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16 Juni 2023

Berliner Mauer: Von Sacrow nach Spandau

Die Waldseemauer

Länge: 27 km
Grenzquerungen: 9
Bundesländer: Berlin, Brandenburg
Seite: ausnahmsweise etwas mehr West als Ost (wobei der politische Westen hier im geographischen Osten liegt)
Erkenntnis: Eine Schülerausrede hätte rein theoretisch eventuell vielleicht den Dritten Weltkrieg auslösen können, und das wäre auch kein dümmerer Grund als manch anderes.

Weil Spandau komplett zu Westberlin gehörte, schlägt die Mauer an dieser Stelle einen großen Waldbogen rund um das westliche Westberlin. Erst dann kehrt sie zur Havel zurück. Erst einmal bezwinge ich den Luisenberg. Er ist 74 Meter hoch und gehört damit nicht mal in Berlin zu den höchsten Gipfeln. Allerdings ist er (glaube ich) das höchste, was ich an der Berliner Mauer bezwingen musste. Kein Vergleich zum Hoel und zum Brocken! Jedenfalls nicht, was die Höhe angeht. Was die Schönheit des Waldes angeht, schon eher.

In diesen Wäldern verstecken sich noch mehr Seen, quasi eine zweite Seenreihe, die nicht von der Havel verbunden wird, sondern bloß von irgendwelchen Bächlein. Entsprechend geht es hier deutlich ruhiger zu. Den Sacrower See verfehlt die Mauer knapp, aber über den Groß Glienicker See geht sie einmal quer rüber. Ach, schön! Darf ich dann auch ans Ufer?

Äh, ich würde mal sagen, das ist ein klares Nein.
Die Karte sagt, der Radweg ist gesperrt. Da frage ich mich, vor wie vielen Jahr(zehnt)en der bitte geöffnet gewesen soll. Eine derart dicke Buschwand wächst ja nicht gerade über Nacht. Und auch später, als es einen Pfad am Ufer gibt, ist der nur für Fußgänger erlaubt, und die Abzweigung habe ich obendrein übersehen.

In Groß Glienicke herrschten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert die Ritter auf dem Rittergut - am bekanntesten ist die Familie Ribbeck (ihr bekanntester Vertreter aus einem gewissen Gedicht kam aber aus dem Ort Ribbeck, das ist woanders). Ihr Gutshof brannte nach Kriegsende ab, nur ein einsames Tor und ein paar Wirtschaftsgebäude blieben übrig.

Im Grenzgebiet verwilderte ihr Garten, und heute ist nicht mehr zu erkennen, dass das mal ein aufwendiger gepflegter Park war. Schön anzusehen ist es trotzdem, nur halt auf andere Art. Und an der Nordspitze darf ich sogar nochmal ans Seeufer.
Der Pfarrer von Groß Glienicke kümmerte sich um seine Schäfchen auf beiden Ufern. Eines Tages war der Steg über den Grenzgraben weg. Am nächsten Tag hatten die Menschen Bretter drübergelegt, dann waren die auch weg. Dann lagen da Trittsteine, auch die entfernten die Grenzsoldaten. Das Katz-und-Maus-Spiel zog sich durch die ganzen 50er bis zum Mauerbau.
Sogar mitten im See stand auf einmal Stacheldraht. Am Nordufer kommt auch heute noch ein Zaun aus dem Wasser. Der Streckmetallzaun, der an der Innerdeutschen Grenze meistens die endgültige Version darstellte, war in Groß Glienicke bloß eine Zwischenstufe. An dieser Stelle lässt sich das sandige Ufer aber nur schwer bebauen.

Deswegen machten die Mauerbauer eine kleine Abkürzung, als der Zaun (hinten rechts) 1970 durch eine Betonmauer (links) ersetzt wurde. Ihrer Faulheit ist es zu verdanken, dass ich zwei verschiedene Mauer-Generationen nebeneinander besichtigen kann (die einzige Stelle in Berlin, wo das geht, glaube ich). Damit es die Landschaft aber nicht zu sehr verunstaltet, sind nur zwei Segmente der Mauer komplett, und der Rest wird durch kleine Betonstücke angedeutet. Die Wurst obendrauf (hinten links) - der Fachbegriff lautet Abweisrolle - verhinderte, dass sich irgendwer mit Händen, Füßen oder Kletterhaken festhalten konnte.

Ich passierte eine Fahrradampel, die einen etwas... verschlossenen Eindruck machte, und fuhr dann immer neben der Bundesstraße lang.
Die Aliierten hatten vereinbart, dass jede Besatzungsmacht einen Berliner Flughafen bekommen soll. Die Briten hatten ihren hier in Gatow und tauschten sogar Gebiete ein, damit sie auch ohne sowjetische Unterbrechung da hinkommen konnten. An dieser Straße erschoss ein DDR-Volkspolizist einen sowjetischen Soldaten, nicht gerade die typische Täter-Opfer-Konstellation. Es wurde an dem Tag nämlich nach einem abtrünnigen Sowjet gefahndet, aber das war ein anderer.
Außerdem sollen sich hier Rieselfelder befinden. Och, das klingt ja idyllisch, was das wohl sein mag? Weinberge, auf denen Riesling angebaut wird?
Äh, nicht ganz. Auf den Rieselfeldern entsorgten die Berliner Ende des 19. Jahrhunderts über ein System aus Pumpen und Rohren ihre Abwässer. Damals totaler Hightech, bis jemand die sogenannte Kläranlage erfand. Für Notfälle werden aber immer noch ein paar Becken freigehalten (etwa, falls die Regierung zu viel Mist machen sollte).

An diese Bundesstrecke grenzt auch, welche Überraschung, schon wieder ein Friedhof. Der verfügt über den wahrscheinlich gigantischsten KfZ-Sperrgraben des gesamten Eisernen Vorhangs.

Ein bisschen bergig wurde es wieder, als ich den Hahneberg umrundet habe. Der besteht im Prinzip aus Bauschutt, ist aber trotzdem bei Schmetterlingen wie dem Schwalbenschwanz und bei rodelnden Kindern beliebt. Der Bauschutt wird immer grüner, was dem Steinschmätzer gar nicht gefällt, denn dieser Vogel brütet lieber in kuscheligen Steinhaufen. Aber keine Sorge, die Menschen haben ihm ein paar Extrasteine dafür hingelegt. Sogar die Russische Kamille wächst dort - auf Westberliner Gebiet! Vermutlich hat die Stalin heimlich bei der Potsdamer Konferenz ausgesät, um zu stänkern.
Gleich nebenan bauten die Spandauer 1882 ein Fort. Sie hatten gerade erst für Bismarck gegen Frankreich gekämpft und dabei festgestellt, dass ihre Zitadelle im Zentrum gar nicht mehr zeitgemäß ist gegen all die dicken Kanonen und den Sprengstoff, der inzwischen erfunden wurde. Aber bevor das Fort Hahneberg überhaupt fertig war, upsi, war die Militärtechnik schon wieder ein Stück weiter. Die Spandauer hinkten der Zeit hinterher, und das Fort Hahneberg blieb unbewaffnet.

Am Rewe von Staaken treffe ich auf die Bundesstraße nach Lauenburg, die einzige Verbindung der beiden Deutschlands, die Radfahrer nutzen konnten (mehr dazu hier).
1972 schlossen beide Deutschlands ein Transitabkommen. Damit wurde vieles einfacher: Wenn Sie an dieser Stelle als Westbürger von Westberlin nach Hamburg fahren wollten, durften Sie fortan nur noch in begründeten Einzelfällen durchsucht werden (zum Beispiel, wenn das Heck besonders tief lag - vermutlich ein Flüchtling im Kofferraum). Und Sie mussten keine Gebühr abdrücken, das erledigte die BRD mit einer pauschalen Gebühr an die DDR jedes Jahr für Sie. Dafür mussten Sie aber auch in einem westdeutschen Merkblatt (die Kurzfassung hängt noch heute aus) durchlesen, was alles verboten war: Die festgelegte Transitstrecke verlassen, Anhalter mitnehmen, andere Raststätten als erlaubt benutzen und natürlich irgendwelche Zeitschriften oder sonstwas liegenlassen, in denen eventuell irgendwas Kritisches über den Staat steht, den sie gerade durchqueren... ach ja, und ganz normale Verkehrsregeln gibt es ja auch noch. Falls Sie gegen irgendwas davon verstießen, passierte erstmal... nichts. Die Stasi guckte am Rand der Straße zu und gab die Infos an den Grenzübergang in Lauenburg weiter. Sobald Sie hunderte Kilometer später die DDR wieder verlassen wollten, kam die böse Überraschung.

Dieses Kreuz erinnert an Dieter Wohlfahrt. Er war zwar in Berlin aufgewachsen, aber österreichischer Staatsbürger. Dadurch hatte er den Vorteil, dass er deutlich einfacher nach Ostberlin einreisen konnte. Das wollte er nutzen, um möglichst vielen Menschen zu helfen. Er ging zu einer Fluchthilfegruppe, die Menschen durch Abwasserkanäle schleuste, und er öffnete für sie immer die Gullydeckel auf der Ostseite. 1961 probierte er es auch mal damit, den Grenzzaun durchzuschneiden, um die Mutter eines Kommilitonen rauszuschleusen. Doch an dem Tag hatte sie jemand verraten, und Wohlfahrt wurde hingerichtet. Westdeutsche wurden bedroht, als sie ihn versorgen wollten, und die Grenzsoldaten holten ihn erst ab, als er definitiv tot war.

