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Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

15 Juni 2023

Berliner Mauer: Von Potsdam nach Sacrow

Die Jungfernmauer

Länge: 18 km (11 km per Havelradweg am anderen Ufer nach Wannsee)
Grenzquerungen: 2
Bundesländer: Berlin, Brandenburg
Seite: fast nur Ost
Erkenntnis: Das Berliner Böse bleibt ein ungelöstes Rätsel.

Diese Strecke um den Jungfernsee ist eine Variante des Havelradwegs, für den Fall, dass die Fähre nach Wannsee nicht fährt (oder dass man die Badehose und sein kleines Schwesterlein nicht dabeihat).
Beim Berliner Mauerradweg ist es genau umgekehrt: Der Weg durch Wannsee ist die Hauptroute, und die Strecke um den Jungfernsee ist die Hauptroute.

Los geht es in Klein Glienicke, einer einsamen Ansammlung an Häusern rund um ein Jagdschloss. Die Adligen haben hier dermaßen viele Schlösser gehabt, dass schon dem Soldatenkönig Friedrich I. auffiel, dass man es eventuell besser nutzen könnte: Er machte es zum Lazarett.
Jahre später war Klein Glienicke eine einsame sozialistische Insel, mit der DDR nur verbunden über ein eine Bauampel und ein dünnes Brücklein über den Teltowkanal. Was der Soldatenkönig wohl dazu gesagt hätte?

Auf der anderen Seite von Klein Glienicke schwingt sich eine deutlich größere und prächtigere Brücke über die Havel. Die entstand 1907, weil die hölzerne Zugbrücke und die Backsteinbrücke (von Schinkel mal wieder) den ganzen Verkehr nicht mehr tragen konnten, vor allem seit der Teltowkanal gegraben wurde. Die Brücke wurde schon 1953 für Zivilpersonen gesperrt, damit die beiden Deutschlands hier in Ruhe alle Geheimagenten austauschen konnten, die erwischt wurden. Beim ersten Mal noch streng geheim einer gegen einen, beim zweiten Mal 23 Westagenten gegen 4 Ostagenten und beim dritten Mal live im Fernsehen (damit sich Honnecker als Vermittler präsentieren konnte) noch mehr Agenten plus ein russischer Dissident direkt aus dem sibirischen Gulag, dem live die Hose runterrutschte.
Auch drei junge Männer flohen hier in den Westen, ausgerechnet über die am besten bewachte Brücke der Welt. Sie ballerten mit einem LKW durch die Schranken. Ihr simpler Trick: Einfach einen Gefahrgut-Aufkleber hinten draufkleben, dann trauen die sich nicht zu schießen.
Im Film Der Hunderteinjährige, der die Rechnung nicht bezahlte und verschwand flieht Allan Karlsson aus dem zerschossenen Fluchtwagen, indem er einfach ins Wasser springt. In Wirklichkeit wäre Allan unter Wasser vom Stalinrasen aufgespießt worden, noch bevor ihn die ersten Kugel getroffen hätten.

Ausgerechnet die DDR nannte das Bauwerk Brücke der Einheit, nur zwei Jahre, bevor sie den Übergang sperrte. Das fand die BRD dermaßen absurd, dass sie demonstrativ weiter Glienicker Brücke sagte, und der Name hat sich sogar gehalten, seit die Einheit erreicht wurde. Naja, Brücken der Einheit gibt's ja auch schon diverse andere. Die Einheit kam gerade noch rechtzeitig, damit die Deutsche Stiftung Denkmalschutz Spenden sammeln und die Kolonnaden am Brückenrand retten konnte. Einen wirklichen Zweck erfüllen die schlanken Säulen aus polnischem Sandstein nicht, sie waren einfach schicke Deko, damit die ausgetauschten Agenten auch schön was zu gucken hatten.
Gleich neben den Kolonnaden steht die Villa Schöningen. Die hat, nein, nicht Schinkel, aber einer seiner Schüler, für einen Hofmarschall gebaut. Sogar Friedrich Wilhelm IV., Hobby-Architekt und nebenberuflich König, verpasste ihr ein königliches Türmchen. Später waren dort einer der ersten Direktoren der Deutschen Bank, verwundete russische Soldaten und Kinder anzutreffen. Die Villa wurde zum Kinderwochenheim, wo sozialistische Eltern ihren Nachwuchs werktags absetzen konnten, um mehr zu arbeiten. Die Villa wäre nach der Wende fast abgerissen worden. Gerettet hat sie kein anderer als der Axel-Springer-Vorsitzende Mathias Döpfner. Ja, genau der Döpfner, der gerade erst mit seinen Chatverläufen über Ossis in den Schlagzeilen war. Jetzt enthält die Villa ein privates Freiheitsmuseum. Döpfner wollte es als Zeichen der deutschen Einheit retten, von der er inzwischen offenbar nicht mehr so viel hält.

