abgetrennt. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt auf diese Weise mit der Fischzucht.

Der größte Teil des Edertals ist jedoch unbesiedelt. Wälder erstrecken sich an beiden Ufern, doch auf der rechten Seite erscheinen sie noch dunkler und dichter. Dieser Schein trügt nicht: Dort beginnt der Kellerwald, ein Gebirge, welches deutlich mehr Wald als Keller enthält.
Durch das Frühlingswasser ist die Eder angeschwollen, schätzungsweise mindestens auf das Doppelte ihrer durchschnittlichen Breite. Dadurch verwandelt sie einige Baumgruppen in Inseln.
In diesem Tal scheint alles, die Wege, die Gleise und der Fluss, einem fernen Ziel entgegenzustreben. Braune Wegweiser weisen darauf hin, auch wenn es noch ein gutes Stück bis zum berühmtesten Bauwerk an der Eder ist: einer Mauer.

Auf der Durchreise eilen viele in Richtung des sagenhaften Bauwerks, ohne die Schönheit des Tals um sie herum wahrzunehmen. Zwei Tierarten entdecke ich entlang des Weges: Drei Sumpfkühe drängen sich im schlammigen Schatten eines Baums und trinken von der Eder. Und dort, über den Wiesen schweben die drei Rotmilane von gestern. Heute scheint die Sonne, sie fühlen sich in der Luft offensichtlich wohler und so kann ich sie auch im Flug beobachten. Das wunderschöne Muster ihrer Flügel leuchtet in der Sonne. Sie kreisen in ziellosen Runden über die Weiden und halten Ausschau nach kleinen Nagetieren oder Aas. Das ist beruhigend: Sollte ich während meiner Expedition umkommen, ist für meine Bestattung bereits gesorgt.

Auch entdecke ich faszinierende Bauwerke aus grauem Naturstein. Die vielen Brückenbögen schienen mir fast zu pompös für solch kleine Dörfer, hier herrschte offenbar zum Zeitpunkt der Erbauung kein Geldmangel. Das kleine Türmchen am Flussufer gibt mir Rätsel auf. Es scheint noch benutzt zu werden, doch zu welchem Zweck? Ein wenig ähnelt es der Wohnstatt eines unbedeutenden Hexenmeisters. Daher wage ich es nicht, anzuklopfen.

Ich suche mir einen Weg durch den hellen Wald am linken Ufer, um mehr von der Landschaft zu sehen. Dazu muss ich durch einige Furten furten. Trotz der angeschwollenen Bäche im Frühling ist die Strömung recht harmlos.

Als ich die Fließgeschwindigkeit der Eder messe, stelle ich fest, dass sie seit Frankenberg rapide abgenommen hat. Merkwürdig. Natürlich nimmt die Fließgeschwindigkeit von Flüssen stromabwärts immer ab, aber nicht derart schnell und so hoch oben in den Bergen. Hinzu kommt, dass die Eder immer breiter wird, als würde sie irgendetwas aufhalten. Ein Erdrutsch möglicherweise, der das Tal blockiert.

Doch des Rätsels Lösung muss warten, denn zunächst wartet ein anderes Rätsel auf mich.
An einem See entdecke ich einen verlassenen Eisenbahnwagen. Offenbar fuhren hier einstmals deutlich längere Züge als heute, und diese sahen ganz anders aus.

Schon gestern habe ich mich gefragt: Wie kann es sein, dass es hier einst so viel mehr Züge gab?
Um diesem Zeitalter der Züge näher auf den Grund zu gehen, verlasse ich die Eder und fahre mit der Eisenbahn in die Stadt Korbach, wo ich mir weitere Hinweise erhoffe. (Dass dort auch die Twiste entspricht, sollte ich erst Jahre später erfahren.) Dort folge ich dem Bahngleis aus der Stadt heraus und entdecke einen zugewachsenen Bahndamm, auf dem offensichtlich ein abzweigendes Gleis verlief. Nach kurzer Strecke auf dem alten Damm stelle ich fest: Mein Instinkt lag goldrichtig!
Ich stoße auf eine vergessene, vollständig erhaltene Bahnstrecke von Korbach nach Affoldern an der Eder: Die Ederseebahn. Die Höhenunterschiede werden mit prächtigen Bauwerken überbrückt. Brücken, Viadukte, Unterführungen und zwei kurze Tunnel, allesamt so massiv und doch seltsam filigran. Dies müssen Zeugnisse einer uralten Hochkultur sein, in der die Eisenbahn einen ganz anderen Stellenwert hatte. Eine Sensation! Es liegen fast nur winzige Dörfer an der Strecke, doch jedes hatte einen großen Bahnhof mit Rundbögen im klassizistischen Stil.

Vor lauter Begeisterung vergesse ich meine Eder-Expedition und verbringe einige Wochen damit, diese Bauwerke zu untersuchen. Irgendwann will ich zur Eder zurückkehren, doch wann immer ich mich zum Bahnhof begebe, fallen die Eisenbahnen aus. Dies zeigt den Stellenwert, den Eisenbahnen heute in diesen Landen haben. Erst nach Monaten gelingt es mir, zur Eder zurückzukehren.
Dort herrscht inzwischen eine andere Jahreszeit.
Aber das passt mir sehr gut.