Damit wäre ich in Staaken angekommen. Schon 1920 schlossen sich die Staakener begeistert Groß-Berlin an. Sie mussten vorher nur noch die skeptischen Spandauer dazwischen überzeugen, und schon wurde Berlin die drittgrößte Stadt der Welt nach London und New York.
Als ich an diesem grünen Graben herauskam, wunderte mich der Zusammenschluss nicht: Die Häuser da drüben sehen schon echt urban aus. Die Gartenstadt sollte eine grüne Mischung aus Stadt und Land werden und war Vorbild für den Siedlungsbau der Weimarer Republik. 1938 startete in Staaken der erste Nonstop-Flug von Berlin nach New York, den aus Versehen alle Medien übersahen (das würde heute wohl nicht mehr passieren). Der erfolgreiche Rückflug wurde umso mehr bejubelt.
Die Staakener Kirchgemeinde war in beiden Unrechtsregimen rebellisch eingestellt: Zuerst taufte hier ein Pfarrer der Bekennenden Kirche Juden, um ihr Leben zu retten, und in der DDR wurde die Kirche zum Zentrum des Widerstands im Havelland. Interessanterweise riss die DDR sie trotzdem nicht ab, sondern verlieh ihr im Gegenteil sogar Denkmalschutz.
Der Westteil von Staaken war das Gebiet, das die Briten den Sowjets im Gegenzug für die Zufahrt zu ihrem Flughafen überließen. Der alliierte Kontrollrat fand den Tausch nicht okay, die Sowjets besetzten das Gebiet trotzdem über Nacht. Am nächsten Tag rannten viele Staakener überstürzt in Richtung Westen (also politisch, eigentlich in Richtung Osten).
So viel Geschichte sieht man den Wohnklötzen echt nicht an, oder?

Abgesehen vom Gasthaus Grenz-Eck gibt's in Staaken nicht viel zu sehen, es geht einfach am Stadtrand entlang über viele, viele Brücken und viele, viele Gleise unter den Brücken. Eine davon benutzten die Westberliner illegal, obwohl sie kurz vorm Einstürzen war und dringend saniert werden musste.  Westberlin brauchte die Brücke als Umleitung, weil sie ihre eigene Brücke noch dringender und länger sanieren mussten. Deswegen liehen sie sich die Brücke von der DDR aus (Kann man Territorium völkerrechtlich ausleihen? Egal.) und hinterließen sie der DDR gratis hübsch saniert.
Der Lokführer Harry Deterling und sein Schwager, der Heizer, hatten 1961 beide so gar keine Lust mehr auf ihre sogenannte Republik. Als sie hörten, dass ihre Eisenbahnstrecke bald woandershin umgeleitet wird, luden sie 14 Familienmitglieder auf und ballerten mit vollem Karacho über die Grenze - eine etwas stumpfere Eisenbahnflucht als die im tschechischen Aš, aber ebenso erfolgreich. Insgesamt saßen da 32 Passagiere drin, auch Soldaten und Polizisten. Nur sieben kehrten freiwillig zurück. Gerade mal zwei Jahre später wurde die Flucht schon verfilmt (Durchbruch Lok 234 gibt's auch auf Youtube), vermutlich nicht am Originalschauplatz. Eine andere Flucht erfolgte ähnlich branchial per Planierraupe.
Die Brücke wurde übrigens extra für einen Transrapid verlängert, der niemals fuhr.

Uiuiui... an der nächsten Straße hat irgendwer einen regelrechten Wald an Informationstafeln aufgestellt, endlos fächern sich die Infos, Bilder und Zitate der Zeitzeugen neben dem Radweg auf. Aber hm, eigentlich bin ich total gut in der Zeit. Wozu beeilen? Ich lese mir das jetzt alles ganz in Ruhe durch.
Hier draußen in Falkensee wurden schon in den 50ern Straßen und Buslinien dichtgemacht und das Überqueren knifflig, denn schließlich war das hier die Außengrenze und nicht die innerstädtische Sektorengrenze. Dennoch hingen viele an ihrem Haus und fuhren immer nur kurz in den Westen, um Waren einzukaufen und besser zu verdienen.
Als dann der 13. August eintrat, waren viele gerade mit der S-Bahn unterwegs, die auf einmal nicht weiterfuhr. Zwar bekamen sie ihr Fahrgeld zurück, aber wie sollten sie nach Hause kommen? Beim Umweg außenrum mussten sie so oft umsteigen, dass sie erst acht Stunden später zu Hause waren. Eine Tante schickte ihre Nichte an der Grenze zu ihren Eltern zurück, die Zehnjährige tapste völlig ungerührt durch die Sperranlagen.
Falkensee gehörte nun komplett zur Sperrzone. Jeden Freitagnachmittag verteilte ein Soldat in der Gaststätte die Besuchsgenehmigungen, die man vier Wochen vorher beantragen muss.
Eine West-Familie durfte ihre Großmutter in Falkensee nicht besuchen. Sie konnten ihr zwar durchs Fenster winken, zurückwinken war der Oma aber streng verboten. Stattdessen hängte sie als Wink-Ersatz ein Taschentuch raus.

In einer Lücke im Wald verbirgt sich der Eiskeller. Der heißt so, weil a) im Gutshof Eis im Keller gelagert wurde und b) hier die höchsten und niedrigsten Temperaturen Berlins herrschen. Der Eiskeller war eine Westberliner Exklave, aber immerhin mit einer vier Meter breiten Zufahrt. Im Eiskeller gab es wiederum ein Ministück DDR, also eine Exklave in der Exklave, und andere Stücke DDR ragten von der Seite rein. In diesem Chaos lebten drei Familien. Eines ihrer Kinder wurde 1952 weltberühmt. Erwin erzählte, die Grenzsoldaten hätten ihn auf dem Weg zur Schule gestoppt. Die Briten reagierten sofort, schickten 30 Soldaten in die Exklave und begleiteten den Zwölfjährigen jeden Tag mit einem Panzerspähwagen auf dem Schulweg (zu sehen im Foto oben auf der vordersten Infotafel, das mittlere Bild). Erst Jahre später gab er zu: Er hatte die Schule geschwänzt und eine Ausrede gebraucht.
Auf der sowjetischen Seite wurden die Gutsbesitzer von den Sowjets enteignet, andere Bauern hauten ab - darum gab es viele neue Bauern, die noch nicht so gut eingearbeitet waren. Zum Beispiel waren sie mit den Kartoffelkäfern überfordert. Aber die Lösung ist ganz einfach: Erzähl den Schulkindern, dass die Amis die Käfer aus Flugzeugen abwerfen, und schick die empörten Kleinen dann in der Schulzeit zum Sammeln aufs Feld.

Das wars auch schon mit der Stadt, jetzt geht's wieder richtig ins Grüne. Bunte Skulpturen säumen den Weg. Eine erinnert an drei junge Männer, die einen eher skurrilen Fluchtplan ausgeheckt haben: Sie nahmen weiße Klamotten und eine weiße Leiter, um vor der weißen Mauer nicht aufzufallen. Das allein reichte aber nicht, die drei müssen zusätzlich Glück gehabt haben: Entweder haben die Grenzposten gepennt oder den Schießbefehl verweigert.

Die Steinerne Brücke ist im Prinzip ein schräger Betonklotz (hinten in der Mitte) und erinnert an diejenigen, die es nicht geschafft haben.
Willi Block verfing sich dermaßen im Stacheldraht, dass er nicht mehr aufstehen konnte. Nicht mal, als ihn die Soldaten dazu aufforderten. Da er sich scheinbar nicht ergeben wollte, schossen sie. Dietmar Schwitzer floh aus dem eher ungewöhnlichen Grund, dass er als Hobby gerne funkte - zu gut, denn die Stasi wollte ihn unbedingt anwerben, aber er wollte da auf keinen Fall dienen. Ein Grenzer erschoss unter nicht ganz klaren Umständen seinen Kollegen Ulrich Steinhauer, der selbst auch kein begeisterter Grenzsoldat war, um fliehen zu können. Der Westberliner Adolf Philipp, der als Fluchthelfer regelmäßig das Niemandsland erkundete, versteckte sich in einem Bunker, brachte aber durch seine Fußspuren zwei Soldaten auf seine Fährte. Offenbar sah sich der Grenzsoldat bedroht und schoss in Notwehr, tatsächlich hatte Philipp nur eine Gaspistole dabei. Zwei Motorradfahrer verpassten ins Gespräch vertieft ihre Ausfahrt und wendeten erst, als sie sahen, dass sie aus Versehen die Grenzanlagen erreicht hatte. Der Torwächter schoss und traf nicht wie geplant den Reifen, sondern einen der Brüder.

Aus dem Westberliner Zollweg ist ein fabelhafter Radweg geworden, der sich zielstrebig durch den Spandauer Forst zieht. Zum Teil war das Gelände so sumpfig, dass es nur für einen Stacheldrahtzaun reichte.
Vor allem am Laßzinsee leben viele seltene Arten. Als ich auf die Aussichtsplattform stieg, bekam ich leider weder einen Bekassinen noch einen Flussregenpfeifer zu Gesicht. Aber der See allein war den Aufstieg schon wert - er funkelt fast so blau wie ein Bergsee in den Alpen!