Der Reisekaiser Wilhelm II. war kein Hobby-Architekt, er bestellte einfach nur Architektur. Als er gerade eine skandinavische Phase hatte und aus Norwegen zurückkam, wünschte er sich eine Matrosenstation im norwegischen Stil, um von da aus zu segeln. Wird gemacht, Majestät! Wie sollen wir das Haus nennen? Wie wäre es mit Kongsnæs, das bedeutet Des Königs Nase Landzunge?

Potsdam besteht hauptsächlich aus Parks. Allein auf diesem kurzen Abschnitt habe ich zwei Parks durchquert, und dabei war ich gar nicht richtig in Potsdam. Der erste heißt Neuer Garten und stammt von 1787, ist also nicht mehr im engeren Sinne neu. Auch er wurde vom Reisekaiser bestellt. Eigentlich sieht er nicht weiter ungewöhnlich aus, eben so, als wären hier in Jahrhunderten Bäume und Büsche in ordentlicher Form gewachsen. Aber genau das sollten die Gärtner vortäuschen, und zwar möglichst etwas schneller als in ein paar Jahrhunderten, damit der Kaiser es noch erleben kann.
Ich betrat den Garten über die Schwanenbrücke. Die ließ sich ursprünglich hochklappen, damit der Kaiser auch bequem über den Hasengraben zum nächsten See se(e)geln konnte. Die Nazis sprengten die Brücke, die Sowjets bauten sie provisorisch wieder auf, damit Stalin zu seiner Konferenz kommen konnte. Churchill und Truman durften über Stalins Brücke nicht rüber, sie mussten den Umweg über die Stadt fahren. Später fuhren hier dann die Grenzsoldaten rum.

In einem Potsdamer Park muss alle 100 Meter ein historisches Gebäude stehen. Mindestens. Eine Eremitage, eine Meierei, eine Grotte, in der sich der Kaiser für private Teestunden verstecken konnte, egal, Hauptsache irgendwas...
Aber das wichtigste Gebäude ist ein anderes.

Schloss Cecilienhof hat 55 Schornsteine, die alle unterschiedlich aussehen. Der letzte Schornstein wurde am 9. November 1917 fertiggebaut, und das Schloss an den Kronprinzen Wilhelm übergeben. Weil Wilhelm als Name unter Adligen aber nicht direkt außergewöhnlich war, benannte man das Bauwerk lieber nach seiner Frau Cecilie. Das Paar hatte keine Ahnung, dass im Schloss in gerade einmal 30 Jahren das Schicksal der Welt entschieden würde, aber sie damit absolut nichts zu tun haben würden, weil Ihnen die Revolution in genau einem Jahr jede Macht nehmen würde. Der Prinz durfte trotz Revolution als Privatperson wohnen bleiben, und tat das bis 1945. Denn dann kamen drei Nichtadlige vorbei, die mächtiger waren, als der Kronprinz es je gewesen war. In diesen Hallen besprachen Churchill (naja, und später Attlee, weil Churchill zwischendurch abgewählt wurde), Truman und Stalin, was sie nun mit dem Land machen sollten, das sie besiegt hatten. Dabei ließen sie sich von Circus Lila inspirieren: Teilen macht Spaß. (Das Lied Teilen kann heilen dagegen erwies sich in diesem Fall als Irrtum.) Dass Deutschland geteilt werden sollte, hatten sie zwar schon auf Jalta besprochen, aber noch nicht, wie genau die Zonen aussehen sollen und was mit Berlin passiert.
Stalin pflanzte im Innenhof extra einen roten Stern aus Blumen, der verdächtig nach der sowjetischen Flagge aussah, um die anderen zu ärgern. Präsident Truman prahlte, er habe eine ganz neue gefährliche Art von Waffe (räuseratombomberäusper) und gab von hier aus telefonisch den Befehl, Hiroshima und Nagasaki zu zerstören.

