Posts mit dem Label Wanderung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Wanderung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

11 April 2023

Eiserner Vorhang: Der Brocken

Vom Iron Curtail Trail (in Elend) führt ein Ausflug auf den Brocken, den höchsten Berg im Harz und den vielleicht bekanntesten Berg aller deutschen Mittelgebirge. Dazu muss man erstmal ins Dorf Schierke - aber wie?
Abraten würde ich von der Methode, mit zwei Bussen vom Harzrand dort hochzufahren. Die Busse im Harz sind null aufeinander oder auf die Bahn abgestimmt und fahren sehr unregelmäßig. Die Umsteigezeiten betragen praktisch immer 45 Minuten.
Wer mit dem Fahrrad von Elend hochfährt, sollte keinesfalls der Karte auf die gewundene Landstraße folgen. Ebenso steil, aber deutlich schöner und kürzer ist der Waldweg im Tal der Kalten Bode.



Zwei Klippen bewachen Schierke. Beide sehen aus, als hätte ein Riese die typischen Felsbrocken im Harz halbwegs passend ineinandergepuzzelt. Die Mäuseklippen ragen auf einem abgeholzten Feld auf und ließen sich auch ohne Hilfsmittel recht einfach besteigen. Die Schnarcherklippen schnarchen ein Stück weiter im Wald. Das sind schon richtig senkrechte Felstürme. Ich verstehe nicht wirklich, wieso Goethe im Faust geschrieben hat, dass die vorgebeugt schnarchen sollen - diese Beschreibung passt für mich eher zu den Mäuseklippen.
Der eine Schnarcherturm hat steile Eisentreppen, der andere wird nur von richtigen Kletterern mit Seil und allem bezwungen.


Selbst der Kurpark von Schierke sieht ungewöhnlich felsig aus. Das Dorf hat eine moderne Sommerodelbahn auf Schienen namens Brockencoaster, die aber eher kurz ist und statt dem Brocken nur einen kleinen Hang innerhalb der Ortschaft nutzt. Weil der Schnaps Schierker Feuerstein von hier stammt, steht die riesige Nachbildung einer Schnapsflasche an der Straße.
Der Brocken ist kein spitzer Berg, sondern eher eine flache Halbkugel, wie fast alle Berge im Harz. Deswegen kann man in Schierke gar nicht sehen, wo der eigentlich ist. Und während der restlichen Wanderung auch nicht. Überall im Harz ist der Brocken zu sehen, aber ausgerechnet direkt an seinem Fuß nicht.
Theoretisch kommt man auf einer breiten asphaltierten Straße mit dem Fahrrad bis zum Gipfel. Wer mich kennt, weiß aber: So was mache ich lieber zu Fuß.

Auf dem Brocken treffen sich ja angeblich die Hexen. Deswegen passiert man zunächst den Verbotenen Wald aus Harry Potter.

Wir durchquerten aber nicht nur Wälder, sondern vor allem ehemalige Wälder. Sie sind Borkenkäfern Brockenkäfern zum Opfer gefallen. Ein großer Teil der Brockenwanderung bestand aus einer tristen Holzwüste, in der vereinzelt Bananenschalen und Gummireifen herumlagen.
Auf den asphaltierten Straßen fuhren Menschengruppen auf Segways (diesen Dingern, auf denen Menschen stehend im Schritttempo fahren). Tja, wir besteigen nun einmal einen Gipfel, der alles andere als ein Geheimtipp ist und sehr stark frequentiert wird. Aber geführte Segway-Touren? So tief sind wir noch nicht gesunken.

Nachtrag 2024: Diese toten Wälder damals waren noch harmlos, inzwischen ist der Brocken angebrannt.

Der Weg passiert Straßen, Bäche und Bahnschienen. Hier verkehrt die Brockenbahn. Die wird von einer Dampflokomotive gezogen. Zu Hause hatte ich überlegt, ob man nicht eine Strecke wandern und mit der Bahn zurückfahren könnte. Die Idee verwarf ich spontan, als ich einen Blick auf die Fahrpreise warf.