Diese Etappe endet, wie sie begann: Mit einem kleinen Hügel im Wald. Dann bin ich auch schon zurück an der Havel am äußersten Rand von Spandau, und es ist gerade mal früher Nachmittag.
Da kühle ich mich doch erstmal entspannt im Wasser ab und hole mir eine Riesencurrywurst. Vielleicht lenkt mich das ein bisschen ab von den grauenhaften Sachen, die ich in den letzten anderthalb Tagen gelernt habe.
Jetzt kommt noch ein Mauerstück an der Havel, das ich schon kenne und dessen grauenvolle Sachen ich mir schon während der Havelradtour durchgelesen habe. Tja, und dann werde ich wohl auch schon, überraschend früh, zurück nach Hause fahren. (Nein, werde ich nicht. Ich werde zwei Stunden in einem Oranienburger McDonalds ohne Stühle sitzen und versuchen, das Deutschlandticket für den neuen Monat irgendwie in die App zu laden.)

15 Juni 2023

Jungfernsee

Havelgeschwafel VIa: Das Übelgegrübel
Agenten über Enten - Die Konferenz der Hohen Tiere - Der sehr durstige Wald - Säule mit Weile - Warum diese Strecke meine Stimmung nicht eben erhellt hat


Havelsee Nr. 33: Jungfernsee

Diese Strecke um den Jungfernsee ist eine Variante des Havelradwegs, für den Fall, dass die Fähre nach Wannsee nicht fährt (im Radführer heißt sie Variante Neu Fahrland).
Beim Berliner Mauerradweg ist es genau umgekehrt: Der Weg durch Wannsee ist die Alternative, und die Strecke um den Jungfernsee ist die Hauptroute.
Am kurzen Ostufer des Jungfernsees läuft der Havelradweg als Asphalthälfte eines Kieswegs, während Maiglöckchen, Schilf und überwachsende Buhnen das steile Waldufer säumen.

Aber die eigentliche Jungernsee-Tour beginnt in Klein Glienicke, einer Ansammlung an Häusern rund um ein Jagdschloss. Die Adligen haben hier dermaßen viele Schlösser gehabt, dass schon dem Soldatenkönig Friedrich I. auffiel, dass man es eventuell besser nutzen könnte: Er machte es zum Lazarett.
Jahre später war Klein Glienicke eine einsame sozialistische Insel, mit der DDR nur verbunden über eine Bauampel und ein dünnes Brücklein über den Teltowkanal. Was der Soldatenkönig wohl dazu gesagt hätte?

Auf der anderen Seite von Klein Glienicke schwingt sich eine deutlich größere Stahlbrücke über die Havel, je zur Hälfte in Nato-Grün und NVA-Grün gestrichen. Die Brücke entstand 1907, weil die hölzerne Zugbrücke und die Backsteinbrücke (von Schinkel mal wieder) den ganzen Verkehr nicht mehr tragen konnten, vor allem seit der Teltowkanal gegraben wurde. Die Brücke wurde schon 1953 für Zivilpersonen gesperrt, damit die beiden Deutschlands hier in Ruhe alle Geheimagenten austauschen konnten, die erwischt wurden. Beim ersten Mal noch streng geheim (und später im Kinofilm) einer gegen einen, beim zweiten Mal 23 Westagenten gegen 4 Ostagenten und beim dritten Mal live im Fernsehen (damit sich Honecker als Vermittler präsentieren konnte) noch mehr Agenten plus ein russischer Dissident direkt aus dem sibirischen Gulag, dem live die Hose runterrutschte.
Auch drei junge Männer flohen hier in den Westen, ausgerechnet über die am besten bewachte Brücke der Welt. Sie ballerten mit einem LKW durch die Schranken. Ihr simpler Trick: Einfach einen Gefahrgut-Aufkleber hinten draufkleben, dann trauen die sich nicht zu schießen.
Im Film Der Hunderteinjährige, der die Rechnung nicht bezahlte und verschwand flieht Allan Karlsson aus dem zerschossenen Fluchtwagen, indem er einfach ins Wasser springt. In Wirklichkeit wäre Allan unter Wasser vom Stalinrasen aufgespießt worden, noch bevor ihn die ersten Kugel getroffen hätten.

Ausgerechnet die DDR nannte das Bauwerk Brücke der Einheit, nur zwei Jahre, bevor sie den Übergang sperrte. Das fand die BRD dermaßen absurd, dass sie demonstrativ weiter Glienicker Brücke sagte, und der Name hat sich sogar gehalten, seit die Einheit erreicht wurde. Naja, Brücken der Einheit gibt's ja auch schon diverse andere. Die Einheit kam gerade noch rechtzeitig, damit die Deutsche Stiftung Denkmalschutz Spenden sammeln und die Kolonnaden am Brückenrand retten konnte. Einen wirklichen Zweck erfüllen die schlanken Säulen aus polnischem Sandstein nicht, sie waren einfach schicke Deko, damit die ausgetauschten Agenten auch schön was zu gucken hatten.
Gleich neben den Kolonnaden steht die Villa Schöningen. Die hat, nein, nicht Schinkel, aber einer seiner Schüler, für einen Hofmarschall gebaut. Sogar Friedrich Wilhelm IV., Hobby-Architekt und nebenberuflich König, verpasste ihr ein königliches Türmchen. Später waren dort einer der ersten Direktoren der Deutschen Bank, verwundete russische Soldaten und Kinder anzutreffen. Die Villa wurde zum Kinderwochenheim, wo sozialistische Eltern ihren Nachwuchs werktags absetzen konnten, um mehr zu arbeiten. Die Villa wäre nach der Wende fast abgerissen worden. Gerettet hat sie kein anderer als der Axel-Springer-Vorsitzende Matthias Döpfner. Ja, genau der Döpfner, der gerade erst mit seinen Chatverläufen über Ossis in den Schlagzeilen war. Jetzt enthält die Villa ein privates Freiheitsmuseum. Döpfner wollte es als Zeichen der deutschen Einheit retten, von der er inzwischen offenbar nicht mehr so viel hält.

Der Reisekaiser Wilhelm II. war kein Hobby-Architekt, er bestellte einfach nur Architektur. Als er gerade eine skandinavische Phase hatte und aus Norwegen zurückkam, wünschte er sich eine Matrosenstation im norwegischen Stil, um von da aus zu segeln. Wird gemacht, Majestät! Wie sollen wir das Haus nennen? Wie wäre es mit Kongsnæs, das bedeutet Des Königs Nase Landzunge?

Potsdam besteht hauptsächlich aus Parks. Allein auf diesem kurzen Abschnitt habe ich zwei Parks durchquert, und dabei war ich gar nicht richtig in Potsdam. Der erste heißt Neuer Garten und stammt von 1787, ist also nicht mehr im engeren Sinne neu. Auch er wurde vom Reisekaiser bestellt. Eigentlich sieht er nicht weiter ungewöhnlich aus, eben so, als wären hier in Jahrhunderten Bäume und Büsche in ordentlicher Form gewachsen. Aber genau das sollten die Gärtner vortäuschen, und zwar möglichst etwas schneller als in ein paar Jahrhunderten, damit der Kaiser es noch erleben kann.
Ich betrat den Garten über die Schwanenbrücke. Die ließ sich ursprünglich hochklappen, damit der Kaiser auch bequem über den Hasengraben zum nächsten See se(e)geln konnte. Die Nazis sprengten die Brücke, die Sowjets bauten sie provisorisch wieder auf, damit Stalin zu seiner Konferenz kommen konnte. Churchill und Truman durften über Stalins Brücke nicht rüber, sie mussten den Umweg über die Stadt fahren. Später fuhren hier dann die Grenzsoldaten rum.

In einem Potsdamer Park muss alle 100 Meter ein historisches Gebäude stehen. Mindestens. Eine Eremitage, eine Meierei, eine Grotte, in der sich der Kaiser für private Teestunden verstecken konnte, egal, Hauptsache irgendwas...
Aber das wichtigste Gebäude ist ein anderes.

Das Schloss Cecilienhof hat 55 Schornsteine, die alle unterschiedlich aussehen. Der letzte Schornstein wurde am 9. November 1917 fertiggebaut, und das Schloss an den Kronprinzen Wilhelm übergeben. Weil Wilhelm als Name unter Adligen aber nicht direkt außergewöhnlich war, benannte man das Bauwerk lieber nach seiner Frau Cecilie. Das Paar hatte keine Ahnung, dass im Schloss in gerade einmal 30 Jahren das Schicksal der Welt entschieden würde, aber sie damit absolut nichts zu tun haben würden, weil Ihnen die Revolution in genau einem Jahr jede Macht nehmen würde. Der Prinz durfte trotz Revolution als Privatperson wohnen bleiben, und tat das bis 1945. Denn dann kamen drei Nichtadlige vorbei, die mächtiger waren, als der Kronprinz es je gewesen war. In diesen Hallen besprachen Churchill (naja, und später Attlee, weil Churchill zwischendurch abgewählt wurde), Truman und Stalin, was sie nun mit dem Land machen sollten, das sie besiegt hatten. Dabei ließen sie sich von Circus Lila inspirieren: Teilen macht Spaß. (Das Lied Teilen kann heilen dagegen erwies sich in diesem Fall als Irrtum.) Dass Deutschland geteilt werden sollte, hatten sie zwar schon auf Jalta besprochen, aber noch nicht, wie genau die Zonen aussehen sollen und was mit Berlin passiert.
Stalin pflanzte im Innenhof extra einen roten Stern aus Blumen, der verdächtig nach der sowjetischen Flagge aussah, um die anderen zu ärgern. Präsident Truman prahlte, er habe eine ganz neue gefährliche Art von Waffe (räuseratombomberäusper) und gab von hier aus telefonisch den Befehl, Hiroshima und Nagasaki zu zerstören.

