NEU! Unterirdische Radtour auf Schienen für kleine Menschen

Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

02 Juni 2025

Spree: Von Malschwitz nach Maiberg

Am nächsten Morgen hatte der das ganze Nass als Nebeldecke über das Land gelegt, doch die Sonne kämpfte bereits tapfer dagegen an.

Wie herrlich, auf einem Radweg quer durchs Feld einfach in die Sonne reinzufahren! Auch wenn das hieß, dass ich schon um 6 Uhr morgens viel Sonnencreme auftragen musste. Ich werde besser im disziplinierten Cremen, inzwischen habe nur noch selten richtigen Sonnenbrand.

Wenn ich diesen Spielplatz richtig interpretiere, dann waren Wassermühlen für die Region nicht ganz unbedeutend. Und man konnte in der Mitte durch die Mühlenräder durchrutschen.

Der erste Abschnitt bestand größtenteils aus nassen Nebenstraßen im Wald und direkt am Steilufer der Spree. Die ist inzwischen schon deutlich angewachsen. Nanu, kommt das nur vom Stausee oder sind da so viele Nebenflüsse dazugekommen? Die habe ich gar nicht gesehen. Die Spreebenflüsse scheinen keine eigenen Radwege zu haben, stattdessen kreuzt die Spree regelmäßig so skurrile Themenradwege wie den Frosch-Radweg, den Fürst-Pückler-Radweg und (ja, ernsthaft) den Gurkenradweg.

Von allen drei Themen bekommt man auch an der Spree genug mit, zum Beispiel im Schloss Uhyst. Dieses herrschaftliche Haus war schon lange für Kinder da, zum Beispiel war lange Zeit ein Ort für Frösche Gurken Kinder, denn es diente als Waisenhaus, Schulanstalt und Internat für Jungs aus ganz Europa.
1792 zog einer der berühmtesten Schüler ein. Er hieß Hermann Fürst von Pückler-Muskau. Der phantasievolle Fürst konnte wurde unter der streng pietistischen Erziehung nicht glücklich. Einmal sperrten sie ihn zur Strafe in eine Dachkammer, aber er kletterte durch das Fenster auf eine Linde und entkam. Daraufhin suchte das ganze Dorf den Flüchtigen - bis sie ihn im Schlossgarten fanden, wo er in aller Ruhe spazieren ging. Den üppigen Garten hatte Rudolph von Metzradt etwa 100 Jahre vorher angelegt - damals mit über 200 Zitruspflanzen. Für Pückler war der Garten der einzige Lichtblick: Jeder Schüler bekam sein eigenes Beet zum Beackern, und so entdeckte er seine Leidenschaft als Gartengestalter.
Ich kurvte durch Uhyst, konnte aber keine Zitronenbäume entdecken. Schloss und Park sind zwar in ganz gutem Zustand, stehen aber leer und warten auf eine neue Nutzung.

Aber kurz dahinter wurde es anders.
Vor 65 bis 1,8 Millionen Jahren (mit anderen Worten, gerade eben, das letzte Erdzeitalter vor unserem eigenen) war es in der Lausitz abwechselnd subtroptisch und gemäßigt, aber immer total feucht. Die Säugetiere hatten die Dinosaurier gerade erst abgelöst, Mammutbäume und Stechpalmen schwitzten vor sich hin. Willkommen im Tertiär! Ein paar Sumpfwälder hatten entschieden, in einer Senke zu wachsen. Diese Standortwahl erwies sich als unklug, denn die Senke wurde ihrem Namen gerecht, in dem sie sich noch weiter absenkte. Dadurch wurden gleich zwei Wälder übereinander, Bäume, Farne und Gräser, mit Sand und Schlamm bedeckt und zusammengepresst.

Sp entstand das, was viele Menschen mit der Lausitz verbinden: Kohle. (Und damit meine ich sicherlich nicht Geld.) Genauer gesagt, Braunkohle. (Ein Zusammenhang zu anderen braunen Vorkommen in diesen Landen wurde bislang nicht belegt.)
Dieser Wandteppich aus "Nadelmalerei" zeigt, wie die Kohleflöze unter der Erde entstanden, mit einer Abraumbrücke (diesem riesigen Stahlteil) wieder ausgegraben und in den Kühltürmen oben rechts schließlich in Spreenergie verwandelt wurden.