Und nun folgt der anstrengendste Teil des Aufstiegs, ein steiles, steiniges Etwas, der auf direktem Wege bergauf führt, während sich Straße und Gleise langsam als Spirale um den Berg schlängeln. Im Grunde war das so eine Art breiter Streifen, angefüllt mit Steinen verschiedenster Größe, dazwischen ein Wirrwarr an Trampelpfaden und Trittstufen. Eine Masse an Leuten kraxelte gemeinsam mit uns nach oben - es war ja Platz genug für alle, falls es eng wird, umrundet man den Felsbrocken eben auf der anderen Seite. Wir konnten uns sogar unbehelligt auf einen Fels mitten auf dem Weg setzen, um Pause zu machen. Für Segways und Fahrräder ist dieser Weg übrigens nicht geeignet.
Die Stelle heißt zwar Eckerloch, aber die Ecker entspringt hier überhaupt nicht. Es fließt nur ein unwichtiger, aber schöner Bahn namens Schwarzes Schluftwasser.

Schließlich landet der Steinweg wieder auf der Spiralstraße. Hier durchqueren nun sämtliche Verkehrsteilnehmer die bedrohliche Knochenbrecherkurve, denn einen anderen Weg zum Gipfel gibt es nicht mehr (von den Bahngleisen mal abgesehen). Das birgt Gefahren, vor denen ein anschauliches Schild warnt. Wanderer sollen deshalb immer (von oben gesehen) links gehen.

Am letzten Bahnübergang zweigt nochmal ein echt schöner, welliger Weg parallel zu den Gleisen ab. Überraschend oft dampft ein Zug vorbei, und dann wird auf beiden Seiten höchst engagiert gewunken, fotografiert und gefilmt. 
Dieser Weg führt aber wieder nach unten, zu einem DDR-Kolonnenweg, zur richtigen Quelle der Ecker und der Warmen Bode.

Auch die Ilse entspringt nicht in der Nähe des Gipfels im sogenannten Brockenbett. (Hinter diesem Namen verbirgt sich, welch eine Überraschung, ebenfalls eine Fläche abgestorbener Bäume.)


Dann waren wir oben. Auf dem Gipfel bewegt sich ein Meer aus Gras, aus dem Steine ragen. Die Berge sind alle blau und halb transparent.

Wobei oben auf dem Brocken eine ziemlich große Fläche beschreibt. Zunächst kommt man am Bahnhof vorbei.

Da unten, da ist das Tal, wo der Weser-Harz-Heide-Radweg entlangführt! Oder? Und die Stadt da - ist das jetzt Goslar? Oder Bad Harzburg? Oder Wernigerode? Keine Ahnung.

Ein kreisrunder Weg umschließt den Gipfel. Das beeindruckendste Objekt auf diesem Rundweg ist  diese Felsformation. Sie nennt sich Teufelskanzel. Hier beobachteten Faust und Mephistopheles angeblich die Walpurgisnacht - in jener Szene, bei der schon zahlreiche Schüler im Deutschunterricht dachten: Okay, was soll das denn jetzt? (Und dann, beim WalpurgnisnachtstraumHÄ? Da parodiert Goethe irgendwelche zeitgenössischen Promis, die seit Jahrhunderten tot sind und kein Schwein mehr kennt. Ja, genau so steht das sinngemäß in den Fußnoten. Sogar die Herausgeber von Reclam versuchten den Schülern subtil mitzuteilen: Macht euch keinen Kopp und vergesst den Blödsinn einfach.)
Ein anderer Name für den Brocken lautet Blocksberg. Aus dem stumpfen Grund, weil Block damals ein Wort für das Hexengewerbe war, und eben das soll sich ja hier oben abgespielt haben. Zum Glück wurde extra für den Hexenkontext ein eigener Name für den Berg erfunden. Bibi Brocken wäre schließlich kein guter Name für eine Kinderbuchfigur.

