09 September 2021

Weser: Von Verden nach Bremen

Weser-Tag 8: Die Stadt der Musikanten

gefahren im: Juni 2022
Start: Bremen, Altstadthostel
Ziel: Verden, Bahnhof
Länge: 46,5 km
Weserquerungen: 0
Ufer: rechts
Bundesländer: Niedersachsen, Bremen
Landschaft: Kanäle und Steilufer, Deiche and Moor
Wegbeschaffenheit:
 fast nur Asphaltradwege
Steigungen: ein paar am Ende des Kanals
Wetter: Sonne und Regen
Wind: leichter Nordwestwind
Highlight: Bremer Geschichtenhaus
Größte Hürde: Wartezeit im Gasthaus zur Linde, Achim
Zitat des Tages: "Und dann hab ich dem auch was von meiner Mäusebutter aufs Brot gegeben."
- Mörderin Esche Gottfried im Geschichtenhaus -

1. Fahren Sie alle nachfolgenden Etappen in umgekehrter Richtung, der Wind wird es Ihnen danken. Also, vorausgesetzt, Sie haben Glück und er weht auch in umgekehrte Richtung. Bei dem Wind weiß man nie so ganz. Wenn möglich, entscheiden Sie kurzfristig je nach Wettervorhersage über die Richtung, sonst hoffen sie einfach.

2. Radeln Sie zunächst in Richtung Allermündung, aber den Abzweig dorthin müssen Sie nicht unbedingt anschauen.

3. Kurz darauf kommt nämlich eh eine große Flusskreuzung (wenn auch ohne die schönen Weiden der Aller): Zum letzten Mal zweigt ein Schleusenkanal für den Schiffsverkehr von der Weser ab. Folgen Sie seinem schnurgeraden Ufer. Jup, da ist ne Schleuse, der Kanal wird seinem Namen gerecht.


4. An dieser Baustelle müssen Sie wirklich absteigen. Diese Kiesberge wären selbst mit einem Mountainbike schwierig. Seien Sie froh, dass Sie überhaupt mitten durch die Bauarbeiten laufen dürfen!

Erklimmen Sie ein Steilufer. Unter Ihnen vereinigt sich die Weser wieder mit dem Schleusenkanal.

5. Ach, im Zentrum von Achim bimmelt ein unsichtbares Glockenspiel. Es ist eines der größten in Norddeutschland. Lauschen Sie dem Läuten, auch wenn Sie seinen Ursprung einfach nicht lokalisieren können.
Fallen Sie nicht auf die sogenannte Honigkuchenfabrik rein, von der steht nur noch die Fassade. Falls Sie keine Glocken mögen oder das Glockenspiel gerade nicht läutet, umrunden Sie Achim auf dem Deich. Die weiße Kleinstadt ist nichts Besonderes und das Wahrzeichen (eine Windmühle) steht sowieso am Stadtrand.


6. Nun sollen Sie durch Bollen rollen, egal ob Sie durch Bollen rollen wollen.
Fahren Sie ein Stück auf dem Deich, dann daneben. Monotone Moore und Felder schließen Sie ein, Windräder drehen sich, die Weser fließt in der Ferne. Genießen Sie das letzte Stück Natur.
Holzen Sie möglichst keinen Wald ab, das war schon vor Jahrhunderten keine gute Idee. Dank fleißiger Holzfäller ist Wald seit Porta Westfalica Mangelware. So bekamen bereits unsere Vorfahren zu spüren, dass jeder Eingriff in die Natur Folgen hat. Dieser Eingriff sollte Bremen und den Rest der Weser für immer verändern. Die Holzfäller hatten keine Ahnung, dass sie damit indirekt in ferner Zukunft das einzige Bundesland, das in zwei Teile zerhackt ist, erzeugten.


7. Tauchen Sie nun in die Stadt ein und durchkreuzen Sie auf verblüffend guten Radwegen ein Industriegebiet. Fahren Sie am Allerhafen vorbei. Werrahafen, Fuldahafen... hier gibts einen Hafen für jeden großen Nebenfluss, genau wie an der Elbe.
Außerdem staut das Weserwehr den Fluss zum letzten Mal. Danach bestimmen die Gezeiten, wie hoch das Wasser den Bremern steht. Deswegen heißt der Fluss ab da Unterweser.