Hier wurde viel Kohle ausgebaggert. Richtig viel. Das Loch wurde von 1997 bis 2007 mit Wasser gefüllt, heißt Bärwalder See und ist mit 13 Quadratkilometern 1850 Fußballfeldern der größte See Sachsens. Weil zwischen der Kohle Eisen und Schwefel steckte, ist er relativ sauer, was für so einen Bergbausee eher ungewöhnlich ist. Aber dort, wo frisches Spreewasser reingekommen ist, ist das Wasser besser, und deswegen gibt es auch drei Badestrände.
Was macht man mit der ganzen Kohle? Das ist hinten im Bild bereits zu erkennen.

Das Großkraftwerk Boxberg wurde 1966 gebaut, aber erst durch Erweiterungen wurde es von den 80ern bis in die 90er Deutschlands größtes Braunkohlekraftwerk. Die Stilllegung ist erst für den 31.12.2038 geplant, mal sehen, ob ich das wirklich noch erlebe. Kürzlich wurden hier neue Anlagen mit höherem Wirkungsgrad und geringeren CO2-Ausstoß eingebaut. (Noch mehr Spreelektrizität liefert das Kraftwerk Schwarze Pumpe ganz in der Nähe. In Tattendorf dagegen steht auf dem ehemaligen Kohlekraftwerk ein Windpark.)
Die Dampfsäulen konnte ich auch hinter einer mittelgroßen Heidefläche bewundern, die sogar im Mai lila schimmerte. Wahrscheinlich auch ein ehemaliges Tagebaugebiet, denn die werden nicht immer zu Seen! Manche wurden auch zu monotonen Kiefernwäldern (früher) oder gemischten Biotopen mit immer noch viel Kiefer, weil die nun mal gut hier hinpasst (heute).
Eigentlich bin ich noch viel näher an das Kraftwerk Boxberg rangefahren, aber ein besserer Blick bot sich dort trotzdem nicht. Und eigentlich sind die Radwege rund dem den See und das Kraftwerk super, nur leider kam mir erst eine Baustelle und dann eine Holzbrücke, die noch rutschig vom gestrigen Regen war, in die Quere. Nochmal für alle: HOLZBRÜCKEN AUF RADWEGEN+REGEN=AUA=NICHT GUT.

Am Wegesrand steht die Schrotholzkirche von Sprey. Diese Bauweise ist Deutschland selten und kommt eigentlich aus Schlesien. Typisch dafür ist angeblich das tief runterhängende und weit überstehende Dache... also, so tief ist das nun auch wieder nicht. Ob ich wohl... nee, ist zu. Mit den Kirchen habe ich kein Glück auf dieser Reise.

Dafür umso mehr mit den Radwegen, denn die drehen jetzt richtig auf! Ich raste nur so durch schattige Wälder und Spreeauen. Ursprünglich waren das mal Sümpfe, die von Bauern trockengelegt wurden. Bis in die 50er weideten darauf Tiere, heute sind sie Hochwasserpuffer. Was im gestrigen Wetter nur so naja gewesen wäre, war im heutigen Sonnenschein einfach herrlich.

Dieser Meinung sind auch rosige Rosenbüsche, ein paar sehr ehrgeizige Trichternetzspinnen und sogar ein Eichelhäher. In der Fantasy sind solche Spinnennetze im Wald ein Zeichen für Jetzt wird's gruselig, im realen Leben das genaue Gegenteil.

Schließlich wechselte ich von Sachsen nach Brandenburg, die Spree teilte sich, und durch die parkartige Landschaft erreichte ich ganz automatisch die Parks der ersten Brandenburger Stadt. Spremberg wurde auf einer SprSchwemmsandinsel erbaut, welche die Spree zusammengeschwemmt hat, deshalb bedeutet der Name Spree am Berg. Die Sorben nannten die Stadt aber einfach Grodk - das ist kein Chatbot von Elon Musk, sondern heißt einfach nur Stadt. Laut dem Schriftsteller Erwin Strittmatter lag das daran, dass die Sorben Fußgänger waren. Sie kannten eh keine anderen Städte, also bestand auch kein Risiko, dass sie ihre Stadt mit einer anderen verwechseln.

