NEU! Unterirdische Radtour auf Schienen für kleine Menschen

Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

03 September 2021

Weser: Von Beverungen nach Holzminden

Weser-Tag 2: Klosterkrieg und Schnupperstadt

gefahren im: Mai 2020
Start: Burg Beverungen/Bahnhof Lauenförde-Beverungen
Ziel: Holzminden, Bahnhof 
Länge: 28 km
Weserquerungen: 2 (Brücken)
Ufer: nur links
Bundesländer: Niedersachsen, NRW
Landschaft: niedriges, aber schönes grünes Tal
Wegbeschaffenheit: Asphaltradwege
Steigungen: keine
Wetter: Kommt der Regen? Kommt er gleich? Oder doch nicht?
Wind: starker Gegenwind, wann immer sich die Weserschleifen mal kurz gen Westen wenden
Highlight: Duftstelen Holzminden, Corvey
Größte Hürde: Regenprognose in Verbindung mit nichtvorhandener Bahn ab Holzminden
Zitat des Tages: "Dies ist der Fleck, wo man den Weg nach allen Seiten kann bestreichen. Das staub′ge Gleis, den grünen Steg, und dort die Lichtung in den Eichen: Ach manche, manche liebe Spur ist unterm Rade aufgeflogen! Was mich erfreut, bekümmert, nur von drüben kam es hergezogen."
- Annette von Droste-Hülshoff, Die Bank -

1. Fahren Sie zurück zur Baustellenbrücke Beverungen. Staunen Sie, wie weit Beverungen mit seiner Brücke seit dem letzten Mal gekommen ist. Mittlerweile ist sie von Asphalt bedeckt.

2. Folgen Sie nicht den Richtungsanweisungen dieser irritierenden Schilder, sonst wird Ihnen schwindlig.


Fahren Sie stattdessen einfach auf dem Asphaltweg am Fluss weiter. Finden Sie alle Gemeinsamkeiten mit dem Mittelrheintal:

  • ein Radweg unterm Kiesfließband
  • Graugänse
  • verschiedene Fähren
  • weiße Ortsschilder am Flussufer
  • Burgen und Schlösser
  • eckig zugeschnittene Platanen (in Holzminden)
Die Unterschiede sind natürlich offensichtlich: niedrigere Berge, kaum Felsen, weniger Enge, Verkehr und Andrang.



Was Wasservögel (oder Tiere überhaupt) angeht, ist die Weser vielfältiger als der Rhein. Nicht nur Graugänse, sondern auch andere, farbenfrohere Arten schwimmen hier und quaken ihren niedlichen Küken zu: "Alexander, kommst du jetzt bitte?! Da kommt ein Paddelboot!!!"
Auch Kühe und Schafe können beobachtet werden, wie sie ihren frischen Frühlingsnachwuchs lautstark muhend und mähend erziehen: "Määh!" - "Bääh!" - "Määäh!!!"
Übersetzung: "Mamaaa, kommst du mal?" - "Was ist denn? Ich hab zu tun!" - "Maamaa!!!"
(Ja, mir ist bewusst, dass ich die Tiere möglicherweise ein klitzekleines bisschen zu sehr vermenschliche.)


Finden Sie alle Gemeinsamkeiten mit dem Leinetal, das nur wenige Kilometer entfernt parallel verläuft:

  • Baggerseen (schöne mit Badestellen und hässliche, wo noch gebaggert wird)
Unterschiede: Das Wesertal ist schmaler, schöner, spektakulärer, der Radweg folgt ohne ständiges Zickzack einfach nur dem Fluss. Wenn Sie sich hier verfahren, sind Sie selbst schuld.
Der Leineradweg ist auch schön, aber fahren sie ihn lieber (wie ich) vor dem Weserradweg. Sonst sind Sie zu verwöhnt.


3. Passieren Sie den Schlosspark von Wehrden. Die Dichterin Anette von Droste-Hülshoff hat hier oft in einem Turm gewohnt und ihre Tante besucht. Deren Mann war der Fürstbischof von Paderborn und hat das Schloss ausbauen lassen.


4. Droste-Hülshoff schrieb unter anderem über das "rauchende Schloss" Fürstenberg, das am Ufer gegenüber thront. Ein rauchendes Schloss? Nein, die Adligen waren nicht bekifft, sondern clevere Inverstoren, die vielleicht ahnten, das in Zukunft das Geld und nicht mehr das Blut regieren wird. Kurz nachdem in Dresden das erste deutsche Porzellan erschaffen wurde, haben die Herren von Fürstenberg einen der wenigen Experten abgeworben, der schon Porzellan produzieren konnte. Fortan haben Sie massenhaft Geschirr hergestellt und Geld gescheffelt.

Der Weg hinauf zum Schlossmuseum ist sehr steil. Fahren Sie da nur hoch, wenn Sie sich für Porzellan interessieren. Außerdem hätten Sie dafür ans andere Ufer wechseln müssen. Jetzt ist es also eh zu spät.


5. Entdecken Sie die Stadt Höxter, die Sie bislang nur aus Schlagzeilen wie Das Grauen von Höxter kennen. Ersetzen Sie diese Assoziation durch schöne Bilder der Fachwerkhäuser und Fakten zur besonderen Geschichte der Stadt.