Und was ist das hier? Einfach eine Wiese aus langem Gras? Irrtum! Das ist ein botanischer Garten, der zur Uni Göttingen gehört und auf Gebirgspflanzen spezialisiert ist. Zugegeben, das erkennt man nicht sofort... aber da hinten stecken tatsächlich ein paar windschiefe Schilder in der Erde.
Das höchste Gebäude ist der Funkturm, der aussieht wie eine gestreifte Rakete und nervtötend pfeifen kann.

Auf einem riesigen Platz aus Sand liegt ein Haufen Findlinge. Und die sind der 1141 Meter hohe Gipfel vom Brocken. Metallplatten zeigen an, wie weit es wohin ist.
Dass die "Plattform" auf dem Gipfel so irrsinnig groß ist, hat den Vorteil, dass genug Platz für alle Menschen ist. Ein Nachteil ist, dass man nicht einfach in alle Richtungen auf einmal gucken kann, wie es sonst für einen Berggipfel typisch ist. Will man die Aussicht in alle Richtungen abchecken, kann das schon ein Rundgang von einer Viertelstunde um den ganzen Gipfel werden. Und wenn man den kompletten Brockenrundweg nimmt, ein kreisförmiger Pfad um die Kuppe, dann dauert es noch länger.
Oder man macht es wie die Kinder und klettert einfach auf die Findlinge.
Noch weiter nach oben kommt man, wenn man die Aussichtsplattform im rechteckigen grauen Haus besteigt. Das Haus mit der Kuppel dahinter ist das Brockenhaus, ein modernes Museum.

Leider war die Aussichtsplattform um die Brockenhaus-Kuppel geschlossen, weil der Wind zu stark wehte. Also hörten wir stattdessen als DDR-Spitzel ein paar Leute ab, also quasi. Denn die innerdeutsche Grenze führte einst genau über den Brocken (während die heutige Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen weiter westlich außenrum verläuft).
Nach dem DDR-Aufstand vom 17. Juni installierte Ulbricht auf dem Brocken Soldaten und Stasi-Lauscher, die Funkgespräche in fast ganz Westeuropa abhören konnten. Der Berg war auch der westlichste Vorposten der Sowjetunion, ihr Geheimdienst GRU lauschte mit. Nebenan saßen Mitarbeiter des Fernsehens, die vom Brocken sendeten. Die wurden aber von den anderen getrennt eingepfercht. Ein paar Jahre wurden noch recht großzügig Passierscheine für das Brockenhotel verteilt, aber mit dem Mauerbau war mit dem Hotel natürlich endgültig Schluss.

Erst im Dezember 1989, als die Mauern und Zäune anderswo längst gefallen waren, erlangten 6000 Demonstranten den Zugang zu diesem streng abgeriegelten Berg.
Einen versteckten Hintereingang auf den Brocken aus Richtung Bad Harzburg gibt es übrigens doch noch. Es handelt sich dabei um den sowohl landschaftlich spektakulärsten als auch besoffensten Grenzkolonnenweg der ganzen ehemaligen DDR.

04 April 2020

Werra: Vom Hexentanzplatz zum Monte Kali

Werra-Tag 2b: Verzückt und versalzen


gefahren im: Oktober 2021
Start & Ziel: Bahnhof Wildeck-Hönebach/Hexentanzplatz, Heringen
Länge: 3,5 km (+Anfahrt vom Bahnhof 6,5 Kilometer)
Werraquerungen: 0
Ufer: links
Bundesländer: Hessen, Thüringen nur bei der Anreise
Landschaft: weißgrauer Salzberg in strahlendem Herbstwald
Wegbeschaffenheit: steinhartes oder pulveriges Salz
Steigungen: am Anfang so richtig
Wetter: goldene Herbstsonne
Wind: kaum
Highlight: Blick nach Osten
Größte Hürde: steiler Abstieg auf rutschigem Salzsand
Zitat des Tages: "Glückauf und ich hoffe, Sie denken daran: Wir machen hier Sachen, die sind nicht so gut, aber wir machen auch Sachen, die sind gut."
- unser Haldenführer und Bergmann im Ruhestand -

1 Woche zuvor Ich buche uns telefonisch im Bergbaumuseum Heringen eine Salzführung.

12:40, Bahnhof Wildeck-Hönebach Wir steigen aus der Bahn und radeln die steile Landstraße hoch.