Um die Furt durch die Spree zu überwachen, steht direkt am Wasser ein eher unauffälliges Schloss. Seine jetzige Form hat es von Herzog Heinrich von Sachsen-Merseburg. Der Heinrich hat in Spremberg sehr engagiert gebaut und die örtlichen Handwerker gefördert. Vielleicht sogar ein bisschen zu sehr gefördert: Nach einem Stadtbrand befahl er, die Ziegel für den Wiederaufbau nur bei einem einigen Spremberger Betrieb zu kaufen, obwohl der gar nicht genug für diese Aufgabe produzieren konnte. Importierte Ziegel wurden sofort beschlagnahmt. Ansonsten galt der Mann, der Spremberg sein heutiges Gesicht gab, als verschwenderisch, er jagte eigentlich bloß und wartete, bis sein Neffe starb, damit er dessen besseren Titel erben konnte (komisch, meistens ist es umgekehrt). Er musste warten, bis er 70 war.
Auf jeden Fall lässt sich über den Herzog nicht genug erzählen, um damit ein Museum vollzubekommen. Stattdessen enthält das Schloss eins dieser überraschend großen All-in-one-denn-wir-haben-eh-nur-ein-Museum-hier-Museen. Davon kenne ich inzwischen so einige, und weil es unter der Woche war, konnte ich ganz allein über den knarzenden Holzboden schleichen und mich umsehen. Im Schloss lernte ich etwas über Weißstörche, Braunkohle, den Heimatschriftsteller Erwin Strittmatter, die
Stabil-Fahrradwerke, Waschbären, die Tuchindustrie, Bürsten und vor allem über die Sorben. Also über so ziemlich alles, nur nicht über Heide.

Die Sorben waren ein Volk mit kuriosen Bräuchen, zum Beispiel machen sie an Ostern so eine Art Ritterturnier, bei dem man einen toten Hahn treffen muss. Bis heute, und anscheinend auch wirklich immer noch mit einem echten Hahn.
Im 18. Jahrhundert wurden die städtischen Kleiderordnungen aufgelöst, und das selbstbewusste Volk entdeckte zum ersten Mal, dass man sich auch bunt anziehen kann. So entstanden die traditionellen Trachten, die also eigentlich gar nicht so wahnsinnig alt sind (in der Bildmitte). Um die Seide der Adligen nachzuahmen, führten sie den Blaudruck ein. Anfangs waren die Menschen wirklich den ganzen Tag so angezogen, aber während der Industrialisierung zogen die jungen Leute in die wachsenden Städte, wo die Leute lieber Pariser Mode trugen. Also erstmal umziehen, die Tracht landete in der Truhe und kam nur noch für Festtage in der Heimat raus, und dabei ist es im Prinzip bis heute geblieben.
Nicht empfehlen würde ich, in der Lausitz als Jungfrau zu sterben, denn das wird einem als Leiche nochmal extra unter die Nase gerieben. Die Sorben bastelten für ihre Kindern und irgendwann für alle unverheirateten Toten, egal ob Mann oder Frau, eine hohe Totenkrone aus Papier- und Stoffblumen, versilberten Drähten, Zimt und Nelken (oben links im Bild). Die wurden aber nicht mitbeerdigt, sondern extra auf einem Kissen herumgertragen und dann in der Kirche aufgestellt. Das war quasi der Ersatz für die Brautkrone, die der Tote nie bekommen hatten. Mit der Zeit wurden die Kronen immer flacher, mehr wie die normalen Kränze auf Beerdigungen, und um 1900 mussten sie ganz raus aus der immer einheitlicheren deutschen Kirche.

Zum Schloss gehört auch noch ein kleiner Freilichtmuseumsbereich mit Gemeinschaftsbrunnen, Bienen-Bauwagen, Wäschemangel (ach je, die armen Sorben hatten damals nicht mal genug zum Anziehen) und einem altertümlichen Feuerwehrauto, dem es heute auf der Autobahn besonders schwerfallen dürfte, eine Rettungsgasse hervorzurufen. Die Heidehäuser bestanden einfach aus Holz mit Strohdächern, manchmal auch Fachwerk, Umgebindehäuser gibt es nicht mehr.

Sprembergs Altstadt besteht angeblich aus "einfühlsamer, interessanter und grüner Stadtarchitektur". Grün? Meinen die damit das Haus in blassem Zahnarztgrün da vorne? Interessant? Ist dieses Interessant hier bei uns auf dem Marktplatz? Und einfühlsam? Ich könnte jetzt nicht unbedingt sagen, dass ich mich mit meinen Problemen von diesen Häusern verstanden fühlte.

Der Gymnasiallehrer Heinrich Matzat hat sich in Spremberg anscheinend auch ganz schön gelangweilt. Zumindest hatte er genug Freizeit, um auszurechnen, dass genau an dieser Spremberger Stelle der geographische Mittelpunkt des Deutschen Reiches liegt. Dieser Stein erinnerte daran, ist aber seit dem Versailler Vertrag nicht mehr aktuell (und außerdem eine Kopie, das Original steht im Museum).

An ein neueres historisches Ereignis erinnert diese Holzskulptur. In der Nacht auf den 25. August 2022 töteten Wölfe auf dieser Weide fünf Schafe. Der Schnitzer konnte sich selbst nicht so recht entscheiden, ob die Wölfe nun bedrohlich oder putzig aussehen sollen.
In Brandenburg soll es wieder Wölfe geben... aber wenn es eine Infotafel auch nur wagt, völlig neutral auf diese Tatsache hinzuweisen, wird das Wolfsbild sofort übergesprüht. So eine Schnitzerei ist da schon ein besseres Protestmittel als Vandalismus.