An dieser Stelle war die Mauer eine viel größere Geldverschwendung als ohnehin schon. Eigentlich folgte die Grenze ziemlich zielstrebig dem Lauf der Havel. Aber die DDR hatte Pech: Ausgerechnet am kommunistischen Ufer hatte die Havel einen richtig, richtig langen Ausläufer. Der heißt zunächst Jungfernsee, später Lehnitzsee und ganz am Ende Krampnitzsee.
Eine Mauer kann man nicht übers Wasser bauen, oder? Naja, schon, wenn man den Schiffsverkehr mit Netzen und Schwimm-Pontons abriegelt. Aber das ging nur an der schmalsten Stelle, und selbst bis dahin war es ein ganz schöner Umweg. Der ehemalige Grenzturm markiert die Stelle, an der diese Wassermauer verlief. Die Pontons sind längst weg, und selbst wenn nicht, könnte ich da kaum mit dem Rad rüber. Also musste ich den kompletten Umweg um den Jungernsee machen (nicht, dass ich mich beschweren möchte, der Umweg war toll).

Wichtig war übrigens, dass sich die Mauernetze auch einholen ließen. Denn wenn ein Westberliner Schiff kam und seinen Müll abliefern wollte, musste man es durchlassen - das brachte wertvolles Westgeld! Außerdem holten sich die Westberliner auf diesem Weg Öl und andere Brennstoffe aus der BRD. Deswegen war das der wichtigste Grenzübergang für Lastschiffe.
Der Rest des Neuen Parks war auch im Kalten Krieg geöffnet. Wenige Meter entschieden über das Schicksal der alten Bauwerke: Während das Restaurant in der Meierei ein beliebtes Ausflugsziel wurde, verfiel die Grotte zwischen den Grenzanlagen und wird bis heute mühevoll rekonstruiert.
Ein Wasserschutzpolizist der DDR stieg während der Mittagspause in ein Kontrollboot und täuschte eine Kontrollfahrt vor, die jedoch planmäßig zu eine Fahrt ohne Rückkehr in den Westen wurde. Nicht die schlechteste Strategie, auf der Ostsee hat das ja auch funktioniert.

Hinter dem Park folgt das nächste Villenviertel. Vor dem Krieg lebten hier gleich drei Bankiers. Direkt nach der Potsdamer Konferenz setzte Stalin die Bewohner vor die Tür und installierte die Verbotene Stadt a.k.a. Kleine Sowjetunion a.k.a. Militärstädtchen Nr. 7. (Armeekasernen gab es hier allerdings schon vorher.) Hier hatte der KGB seine Deutschlandzentrale, und zwar ausgerechnet im früheren Internat der Kaiserin. Das einzige, was davon übrig ist, ist das Gefängnis. Angeblich. Ich habe es vor Ort aber nicht entdeckt. In den ersten Jahren mussten die Sowjets schließlich noch alles selber machen, bevor sie der DDR ihre Art von Unrecht beigebracht hatten. Ohne Anwalt inhaftierten sie schwerste Verbrecher. Zum Beispiel Teenager, die kein russisch lernen wollten. Oder amerikanische Piloten, die bei einem Spionageflug abgeschossen wurden.

An der Straße geht es weiter in Richtung Norden. Auf der Brücke des Friedens habe ich den Sacrow-Paretzer Kanal überquert. Der verrät mir schon mein nächstes Ziel: Sacrow. Dazu muss ich erstmal um den kompletten See. Aber es geht ja ziemlich schnell voran.

Und am anderen Ufer ist es sogar schön ruhig: Ich darf in den Wald abbiegen und den Verkehr hinter mir lassen. Ist das herrlich hier! Bei so vielen strahlenden Bäumen ist es mir auch völlig wurst, dass ich jetzt über Erde mit ein paar Wurzeln fahre.
In der Bronzezeit war es genau umgekehrt, da siedelten die Menschen nur auf dieser Seite. Später kam ein slawischer Stamm und nahm die Siedlung wieder in Betrieb. Römer siedelten hier keine, trotzdem heißt die Ecke Römerschanze. Und viel später kamen dann die Kommunisten mit ihrer komischen Ponton-Netz-Mauer an und rodeten die Bäume am Ufer. Der Mauerstreifen ist heute noch zu erkennen, denn die kleinen Nadelbäumchen kommen noch nicht so richtig aus dem Tee. DIE BÄUME SIND DANKBAR FÜR JEDEN TROPFEN HAVELWASSER, ächzt ein Schild. Okay, und was genau soll ich da jetzt machen? Sorry, Bäume, ich brauche das Wasser in meinen Trinkflaschen selbst. Wenn ich gießen soll, wie wäre es, wenn ihr eine Gießkanne hinstellt?

Irgendwann wurden die Wege wieder etwas ordentlicher, und der Wald ging in den Sacrower Park über - gut zu erkennen am Grünen Schild, das sämtliche Regeln erklärt. Ein Radfahrverbot gehört zum Glück nicht dazu! Ist ja auch genug Platz da drin.
Abgesehen von einem Schloss steht in diesem Park in erster Linie eine Kirche. Tatsächlich ist die Sacrower Heilandskirche so ziemlich die allererste Sehenswürdigkeit von Potsdam, von der ich je gehört habe. Ein Bekannter schwärmte davon, wie absolut sehenswert Potsdam sei und wie klasse er das fände, dass da einfach mal so eine wunderschöne Kirche mitten in der Natur stünde, einfach zur Verschönerung. Ganz Unrecht hat er nicht, die Kirche steht schon recht isoliert am Ufer. Und sie ist definitiv ein schicker Blickfang mit ihren Säulen und Fliesen! Persius (der Typ, von dem auch die Döpfner-Villa gegenüber stammt) hat sie im italienischen Stil gebaut, und tatsächlich, ich fühlte mich fast wie in der Toskana (auch, was die Temperaturen angeht).
Andererseits steht sie natürlich trotzdem in einem künstlichen Park statt purer Natur, und so weit weg ist das Dorf Sacrow nun auch wieder nicht. Deswegen fanden in der Kirche ganz normal Gottesdienste statt. Was den Grenzsoldaten ein Dorn im Auge war. Kirchen fanden sie eh überflüssig, und hier könnten die Bürger auch noch auf dumme Gedanken kommen und nach dem Gottesdienst zwischen die Seerosen (damals noch ohne Stalinrasen) hüpfen, um nach Westberlin zu schwimmen. Kurz nach Heiligabend 1961 demolierten die Grenztruppen die komplette Einrichtung, damit endlich Schluss mit dem Quatsch war. Erst 28 Jahre später hielt genau derselbe Pfarrer, der damals die letzte Christvesper gehalten hatte, wieder einen Gottesdienst in der Heilandskirche. Der Raum war proppenvoll.
Weder das Kirchenschiff noch der Turm waren geöffnet. Aber außenrum zwischen den Säulen hindurchschlendern und auf die Glienicker Brücke gucken, das ist definitiv auch einen Spaziergang wert.

Von Sacrow aus führt eine Waldstraße bis zur Wannsee-Fähre in Kladow. Mauer und Mauerradweg knicken aber vorher links ab. An der Stelle lagen sich an der Havel der britische und amerikanische Stadtsektor gegenüber, ich folge ab jetzt der Grenze zwischen britischem Sektor und sowjetischer Besatzungszone/DDR.

Rund um den Jungfernsee grenzten Teile der ostdeutschen Stadt Potsdam besonders eng an die Mauer, und das hatte dramatische Folgen. Hier musste man überhaupt nicht flüchten, um ermordet zu werden. Es gab eine Aktivität, die fast genauso lebensgefährlich war: Busfahren.
Horst Mende hatte in der Nähe der Glienicker Brücke Party gemacht. Danach ging er auf die Brücke zu und fragte den Zöllner, wo der Bus abfährt. Er bekam eine Antwort und entfernte sich wieder von der Grenze. Aber die Volkspolizei war misstrauisch geworden und fragte nach seinen Personalien. Horst gab ihnen seinen Ausweis, begriff aber nach der durchzechten Nacht nicht, dass sie ihn gleich festnehmen wollten. Der Bus kam. Horst fragte, ob sie sonst noch was wollten. Keine Antwort, also lief er los. Die Kugeln trafen ihn in den Rücken und machten ihn mit 23 Jahren zum Invaliden.
Lothar Hennig stieg in Sacrow aus dem Bus. Weil gerade Flüchtlingsalarm war, riet ihm der Busfahrer, aufzupassen. Daraus zog Lothar leider einen völlig falschen Schluss: Er rannte die 400 Meter nach Hause im Dauerlauf und hielt nicht mal an, als ihm etwas zugerufen wurde und ein Warnschuss ertönte. Die nächsten Schüsse trafen ihn in den Rücken.