14:02 Wir biegen auf einen Waldweg ab. Dort steht ein bemerkenswert hässlicher Aussichtsturm in Form einer eigenartigen Betonskluptur mit Wendeltreppe. An diesem Sonntagvormittag besteigen ihn so einige Spaziergänger - kaum zu glauben, dass er früher noch viel beliebter gewesen sein soll. Andererseits herrscht auch besonders traumhaftes Aussichtswetter. Wir können weit über das Werratal und den Rhäden blicken. Stahlzacken weisen auf diverse Dörfer und die Wartburg hin, die nur 20 Kilometer entfernt zu erkennen ist. Unser Ziel ist deutlich näher, verbirgt sich jedoch größtenteils hinter Bäumen.

1965 Der westdeutsche Bundesgrenzschutz baut den Aussichtsturm Bodesruh. Er dient dem Tourismus, genau wie der Turm bei Duderstadt, obwohl er komplett anders aussieht. Anders als die DDR mit ihren einförmigen Beobachtungstürmen förderte der BGS eine gewisse architektonische Vielfalt. Das war wohl die Freiheit des Westens. Naja, das und die Tatsache, dass DDR-Bürger von ihren Türmen erschossen wurden, während die BRD-Bürger von ihren Türmen beobachten konnten, wie Leute erschossen wurden.


14:30 Wir kommen vorbei an mehreren Holzhütten, die laut Schild eine Steigleitung enthalten. Nur die letzte Steigleitung ist nackt.

14:34, Hexentanzplatz Vier Waldwege kreuzen sich am letzten öffentlich zugänglichen Platz. Er ist mit Bänken und Infotafeln ausgestattet, damit die Leute möglichst hier bleiben und sich nicht allein weiter vorwagen. Viele Besucher in gelben Westen haben bereits ihr Auto abgestellt und laufen herum.


1521 Martin Luther läuft auf seiner Flucht zur Wartburg hier vorbei. Er konnte sich vermutlich nicht mal ansatzweise vorstellen, was für ein Berg hier eines Tages entstehen würde. Was er wohl davon gehalten hätte?

14:42 Ein älterer Herr in roter Weste geht herum und hakt unsere Namen auf einer Liste ab. Es handelt sich um einen Bergmann im Ruhestand, der Haldenführungen durchführt. Er kassiert fünf Euro, die dem Bergbaumuseum Heringen zugutekommen.
An diesem herrlichen Tag haben sich so viele Neugierige angemeldet, dass wir coronabedingt in drei Gruppen aufgeteilt werden.


14:50 Es geht los! Durch das Tor schlüpfen wir auf das Gelände der K+S GmbH.


14:52 Ich muss meinen Fahrradhelm gegen einen weißen Bergmannshelm tauschen. Kurz hinter dem Tor erwartet uns der Aufstieg.

1976 Die K+S GmbH erfindet das Elektrostatische Trennverfahren. Mithilfe von Strom können ganz schnell die Kali- und Magnesiumsalze aussortiert werden. Die werden für Dünger, Medikamente oder die chemische Industrie gebraucht. Wenig später wird der größte Salzberg Deutschlands genehmigt und fängt rasend schnell zu wachsen an.
Zwei Drittel vom Salz fallen beim Sortieren durch und werden als nutzlos eingestuft, quasi Müll. Was macht man damit?
Das kommt drauf an, ob das Salz in Wasser aufgelöst oder fest ist. Durch das Elektrostatische Trennverfahren fällt zum Glück deutlich weniger flüssige Salzlauge an als früher, aber immer noch etwas. Die landet erst einmal in großen Sammelbecken (hinten im Bild). Von da aus bieten sich folgende Optionen:
  1. Per Pipeline ins Meer. Ist teuer und aufwändig, weshalb die Pläne für eine Pipeline von hier zur Nordsee inzwischen aufgegeben wurden.
  2. In den Untergrund verpressen. Versalzt die Werra indirekt ein bisschen.
  3. Direkt ab in die Werra damit! Durch Möglichkeit drei wurde die Werra zu einem der am stärksten belasteten Gewässer Europas.