Der vielleicht schönste Spreesee ist die Talsperre Spremberg, über der ich durch lichte Nadelwälder gefahren bin. Bei so einem Weg störte es auch gar nicht, wenn es wieder ein bisschen hügelig wurde.

Und viel mehr war dann auch gar nicht zu sehen, als nächstes war ich auch schon in Cottbus. Mich empfingen die eher widersprüchlichen Eindrücke von jeder Menge Parks und lauten Straßen, natürlich auch wieder mit einer dieser Parkeisenbahnen. Ich wartete ca. 14 Minuten, bis ich die laute Straße endlich überqueren konnte, denn auf der anderen Seite wollte ich nun endlich mal nachschauen, was der Fürst Pückler von heute früh denn so in seine Gärten reingebaut hat.
Die Antwort könnte überraschen: Pyramiden.
Der Branitzer Park sieht auf den ersten Blick ganz normal aus, mit urigen Bäumen, zwischen deren Wurzeln sich hier und da ein Hohlweg hindurchwindet. Radfahren ist hier nicht erlaubt und auch schwer möglich, denn Senioren machen sich auf den Wegen derart breit, dass niemand vorbeikommt - nach links blockiert der Gehstock, nach rechts der Pudel an der Leine.
Mitten in diesem Park hat Fürst Pückler jedoch einen See gegraben. Und entgegen aller Wahrscheinlichkeit befand sich in diesem Lausitzer See keine Braunkohle. Was also tun mit der nutzlosen Erde? Der Weltreisende Pückler besuchte Meroe, Meidum und Sakkara in Ägypten und kehrte mit einer Idee im Gepäck zurück: Ich will auch in so was begraben werden, aber aus Erde und Gras!
Und nicht ganz so hoch.
So entstanden ab 1860 die Seepyramide, eine unerreichbare Insel,...

...und die Landpyramide, ebenfalls abgesperrt. Niemand darf da hoch, trotz der Plattform ganz oben, der großen Stufen aus Gras und einer steinernen Treppe (nicht im Bild). Ergibt auch Sinn, denn das ist tatsächlich ein Grab. In der Landpyramide sollte seine Frau Lucie begraben werden, doch die feine Dame erdreistete sich zu sterben, bevor Pücklers prächtige Pyramiden bereit waren.
Fürst Pückler zog dann auch dauerhaft nach Branitz bei Cottbus um, denn mit seinem anderen Gut in Muskau hatte er sich finanziell übernommen, das musste er verkaufen. Als Fürst und Fürstin Pückler schließlich beide das Zeitliche gesegnet hatte, wurden sie Seite an Seite in der Landpyramide einpückelt. Sein Lehrbuch über Gartenbaukunst wird bis heute benutzt. Der Fürst war sehr bemüht, seine sorbischen Untertanen zu germanisieren, hatte aber auch liberale Ansichten über Demokratie auf kommunaler Ebene. Jedenfalls sympathischerer Typ als der Herzog Heinrich aus Spremberg.

Die Pyramiden sind zwar nicht krass hoch, aber auf jeden Fall ist der Park eindrucksvoller als die Cottbusser Innenstadt. Ja, hier stehen zwar wieder ein paar Gebäude im senfgelben Bautzner Stil herum, aber auch jede Menge von diesen grauen Betonfassaden, bei denen irgendjemand (und zwar jemand ohne den Geschmack eines Fürst Pückler) gedacht hat, dass der Beton weniger nach Beton aussieht, wenn man vorne lauter kleine graue Steinchen reindrückt. Vor der Kirche steht eine Statue des Australienforschers Ludwig Leichhardt, der 1848 irgendwo im Outback auf Nimmerwiedersehen verloren und in Cottbus zur Schule ging (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge).

Nein, was Städte angeht, werde ich an der Spree wohl nichts Schöneres als Bautzen finden. Aber was Landschaften angeht, wird die Spree nur immer noch schöner und schöner. Der Rest des Tages bestand aus ganz flachen und schattigen Alleen am Wasser, ein Traum in mindestens so vielen Grüntönen, wie ich an diesem Tag Kilometer gefahren bin.
11 Kilometer dieser Traumstrecke (keine Ahnung, welche genau) verdanke ich Vattenfall. Denn die mussten ein bisschen was spreenaturieren als Ausgleich. Wofür?

