Der Wiener Prater ist nicht einfach nur ein Freizeitpark.
Er ist eben auch - ein Park. Eine grüne Lunge der Stadt, in der sich die Wiener Rentner oberkörperfrei ihre graue Lunge aus dem Leib joggen. Gleich neben dem weltberühmten Riesenrad beginnt eine extralange, extrabreite Allee mit Blick auf extragroße Wiesen und Sportplätze. Ein bisschen hat mich diese Parkstraße an den Mažaparks von Riga erinnert.
Denn auch diese Allee ist die Fortsetzung eines Radfernwegs. Willkommen bei der Donau, Staffel 4!
Eine Tafel mit Baderegeln am Steg schrieb uns eine Menge vor, beantwortete aber nicht meine Fragen, ob a) man komplett rüberschwimmen darf (es waren keine Schiffe, sondern nur SUPs unterwegs) und ob b) all die nackten Rentner hier erlaubterweise FKK betreiben. (Zumindest auf manchen Abschnitten: Ja. Wir fuhren sogar mitten durch ein FKK-Strandlokal, Nackenbaderldorf oder irgendwie so ähnlich.)
Schließlich umrundeten wir einen Ölhafen. Die Donauinsel endet in einer stahlbefestigten Spitze, und der Radweg verzieht sich hinter den Deich und entfernt sich von der Donau - dafür dümpeln aber ein paar andere sumpfige Gewässer um die Bauwurzeln vor sich hin.
Dabei kann man mit Wasser so viel mehr machen! Scharndorf hat damit mitten im Dorf einen runden, hellblauen Dorfpool gefüllt. Die Dörfer haben alle schon so ein gewisses slawisches Etwas, und solche pragmatischen Badelösungen tragen definitiv dazu bei. Vielleicht ist das auch zugleich ein Löschwasserteich für die Feuerwehr, so wie in manchen tschechischen Dörfern.
Damit steht das Thema für das heutige Ziel, sogar unser Hotel ist römisch thematisiert. Petronell-Carnuntum ist eine Römerstadt mit viel Archöologie... aber sonst nix. Nicht mal einen Supermarkt mit brauchbaren Öffnungszeiten.
Aber hey, wer nicht motiviert ist, fünf Kilometer zum Einkaufen zu radeln, der kann sich ja entsprechende Inspiration bei den antiken Philosophen an den Hotelzimmertüren holen.
Es beginnt ein langer, gerader, langer, gerader, langer, gerader Radweg durch die Lobau. Dieses Waldgebiet gehört zum Nationalpark Donauauen, angeblich die letzte große unberührte Flussaue in Mitteleuropa und neben der Wachau der einzige Abschnitt Österreichs, wo die Donau frei fließt. Wer den einen zentralen Radweg verlässt, der muss sein Rad an einem der vielen hölzernen Fahrradparkplätze abstellen und weiterwandern. Der Sumpfwald besteht zur Hälfte aus Misteln und ist zum Durchradeln zwar nicht sehr schattig, aber wirklich schön.
Ausgerechnet auf dieser denkbar einfachen Strecke mussten wir aber feststellen, dass wir uns als Familie und Reisegruppe erst wieder eingrooven müssen: Der eine hatte sich schon in der Donau müdegeschwommen und machte schlapp, jemand anders hatte sich irgendein Wiener Virus eingefangen und legte sich bei der Pause so ins Gras, dass man meinen könnte, Komissar Rex hätte einen neuen Fall. Einige Kilometer weiter vorn ging in praller Hitze ein Rad platt und der Flicken wollte zunächst nicht halten, dann aber doch.
Alles in allem waren wir ganz froh, als wir den Traumradweg vorzeitig verließen und die Fähre erreichten. Nanu, ein Restaurant-Schiff, fährt das wirklich nach drüben?
"Wolle Sie noch rüberfahre?", rief ein Mann an Deck. Die echte Fähre legt versteckt hinter dem großen Schiff ab.
Wir schoben die Räder auf einen skurrilen Kahn und plumpsten auf ein Schaumstoffsofa, aus dem die Füllung quoll.
"Nicht den Ständer, das hält nicht! Sie müssen's anlehnen!", lautete die Anweisung. Dann peeste der Kapitän los.
