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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

03 Juni 2020

Eder: Von Wega nach Guxhagen

Ereignisse einer Eder-Expedition
4. Tag: Die Edermündung

Kalt, aber klar bricht der letzte Tag meiner Expedition an - wenn alles gutgeht, werde ich heute das Ende des Flusses erreichen.
Was hat Fassaden so weiß wie Schnee, Fachwerk so braun wie Sachsen...

...und ein Schloss so gelb wie die FDP? Das ist Bad Wildungen.
Der Stadtchronik zufolge lebte auf besagtem Schloss Prinzessin Margaretha von Waldeck. Im Alter von 16 Jahren wurde sie nach Brüssel geschickt, um politische Beziehungen auf EU-Ebene zu knüpfen und sich einen Prinzen zu angeln. Als das mit einem spanischen Prinzen tatsächlich klappte, führte das zu nicht näher definierten Problemen und Margaretha wurde 1554 angeblich vergiftet. Ende. Erkennen Sie das Märchen wieder? Ich auch nicht, doch angeblich basiert das Volksmärchen von Schneewittchen auf ihrem Leben. Sollte dem so sein (woran ich gewisse Zweifel habe), so haben die Menschen, die es weitererzählt haben, dennoch die eigentliche kreative Arbeit geleistet.
Die "Schneewittchenstadt" ist auch ohne Märchen über Märchen ansehnlich genug für einen Abstecher. Auch ihr geographisches Profil ist interessant: Hinter der Altstadt fällt das Geländer wie eine Schanze steil ab. Hier hole ich eine Menge Schwung...

...und kehre über das Tal zurück, in welchem ein Bach namens Wilde fließt. Nach 5 Kilometern stoße ich in Wega, dem mir leidlich bekannten Vorort von Bad Wildungen, wieder auf das Edertal.


Nach den klein-kalten Dörfern Mandern und Ungedanken verengen sich die Hügel. Diese Formation wurde von anderen Kartographen bereits Porta Hassiaca (Hessische Pforte) genannt. Anders als bei ihren bekannten Namensvettern Porta Westfalica oder Porta Bohemica ändert sich die Landschaft hinter der Engstelle nicht allzu gravierend: Zumindest ein paar Hügel werden die Eder bis zum Schluss begleiten.

Ich nähere mich einer weiteren großen Stadt. Ihren Vorposten bildet eine einsame Kapelle aus rotem Stein. Sie sieht zwar hübsch aus, doch ihr Name lautet Siechrasenkapelle. Eine kurze Bodenprobe aus dem Rasen bestätigt meinen Verdacht: Hier wurden die die Toten während der Pest verscharrt.


Über dem Siechrasen ragen die Türme und Mauern von Fritzlar in die Höhe. Die Stadt befindet sich in einer hervorragenden Verteidigungsposition und ist gut gesichert.


Auf einer historischen Karte entdecke ich den Grund: Fritzlar stand einst auf einer Frontlinie in einer Art Kaltem Krieg zwischen dem Erzbistum Mainz und der Landgrafschaft Hessen. Die Stadt war der letzte Vorposten des Mainzer Gebiets. Da dieser Kalte Krieg in Fritzlar nie heiß wurde, sind die Gebäude der Stadt noch gut erhalten.

Seither hat Hessen sein Territorium ein gutes Stück gen Westen erweitert und Fritzlar ganz friedlich eingenommen, sodass sich Treppen und Lücken in den Mauern der Stadt aufgetan haben. So glaube ich zunächst, dass ich die Stadt ungehindert betreten kann - ein Fehlschluss.

Fritzlar hat erstaunlich viele Türme. Am Bleicherturm kann ich noch ungestört vorbeigehen. An seiner Wand entdecke ich chemische Rückstände, die auf eine Wäschebleicherei hindeuten, welche hier noch im 20. Jahrhundert betrieben wurde.
Da öffnen sich auf einmal die Pforten der benachbarten Schule. Ich kann gerade noch vor der Masse an Schülern fliehen und besteige die Treppe an der Stadtmauer - wo mich prompt vier grimmige Wachen aufhalten. Bei genauerem Hinsehen sind es dann aber doch nur herumlungernde Schüler, und nach kurzer Überzeugungsarbeit lassen sie mich grummelnd passieren, da sie mich nicht mehr für einen Feind halten.

Die Eder verlässt zunehmend die ländlichen Berglandschaften und tritt ein in den Lebensraum technisch fortgeschrittener Völker im Umkreis der Stadt Kassel. Hier hat die Industrielle Revolution schon lange Einzug gehalten. Über dem Schloss von Wabern wabern die Wolken der ersten Industriebetriebe.

Im Tal befinden sich kleinere Seen. Sie sind offensichtlich nicht natürlichen Ursprungs, sondern das Ergebnis von Gesteinsabbau - dies schließe ich ohne genaue Messungen aus ihrer rechteckigen Form und der Tatsache, dass sie nicht von der Eder durchflossen werden. (Im Vergleich zu den großen Kiesseen an der Leine sind diese Exemplare freilich noch winzig.)

Das abgebaute Gestein wird mittels eines Trichters in Eisenbahnwaggons abgefüllt. (Dieser Vorgang war mir bereits von frühster Kindheit an von meiner Duplo-Eisenbahn vertraut.) An dieser Stelle tritt die aus Frankfurt kommende Bahnlinie in das Edertal ein, und schlagartig verkehrt nicht mehr alle zwei Stunden, sondern alle fünf Minuten ein Zug.