Dafür. Am Ende des Tages wartete, wie am Anfang, ein Bergbausee. Aber diesmal wird der See gerade erst geladen. Um mir das anzuschauen, musste ich ein bisschen suchen: Hier ist alles viel abgesperrter, nur von einer einzigen Plattform aus konnte ich das wirklich überblicken.
Wo heute ein blauer Spiegel ist, standen mal Lieskow, Lacoma und andere Dörfer. Die künstlichen Fischteiche von Lacoma wurden von einem künstlichen Seitenarm der Spree gespeist, bis sie versanken in einem viel größeren künstlichen Teich, ebenfalls von einem künstlichen Seitenarm der Spree gespeist. Lacoma war das erste ostdeutsche Dorf, dass sich aktiv gegen seine Abbaggerung für die Kohle wehrte: Die Frauen fuhren zum Protestieren nach Berlin zum Politbüro, ungeheuerlich! Und jetzt stelle man sich diese bittere Ironie vor: Sie waren so erfolgreich, dass das Regime bald zusammenbrach, aber so erfolglos, dass ihr Dorf trotzdem verschwand. Bis ins neue Jahrtausend leistete das Dorf traditionell und hippiemäßig Widerstand, abgerissen wurden die letzten Häuser trotzdem.
Und 2019, als alles abgebaut war, sollte auch dieses Loch mit Wasser gefüllt werden. Ein Vorschlag war, den neuen See zumindest nach einem der versunkenen Dörfer Lieskower See zu nennen, doch die Cottbusser Stadtverordneten entschieden sich lieber für Cottbusser Ostsee. Bis 2030 soll diese Ostsee mit abgezweigtem Spreewasser gefüllt sein, im Masterplan sind ein neuer Uferweg und neue touristische Hafenstädte geplant.
2030? Für mich sieht das jetzt schon echt voll und weit aus - wenn auch viel zu glatt, um es mit der Ostsee zu verwechseln. Doch der Schein trügt, denn ich konnte ja nicht sagen, wie tief diese spiegelnde Scheibe wirklich ist. Die Flutung musste mehrmals gestoppt werden, 2022 ist der Pegel sogar wieder gesunken, und die Investoren und Anwohner der künftigen Küstenstädte werden nervös, ob das bei der zunehmenden Trockenheit wirklich noch was wird mit dem Platz an der Ostseeküste.

Trotzdem: Insgesamt ist das Tagebaugebiet der Lausitz überhaupt nicht so trostlos, wie ich es aus Erzählungen kenne. Naja, vielleicht komme ich hier am Fluss auch einfach nur durch die schönsten Streifen, wer weiß. Auf jeden Fall war mein zweiter Schlafplatz bei Maiberg noch schöner als der erste. Selbst die Straße verzog sich gerade über eine Brücke nach drüben. In der renaturierten Aue wurden Aueroxen (mit x, weil sie nur zurückgezüchtet wurden, um den ausgestorbenen Auerochsen zu ähneln) angesiedelt, die ich aber nicht zu sehen bekam.
Es wäre noch Tageslicht zum Weiterfahren dagewesen, aber warum sollte ich auf diese schöne Stelle verzichten?
Dort, wo ich morgen hinwill, sollte ich ohnehin nicht zu früh ankommen.

01 Juni 2025

Spree: Von Eibau nach Malschwitz

Wull'n mer de Berliner fubb'm, brauch mer ock de Spraa zustubb'm.
Mit diesen Worten trollten die Oberlausitzer die Berliner schon lange, bevor es das Wort trollen gab. Denn ihnen gehören die unbekannten Quellen für den Fluss, der in erster Linie einfach deshalb bekannt ist, weil er rein zufällig durch Deutschlands Hauptstadt fließt.


Trotz sinkender Grundwasserspiegel müssten die Lausitzer eine ganze Menge zuzustubbn, denn alle drei Quellen sprudelten eifrig. Könnte damit zusammenhängen, dass auch der Himmel eifrig sprudelte.
Die Walddorfer Quelle ist etwas, das ich noch nie gesehen habe: Das riesige rundes Natursteinbecken dient gleichzeitig als Denkmal für die Toten des Ersten Weltkriegs. Und es ist durchaus ein Denkmal mit Atmosphäre. Die runde Wand wirkt sowohl groß als auch beklemmend. Angeblich kommt das Wasser aus den sogenannten Blauen Steinen, aber für mich sah das alles grau aus.