8. Irgendwann kommen Sie dann wieder am Flussufer raus. Jetzt haben Sie sogar die Wahl zwischen einem hohen und einem tiefen Ufer-Radweg. Der tiefe hat den Nachteil, dass Sie irgendwann wieder hoch müssen.
Die Weser fließt um den Stadtwerder herum, eine lange Freizeitinsel mit Wald und Strand. Wenn Sie da draufwollen, hätten Sie den längeren Weg am Südufer fahren müssen, jetzt ist es zu spät.
Am Ufer ist ein Raumschiff voller Fußballfans gelandet, das sogenannte Weserstadion.

Sollte das Wetter heiß sein, gehen Sie ins Stadionbad, das außergewöhnlichste Schwimmbad in Bremen. Es handelt sich um ein Naturfreibad ohne Chlor. Lassen Sie sich von der steilen Stahlrutsche ins grünliche Wasser schmeißen, und zwar vor der futuristischen Kulisse des riesigen Stadions.


Auch neben der Altstadt können Sie bequem an der Weser radeln. Sie teilen den Weg mit den Fußgängern, trotzdem ist (jedenfalls an Werktagen) genug Platz.
Die Insel Stadtwerder endet unterdessen an der Umgekehrten Kommode, einem alten Wasserwerk. Es hatte mal höhere Türme, die an die Beine eines Möbelstücks erinnerten.
Die Weser sah früher auch ganz anders aus. Mehrere Flussarme umschlangen die Altstadt. Als weiter südlich immer mehr Wald an den Ufern abgeholzt wurde, schleppte die Weser immer mehr Sand mit und wurde flacher. Die Bremer mussten den Fluss kanalisieren, sich Geld beim Kaiserreich holen und dazu blöderweise auch noch dem deutschen Zollgebiet beitreten, was sie eigentlich gar nicht wollten - und das alles nur, damit fünf Meter tiefe Schiffe bis nach Bremen kamen.
Der Hafen von Bremen war durch diese Verzweiflungstat aber auch nicht mehr zu retten.

9. Auch wenn Sie im Weserbergland schon schönere Städte gesehen haben: Durchstreifen Sie die Altstadt und geben Sie dem Bremer Backstein eine Chance. Sollten Sie hungrig sein, verzehren Sie zwischendurch eine Kartoffelspirale. Gehen Sie ein Stück am Zickzack-Graben um die Altstadt und entdecken Sie Blumenfelder und eine Windmühle. Noch weiter müssen Sie nicht gehen, außer Sie wollen zum Bahnhof. Da hinten finden Sie nur noch Gebäude, welche offenkundig per Copy und Paste aus Hannover entwendet wurden.

Bremen wurde mal von den Bischöfen im Dom beherrscht, aber das ist lange her. Die bürgerlichen Kaufleute haben sie immer weiter vertrieben und durch neue Bauten mit ihrer Macht angegeben: Das Rathaus sieht prächtiger aus als der Dom und die Statue vom Ritter Roland guckt entschlossen in Richtung der Kleriker. (Den Roland gab es nie, das ist bloß so eine Personifikation der Bremer Bürgerrechte.) Die Altstadt zieren außerdem der finstere Landtag und viele Tierstatuen. Damit meine ich nicht nur die berühmten Stadtmusikanten, sondern auch eine Herde Schweine in der Fußgängerzone.

Das Märchen der Stadtmusikanten sollte ja bekannt sein: Vier ältere Nutztiere finden heraus, dass die Rente eines gewöhnlichen Nutztiers aus einer scharfen Axt besteht, was sogar noch abschreckender ist als private Altersvorsorge. Weil das mit der Revolution der Tiere ja schon bei George Orwell nicht geklappt hat, hauen sie einfach ab und wollen in Bremen Musiker werden, bleiben dann aber doch lieber in einem Waldhaus, das sie Räubern geraubt haben. Ende.
Bremen kommt in der Geschichte also gar nicht vor (außer in der einen Verfilmung, bei der das Ende komplett anders ist und die vermutlich von der Bremer Tourismuslobby gesponsort wurde). Dennoch basieren erhebliche Teile des Fremdenverkehrs auf dem Märchen, also lassen Sie sich vor der Stadtmusikantenstatue fotografieren und werden Sie Ihren Müll in einen Mülleimer, der anschließend I-A, Wau, Miau oder Kikeriki macht.