Für den Straßenverkehr durchziehen große Brücken das Tal.

Wovon ernähren sich all die Arbeiter und Eisenbahner? Dazu werden der Bizarre Blaukohl und die Hessische Spitzrübe in großen Mengen angebaut. Ich beiße ein Stück ab, doch das Aroma ist bitter und abgestanden. Erst nach fünfstündigem Auskochen auf kleiner Flamme entfaltet sich das köstliche Aroma von Frankfurter Kranz.

Die nächste Brücke über die Eder ist gesperrt. Ich folge einem Hinweisschild zu einer Umleitung und bleibe am rechten Ufer. Die kaputte Brücke stellt sich als glückliche Fügung heraus, denn auf der Umleitung konnte ich die Eder und wichtige Landmarken sogar aus größerer Nähe untersuchen. Ich entdecke die Überreste dreier Burgen, deren Namen eine entfernte Ähnlichkeit mit den Namen der sie umgebenden Dörfer erkennen lassen.

1. Die Altenburg von Altenburg. Ihre düsteren Mauern werden umgeben von den ebenso düsteren Mauern eines verfallenen Industriebetriebs, darunter ein düster rauschendes Wehr und die düstere Mündung der Schwalm in die Eder. Wenn schon düster, dann auch konsequent.

2. Die Heiligenburg auf dem Heiligenberg, die höchste der drei, ist auf dem hohen Berg kaum zu erkennen. Am anderen Ufer fast direkt gegenüber erhebt sich...

3. Die Felsburg von Felsberg. Ihre Form erinnert an einen Butterstampfer.
Ihr Burgverein betreibt eine eigene Seite, auf welcher wichtige Nachrichten verkündet werden: Vandalen beschädigen Mülleimer! Wir sind bestürzt über die sinnlose Gewalt und raten den Tätern, ihre überschüssige Energie lieber beim Engagement im Heimatverein zu entladen.
Die Felsberger Baumeister errichteten außerdem merkwürdige Bremsschwellen-Kreisverkehre.

Sodann umrunde ich den Böddiger Berg, Hessens nördlichsten Weinberg. Ich entnehme eine Pflanzenprobe von den steinernen Terrassen und presse etwas Saft heraus. Als ich ihn jedoch probiere, verspüre ich ein starkes Jucken im Abgang. Auf diesem Hang wird nur noch unbekömmlicher Brennnesselwein angebaut. Ich vermute, die Herrscher servieren ihn, wenn sie aus diplomatischen Gründen gezwungen sind, mit ihren ärgsten Feinden zu speisen.

Fast bin ich am Ziel, doch vorher habe ich noch eine letzte Hürde zu überwinden. Das Tal verengt sich noch einmal und ich muss einen steilen Anstieg bezwingen. Am anderen Ufer soll sich angeblich der Riesenstein von Wolfershausen befinden, welcher auf einer schmalen Kante steht. Von meinem erhöhten Beobachtungspunkt suche ich das Land nach ihm ab - leider erfolglos. Dies lässt nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder ist der Riesenstein nicht so riesig und verbirgt sich in einer Baumgruppe, oder er existiert anders als Edersee-Atlantis tatsächlich nur in der Legende.

Welche Stadt soll nun das Ziel meiner Reise sein? Es existiert eine Stadt namens Edermünde. Doch ich muss enttäuscht feststellen, dass nur kleiner Stadtteil von Edermünde tatsächlich an der Eder liegt: Grifte. Und das einzige, das in Grifte ein wenig interessant aussieht, ist die alte Edermühle.
Ich finde heraus, dass sich die Edermündung in einem Dreieck der Siedlungen Grifte, Baunatal und Guxhagen befindet. Jede der Siedlungen hat eine Bahnstation, aber da als nächstes eine Bahn in Guxhagen abfahren soll, werde ich meine Expedition im am entferntesten der drei Bahnhöfe auf der anderen Seite des Fuldatals beenden.

Zunächst aber muss ich mich noch ein Stück in Richtung Baunatal begeben: Ich durchquere Grifte zügig, umrunde eine Kläranlage und holpere mit meinem Gefährt über eine Wiese. Meine Aufregung steigt, als ich das Wasser am Ende der grünen Fläche erkenne.
Eine Minute später erreiche ich endlich, nach langer, entbehrungsreicher Reise mein Ziel. Diese Stelle ist mit einer metallenen Gabel und nicht allzu bequemen metallenen Bänken markiert.
Laut der bisherigen Kartographierung mündet die Eder (rechts) hier in die Fulda (links). Doch meine Messung ist eindeutig: Die Eder misst 176,1 Kilometer und ist damit 750 Meter länger als die Fulda. Deshalb müsste die Fulda von hier an Eder heißen und am Weserstein müsste die Eder die Werra küssen. Schließlich ist die Eder auch wasserreicher und ändert am Zusammenfluss anders als die Fulda nicht ihre Richtung. Andererseits: Letzteres gilt nur aus der Nähe. Aus der Ferne betrachtet kommt die Fulda von Süden und Eder fließt seitlich dazu. Und ohnehin wird wohl kaum jemand aufgrund meines Berichts die berühmte Inschrift auf dem Weserstein ändern.

Wenige Tage später stelle ich meine erste Übersichtskarte der Eder fertig. Ihre Gestaltung habe ich an ein bekanntes Brettspiel angelehnt.

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