Allmählich macht mich der Berliner Mauerweg immer ratloser. Wer seinen Glauben an die Menschheit behalten will, dem muss ich von dieser Tour dringend abraten. An der Innerdeutschen Grenze war noch meistens von den Opfern der Minen und Selbstschussanlagen die Rede. Das lässt sich mit einem einfachen menschlichen Mechanismus erklären (der mit autonomen KI-Kampfdrohnen aktuell perfektioniert wird): Je mehr Abstand du zwischen Täter und Opfer bringst, desto leichter fällt das Töten.
Aber in Berlin? Da betrug dieser Abstand mitunter gerade mal mal 15 Meter! Hier gab es schießwütige Soldaten, deren Verbrechen weit über das Prinzip Befehl ist Befehl hinausschossen. Sie schossen entgegen der eindeutigen Regeln auf Minderjährige, auf Menschen, die sich ergaben, oder in Situationen, wo keinerlei Fluchtgefahr mehr bestand. Sie bekamen zwar selten Ärger deswegen, aber dennoch: WARUM? Das war nicht nötig, nicht mal, um die Abwanderung aus dem Land zu verhindern (was manche Politiker bis heute als Rechtfertigungsgrund ansehen, weil dem armen Politbüro ja nichts übrig blieb. Also, außer, seinen Job zu machen und vernünftig zu regieren, damit die Menschen nicht mehr so unzufrieden sind.)
Ein Haufen Menschen wird jetzt sagen: Das ist halt so ein uralter Instinkt, der an die Oberfläche bricht, sobald er die Gelegenheit hat. In unserem Inneren steckt ein böses Monster. Ein verbreiteter Irrglaube, an dem niemand ernsthaft festhalten kann, der Rutger Bregmans Im Grunde gut gelesen hat.
Waren manche Soldaten einfach nach ihren Schulungen, und nach dem gesamten Bildungssystem der DDR, dermaßen ideologisch aufgepeitscht gegen den Klassenfeind, dass sie jede Gewalt gegen den Feind für richtig hielten und losballerten? Kann sein.
Bregman glaubt allerdings, dass Kameradschaft viel wichtiger ist als Ideologie. Dabei bezieht er sich auf die Verbrechen der Nazi-Soldaten. Auf die Mauerschützen passt diese These aber so überhaupt nicht, denn das System der Grenztruppen verfolgte ja gerade das Ziel, dass keine Kameradschaft entsteht. Immer wieder wurden zwei wildfremde Soldaten auf einen Posten zusammengewürfelt, damit sie sich gegenseitig misstrauisch beobachten, statt sich gemeinsam zur Flucht zu verbünden.
Ein anderer Grund könnte sein: Völlig egal, ob ein Schuss nun den Regeln entsprochen hätte - bei einer erfolgreichen Flucht bekam man meistens auf den Deckel. Also im Grunde Angst. Das erklärt vielleicht die Schüsse auf Minderjährige und weit entfernte Flüchtlinge, die die Hände hoben, aber nicht auf völlig eingekreiste Menschen oder solche in 15 Meter Entfernung, die definitiv keine Chance mehr hatten.
Da bleibt dann doch nur die Ideologie als Erklärung.
Reicht das aus?
Keine Ahnung.

Die Jungfernmauer

Länge: 18 km (11 km per Havelradweg am anderen Ufer nach Wannsee)
Grenzquerungen: 2
Bundesländer: Berlin, Brandenburg
Seite: fast nur Ost
Erkenntnis: Das Berliner Böse bleibt ein ungelöstes Rätsel.

03 Juni 2023

Berliner Mauer: Von Kreuzberg nach Potsdam

Die Kanten-Kanal-Mauer

Länge: 63 km
Grenzquerungen: 30
Bundesländer: Berlin, Brandenburg
Seite: meistens genau auf der Grenze oder Ost, etwas seltener West
Erkenntnis: Wer in Berlin historische, ungenutzte Verkehrswege sehen will, der bezahlt mit Blut.

Im Jahre 1990 sah der DDR-kritische Liedermacher Kalle Winkler diesen Grenzturm und dachte sich: Gefällt mir, den besetz ich. Er kaufte ihn für eine Mark einem Grenzsoldaten ab und richtete ein Museum der Verbotenen Kunst (also unter anderem seine eigene) ein. Es ist der einzige Grenzturm, der kulturell genutzt wird.

Endlich! Erleichtert entwich der Atem meiner angespannten Brust. Der Schlesische Busch - ein Park mit Radweg! Kein Innenstadtchaos mehr, sondern einfach nur geradeaus am Landwehrkanal entlang!

Oder auch nicht: Auf dem Radweg wird gebaut, ich soll die Umleitung nehmen.
Oder auch doch: Gleich neben dem Bauzaun gibt's einen Trampelpfad, ich kann also doch ganz nah am Kanal radeln.
Am anderen Ufer liegt der Görlitzer Park, bekannt für seine... äh, für seine fehlkonstruierten Wasserspiele natürlich, genau dafür.
Zur Abwechslung befindet sich hier mal kein Friedhof an der Mauer. Die rechten Militärs im Jahre 1919 kapierten das offenbar nicht, denn sie warfen die Leichen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in den Landwehrkanal. Vorher hatten sie die beiden Kommunisten in ihrem Hotel aufgespürt und ermordet. Wobei das für sie kein Mord war, sondern eine ganz legitime Hinrichtung. Nur halt ohne Gerichtsverfahren. Und Gericht. Und Gesetzesgrundlage.

Auf dieser Kanalkreuzung befindet sich ein Dreiländereck, behaupten die Berliner - naja, zumindest ein Drei-Stadtteile-Eck aus Neukölln, Treptow und Kreuzberg. Um 1900 stand hier alles voller Lohmühlen, und auf dem Wasser trafen die selbstständigen Ortschaften Treptow, Rixdorf und Berlin aufeinander. Schon damals guckte die Berliner Regierung hungrig auf die schönen Parks und die Steuereinnahmen der Betriebe, sodass bald verhandelt wurde, ob und wie Berlin denn seine Nachbarn verschlucken könnte. Für die normalen Bürger waren diese Grenzen damals völlig latte, sie kauften ein und arbeiteten, wo es gerade passte.
Im Jahr 1988 gab es hier den letzten Gebietstausch der beiden Deutschlands: Die DDR verscherbelte den Lohmühlen-Zwickel, auf dem sie eh nur Ruinen hatte, damit die Westberliner endlich drei Straßen per Kreuzung verknüpfen konnten.

Noch ein paar Straßen, dann folgt der nächste Park. Er ist etwas länger und weitläufiger, so langsam wird alles wieder ein bisschen weniger eng und urban. Aber noch bin ich natürlich längst nicht aus der Stadt raus.
Eine Skulptur erinnert an die Treptower Toten. Da wurde eine kindliche Figur reingestanzt, denn es starben auch mehrere Kinder. Zwei davon wollten tatsächlich über die Grenze, vermutlich, um ihren Vater zu besuchen. Ein anderer Junge interessierte sich bloß für die Maschinenpistole des Soldaten. Als der dem Kind seine ungesicherte Waffe zeigte, löste sich ein Schuss. Diese Blödheit ging sogar seinen Vorgesetzten zu weit, und der Soldat wurde ganz offiziell für den Tod verantwortlich gemacht. Ausnahmsweise. Alle anderen Todesfälle wurden als Verkehrsunfälle, Stromschläge oder Selbstmorde vertuscht.

Am Grenzübergang Sonnenallee durften Westberliner rüber, die eine Arbeitsstelle im Osten hatten (umgekehrt komischerweise nicht). Es gab nicht besonders viele, auf die das zutraf.
Deswegen entstanden hier keine Warteschlangen, und die Sonnenallee blieb ein unbekannter Underdog unter den Grenzübergängen. Zumindest, bis nach der Wende ein Film über ihn gedreht wurde.
Vor Ort erinnern nur ein Streifen Kopfsteinpflaster und eine gläserne Texttafel an den Übergang.

Der Berliner Mauerweg ist eigentlich auch ein Wanderweg. Am Britzer Zweigkanal liegt die einzige Stelle, wo sich Fußgänger und Radler kurz trennen: Der Wanderweg nimmt die Treppe nach unten.
1971 kamen zwei Westberliner auf die grandiose Idee, dass sie in der DDR vielleicht ein besseres Leben erwartet. Sie schwammen quasi gegen den Strom durch den Kanal. Die Grenzsoldaten achteten nicht so genau auf die Richtung und hielten sie für Flüchtlinge. Kurz darauf hatte sich das mit dem besseren Leben erledigt, an jenem Tag hatte die DDR nur schlechteres Sterben im Angebot.
Ein anderes bemerkenswertes Opfer dieser Kanalgrenze ist Chris Gueffroy. Erstens, weil er ganz eindeutig noch vor der Mauer die Hände hob und trotzdem ermordet wurde. Zweitens, weil die DDR aus Versehen erlaubte, seine Todesanzeige mit dem Datum der Beerdigung zu drucken, woraufhin 120 Menschen kamen und die Beerdigung zur stummen Demonstration wurde. Drittens, weil Gueffroy wenige Monate später sicher über Ungarn und dann über die gefallene Mauer hätte fliehen können. Jedoch hätte er in den Monaten zur Armee eingezogen werden können, und gerade das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Viertens, weil er deswegen der letzte Tote der Berliner Mauer war. Und fünftens, weil ein Rechtsstreit darum tobte, ob die Namen der Soldaten veröffentlicht werden dürfen, die zu seiner Ermordung beitrugen. (Dürfen sie. Also: Gerd Fritz Mögel, Sven Hüber, Norbert Schulze.)

Nach kurzer Zeit zweigt der Britzer Zweigkanal ab, ich folge jetzt dem größeren Teltowkanal. Über der großen Kanalkreuzung kreuzt eine nicht minder große Autobahnkreuzung meinen Weg. Ein Grenzsoldat versuchte, an den Rohren unter der Brücke hinüberzuklettern, aber er stürzte ins eiskalte Wasser. Vermutet man zumindest. Seine Kollegen dachten zuerst, er hätte es geschafft, bis sie den Leichnam fanden.