Wenn Ihnen Backstein nicht reicht, schließen Sie Ihr Rad an und erkunden Sie die engeren Gassen. Die Böttcherstraße ist berühmt, weil die Ziegel mit Gold und Glocken verziert wurden. Außerdem handelt es sich um eine Kulturgasse, in der sich einige Maler und Museen niedergelassen haben. Lauschen Sie dem Glockenspiel aus Meißner Porzellan zwischen zwei Häusergiebeln, auf dem ein Musiker Volkslieder spielt und immer wieder abrupt zwischen melancholisch und fröhlich wechselt.


Ist Ihnen das nicht eng genug, zwängen Sie sich durch das schräge Schnoorviertel, den einzigen komplett original erhaltenen Teil Bremens. Suchen Sie die schmalste Straße Bremens und finden Sie stattdessen das kleinste Haus Deutschlands. Es wird gerade klimaneutral saniert.
Kaufen Sie in der Bremer Bonbon-Manufaktur oder der Konditorei Süßigkeiten mit komischen Namen, die zwingend mit K beginnen. Bremer Kluten (zuckrige Pfefferminzquader mit Schokolade drum) sind super, ebenso Schnoorkuller (so was wie Pralinen aus Cremes und Baiser). Bremer Kaffeebrot (dünner Zimt-Zwieback) enthält zwar keinen Kaffee, ist aber auch lecker. Bremer Klaben ist eine Art Stollen mit noch mehr Rosinen drin, keine Ahnung, wer so was freiwillig isst.


Zwängen Sie sich durch bis zum Geschichtenhaus. Dieses Museum funktioniert so: Sie laufen von Raum zu Raum, und in jedem Zimmer plaudert eine historische Person vor historischer Kulisse mit Ihnen: Ein Händler, ein Schmuggler, eine alte Frau und die Massemörderin Gesche Gottfried, die gelassen erzählt, wie sie eine ganze Familie vergiftet hat. Lesen Sie hinterher überrascht, dass diese Profidarsteller vorher arbeitslos waren und das Geschichtenhaus eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Das ist doch mal eine andere Lösung, als Arbeitslose gesellschaftlich an den Pranger zu stellen!
Wenn Sie noch ein faszinierendes Museum suchen, fahren Sie in die Außenbezirke der Stadt zum Universum.

Sollte gerade Oktober sein, können Sie auf dem Freimarkt Achterbahn fahren. Das ist ein erstaunlich großes Volksfest auf einer feuchten Asphaltfläche hinterm Bahnhof. Achten Sie darauf, dass Sie nicht im Regen ertrinken. Ihre Hose wird jedenfalls schon ab der erste Fahrt durchnässt sein, obwohl nach jeder Fahrt ein Schwall Wasser von den Sitzen gewischt wird.

08 September 2021

Weser: Von Nienburg nach Verden

Weser-Tag 7: Angezogen unter Wölfen

gefahren im: April 2021
Start: Nienburg, Bahnhof
Ziel: Verden, Bahnhof
Länge: fast 60 km, mit Abkürzungen nur fast 50 km
Weserquerungen: 2 (Brücken)
Ufer: etwas mehr rechts als links
Bundesländer: nur Niedersachsen
Landschaft: flache Äcker, Deiche und Kanäle, aber irgendwie schöner
Wegbeschaffenheit:
 Gegenteilwege, kleine Ackerstraßen
Steigungen: nur über Deiche
Wetter: auf die coole Art bedeckt - tolle Wolkenformen mit Sonnenstrahlen dazwischen
Wind: wohlgesonnener Westwind
Highlight: Wolfcenter Barme
Größte Hürde: leichte Blasenunterkühlung
Zitat des Tages: "Jetzt kommen Hirschrippen - Spare Rips. Da hört man ein Knacken, wenn sie die zerbeißen. Wenn wir Rehrippen nehmen, müssen die das nicht machen, die fressen sie wie Salzstangen." - Tierpfleger bei der Wolfsfütterung -


1. Umfahren sie das Hafenbecken von Nienburg in Richtung der Weser.



Genießen sie das kurze Stück zwischen Büschen und dem Fluss, denn auf dieser Tagesetappe werden sie am wenigsten von der Weser zu sehen bekommen.