Wir befinden uns am Hang eines Berges namens Kottmar Zittlau.
Der Sage nach regierte in diesem paradiesischen Wald der Zwerg Gorbod neben einer stabilen Population kleiner Elfen, die auf den Wasserreichtum des Berges aufpassten. Das ökologisch-mythologische Gleichgewicht kippte, als die Elfen Gorbod mit Gesang neckten und dieser daraufhin so laut lachte, dass die Elfen vertrieben wurden. Gorbod schleuderte wütend einen Speer auf den Berg, und die Spree begann herauszusprudeln.
Sie plitschert durch spitze Steine und matschige Blätter im nicht minder matschigen Farnwald am Hang des Kottmar. Hier gibt es wunderbare Wanderwege wie zum Beispiel den (und das ist jetzt kein Schwerz) Popelweg. Mit 47 Metern ist das der höchste und wahrscheinlich auch längste der drei Quellbäche. Trotzdem erhebt Walddorf keinen Anspruch darauf, die wahre Spreequelle zu haben - alle drei Dörfer haben sich längst geeinigt, dass ihre Quellen gleichrangig sind.
Wie kommt man da hin? Kein Problem, jedes Dorf hat hier seinen Bahnhof. Ich bin am Bahnhof Eibau (neben Walddorf) ausgestiegen, zusammen mit einem älteren E-Bike-Paar. Sie telefonierten mit ihrer Unterkunft, ich stürzte mich gleich raus in den Regeln und strampelte die Dorfstraßen und den Waldmatsch hinauf. Oben begegnete ich dem spreelektrischen Radlerpaar wieder. Sie hatten eine trockene Unterkunft unten im Dorf, aber hatten sich trotzdem nochmal aufgerafft, um heute zumindest die Spreequelle zu sehen. Dann wollten sie wissen, wie weit ich noch fahren würde. Die Antwort "Mal sehen" schien sie zu schockieren, denn von dieser sächsischen Stadt hatten sie noch nie gehört. 

Die Neugersdorfer Spreequelle ist ein abgesenkter quadratischer Brunnen aus heimischem Granit. Aber der Boden sieht nicht sehr bodenständig aus, sondern eher wie die Küchen-Arbeitsplatte in einer supermodernen Villa, die aber von so schlechter Qualität ist, dass sie von einem Häuflein Natursteine total eingedrückt wurde. Und unter diesem Häuflein plitschert es so eifrig raus, dass das die wasserreichste Quelle darstellt.
Ursprünglich lag die Quelle auf der Pfarrwiese, wo heute eine Straße ist. Mit dem Straßenbau und dem Bau des Freibads wurde sie ständig verrohrt und verlegt. Das Freibad beginnt gleich hinter der Quelle und hat als Markenzeichen eine kurze "Spreegeistrutsche", bei dem die Kinder direkt aus einem furcherregenden Monstermaul rutschen. Auf welcher Sage dieses gefräßige Gespenst nun wieder beruht, wird nicht erklärt, aber mir scheint er sehr von den Geschichten aus dem benachbarten Tschechien beeinflusst zu sein (Stichwort Jožin z Bažin a.k.a. Emil Schlemil).

Nur ein kurzes Stückchen weiter versteckt sich in einem Park auch schon die Ebersbacher Spreequelle (eigentlich liegt sie auch eher in Neugersdorf). Auch sie ist ein abgesenktes Quadrat, diesmal ist der Boden aber komplett mit Wasser bedeckt - und das, obwohl ein metallener Pavillon den Regen abhält.
Auch diese Quelle kann einen Rekord aufweisen, sie ist nämlich die älteste. Ursprünglich stand hier ein Holzhäuschen mit Zwiebelturm, für dessen Bau Friedrich II. großzügige 50 Taler spendete. Das war nicht nur Deko, sondern damals noch kritische Infrastruktur - hier holten die Bewohner ihr Trinkwasser, bis die Industrialisierung Wasserleitungen brachte. Das Holzhaus verfiel, und diesmal wollten die Regierenden keinen Neubau finanzieren. Das einfache Volk musste selber Spenden sammeln, um das heutige Dach zu bauen. Über zwischen all den Metallschnörkeln sind die Wappen der damaligen Provinzen eingebaut, durch die die Spree fließt.

Diese ganzen Dörfer bilden mehr oder weniger eine zusammenhängende Kette. Dieser Bereich der Oberlausitz ist überraschend dicht besiedelt, weil er früh eine Bahnlinie bekam und mit Textilhandel reich wurde. Die Bahn wickelt sich in vielen Bögen um die Hügel, der Spreeradweg führt oben drüber. Aber nachdem ich erstmal oben auf dem Kottmar drauf war, konnte ich die anderen Steigungen meist durch Abkürzungen umgehen.
Vorher aber wollte ich nochmal den Blick genießen, denn trotz des Wetters konnte ich überraschend weit sehen. Dass sich das Land in der Ferne im Regen versteckt, schadet der Aussicht nicht, im Gegenteil.
Das besagte Land hinten im Bild heißt übrigens Tschechien. Und das hat enorme Auswirkungen auf die Architektur.