"Oh", kommentierte der Kleine, denn in diesem Moment näherte sich ein weitaus größeres Flusskreuzfahrtschiff. Der Fährmann hatte so lang auf den Rest unserer Gruppe gewartet, er wollte nicht noch länger warten. Wruuummmm...! Die Schaumstofffähre raste drauflos und forderte die Arielle Royale zum Wettrennen heraus. Arielle die Flussjungfrau flappte gemächlich weiter, und so gewann die kleine Fähre locker. Als wir sie schließlich abgehängt hatten, kreuzten wir ihren Fahrweg und steuerten das Ufer an.
Moment, hier? Aber... hier ist doch nix?
In völliger Wildnis legte der Fährmann seinen metallenen Steg aus. Verwirrt schoben wir über Erde, Gras, Stock und Stein. Da vorn ist ja schon wieder Wasser! Aber davor tauchte immerhin eine Art Straße auf, wenn auch offenbar eine aus römischer Zeit.
In Haslau hechelten wir einen Berg hoch und dann weit über der Donau dahin, zwischen Gleis und Mais. Über unseren Köpfen zerfaserten die letzten Wolken und blieben hinter uns zurück, als hätten sie Angst, sich über die Grenzen Österreichs hinaus zu wagen.
Die Form der Pappeln und die Berge, die fern am Horizont wieder erschienen, riefen entfernt italienische Assoziationen hervor. Zumindest in mir. Unser Ziel mag dazu beigetragen haben. Und natürlich das Wetter. Andere waren bereits zu k.o., um irgendwas zu assoziieren außer Wasser mit Mund.
Trotzdem: Dafür haben wir den perfekten Lobau-Radweg verlassen? Und das alles nur wegen des eingeschränkten Übernachtungsangebots? Nein, es gibt noch einen anderen Grund.
Wir gurkten die letzten Kilometer hin und her durch die Maisfelder auf der Suche nach dem besten Weg und begegneten dabei unterschiedlichen grauen Tieren, die sich alle als kamerascheu erwiesen: Eine Herde Wachteln flatterte sogleich davon, ein Schwarm Kaninchen verzog sich gleich wieder in die Büsche und eine Schlange in den Mais. Nur das Heidentor blieb stehen, wo es war. Das heißt, wir sind am Ziel!
Als dieses Tor ausgegraben wurde, bekam es einen komplett falschen Namen. Es ist nicht heidnisch, bei seiner Erbauung war Rom längst christianisiert. Und es war auch kein Tor, sondern ein Quadrifons. Das ist ein quadratisches Bauwerk mit einem Bogen zum Durchgehen auf allen vier Seiten, quasi ein Tor zum Quadrat. Aber eben nicht als Eingang, sondern als Deko auf einer Straßenkreuzung oder so. Dieses Quadrifons aus recycelten Steinen stammt aus der Zeit von Constantius II., der in der Gegend Feldzüge gegen die Quaden und Sarmaten führte. Wahrscheinlich also ein Triumphbogen für irgendeine gewonnene Schlacht.
Dabei war diese Gegend, die damals Pannonien hieß, für die Römer nur sehr eingeschränkt triumphal. Ursprünglich ließen sie sich hier nieder, um nördlich der Donau weiterzuerobern und Slawensklaven zu fangen. Aber dann kam erst der Pannonische Aufstand und dann auch noch die Varusschlacht, da verschoben sie das Erobern und konzentrierten sich auf das Sichern. Die Stadt Carnuntum hatten sie da schon längst erbaut, und warum auch nicht, Reichsgrenzen und Handelsstraßen sichern ist schließlich auch wichtig.
Carnuntum war eine große und zivile Stadt, Soldaten durften hier nicht einmal in Rüstung und Waffen herumlaufen. Dennoch muss die Stadt durchaus blutdürstig gewesen sein, denn sie hatte gleich zwei Amphitheater für Tier- und Gladiatorenkämpfe, dazu eine Gladiatorenschule. Ein Theater ist ausgegraben und gratis zugänglich. Die Grundmauern und die Mauer um die Arena sind noch zu erkennen, die Sitzreihen bestehen nur aus Gras. In der Mitte veranstaltete ein privater Sponsor aus der Gegend gerade einen kostenfreien und überaus brutalen Tierkampf zwischen einem ca. 40 Zentimeter langen Hund und einer Frisbeescheibe.