2. Warum also viel Zeit in diesem Flachland verbringen? Klar, wenn das Wetter mitspielt (zumindest mehr als bei der letzten Etappe), sieht es auch ganz nett aus. Aber so viele Kilometer durch Äcker kurven und dabei kaum etwas vom Fluss sehen? Nee. Nehmen Sie jede Abkürzung, die sie kriegen können.
Fahren Sie dazu zunächst am rechten Ufer unter einer Bahnbogenbrücke durch und dann über das Weserwehr von Drakenburg ans andere Ufer. Bei genauerem Hinsehen erkennen Sie vielleicht, welche Brücke hässlicher ist.


Machen Sie es beim Abkürzen wie die Lastschiffe - folgen Sie einem der vielen Schleusenkanäle, die eine Flussschleife überspringen.
Beachten Sie, dass die Karte auf diesem Abschnitt Gegenteiltag spielt. Sie sagt, das hier am Kanal sei ein schlecht befahrbarer Weg.


Das hier hingegen ist ein asphaltierter Weg. Sieht man ja.


3. Noch kürzer wird es, wenn Sie anschließend dem Radweg an der Bundesstraße folgen.


Die architektonischen Highlights an dieser Straße sind die Fachwerk-Bushaltestelle und die Zwillings-Kirchtürme in Bücken (ziemlich seltsam, so ein großer Dom für so ein Dorf). Mangels niedriger Durchgänge müssen Sie sich in Bücken nicht bücken.


4. Einige Kilometer vor Hoya lohnt es sich dann, wieder in Richtung Weser zur fahren. Legen Sie eine Pause zwischen Deich und Kläranlage im Gras ein, ohne zu wissen, dass sich wenige Meter entfernt Bänke mit Weserblick auf dem Deich befinden.


Bei den blauen Brücken von Hoya wechseln Sie ans rechte Ufer und folgen der Straße. Dies ist der geographische Mittelpunkt Niedersachsens. Zwischen den Brücken steht ein rosa Schloss. Früher saßen da Grafen drin, heute Richter am Amtsgericht - wie fast überall in niedersächsischen Schlössern.
Fahren Sie einfach dreist über die große Baustelle, auch wenn nicht ganz klar ist, ob man das darf. Aber die Bauampel zeigt ja grün.


Stören Sie die Dorfhäuser in ihrem natürlichen Lebensraum nicht, das sind sehr scheue Wesen.


5. Rasen Sie über den Radweg an der Waldstraße und erreichen Sie viel früher als geplant den Abzweig zum Wolfscenter. Lassen Sie Ihr Geld im Eingangsgebäude und durchschreiten Sie das Wolfsmuseum. Hinter dem Haus wurden Teile des Waldes eingezäunt. So entstehen fünf Wolfsgehege und noch ein paar mit anderen Tieren. Das hier ist eigentlich schon ein kleiner (dem Eintrittspreis nach sogar ein mittelgroßer) Zoo.

Normalerweise besteht ein Wolfsrudel aus Eltern mit Kindern. Wenn die Kinder im Wolfcenter erwachsen werden, kann man sie aber nicht alle voneinander trennen. Deshalb leben in den Gehegen oft Zweier- oder Dreiergruppen aus Geschwistern. Solange da nur ein Weibchen drin ist, vertragen die sich. Meistens.
Sehen und riechen Sie die Unterschiede zwischen den Wolfsarten. Die grimmigen Grauwölfe hier sehen sehr elegant aus.


Die braunen, hageren Präriewölfe verbringen ihre ganze Zeit offenbar nur mit der Ausscheidung von Verdauungsprodukten. Beobachten Sie sie dabei und falls Sie es dann immer noch nicht glauben, holen Sie ganz tief Luft. Das sind die reinsten Stinkwölfe.