Als ich Reiseführer nachsah, was die Dörfer so für Sehenswürdigkeiten haben, gab es eine Konstante: Umgebindehäuser. Als ich nachsah, womit sich die kleinen Heimatmuseen so beschäftigen: Umgebindehäuser. An sich kenne ich diese Verschmelzung deutscher und tschechischer Bauweise ja schon von der Kirnitzsch, aber an der Spree habe ich gelernt, dass Umgebindehäuser noch viel schöner und farbenfroher sein können. Die Bögen und Bohlen unten haben so ziemlich alle Farbtöne, die man sich vorstellen kann, und sogar das Schiefer oben lässt sich mit Blumenkästen und Mustern aus weißen Platten auflockern. Einfach schön!

Umgebindehäuser, Umgebindehäuser, Umgebindehäuser, natürlich auch direkt an der Spree. Wahrscheinlich hätte ich lieber in diesem Post erklären sollen, was ein Umgebindehaus eigentlich ist, aber jetzt habe ich es schon bei der Kirnitzsch-Radtour beschrieben, tja, dann müssen sie es halt dort nachlesen.

Auch politisch befremdliche Umgebindehäuser mit kaiserlicher Sonnenuhr oder FDJ- und DDR-Flagge (Deutscher durch Geburt, Ossi durch die Gnade Gottes) gehören zum Ensemble.

Und sogar die Holzbögen der Rasthütten sind an diese Bauweise angelehnt. Ansonsten lagen in dieser Hütte eine Malmappe für die kleinen Gäste, ein Überblick über die Standorte der Robotron-Firmengruppe und ein Bank- und Versicherungslexikon. Wahnsinn, woher wusstet ihr, dass ich ausgerechnet das während der Pause lesen wollte? Da lasse ich Wind and Truth doch gleich links liegen. Nicht.

Immer öfter konnte ich direkt an der Spree fahren, diese Abschnitte hatten viel von einem Park mit dem kurzgemähten Rasen und den steinernen Bogenbrücken. Nur einmal gabelte sich die Spree und hatte ein paar zahme Stromschnellen, oder sollen das Fischtreppen sein?

Daran änderte sich auch wenig, wenn der Radweg mehr Abstand zur Spree hielt, zum Beispiel hier. Das ist einer der zwei kurzen Abschnitte, wo die Spree zur deutsch-tschechischen Grenze wird. Richtig rüber nach Tschechien geht sie sich allerdings nicht, und ich ebensowenig.

Denn am Stausee Sohland knickt die Spree nach etwa 33 Kilometern auch schon in Richtung Norden ab. Schon? Für das Stückchen habe ich trotz der Abkürzungen ewig gebraucht!
Trotz Fontäne und Ausflugsgaststätte war der See gerade nicht so richtig einladend, also versuchte ich lieber, etwas Tempo zu machen. Auf mich wartete eine Stadt, die ich heute eigentlich schon noch gern erreichen wollte.

Und so bin ich auch gleich viel motivierter!
Es tauchten allerdings nicht nur Felswände auch, sondern auch vergessene Landmaschinenfabriken und andere Lost Places. An einem Gebäude schimpfte ein Zettel: Hey Du stinkendfauler Schmutzfink! An der Kreuzung oben sind 2 Papierkörbe! Nur 50 Meter. Leider war er nicht laminiert und damit ungültig, dennoch lag kein Müller mehr drumherum.

Und dann habe ich es tatsächlich bis Bautzen geschafft (und, Spoileralarm, sogar noch weiter). Das ist eine außergewöhnlich schöne Stadt, in der noch 1400 mehr Menschen als in Dresden gewohnt haben. Die Straßen im Zentrum haben seit 1648 denselben Grundriss. Man nennt sie auch Stadt der Türme, weil... Türme. 5 bis 10 Prozent der Einwohner sind Sorben, haben hier ein eigenes Theater, eine eigene Zeitung haben und nennen die Stadt Budyšin.
Wahrscheinlich hat hier unten die Via Regia, Europas wichtigste Ost-West-Handelsroute, die Spree überquert, und gleichzeitig der Böhmische Steig, eine wichtige Strecke nach Prag.
Diese turmige Altstadt hat zwei unterschiedliche Seiten. Als ich von der Spree hinaufschaute, wie sich die Türme der Ortenburg, Michaeliskirche und die Stadtmauer über mir auftürmten, da sah alles noch wahnsinnig wehrhaft aus, als wäre die ganze Stadt eine Burg.