1950-1989 BRD und DDR haben jeweils zwei Kalibergwerke an der Werra. In der DDR gibt es keine Grenzwerte, wie viel man in einen Fluss kippen darf. Also wird so viel wie möglich reingehauen. Vorher lebten 60 bis 100 Tierarten in der Werra, jetzt nur noch drei, darunter die Groppen. Die wohnen normalerweise im Pazifik.

2012 Der Grenzwert von 2500 Milligramm pro Liter, der in der BRD seit 1942 als kriegsbedingte Ausnahme gilt, läuft aus. (Bei Niedrigwasser wird er ohnehin schon nicht eingehalten.) Mittlerweile ist die Aktiengesellschaft K+S für alle Kalibergwerke zuständig, und wie man sich denken kann, wird die auch nicht von allein zum Umweltschützer, wenn man ihr nicht auf die Finger schaut. K+S möchte das Zeug gern für weitere 700 bis 1000 Jahre so reinkippen und hat auch noch eine Pipeline zur Werra gebaut, durch die Salzwasser von einem anderen Bergwerk kommt. Der Kompromiss ist ein Vier-Stufen-Plan, laut dem die Abwässer langsam reduziert werden und das Abfallsalz doch noch irgendwie verwertet und verkauft wird.

2075 Ich bin längst Rentner und die Werra hat Süßwasserqualität - sofern man dem Vier-Stufen-Plan glaubt. Oder aber die K+S sagt: "Ach ja, der Plan, den haben wir in den letzten 60 Jahren ganz vergessen! Jetzt schaffen wir das leider nicht mehr." Wählen Sie selbst, welche Zukunft Ihnen wahrscheinlicher erscheint.

15:04 Okay, für Salzlauge sehen alle Optionen nicht so toll aus. Und wie sieht es mit den Möglichkeiten für das feste Salz aus? Ein bisschen besser. Das Zeug könnte man:

  1. Wieder runter ins Bergwerk bringen. Das wäre doppelt so teuer, weshalb das Salz der K+S auf dem Weltmarkt nicht mit den Russen und Kanadiern mithalten könnte, erklärt uns der Führer. Bei anderen Bergwerken wird das gemacht, weil die Schwerkraft das Salz automatisch runterrieseln lässt. Aber hier sind die unterirdischen Gänge waagerecht, da rieselt es nicht von alleine.
  2. Zu Bergen aufschütten. Diese Möglichkeit Nummer 2 ist es, die wir uns heute ganz genau ansehen. Sie hat den Nachteil, dass die Berge das Grundwasser ein bisschen belasten, viel Ackerland blockieren und laut manchen Leuten nicht schön aussehen. Ein Vorteil ist, dass die Berge laut anderen Leuten sehr beeindruckend und auf ihre Weise wunderschön sind. Wir tendieren zur zweiten Ansicht.
  3. Verkaufen. Ein Mitglied unserer Gruppe fragt, wieso das nicht einfach in den Supermarkt als Kochsalz geliefert wird. Im Prinzip ist das ja dasselbe Zeug, Natriumchlorid halt.
    "Naja, Sie bezahlen im Supermarkt 60 Cent für Ihr Salz. Wenn wir das hier reinigen und abfüllen würden, müssten Sie 1,40 Euro bezahlen." Anders als bei einem Steinsalzbergwerk ist das Zeug aus dem Kalibergwerk nicht von Natur aus so rein, dass es die gesetzlichen Vorgaben erfüllt.
    Dennoch, soo abwegig erscheint mir diese Lösung nun auch wieder nicht. Immerhin bezahlen die Leute auch mehr für Produkte aus recyceltem Mikroplastik, das aus dem Meer gefischt wurde. Wobei Hiermit retten Sie den Ozean natürlich etwas überzeugender ist als Hiermit machen Sie den komischen Salzberg in ihrer Gegend etwas kleiner und geben ein paar Hektar für irgendeinen Bauern frei. Da wäre es vermutlich leichter, die Salzlauge zu vermarkten, die in die Werra gekippt wird: Hiermit retten Sie die Werra. Aber was könnte man mit der Plörre machen?
1990 Nach der Wende entsteht ein neues Bergwerk in Heringen. Es wird mit anderen Bergwerken verbunden, aber nur durch ein kleines Loch für ein Förderband, damit die Gefahr von Wassereinbrüchen nicht steigt.
Das Bergwerk hat zwei Schächte. Der, wo die Bergleute runterfahren, liegt ein Stück entfernt im Wald. In dem weißen Gebäude, das wir direkt vor uns sehen, kommt Zeug aus der Tiefe hoch, das nicht unter der Erde sein soll, nämlich giftige Gase - und Salz. Das Salz landet auf einem Förderband. (Das Gas nicht. Das wäre auch schwierig.) Pro Stunde fahren 1000 Tonnen Salz vorbei.