Der Teltowkanal verbindet zwei Seen und kürzt damit die Fahrt von der Oder in die Elbe ab. Ihm folgen ein extrabreiter Radweg und eine Autobahn. Im Grunde ist der Radweg auch eine Art Fahrradautobahn, nur ohne jede Markierungen. Die Autobahn hat die Natur im Grünstreifen arg zusammenschrumpfen lassen. Sie wurde hier hingebaut, weil die Mauergrundstücke am leichtesten aufzukaufen waren. In Berlin gibts an der Grenze halt kein Grünes Band, jedenfalls kein durchgehendes.
Trotzdem eigentlich eine schöne Strecke. Ein paar mehr Bäume wären nett, damit die Sonne mein Hirn nicht so durchbrutzelt. Zumindest bei der Hinterlandmauer gibt es wieder etwas Schatten. In diesem Bereich wurde Johannes Sprenger erschossen. Neun Tage später wurde er zu Hause in die Gemeindevertretung gewählt, weil die Stasi seinen Tod immer noch unter Verschluss hielt. In der DDR regierte buchstäblich der Geist eines Ermordeten.

Ein Volkseigener Betrieb produzierte dicht an der Grenze Masthähnchen, die Arbeiter brauchten dazu Passierscheine. Wer für den Zettel nicht zuverlässig genug war, durfte höchstens in den abgetrennten Besucherräumen ein bisschen arbeiten. Alle Leitern waren verschlossen und in Leiterbüchern genau eingetragen. Ein Wunder, dass bei so viel Aufwand überhaupt ab und zu mal ein fertiges Masthähnchen rauskam.
Auf der anderen Seite hatten die Amerikaner eine Radarstation gebaut. Aber was sie per Radar mitbekamen, reichte ihnen nicht. Sie buddelten einen Spionagetunnel, zapften die Telefonleitungen der sowjetischen Armee an und lauschten fasziniert 40 000 russischen Telefongesprächen, die sie jeden Tag sofort nach England und Amerika rausfliegen ließen. Was sie nicht wussten: Die Russen war völlig klar, dass jemand zuhörte, denn sie hatten einen Doppelagenten eingeschleust. Sie ließen sich aber noch ein wenig abhören, um ihren Mann gefahrlos rauszubringen. Heute gibts an der Stelle immer noch einen Tunnel, aber der ist ein kleines bisschen breiter und bietet Platz für eine Autobahn.

Ausnahmsweise wollte hier mal niemand unter der Erde fliehen, dafür hoch oben in der Luft: Das Ehepaar Wehage entführte ein Flugzeug. Der Mann hatte als Teenager schon die Flucht probiert, aber als er aus dem Gefängnis kam, arrangierte er sich mit der DDR. Vorerst. Bis er eine Frau kennenlernte und der Staat den beiden nicht erlaubte, am selben Ort zusammenzuleben und zu arbeiten.
Die beiden kamen nicht bis ins Cockpit, sondern bedrohten nur die Stewardess. Als sie merkten, dass ihr doch nicht so richtig entführtes Flugzeug trotzdem wieder den Osten ansteuerte, nahmen sie sich das Leben.
Der Flughafen Schönefeld war auch bei Westberlinern beliebt: Für die unschlagbar günstigen Preise nahmen sie auch die nervigen Kontrollen und einen kurzen Abstecher in die Unfreiheit in Kauf. Besonders, seit die Shuttlebusse ohne Stopp über die Grenze düsten, weil die Passkontrollen gleich ins Terminal verlegt wurden. Außerdem versuchte damals noch niemand, den Flughafen durch einen Neubau zu ersetzen, der sich um 10 Jahre verzögert, weil seine Rolltreppen zu kurz sind.
Damit wäre ich wieder an der Außengrenze nach Brandenburg angekommen. Und die sieht ganz anders aus als im Norden. Darf ich vorstellen: Die Stadtkante! Der Name trifft es auf den Kopf. Der Weg und eine Linie aus Büschen zeigen ganz klar, wo die Stadt anfängt und wo die nächste Streuobstwiese (oder die nächste Pferdekoppel zur Nahversorgung der Südberliner Pferdemädchen) beginnt. Einer der Hügel heißt Dörferblick.

Naja, was man in Berlin halt so unter Dörferblick versteht - für mich sieht das alles noch relativ städtisch aus. An dieser Stelle wurde die Gropiusstadt im Bauhausstil hochgezogen, noch so ein Nachkriegs-Neubau-Gebirge, quasi das Gegenüber zum Märkischen Viertel im Norden.

Dieser kantige Teil der Grenze war besonders beliebt bei Fotografen, und auch heute findet hier noch ein Fotowettbewerb statt.
Ein Teil der Route gehört zur Trasse der Dresdner Bahn und zum Radfernweg Berlin-Leipzig. Mal wird der Radweg zum festen Pfad, mal verzieht er sich nochmal kurz auf eine Nebenstraße, mal verschiebt er sich als Baustellen-Umleitung um ein paar Meter zur Seite. Und manchmal geht er ins Innere des Buschstreifens, wo sich die Stadtkinder ihre eigenen Rückzugsorte vor Hektik und Hausaufgaben gebaut haben.
Ist aber alles egal, das ändert nichts daran, dass ich an der Stadtkante fast so fix vorangekommen bin wie vorher am Teltowkanal. Die richtige Richtung ist ja leicht zu finden. (Nur eine Stelle trieb mich mit einem bekloppten Kopfsteinpflaster-Umweg in die Stadt und leicht in den Wahnsinn. Auf einmal fragte mich ein Rentner, ob ich seine Blaue Tonne die Treppe runtertragen könnte - der Umweg diente also immerhin einem guten Zweck.)

Statt Beton begrenzt eine Bretterwand den Mauerstreifen, zumindest kurz. Die Berliner Stadtgüter haben hier das Mauerbienchen angelegt, einen wilden Garten mit folgenden Freizeitangeboten:
Im Totholz nisten (falls Sie eine Wildbiene sind), Blüten bestäuben (falls Sie eine Wildbiene sind), bestäubte Blüten in Form von Obst einsammeln und picknicken (falls Sie ein Mensch sind) und im Totholz überwintern (falls Sie eine Wildbiene sind - oder sehr hartgesotten).

Die südlichen Ostberliner flohen unter anderem, weil sie im Osten weniger gut verdienten, Streit mit ihren Vorgesetzten hatten, ihnen die Kündigung oder sogar Haft wegen "Arbeitsbummelei" drohte, weil sie als kinderloses Paar weder ein besseres Haus als eine Laube noch ein Auto oder Baumaterial bekamen oder auch, weil sie ganz privat bei einem Streit in der Kneipe gedemütigt den Kürzeren zogen. Besonderes Pech hatte Eberhard Schulz: Als der Soldat rief, er solle aufstehen, gehorchte Schulz. Damit hatte der Soldat nicht gerechnet, er erschrak und schoss sofort. Denn eigentlich hatte er mit Eberhards Gefährten gesprochen und Eberhard überhaupt nicht gesehen.
Herbert Kiebler dagegen hatte einfach nur Selbstmord begangen. Wenn man der Stasi glaubte. Seine Familie hatte einen Abschiedsbrief mit "Auf Wiedersehen im Knast oder in Westdeutschland" gefunden, weshalb es ihnen etwas schwerfiel, das zu glauben. Nachts brachen sie in die Kapelle und seinen Sarg ein und entdeckten die Schusswunden.
Am Kirchhainer Damm gab es einen Grenzübergang nur für die Müllabfuhr. Wo sollte das eingekreiste Westberlin seinen Abfall auch sonst loswerden, wenn nicht in der DDR? Wie ich bereits in Schönberg bei Lübeck gelernt habe, waren die Kommunisten beim Thema Müll überaus hilfsbereit, schließlich hatten sie viel Erfahrung damit, welchen zu verzapfen. Damit die Grenztruppen nicht mit Müllwagen zusammenstießen, grub man ihnen einen Tunnel unter der Bundesstraße durch (zur Abwechslung mal kein geheimer Fluchttunnel), den Radfahrer heute benutzen dürfen. Das rostige Grenzdenkmal hat die Besonderheit, dass es aus jeder Perspektive ein bisschen anders aussieht, weil die Mauer quasi wie ein Flyer gefaltet ist.
An der nächsten Straße sollte ein brandneuer Übergang entstehen und ein Naherholungsgebiet vernichten, was der Mauerfall gerade so verhinderte.

Mahlow-Lichtenrade ist ein ziemlich junger Teil Berlins, 1906 siedelten hier erstmals Menschen. Und das auch nur am Wochenende, um dort Gemüse anzubauen. Erst 1922 entstand das erste richtige Haus, das mehr war als eine Gartenlaube. Manche Flächen sind immer noch Kleingartenkolonien, andere wuchsen zu richtigen Stadtstraßen heran. Sonst wären so weit draußen am Stadtrand bestimmt nicht tausende Menschen zusammengekommen, um die Grenzöffnung zu feiern.
In diesem Viertel lebte der Bildhauer Kurt Isenstein und haute Büsten von berühmteren Künstlerkollegen wie Alfred Döblin und Käthe Kollwitz. Zumindest, bis die Nazis seine Büsten verbrannten und er schleunigst nach Dänemark verschwand.


Zwei Kilometer in der Stadt drin baute Westberlin das Notaufnahmelager Marienfelde für die vielen Neuankömmlinge. Richtig voll war es da in den 50ern, als die Flüchtlinge (darunter auch ein gewisser Dieter Hallervorden und eine gewisse Nina Hagen) einfach per S-Bahn oder mit leichtem Gepäck zu Fuß ankamen. Nach dem Mauerbau wurde es ruhiger, aber nicht völlig leer.
Als die Japaner von der Wiedervereinigung Deutschlands hörten, sammelten sie Spenden und stifteten Deutschland aus Freude 800 japanischen Kirchbäume, einfach mal so. Mittlerweile blühen hier 9000 der rosaweißen Bäume, die in Japan ein Nationalheiligtum sind und in Europa, naja, nicht direkt heilig, aber auch sehr beliebt, besonders auf Instagram. In Reih und Glied strahlen die weißen Puschel und nehmen einfach kein Ende. Die Kirschblütenstraße in der alten Hauptstadt Bonn ist trotzdem berühmter, denn sie ist einfach besser an die Innenstadt angebunden.