Am schönsten sind die weißen Polarwölfe (die lieber am Hudsonbay als am Nordpol leben). Die haben eine weitaus größere Palette an Tätigkeiten. Streicheln Sie nicht das weiche weiße Fell, auch wenn es noch so verlockend aussieht. Beobachten Sie lieber aus der Nähe, wie die weißen Wuschel schleichen, schlafen, gähnen, melancholisch gucken (der eine kann das richtig gut), ihr Geschäft wie Katzen vergraben, kämpfen (wenn es richtig laut wird, heißt das, dass es nur Spaß ist) und Vögeln auflauern, die so unklug waren, in ihr Gehege zu flattern. Keine Sorge, die Vögel entkommen, soweit ich das beobachtet habe. 


Deshalb schmeißt ein Tierpfleger denen regelmäßig 4 Kilo Fleisch rein. Beobachten Sie dies bei einer Fütterung. Die Wölfe sammeln jedes Stück auf, streiten sich gelegentlich um eins und übersehen auch mal eins, wenn zu viel auf einmal geworfen wird. Der schnellere Wolf hat am Ende immer mehr zu fressen. Im Grunde also wie Enten.


Weitere, eher unbekannte Wolfsarten sind das Alpaka und der Falke.
Wenn die Greifvögel gerade nicht zum Fliegen rausgelassen werden, sitzen sie an einer kurzen Leine. Das sieht nach Tierquälerei aus, macht aber laut Schild nichts, weil sie eh von Natur aus 90 Prozent des Tages rumchillen und sich vom Fliegen erholen.


7. Verwechseln Sie diese Orte nicht:
  • Verden ist die Stadt, die heute Ihr Ziel darstellt.
  • Dörverden ist eine komische "Stadt" aus Backsteinbauernhäusern. Sie liegt südlich von Verden und da dachten sich die Dörverdener, naja, dann hängen wir da einfach eine möglichst öde Silbe vornedran, das ist dann unser Name.
  • Barme ein separater Ortsteil von Dörverden und am interessantesten, weil da das Wolfcenter steht.
Kurven Sie zum Schluss durch Backsteindörfer und rätseln Sie über den Sinn dieses auffälligen grauen Turms, der da nicht reinzupassen scheint.


Sausen Sie über ausgestorbene Feldstraßen und werfen Sie auf dem Deich einen letzten Blick auf die Weser, die sich gerade wieder mit einem ihrer Abkürzungskanäle vereinigt hat.


8. Überqueren Sie die Aller, damit Sie auf dem Drahtesel in die Reiterstadt Verden reiten können.

07 September 2021

Weser: Von Porta Westfalica nach Nienburg

Weser-Tag 6: Sprühregen auf Spargelstraßen

gefahren im: Juli 2020
Start: Nienburg, Bahnhof
Ziel: Porta Westfalica/Hausberge, gemütliches Familienzimmer mit Netflix
Länge: 65 km
Weserquerungen: 2 (Brücken)
Ufer: meist links, außer bei Nienburg
Bundesländer: Niedersachsen, NRW
Landschaft: ach, so flach
Wegbeschaffenheit:
 erst Radwege, dann Haupt- und Nebenstraßen
Steigungen: keine
Wetter: grau und stürmisch
Wind: starker Südwestwind
Highlight: Altstadt Nienburg
Größte Hürde: Gegenwind
Zitat des Tages: "Veronika, der Spargel wächst." - Comedian Harmonists -


1. Fahren Sie diese Etappe keinesfalls in die entgegengesetzte Richtung! Der Wind wird Sie dafür bestrafen.


2. Unterqueren Sie auf dem Radweg ungefähr zwölftausend Brücken. Die Berge hinter Ihnen werden immer kleiner, denn die Porta Westfalica hat Sie ins Norddeutsche Flachland entlassen. Im Reiseführer finden Sie dazu Beschreibungen wie Endlich können Sie den Blick weit und ungestört schweifen lassen, aber das ist nur ein Code für Keine Berge mehr, jetzt ist alles platter und langweiliger.