1998 Erst acht Jahre nach der Gründung wird den vielen neugierigen Besuchern gestattet, ihren Fuß auf diesen außergewöhnlichen Ort zu setzen.


15:06 Wir steigen einen Zufahrtsweg rauf. Er ist steil. So richtig steil. Neben uns rattert das 1,3 Kilometer lange Förderband lautstark vor sich hin.
Unser Führer hingegen könnte gerne etwas lauter sein. Es ist im Grunde nicht möglich, ihn zu verstehen und gleichzeitig den Corona-Mindestabstand einzuhalten.
Der Berg wird Kalimandscharo oder Monte Kali genannt - anfangs scherzhaft, aber inzwischen ist das mehr oder weniger der offizielle Name. Nur wer seine Mitmenschen langweilen will, spricht von einer Abraumhalde.


15:16 Wir erreichen das Ende des Aufstiegs, so langsam wird der Boden unter unsern Füßen wieder waagerecht. Die Aussicht ist grandios. Wir können bis zur Wasserkuppe gucken. Deshalb bekommen wir zwischendurch noch erklärt, welche Gebirge es hier so gibt und welche Wanderwege darin empfehlenswert sind. Muss ja nicht immer alles mit Bergbau zu tun haben.
Aus der Nähe sieht der Berg längst nicht so strahlend weiß aus, sondern stellenweise ganz schön grau. Ein bisschen wie Schneematsch am Rande einer Hauptverkehrsstraße.


15:17 Wir haben Anweisung erhalten, keine Mitarbeiter des Bergwerks zu fotografieren. Die sind wegen der umweltschädlichen Auswirkungen ihres Berufs so unbeliebt, dass sie öffentliche Anfeindungen fürchten. Es ist extrem einfach, sich an diese Regel zu halten. Nur ein einziges Mal fährt einer im Auto vorbei. Alles andere läuft automatisch.
Die Umweltprobleme seines ehemaligen Arbeitgebers verschweigt uns der Bergmann nicht, sondern er geht ausführlich und möglichst neutral darauf ein. Das überrascht mich.

15:18 Das Förderband beginnt sich aufzuspalten. Ein Teil des Salzes sackt durch eine Art Trichter abwärts. Das Salz ist bereits angefeuchtet, damit der Berg auch schön zusammenklebt und fest wird. Sonst würde der ja niemals Wind und Wetter standhalten. Damit wäre eine weitere Frage beantwortet, die ich mir gestellt habe, seit ich zum ersten Mal solche Berge aus der Ferne gesehen habe.
Dieses Anfeuchten hat aber auch einen Nachteil: Würde die Anlage stillstehen, wäre nach nur 20 Minuten alles katastrophal verkrustet und verstopft.