Auf dem nächsten Hügel befindet sich zu Abwechslung mal kein Naherholungsgebiet. Die amerikanischen Soldaten sollten sich hier gefälligst nicht erholen, sondern für den Ernstfall trainieren! Dafür bauten sie eine komplette Geisterstadt nach, sogar mit U-Bahn-Station und Kanalisation zum Kriechen. Klingt spannend, ob davon noch was übrig ist?
Nicht wirklich, nur eine Betonstraße. Der Rest des Parcs Range ist Privatgelände, sagt das Schild. Und wie auf jedem Privatgelände Berlins besteht die mit Abstand lukrativste Methode darin, es teuer zu bebauen und zu vermieten. Bis dahin müssen aber noch die Zauneidechsen umgesetzt werden. So oder so darf ich hier nicht drauf.
Am Rande des Parcs Range fuhr im Jahr 1880 die erste Straßenbahn der Welt mit sensationellen 20 km/h. Eigentlich konnte sie schon 40, aber sicher ist sicher.

Und damit wäre ich wieder am Teltowkanal angekommen. Wo heute der Radweg verläuft, mussten einst Pferde auf dem Treidelpfad Schiffe in die Stadt ziehen. Im Sinne des Fortschritts wurden sie von Dampf- und E-Loks abgelöst, welche die Schiffe etwas schneller zogen. (Schiffe mit eigenem Antrieb waren damals in Berlin offenbar noch Science Fiction.)
An diesem Kanal kam es in nebliger Nacht zu einem überaus peinlichen Todesfall, bei dem ein Grenzsoldat seinen Kollegen für einen Flüchtling hielt und schoss. Aus Gründen verzichtete das Regime ausnahmsweise darauf, das allzu öffentlich als Heldentod zu inszenieren...
Peter Mädler dagegen wollte seine leiblichen Eltern im Westen kennenlernen. Der Elektriker hatte die Grenze bei der Arbeit vom Dach eines Gerätewerks gesehen und ging recht professionell vor, indem er den Streckmetallzaun mit einem Seitenschneider durchtrennte. Als er schon fast ans andere Ufer getaucht war, trafen ihn Kugeln. 

Ganz genau, hier gibt's ausnahmsweise Streckmetall statt Mauern zu sehen. Die Brandenburger haben mit dem Material der Grenze noch weniger Berührungsängste als die Thüringer und basteln daraus hemmungslos Tore und kilometerlange Gartenzäune.
Die Stadtkante ist hier im Grunde zu Ende. Ich bin zwar immer noch an der Außengrenze Berlins, aber das sieht man nicht so, weil hinter der Grenzlinie direkt das brandenburgische Kleinmachnow kommt. Wobei ich auch davon nicht sonderlich viel sah, dafür war alles viel zu dunkelgrün.

Aus dem Nest Kleinmachnow stammt die Hauptfigur der Serie Deutschland83. Beim ersten Anschauen war ich nicht zu 100 Prozent sicher, ob es den Ort wirklich gibt oder ob die sich ein fiktives Dorf ausgedacht haben. Irgendwas an dem Namen klang zu ostdeutsch, um wahr zu sein.
Nun, Kleinmachnow existiert wirklich, und was sich hier für ein Drama abspielte, kann locker mit der Serie mithalten.
Wieder einmal geht es um einen Tunnel. Er wurde von Fluchthelfern auf einem leeren Grundstück im Westen gegraben, um den Unzufriedenen im Osten entgegenzukommen. Nach langer Arbeit guckten die ersten Tunnelgräber endlich auf der Ostseite aus dem Boden - direkt in einen Pistolenlauf. Ihre Verbündeten aus dem Osten und ihre Kuriere saßen schon hinter Gittern. Woher wusste die Stasi nur so genau Bescheid? Ganz einfach, der freundliche Anführer des Tunnelprojekts (der sich nie selbst die Hände schmutzig gemacht hatte), war ein Verräter. Die ganze Idee war von vorneherein eine Stasi-Operation, um die bekanntesten Tunnelgräber einzusacken.
Damit alle, die noch im Tunnel waren, nicht schnell durch den Westeingang abhauten, wollte der Leutnant den Tunnel in die Luft zu jagen. Er hatte alles vorbereitet und nur eine Kleinigkeit vergessen - seinen Untergebenen den letzten Rest an Anstand auszutreiben. An dieser Stelle habe ich zwei unterschiedliche Versionen der Ereignisse gelesen. Entweder: Irgendein Grenzsoldat hatte das Kabel vorher durchgeschnitten, man weiß nicht, wer. Oder: Der Sprengmeister sah, dass ein komplett unbeteiligtes Paar in diesem Moment auf der Straße überm Tunnel stand, das nicht überlebt hätte. Deshalb missachtete er den Befehl.
Der Verräter bekam eine Belohnung, von der er sich eine Großwäscherei kaufte. Er zeigte nie Reue und wäscht noch heute in Berlin seine weiße Weste.

Allmählich bricht der Abend herein, also lieber schnell weiter zur nächsten S-Bahn-Station! Vorher muss ich aber einen größeren Mückenwald durchqueren. Lieber (Au!) nicht (Patsch!) anhalten, egal (Patsch!), was es (Au!) hier zu sehen gibt.
Zu sehen gibt es ein rosarotes Panzerdenkmal. Nun, vermutlich war es ursprünglich nicht rosa. Und eigentlich war es auch nicht dasselbe Denkmal, denn es zeigt heute, wenn man genau hinguckt, eine sowjetische Schneefräse.
In den letzten Kriegstagen starben nochmal besonders viele sowjetische Soldaten in der Schlacht um Berlin, und Denkmäler wie dieses sollten ein bisschen kompensieren, dass sie oft nur provisorisch oder in anonymen Massengräbern verscharrt werden konnten. Ursprünglich hatten die Sowjets das Panzerdenkmal sogar in Westberlin aufgestellt. Guckt mal, wie toll wir euch von den Nazis befreit haben... ey, wieso beschmiert ihr das denn? Wie, ihr fandet die Berlinblockade gar nicht so toll? Und dass wir die Demonstranten mit Panzern erschossen haben? Auch nicht? Ey, Amis, schützt das Ding gefälligst mit einem Drahtkäfig! Wieso stellt ihr denn jetzt ein Holzkreuz davor? Zum Gedenken an die Opfer des Volksaufstands? Pöh, dann stellen wir es jetzt bei uns auf und interpretieren es neu um, als Zeichen gegen die Imperialisten! Also euch!

An der Autobahn sind zumindest auf einer Seite keine Bäume, und die Mückenplage nimmt etwas ab.
Dafür entfernt sich der Mauerweg ein Stück von der Mauer, das hat aber einen guten Grund: Als ich die Autobahn dann endlich überquert habe, lag dort der Checkpoint Bravo (das Gegenstück auf der Westseite hieß Kontrollpunkt Dreilinden). Wenn Sie einfach nur von Westberlin nach München durchfahren wollten, mussten Sie ab hier ohne große Pausen durch die DDR bis zum Grenzübergang im Frankenwald düsen.
Von allen Berliner Grenzübergängen ist hier am meisten übriggeblieben, nämlich eine Autobahnraststätte (deren Gebäude vielleicht zum Grenzübergang gehörten), viele rostige Texttafeln, ein Kontrollturm und... ach nee, das wars schon. Und das kleine Museum im Kontrollturm war auch schon geschlossen. Der Grenzübergang war bekannt für sein Gänsefleisch. ("Gänn se fleisch mal den Kofferraum aufmachen?"). Zu Beginn des Mauerbaus machten die Grenzer aber noch nicht alles auf: Einen Westberliner schmuggelte seine Verlobte erfolgreich in einem Koffer auf einem Motorroller zu sich nach Hause. Muss wohl eine sehr kleine Verlobte gewesen sein.

Nach all den grausigen und bürokratischen Geschichten nun etwas Netteres. Wer sich weiter durch den Mückenwald (Patsch!) quält, bekommt nämlich einen versteckten Einblick in die deutsche Verkehrsgeschichte. Denn hier verlief die Stammbahn, Deutschlands zweite und Preußens erste Eisenbahn. Sie fuhr schon 1835 vom Potsdamer Platz nach Potsdam (später dann weiter nach Magdeburg), und anders als in der Innenstadt ist hier draußen bestimmt noch etwas davon übrig. Oder? Nun ja. Was in der Karte als Trasse der ehemaligen Stammbahn eingetragen ist, dient heute als staubiger Mountainbike-Hügel. Muss eine holprige Fahrt gewesen sein damals.
Ein Stück weiter versuchte ich erneut, zur Stammbahn vorzustoßen. Diesmal erkannte ich einen richtigen Bahndamm, der am Rande eines hübschen Heidestreifens verlief. Zum Radfahren war der aber komplett ungeeignet. Vor dem Krieg fuhren die gehobenen Bürger auf dieser Strecke von ihrer Villa in die Innenstadt - in nur 13 Minuten. Und diese Möglichkeit sollen sie bald wiederbekommen, denn die Stammbahn soll wieder aufgebaut werden. Also vielleicht. Eine Bürgerinitative ist dafür, eine dagegen, mal gucken. Viel übrig ist von der Trasse leider nicht. Oder?