3. Finden Sie Minden. Durchqueren Sie den schönen Park am Schloss. Biegen Sie an der Uferpromenade in die Stadt ab, falls Sie Lust auf einen Döner in beklemmender Atmosphäre haben.
Minden stand früher in starker Konkurrenz zu Bremen. Die norddeutschen Backsteinhäuser haben sich hier ungewöhnlich weit in den Süden verirrt, von denen steht aber nur noch eins.

Die Großstädte an der Weser waren zwar einst ebenso blühende Handelsstädte wie ihre kleinen und mittleren Kollegen und sahen wahrscheinlich ganz ähnlich aus wie Hameln oder Bodenwerder. Aber was Sie schon in Bad Oeynhausen vermutet haben, bestätigt sich hier: Weil die Großen im Zweiten Weltkrieg größere Ziele abgaben, ist davon nicht mehr viel zu sehen. Nur eine Handvoll Fachwerk und der Dom von Minden wurden restauriert. In der Fußgängerzone ist es nicht sonderlich gemütlich: Sie sitzen inmitten von hohen, kahlen Gebäuden in einer vollkommen stillen, menschenleeren Straße. An einem Samstagabend.

4. Fahren Sie neben der Weser unter den tonnenschweren Wassermassen des Mittellandkanals durch. Eine grüne Trogbrücke ermöglicht Ihnen das. Über Ihnen fahren Lastschiffe nach Westen zur Hase und nach Osten zur Leine. Die Weser versorgt den Kanal mit Wasser: Einige leistungsstarke Pumpen schaffen es nach oben.


5. Schlängeln Sie sich durch ein kleines Hafenlabyrinth und bestaunen Sie die historische Schachtschleuse. Jap, das ist eine Schleuse, keine Burg. Das dürfte die eindrucksvollste Stelle von Minden sein. Folgen Sie nun der Weser.


6. Machen Sie einen Spaziergang durch den Mindener Nordfriedhof. Er hat beeindruckende Kaskaden, die fast schon Kassel-Wilhelmshöhe Konkurrenz machen. Beinahe.


7. Passieren Sie den alten Bahnhof von Petershagen. Der ist schonmal etwas gemütlicher als Minden, aber noch ausbaufähig. Das sah wohl auch der Bischof von Minden so: Im 14. Jahrhundert ist er aus Minden hierher abgehauen, weil ihm die Bürger so ungemütlich auf die Pelle rückten. Er baute sich dann erstmal eine Burg. Die sollte 1544 zum Schloss ausgebaut werden. Dabei wurde möglicherweise der Brauch erfunden, fertiggestellte Bauabschnitte mit Bier zu feiern. Das Schloss hatte mehr Pech als der BER und wurde nie fertig. Das lag aber nicht daran, dass zu viel Bier konsumiert wurde, sondern an Religionskriegen.


Sie haben zwei Optionen:
Entweder fahren Sie am Weserufer bis Petershagen, schlängeln sich durch die Innenstadt und am Alten Bahnhof kommen Sie auf den Radweg.
Oder Sie... ups, Sie bereits früher auf diesem Radweg gelandet, weil Sie dem Schild gefolgt sind, egal.
In jedem Fall landen Sie auf einem schnurgeraden Bahnradweg, der hinter den Dörfern entlangführt. Die Weser sehen Sie nicht, fahren lässt es sich hier super. Lassen Sie sich von Rudi der Reiherente (unten links) die Natur erklären und vergessen Sie auch nicht, die Windmühlen zu bewundern, zum Beispiel die Pottmühle (oben rechts).
Falls Sie rechts abbiegen, gelangen Sie per Solarfähre ans andere Ufer. Das klingt zwar cool, ist aber ein großer Umweg.


8. Leider ist dieser Weg irgendwann zu Ende. Den Rest der Strecke müssen Sie auf Straßen im Zickzack hin- und herfahren. Dabei sehen Sie zahlreiche Baggerseen. Der Wind peitscht ihr Wasser auf, sodass Sie wie stürmische Baggermeere aussehen.


Falls Sie in einem der Seen baden möchten, nehmen Sie gleich die erste kleine Badestelle. Später ist es verboten.


Immerhin liegen zahlreiche Schutzhütten auf dem Weg. Verkriechen Sie sich darin vor dem miesen Wetter.