An dieser Stelle war die Mauer eine viel größere Geldverschwendung als ohnehin schon. Eigentlich folgte die Grenze ziemlich zielstrebig dem Lauf der Havel. Aber die DDR hatte Pech: Ausgerechnet am kommunistischen Ufer hatte die Havel einen richtig, richtig langen Ausläufer. Der heißt zunächst Jungfernsee, später Lehnitzsee und ganz am Ende Krampnitzsee.
Eine Mauer kann man nicht übers Wasser bauen, oder? Naja, schon, wenn man den Schiffsverkehr mit Netzen und Schwimm-Pontons abriegelt. Aber das ging nur an der schmalsten Stelle, und selbst bis dahin war es ein ganz schöner Umweg. Der ehemalige Grenzturm markiert die Stelle, an der diese Wassermauer verlief. Die Pontons sind längst weg, und selbst wenn nicht, könnte ich da kaum mit dem Rad rüber. Also musste ich den kompletten Umweg um den Jungernsee machen (nicht, dass ich mich beschweren möchte, der Umweg war toll).

Wichtig war übrigens, dass sich die Mauernetze auch einholen ließen. Denn wenn ein Westberliner Schiff kam und seinen Müll abliefern wollte, dann musste man durchlassen - das brachte wertvolles Westgeld! Außerdem holten sich die Westberliner auf diesem Weg Öl und andere Brennstoffe aus der BRD. Deswegen war das der wichtigste Grenzübergang für Lastschiffe.
Der Rest des Neuen Parks war auch im Kalten Krieg geöffnet. Wenige Meter entschieden über das Schicksal der alten Bauwerke: Während das Restaurant in der Meierei ein beliebtes Ausflugsziel wurde, verfiel die Grotte zwischen den Grenzanlagen und wird bis heute mühevoll rekonstruiert.
Ein Wasserschutzpolizist der DDR stieg während der Mittagspause in ein Kontrollboot und täuschte eine Kontrollfahrt vor, die jedoch planmäßig zu eine Fahrt ohne Rückkehr in den Westen wurde. Nicht die schlechteste Strategie, auf der Ostsee hat das ja auch funktioniert.

Hinter dem Park folgt das nächste Villenviertel. Vor dem Krieg lebten hier gleich drei Bankiers. Direkt nach der Potsdamer Konferenz setzte Stalin die Bewohner vor die Tür und installierte die Verbotene Stadt a.k.a. Kleine Sowjetunion a.k.a. Militärstädtchen Nr. 7. (Armeekasernen gab es hier allerdings schon vorher.) Hier hatte der KGB seine Deutschlandzentrale, und zwar ausgerechnet im früheren Internat der Kaiserin. Das einzige, was davon übrig ist, ist das Gefängnis. Angeblich. Ich habe es vor Ort aber nicht entdeckt. In den ersten Jahren mussten die Sowjets schließlich noch alles selber machen, bevor sie der DDR ihre Art von Unrecht beigebracht hatten. Ohne Anwalt inhaftierten sie schwerste Verbrecher. Zum Beispiel Teenager, die kein russisch lernen wollten. Oder amerikanische Piloten, die bei einem Spionageflug abgeschossen wurden.

An der Straße geht es weiter in Richtung Norden. Auf der Brücke des Friedens habe ich den Sacrow-Paretzer Kanal überquert. Der verrät mir schon mein nächstes Ziel: Sacrow. Dazu muss ich erstmal um den kompletten See. Aber es geht ja ziemlich schnell voran.