Als ich dann aber mein Rad den langen Weg die Mauer rauf geschoben und getragen hatte und in die breiten Straßen einbog, da war plötzlich alles... gelb. Gelb, gelb, gelb. Die bunten Umgebindehäuser sucht man hier vergebens. Ich weiß ja, dass diese Stadt für ihren Senf bekannt ist (der sogar ein eigenes Senfrestaurant hat), aber ich hätte nicht gedacht, dass die je einen solchen Produktionsüberschuss hatten, dass sie alle Häuser mit ihrem Senf anstreichen konnten!
Aber eben diese Senffarbe macht die Altstadt ganz besonders. Wie viele Städte habe ich schon gesehen, die im grauen Regenwetter ihren Glanz verloren haben. Bautzen strahlt auch dann noch!
Der Dom (ganz hinten) ist die einzige Similtankirche in Ostdeutschland. Das heißt, der Innenraum ist seit der Reformation geteilt in einen protestantischen und einen katholischen Sitzbereich (zum Glück ohne Mauer und Selbstschussanlagen). Das hätte ich gern gesehen, war aber leider schon geschlossen. Jeden Freitag um 18 Uhr findet ein ökumenisches Friedensgebet statt.

Schließlich schlüpfte ich durch die Nicolaipforte wieder auf der wehrhaften Seite der Stadt raus, das einzige originale Stadttor. Der Stein über dem Torbogen stellt einen Kopf dar - aber wessen? Angeblich soll es der Stadtschreiber Peter Preischwitz sein, der versuchte, Bautzen an die Hussiten zu verraten. Die waren wegen ihrer Angriffe in dieser Gegend eher nicht so beliebt. Als wahrscheinlicher gilt, dass der Kopf einfach nur dem Heiligen Nikolaus gehört (laangweilig).

Hinter der Stadt und der Autobahnbrücke erwartete mich ein weiter Blick über die Talsperre Bautzen, einen deutlich größeren Stausee mit deutlich größerem Strand. Es badete überraschenderweise niemand, aber mehrere Hausboote tuckerten herum.

Ebenso künstlich, aber viel kleiner sind die Gewässer in der Niederguriger Teichlandschaft. Links und rechts zogen die Teiche vorbei, manche gut gefüllt mit Wasser, andere nur eine graue Schlammfläche. Aber alle waren sie gut gefüllt mit Wasservögeln, die entweder schwammen oder im Schlamm pickten.

Inzwischen begann es doch zu dämmern, und ich fragte mich, ob mein Übernachtungsort namens "Mal sehen" nicht langsam mal kommen müsste. Und tatsächlich, da war er, und er hieß Malschwitz. Nachdem ich mir auf der letzten Tour so viele Hotels gegönnt hatte, wollte ich es diesmal wieder etwas sparsamer angehen. Kann ich noch in der Wildnis pennen oder bin ich schon zu verwöhnt dafür? Nope, ich kann es noch, aber bei dem Wetter nehme ich doch zumindest die Rasthütte am Ende der Teichlandschaft. Dort kam ich auch ohne hingekritzelte Motivationssprüche wie Auch wenn es nicht so schnell leichter wird, so wirst du zumindest stärker wunderbar zurecht.

Eine Frage, die ich auf dieser Reise beantworten wollte, war: Wo genau ist denn jetzt die Lausitz und wo leben die Sorben, Wenden und so weiter? Ich weiß, dass das die einzige richtig anerkannte Minderheit in Deutschland ist, aber bei den Begriffen sah ich nicht ganz durch.
Antwort: Ist eigentlich fast alles das Gleiche.

  • Ług: slawisch für Grassumpf
  • Lusitzer: slawischer Stamm, der während der Völkerwanderung im 6. Jahrhundert in die unwirtliche Spreelandschaft zog
  • Sorben: so nannten sich die Lusitzer, nachdem sie sich dort angesiedelt hatten
  • Wenden: so nannten die (West)Deutschen dieselben Menschen
  • Lausitz: erst viel später wurde das ganze Gebiet der Sorben so genannt, heute liegt es halb in Deutschland, halb in Polen, in der Mitte die Neiße
    • Oberlausitz: Südliche Hälfte der Lausitz, bergig mit Heide, heute ungefähr der sächsische Teil
    • Unterlausitz: Nördliche Hälfte der Lausitz, moorig mit viel Wald, heute ungefähr der brandenburgische Teil
Und die Lausitz ist noch lange nicht vorbei! Morgen sehe ich, wie sie im trockenen Zustand aussieht.