Außerdem können Sie erstaunlich bunte Schottergärten mit Storchennest und Fahrrad beobachten.


Passieren Sie Rußland. Sie benötigen dazu kein Visum.


9. Erreichen Sie auf einem weiten Bogen nach Osten eine russische Stadt: Schlüsselburg. (Ja, eine Stadt dieses Namens gibt es wirklich bei St. Petersburg.) Hier stehen historische Scheunenviertel aus dem 17. Jahrhundert und die Schlüsselburg, für deren Besichtigung Sie vermutlich einen Schlüssel benötigen. Bewundern Sie die alten Bauten aus Holz und Ziegeln im Vorbeifahren. Fahren Sie an einem Haus vorbei, in dessen Tür jemand tatsächlich einen Schlüssel hat stecken lassen.

Außerdem führt hier eine Variante zum Steinhuder Meer.


Auf dem Bogen durch Schlüsselburg überqueren sie zweimal einen kleinen Kanal. Das erste Mal auf der Hauptstraße, beim zweiten Mal hat die Straße einen Radweg. Ja, dieser lange Bogen nach Osten war unvermeidbar, ich habs überprüft. Erst jetzt sind Sie zurück in Niedersachsen.


10. Machen Sie Mittagspause in Stolzenau. Gegenüber vom Rathaus gibt es leckere Nudeln - an der Hauptstraße, aber dennoch gemütlich von Bäumen umgeben und direkt neben dem Radweg. Darauf kann Stolzenau stolz sein.


Folgen Sie der bunten Wesersteinschlange, die angeblich (laut einem laminierten Zettel, also muss es stimmen) Weltkulturerbe ist. Um sich während der Coronazeit zu beschäftigen, sollte jedes Kindergartenkind einen Stein finden, bemalen und hinlegen.


11. Leider müssen Sie noch einmal auf der Hauptstraße fahren. Überqueren Sie die Weser. Oben auf der Brücke können Sie einen letzten Blick auf die fernen Berge erhaschen. Sehnen Sie sich nach dem Weserbergland und seinen tollen Radwegen.


12. Immerhin bekommen Sie jetzt noch einmal einen Radweg an der Weser. Um den Fluss zu sehen, müssen Sie den Deich erklimmen. Dort schleusen die Schleusen gerade Schiffe.


13. Tja, aber kurz darauf ist der Schleusen-Radweg schon wieder vorbei - willkommen zur nächsten Zickzack-Strecke in den Nienburger Vororten. Durchqueren Sie ein weiteres Scheunenviertel und einen Wald namens Nienburger Bruch.


14. Jetzt haben Sie vermutlich schon erraten, wie das heutige Ziel heißt. Richtig: Nienburg. Im Stadtgebiet können Sie wieder an der Weser radeln. Spaziergänger und blaue Brücken begleiten Sie.
Nienburg bedeutet "Neue Burg". Besagte Burg ist inzwischen nicht mehr neu, sondern wurde längst abgerissen, vorher konnte sie aber eine ziemlich krasse Leistung verbuchen: Die kaiserliche Armee hat es im Dreißigjährigen Krieg nicht geschafft, sie zu erobern.


Sollten Sie Lust auf frisches Gemüse haben, schieben Sie Ihre Räder durch den (laut einer Jury) schönsten Wochenmarkt Deutschlands. Sehen Sie den langsamen Wandel von Fachwerk zu Backstein, der Ihnen anzeigt, dass Sie nach Norden unterwegs sind.
Berühren Sie die Statue der Kleinen Nienburgerin. Auch dem Spargel hat Nienburg eine Statue gewidmet, hinzu kommt ein Spargelmuseum (in dem es aber auch um Landwirtschaft allgemein geht). Schon der heutige Radweg verlief teilweise auf der Deutschen Spargelstraße. All dies lässt nur den Schluss zu, dass hier sehr viel Spargel angebaut wird.
Eine richtig große Stadt ist Nienburg dann doch nicht. Das erkannten wir, als wir auf einer kurzen Runde durch die Stadt zufällig die einzige Nienburgerin getroffen haben, die wir kennen.