Und am anderen Ufer ist es sogar schön ruhig: Ich darf in den Wald abbiegen und den Verkehr hinter mir lassen. Ist das herrlich hier! Bei so vielen strahlenden Bäumen ist es mir auch völlig wurst, dass ich jetzt über Erde mit ein paar Wurzeln fahre.
In der Bronzezeit war es genau umgekehrt, da siedelten die Menschen nur auf dieser Seite. Später kam ein slawischer Stamm und nahm die Siedlung wieder in Betrieb. Römer siedelten hier keine, trotzdem heißt die Ecke Römerschanze. Und viel später kamen dann die Kommunisten mit ihrer komischen Ponton-Netz-Mauer an und rodeten die Bäume am Ufer. Der Mauerstreifen ist heute noch zu erkennen, denn die kleinen Nadelbäumchen kommen noch nicht so richtig aus dem Tee. DIE BÄUME SIND DANKBAR FÜR JEDEN TROPFEN HAVELWASSER, ächzt ein Schild. Okay, und was genau soll ich da jetzt machen? Sorry, Bäume, ich brauche das Wasser in meinen Trinkflaschen selbst. Wenn ich gießen soll, wie wäre es, wenn ihr eine Gießkanne hinstellt?

Irgendwann wurden die Wege wieder etwas ordentlicher, und der Wald ging in den Sacrower Park über - gut zu erkennen am Grünen Schild, das sämtliche Regeln erklärt. Ein Radfahrverbot gehört zum Glück nicht dazu! Ist ja auch genug Platz da drin.
Abgesehen von einem Schloss steht in diesem Park in erster Linie eine Kirche. Tatsächlich ist die Sacrower Heilandskirche so ziemlich die allererste Sehenswürdigkeit von Potsdam, von der ich je gehört habe. Ein Bekannter schwärmte davon, wie absolut sehenswert Potsdam sei und wie klasse er das fände, dass da einfach mal so eine wunderschöne Kirche mitten in der Natur stünde, einfach zur Verschönerung. Ganz Unrecht hat er nicht, die Kirche steht schon recht isoliert am Ufer. Und sie ist definitiv ein schicker Blickfang mit ihren Säulen und Fliesen! Persius (der Typ, von dem auch die Döpfner-Villa gegenüber stammt) hat sie im italienischen Stil gebaut, und tatsächlich, ich fühlte mich fast wie in der Toskana (auch, was die Temperaturen angeht).
Andererseits steht sie natürlich trotzdem in einem künstlichen Park statt purer Natur, und so weit weg ist das Dorf Sacrow nun auch wieder nicht. Deswegen fanden in der Kirche ganz normal Gottesdienste statt. Was den Grenzsoldaten ein Dorn im Auge war. Kirchen fanden sie eh überflüssig, und hier könnten die Bürger auch noch auf dumme Gedanken kommen und nach dem Gottesdienst zwischen die Seerosen (damals noch ohne Stalinrasen) hüpfen, um nach Westberlin zu schwimmen. Kurz nach Heiligabend 1961 demolierten die Grenztruppen die komplette Einrichtung, damit endlich Schluss mit dem Quatsch war. Erst 28 Jahre später hielt genau derselbe Pfarrer, der damals die letzte Christvesper gehalten hatte, wieder einen Gottesdienst in der Heilandskirche. Der Raum war proppenvoll.
Weder das Kirchenschiff noch der Turm waren geöffnet. Aber außenrum zwischen den Säulen hindurchschlendern und auf die Glienicker Brücke gucken, das ist definitiv auch einen Spaziergang wert.

Von Sacrow aus führt eine Waldstraße bis zur Wannsee-Fähre in Kladow. Mauer und Mauerradweg knicken aber vorher links ab. An der Stelle lagen sich an der Havel der britische und amerikanische Stadtsektor gegenüber, ich folge ab jetzt der Grenze zwischen britischem Sektor und sowjetischer Besatzungszone/DDR.