Die anderen Ruinen kosten was, dafür bekamen wir im Archäologiepark aber auch was geboten. Im Eingangsgebäude stehen vor allem (neben dramatischen, aber inhaltsleeren Römervideos) Carnuntums Grabsteine. Irgendwo im Keller sitzen vermutlich versklavte Lateinschüler, welche die Texte übersetzen und an den Projektor weiterleiten müssen, damit wir einen Einblick in das Leben ziemlich genau 2000 Jahre alter Menschen erhalten.
Caius Aemibus Lixa, Sohn des Caius, aus Padua, 25 Jahre alt, liegt hier begraben. Aufgrund testamentarischer Verfügung errichtet.
Ich habe nicht gesagt, dass es ein ausführlicher Einblick ist.
Außer bei den Sklavinnen und Sklaven. Ausgerechnet bei denen sind die Texte viel länger.
Primigenia, Sklavin des Caius Petronius. Wer immer du bist, Fremder, bedenke, wie bedauernswert ich ob meines Todes bin... Es folgen viele Zeilen darüber, wie toll und tugendhaft Primigenia und wie tragisch ihr Tod doch war.
Der Außenbereich ist ähnlich wie in Xanten, etwas kleiner und kompakter, und aus meiner Sicht sogar noch gelungener. Wo man nicht genau weiß, was das für ein Haus war und wie es aussah (z.B. bei der Herberge, die vielleicht gar keine war), da wurden nur die ausgegrabenen Grundmauern stehengelassen.
Um die Villen der Kaufleute zu rekonstruieren, wurde zum Teil auf Erkenntnisse von Ausgrabungen aus Großbritannien zurückgegriffen. Ein seltsamer Gedanke, dass damals in halb Europa Gebäude nach ähnlichen Blaupausen standen, die wir so auch schon in Xanten, bei Basel und in Südfrankreich gesehen haben.
Aber eine Sache gibt es nur in Carnuntum: Der komplette, funktionsfähige Wiederaufbau einer römischen Therme am Originalstandort. Dieses öffentliche Badehaus war nicht mal das einzige in der Stadt und stand prinzipiell allen Gesellschaftsschichten offen, die bezahlen konnten. Ganz so hufeisenförmig-riesig wie in meinem Lateinlehrbuch ist die Therme nicht, aber es gibt auf jeden Fall einen Raum mit kühlem und einen mit warmem Becken. Als wir die Tür öffneten, waberte uns die schwüle Luft entgegen, und der Boden unter unseren Füßen war spürbar warm. Noch immer wird er von einem richtigen Holzofen beheizt. Dazwischen: Handtuchhalter und Ruheräume voller Liegen. Gar nicht so anders als in heutigen Thermen, nur mit viel weniger Wasserfläche.
Aber eine Sache gibt es nur in Carnuntum: Der komplette, funktionsfähige Wiederaufbau einer römischen Therme am Originalstandort. Dieses öffentliche Badehaus war nicht mal das einzige in der Stadt und stand prinzipiell allen Gesellschaftsschichten offen, die bezahlen konnten. Ganz so hufeisenförmig-riesig wie in meinem Lateinlehrbuch ist die Therme nicht, aber es gibt auf jeden Fall einen Raum mit kühlem und einen mit warmem Becken. Als wir die Tür öffneten, waberte uns die schwüle Luft entgegen, und der Boden unter unseren Füßen war spürbar warm. Noch immer wird er von einem richtigen Holzofen beheizt. Dazwischen: Handtuchhalter und Ruheräume voller Liegen. Gar nicht so anders als in heutigen Thermen, nur mit viel weniger Wasserfläche.
Carnuntum existierte bis ins 5. Jahrhundert, dann vertrieben ein Erdbeben und sinkende Temperaturen (nicht doll, aber halt so, dass italienische Nutzpflanzen nicht mehr wuchsen) die Römer.
Doch die Grenzlage ist geblieben und sollte noch viele weitere Gefechte nach sich ziehen. Diesmal war die Donau nicht mehr der Grenzfluss, jedenfalls nicht durchgehend als Grenzlinie zwischen Nord und Süd. Die späteren Grenzen verliefen eher zwischen Ost und West. Ungefähr dort, wo auch wir morgen eine Grenze überqueren werden.
Unsere Fahrräder übernachten heute in einer stinknormalen, staubigen Garage. Laangweilig! Keine Sorge, das ändert sich bald.

















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