15:20 Nun treten wir ein in eine Art Mondlandschaft, die mich entfernt an ein Skigebiet erinnert, mit Fließbändern anstelle von Liften. Auf dem Boden liegt zum Teil ziemlich viel loser Salzsand, der sich beim Durchlaufen nach einer Mischung aus Strandsand und Kunstschnee anfühlt.
Das Plateau ist dermaßen riesig, dass wir zunächst überhaupt kein Ende sehen. Das weitverzweigte Förderband bringt das Salz überallhin, ab und zu wird es aber trotzdem mit dem Bagger verteilt. Eine Art Tunnel führt unter dem zentralen Band hindurch. Er bietet sowohl für Bagger als auch für Besuchergruppen genug Platz.
Vermutlich könnte man hier stundenlang herumlaufen, doch die Führung soll ja nur 1,5 Stunden dauern. Unser Führer bringt uns an zwei besondere Aussichtspunkte an zwei gegenüberliegenden Seiten des Bergs.


15:28 Wir begutachten die waldreiche Aussicht nach Westen, wo die Grenze zur DDR verlief. (Ja, von hier aus gesehen war die DDR im Westen. Die verrückte Werra-Grenze halt.) Unser Führer empfiehlt uns diese Stelle, um ein Foto zu machen, was wir auch sofort alle tun. Die Flanken des Monte Kali formen einen ausgesprochen fotogenen, dreieckigen Einschnitt, dem meine Kamera nicht völlig gerecht wird.
Das Salz bildet eine Art Geländer. Es lassen sich zwar problemlos ein paar Salzbröckchen abbrechen, doch insgesamt macht es einen stabilen Eindruck.


15:34 Anschließend laufen wir durch eine Art kurzen Tunnel unterm Förderband durch zur anderen Seite.

15:39 Hier hat der Salzberg besonders eigenartige Formen angenommen. Das sieht ja aus wie ein Thron aus Salz! Und wieso ist das da hinten so schwarz, ist das normale Erde? Ich vergesse, danach zu fragen.
Im Osten sind deutlich mehr Häuser über die Landschaft verteilt. Hier erstrecken sich die Stadtteile von Heringen, außerdem sehen wir weitere Industrieanlagen des Kalibergbaus und die Sammelbecken für die Salzlauge.


15:44 Zuletzt bekommen wir gezeigt, wo die nächste Erweiterung des Monte Kali hinsoll. Es ist dem Salzberg verboten, höher als 520 Meter über den Meeresspiegel zu wachsen, denn das ist die übliche Höhe der Mittelgebirge ringsherum. Und die hat er mit 515 Metern fast erreicht. (Davon sind 240 Meter Salz.) Ab und zu schrumpft der Berg ein bisschen, weil das Salz zusammengedrückt wird. Dann kann wieder was obendrauf gekippt werden. Aber das reicht nicht, um all den neuen Salzmüll loszuwerden.
Daher wächst der Berg vor allem in die Breite und schluckt immer mehr Felder. Schon jetzt wird das nächste Gebiet mit Ton zugeklebt, damit da in Zukunft Salz drauf kann und es nicht so stark in den Boden sickert.


16:10 Jetzt müssen wir das steile Stück wieder zurück nach unten. Aus irgendeinem Grund nehmen wir dafür nicht die feste Straße vom Hinweg, sondern einen anderen Weg, der ein paar Meter entfernt parallel nach unten führt. Im Grunde ist das nur die Spur eines Fahrzeugs mit sehr dicken Reifen. Die haben im Salzsand tiefe Abdrücke hinterlassen. Von denen ist nach unserem Durchmarsch kaum noch etwas zu erkennen: Unter unseren Füßen rutscht das Zeug weg und zieht uns abwärts. Huaa... So legen wir 180 Meter Höhenunterschied auf nur 1,4 Kilometern zurück.

16:29 Als wir nach diesem abenteuerlichen Abstieg unten ankommen, sind wir doch ganz froh.

17:12, Bahnhof Wildeck-Hönebach Da sich das gastronomische Angebot in Hönebach auf einen Outdoor-Grillstand bei eisiger Kälte beschränkt, fahren wir zwei Stationen weiter nach Obersuhl, um zu essen und zugleich die Zeit herumzukriegen, bis endlich ein Zug in die Gegenrichtung kommt.