Nanu? Auf einmal ragte über mir eine über und über grafittibesprühte Brücke auf. Die Stammbahnbrücke ist trotz oder gerade wegen ihrer Malereien ein bunter Blickfang und ein beeindruckendes Bauwerk.
Weniger beeindruckend ist die Brücke über die Friedhofsbahn. Diese Bahnstrecke beförderte sowohl Lebende als auch Tote und hielt bis zum Mauerbau durch. Prominente wie Werner von Siemens, Walter Gropius, Walter Ullstrein oder Gustav Krug und zahlreiche britische Soldaten traten hier ihre letzte Bahnreise zum zweigrößten Friedhof Deutschlands an, in einem Sarg auf einem Spezialwagen.
Eventuell wird diese Bahntrasse auch irgendwann zum Leben erwachen, hoffentlich nicht als Zombie-Bahn.


Wenn Sie lieber auf Straßen als auf Schienen reisen, könnte Sie der Wald ebenfalls interessieren. Der Trampelpfad, auf dem ich geradelt bin, ist nämlich eine Autobahn. Ja, im Ernst. Also, er war jedenfalls mal eine. Glauben Sie nicht? Dann fahren Sie doch mal zur Brücke da vorne. Auf einmal verwandelt sich der feste Staub in Betonplatten. Zugegeben: Betonplatten, zwischen denen 10 Meter hohe Bäume stehen, was auf einer Autobahn allgemein eher als hinderlich angesehen wird.
Vorsicht auf der A1 zwischen Potsdam und Berlin, in beide Richtungen: Es sind Nadelbäume auf der Fahrbahn gewachsen, 1 Kilometer Stau!
Trotzdem: Das hier war AVUS, die erste Autobahn Deutschlands.

AVUS steht für Automobil-Verkehrs und Übungsstraße. Es ging beim Bau anscheinend eher darum, mal auszuprobieren, was mit diesen neumodischen Automobilen so alles möglich ist. Aber 1921 wurde die Strecke dann für die Allgemeinheit freigegeben, auch zum alltäglichen Verkehr. (Damit wäre der Mythos widerlegt, dass Hitler die Autobahnen in Deutschland eingeführt hat. Es stimmt aber, dass er den Ausbau des Autobahnnetzes erst so richtig ins Rollen gebracht hat.) Die Berliner brausten über den Teltowkanal und hatten eine schnelle Abkürzung nach Potsdam (und später weiter nach Magdeburg).

Kurz nach der Brücke endet die Autobahn auch schon abrupt an einem Zaun. Immerhin hat der eine... nennen wir es mal Autobahnausfahrt.

Mit dem Mauerbau wurde die Autobahn verlegt, und zwar zum Checkpoint Bravo, den wir ja eben schon gesehen haben. Warum eigentlich, die Trasse hätte doch so oder so über die Grenze geführt? Weil die historische AVUS sogar zweimal die Mauer durchquert hätte. Am Ufer des Teltowkanals liegt nämlich Albrechts Teerofen. Der Name bedeutet genau das, wonach er klingt: Eine Familie namens Albrecht hatte hier einen Teerofen. Der machte zwar schon 1783 dicht, aber das Gebiet hieß immer noch so, als es über 150 Jahre später von der Mauer eingeschlossen wurde.
Durch einen hübschen Sandstreifen bin ich gleich weiter zur nächsten Enklave gesaust. Schaffe ich das noch durch den Wald, bevor es richtig duster wird? Ja, passt schon.

Kurz darauf entließen mich rote Drängelgitter in eine stillen Vorstadtstraße in Steinstücken raus.
Auch Steinstücken war komplett vom Antifaschistischen Schutzwall umgeben, jede Woche wechselte ein Hubschrauber die amerikanischen Soldaten aus. Durch den ersten Gebietstausch 1971 bekamen die beiden Enklaven einen Streifen mit einer Straße drauf, damit sie nicht mehr auf Hubschrauber oder die Kooperation mit den Grenzsoldaten angewiesen waren. 1981 durften nach langen Verhandlungen auch westliche Schiffe auf dem Kanal nach Westberlin fahren, dadurch brauchten die Kähne plötzlich zwei Tage weniger für die Strecke. Das Café in Steinstücken wurde ein beliebtes Ausflugsziel, um gemütlich Kuchen zu essen und eventuell ein paar illegale Fotos der Mauer zu machen - zum Beispiel von diesem Grenzsoldaten, der einen Hund füttert (auf dem Schild links im Bild).
Ich fuhr nichts Böses ahnend im Dämmerlicht um die Ecke, als auf einmal ein schwarzes Vieh aus einem Gebüsch schoss. Ah, eine Katze, dachte mein Unterbewusstsein für den Bruchteil einer Sekunde. Dann zuckte ich zusammen, als die Katze plötzlich zu bellen anfing. Da kam auch schon die Besitzerin aus der Tür und entschuldigte sich vielmals, dass ihr Fellknäuel mich erschreckt hatte, das mache der wohl öfter.
Hunde, die sich als Katzen ausgeben, um die Flüchtlinge in Sicherheit zu wiegen - warum kamen die Grenzsoldaten eigentlich nicht auf die Idee?

Neben einem Spielplatz, inmitten der Vorstadthäuser, ragen auf einmal zwei Helikopter-Rotorblätter in die Höhe. Nanu, was hat das jetzt wieder zu bedeuten?
Das Denkmal erinnert an die Wiedervereinigung und ganz speziell an den 29.9.1990. An diesem Schnapszahl-Tag fanden zweifellos viele Hochzeiten statt, aber auch genau hier der letzte Hubschrauberflug des US-Militärs über ostdeutschem Luftraum.


Um diese Erklärung auf dem Sockel des Denkmals zu entziffern, musste ich schon die Handytaschenlampe einschalten. So, das reicht aber für heute, endgültig! In Berlin kenne ich genügend Leute, sodass ich mir keine Sorgen um die Übernachtung machen muss.
Auf dem Weg zur S-Bahn-Station durchquerte ich noch schnell einen Campus der Potsdamer Universität. Schön, wie viele Bäume hier überall wachsen! Also, wenn hier keine Forstwissenschaften unterrichtet werden, dann weiß ich auch nicht. (Nachtrag: Werden sie nicht. Jetzt weiß ich auch nicht.)
Das waren dann aber alle historischen Gebäude für heu... echt jetzt, sogar über den verdammten S-Bahnhof stehen mehr als zwei Spalten Text im Reiseführer? An dieser Stelle fuhren die Züge zur Zeit der Stammbahn noch ohne Halt durch. Später hatte Griebnitzsee einen schicken Fachwerk-Pavillon als Bahnhofsgebäude, der von der Wiener Weltausstellung übriggeblieben war. Dieser Bahnhof hieß Babelsberg-Ufastadt, weil hier in erster Linie alle ausstiegen, die in den Babelsberger Filmstudios arbeiteten. Zur Zeit der Mauer war dann wieder, wie zu Beginn, Durchfahren ohne Aussteigen angesagt. Transitreisende aus Westberlin fuhren durch hohe Mauern und bellende Hunde. Rein und raus durften nur die Grenzkontrollen, und laut DDR-Landkarten existierte der Bahnhof nicht einmal. (Damit war Griebnitzsee quasi das Berliner Pendant zum sächsischen Gutenfürst.)

Der Teltowkanal verbreitert sich in Griebnitzsee zu einem See namens, Sie erraten es, Griebnitzsee. Der ist aber immer noch relativ schmal und könnte fast als Kanal durchgehen. Glaube ich. Besonders viel konnte ich vom Ufer aber eh nicht erkennen.
Schuld daran ist Brandenburger Regierung. 2003 bot der Bundesfinanzminister den Bundesländern an, die Mauergrundstücke gratis zu übernehmen. Thüringen nahm an, Brandenburg lehnte ab. Also wurde der Boden verscherbelt, ohne irgendein Wegerecht zu vereinbaren. Die Stadt Potsdam versuchte zwar trotzdem, einen öffentlichen Uferweg zu bauen, verlor aber vor Gericht. Egal, ob moderner Betonpalast oder historisches Wirrwarr aus Türmchen und Erkern: Die Villen haben den Willen, den See für sich zu behalten.
Andererseits: Irgendwie passt das in den historischen Kontext, denn dieses Ufer gehörte schon immer der Elite. Der Kaiser saß nebenan im Schloss Babelsberg und zog die Schönen und Reichen (oder zumindest die Reichen) an wie das Licht Motten. Damit die einfachen Handwerker aber nicht "unruhig" wurden, erließ der Kaiser eine Bauverordnung: In Richtung Straße bitte nicht protzig, sondern preußisch-schlicht bauen. Die Reichen besuchten sich sowieso lieber über ihre Boote und Terrassen auf der Seeseite.
In den Goldenen Zwanzigern wohnten hier vor allem erfolgreiche Künstler und Schauspieler der Filmstudios. Nicht wenige waren Juden und mussten ihre Villen in der Nazizeit zurücklassen. Im Sommer 1945 zogen noch prominentere Gäste ein: Die drei mächtigsten Männer der Welt machten es sich bequem im Haus-Erlenkamp der Truman-Villa, in der Villa Urbig Churchill-Villa und der Villa Herpich Stalin-Villa. Die großen Drei übernahmen sofort die Tradition der Stadt, die sie gerade erst besiegt hatten: Sie besuchten sich nur per Schiff auf der Seeseite und bauten extra eine Pontonbrücke rüber zum Schloss Cecilienhof.
Dem Ort, an dem die Potsdamer Konferenz stattfand.
An dem die Teilung Deutschlands ihren Anfang nahm.