Rund um den Jungfernsee grenzten Teile der ostdeutschen Stadt Potsdam besonders eng an die Mauer, und das hatte dramatische Folgen. Hier musste man überhaupt nicht flüchten, um ermordet zu werden. Es gab eine Aktivität, die fast genauso lebensgefährlich war: Busfahren.
Horst Mende hatte in der Nähe der Glienicker Brücke Party gemacht. Danach ging er auf die Brücke zu und fragte den Zöllner, wo der Bus abfährt. Er bekam eine Antwort und entfernte sich wieder von der Grenze. Aber die Volkspolizei war misstrauisch geworden und fragte nach seinen Personalien. Horst gab ihnen seinen Ausweis, begriff aber nach der durchzechten Nacht nicht, dass sie ihn gleich festnehmen wollten. Der Bus kam. Horst fragte, ob sie sonst noch was wollten. Keine Antwort, also lief er los. Die Kugeln trafen ihn in den Rücken und machten ihn mit 23 Jahren zum Invaliden.
Lothar Hennig stieg in Sacrow aus dem Bus. Weil gerade Flüchtlingsalarm war, riet ihm der Busfahrer, aufzupassen. Daraus zog Lothar leider einen völlig falschen Schluss: Er rannte die 400 Meter nach Hause im Dauerlauf und hielt nicht mal an, als ihm etwas zugerufen wurde und ein Warnschuss ertönte. Die nächsten Schüsse trafen ihn in den Rücken.

Allmählich macht mich der Berliner Mauerweg immer ratloser. Wer seinen Glauben an die Menschheit behalten will, dem muss ich von dieser Tour dringend abraten. An der Innerdeutschen Grenze war noch meistens von den Opfern der Minen und Selbstschussanlagen die Rede. Das lässt sich  mit einem einfachen menschlichen Mechanismus erklären (der mit autonomen KI-Kampfdrohnen aktuell perfektioniert wird): Je mehr Abstand du zwischen Täter und Opfer bringst, desto leichter fällt das Töten.
Aber in Berlin? Da betrug dieser Abstand mitunter gerade mal mal 15 Meter! Hier gab es schießwütige Soldaten, deren Verbrechen weit über das Prinzip Befehl ist Befehl hinausschossen. Sie schossen entgegen der eindeutigen Regeln auf Minderjährige, auf Menschen, die sich ergaben, oder in Situationen, wo keinerlei Fluchtgefahr mehr bestand. Sie bekamen zwar selten Ärger deswegen, aber dennoch: WARUM? Das war nicht nötig, nicht mal, um die Abwanderung aus dem Land zu verhindern (was manche Politiker bis heute als Rechtfertigungsgrund ansehen, weil dem armen Politbüro ja nichts übrig blieb. Also, außer, seinen Job zu machen und vernünftig zu regieren, damit die Menschen nicht mehr so unzufrieden sind.)
Ein Haufen Menschen wird jetzt sagen: Das ist halt so ein uralter Instinkt, der an die Oberfläche bricht, sobald er die Gelegenheit hat. In unserem Inneren steckt ein böses Monster. Ein verbreiteter Irrglaube, an dem niemand ernsthaft festhalten kann, der Rutger Bregmans Im Grunde gut gelesen hat.
Waren manche Soldaten einfach nach ihren Schulungen, und nach dem gesamten Bildungssystem der DDR, dermaßen ideologisch aufgepeitscht gegen den Klassenfeind, dass sie hemmungslos herumballerten? Kann sein.
Bregman glaubt allerdings, dass Kameradschaft viel wichtiger ist als Ideologie. Dabei bezieht er sich auf die Verbrechen der Nazi-Soldaten. Auf die Mauerschützen passt diese These aber so überhaupt nicht, denn das System der Grenztruppen verfolgte ja gerade das Ziel, dass keine Kameradschaft entsteht. Immer wieder wurden zwei wildfremde Soldaten auf einen Posten zusammengewürfelt, damit sie sich gegenseitig misstrauisch beobachten, statt sich gemeinsam zur Flucht zu verbünden.
Ein anderer Grund könnte sein: Völlig egal, ob ein Schuss nun den Regeln entsprochen hätte - bei einer erfolgreichen Flucht bekam man meistens auf den Deckel. Also im Grunde Angst. Das erklärt vielleicht die Schüsse auf Minderjährige und weit entfernte Flüchtlinge, die die Hände hoben, aber nicht auf völlig eingekreiste Menschen oder solche in 15 Meter Entfernung, die definitiv keine Chance mehr hatten.
Da bleibt dann doch nur die Ideologie als Erklärung.
Reicht das aus?
Keine Ahnung.

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