In Höxter gab es jahrhundertelang eine Art Kalten Krieg: Weltliche Macht vs. geistliche Macht.
Die weltliche Macht waren die Bürger der Stadt, denn es ist besser für die Wirtschaft, wenn man keine dicken Bischöfe mit durchfüttern muss. Die geistliche Mache kam aus dem benachbarten Kloster, das am liebsten die Kontrolle in Höxter übernommen hätte.
Höxter konnte seine Unabhängigkeit fast ein Jahrtausend lang wahren, bis es 1674 dann doch die Herrschaft an die Kirche abgeben mussten - der Dreißigjährige Krieg hatte den Handel zu sehr geschwächt.

Ein Blickfang sind die braunen Türme der Kiliankirche. Der linke Turm unterstand dem Kloster, der rechte der Stadt. Deshalb ist der linke etwas höher. (Ähnlich alberne Machtdemonstrationen finden heute noch bezüglich der Höhe der Fahnenmasten an der Grenze von Nord- und Südkorea statt.)


6. Wenige Kilometer hinter der Stadt erheben sich zwei braune Kirchtürme, die fast genauso aussehen wie die Kirche von Höxter. Hinter einem Wassergraben steht das kirchliche Gegenstück zur Stadt - Corvey. Dieser Komplex wird wahlweise als Kloster, Weltkulturerbe oder Schloss Corvey bezeichnet, wobei alle Begriffe irgendwie passen. Die Mönche haben von hier aus halb Europa missioniert, bekamen aber die Stadt direkt vor ihrer Nase nicht in den Griff.


Wenn das für Sie interessant klingt, erwerben Sie ein Gesamtticket und drehen Sie eine verschlungene Route durch die langgetreckten, beigefarbenen Gebäude und endlosen eckigen Innenhöfe. Ein großer Teil der Flure ist einfach nur leer, sodass sie einfach nur unter unendlich vielen beeindruckenden Bögen hindurchschlendern können. Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn hinter Ihnen schon die Türen geschlossen werden, weil die Museumswächter ihren Feierabend herbeisehnen. Lesen Sie mikroskopisch kleine Texttafeln und glotzen sie auf uralte Münzen in einer Vitrine - aber keine Panik, der Rundgang ist nicht überall so öde.
Passieren Sie den Zwilling der Höxter-Kirche (außen braun, innen Gold) und eine faszinierende Kette unendlich erscheinender Zimmer, anfangs Schickimicki-Räume von Adligen, später beeindruckende Bücherregale. 

Hoffmann von Fallersleben, Komponist der deutschen Nationalhymne, war als Bibliothekar von Corvey tätig, als ihn wegen seiner kritischen Texte keine Uni mehr haben wollte. (Mittlerweile ist er als Leichnam und Büste auf dem Friedhof von Corvey tätig.) Seinetwegen hat Corvey eine beeindruckende Büchersammlung. Als alleinerziehender Vater zog er seinen Sohn im Schloss auf, was dessen Kindheit enorm beeinflusste: Der Kleine wurde Maler und malte hauptsächlich Corvey.


7. Falls Sie die Abkürzung am Kloster nehmen, verpassen Sie eine kleine Flussschleife mit einer tollen Platanenalle. Das macht aber nichts, denn es folgt gleich noch eine. Die Weser fließt lange geradeaus, dann folgen wieder ein paar Zickzack-Schleifen.


8. Fahren Sie auf der großen Brücke nach Holzminden. Falls Sie dort übernachten, bietet sich am Ufer ein faszinierendes Hotel in einer alten Burg an.
Falls Sie mit der Bahn wegfahren wollen, so bedenken Sie, dass es auf den nächsten 48 Kilometern keinen Bahnhof gibt. Falls stundenlanger Regen angekündigt ist und sie da so gar keine Lust drauf haben, sollten Sie in Erwägung ziehen, feige zu sein und hier aufzuhören. Denn später gibt es kein Zurück mehr.


9. Durchstreifen Sie in Holzminden die Obere Straße, die Mittlere Straße, die Niedere Straße, die Ganz Niedere Straße und die Nicht-so-hoch-wie-die-Obere-Straße-aber-höher-als-die-Mittlere-Straße-Straße (die letzten beiden habe ich spontan umbenannt).
Holzminden ist nicht ganz so prächtig anzusehen wie Hann. Münden oder Hameln, weil die Stadt 1640 fast komplett abgebrannt ist. Nehmen Sie sich trotzdem die Zeit für einen kleinen, außergewöhnlichen Rundgang. Hier stehen nicht einfach nur Infotafeln zur Stadtgeschichte, sondern auch so kleine Metallsäulen. Was es damit wohl auf sich hat? Heben Sie den Deckel hoch und schnuppern Sie mal.
Der Wissenschaftler Wilhelm Haarmann stellte in Holzminden das erste künstliche Vanillin her. Seinetwegen war die Stadt Ende des 19. Jahrhunderts das deutsche Zentrum der Riech- und Geschmacksstoffindustrie. Ein Holzmindener hat bis heute die wichtigsten Patente für Zwiebelaromen. In vielen Lebensmitteln steckt ein Stück Holzminden.
In jeder Duftstele verbirgt ein anderer Geruch mitsamt Erklärung. Die hier riecht zum Beispiel nach dem Öl der Geraniumpflanze (nicht die Geranien im Vorgarten), das in Parfums als Ersatz für teuren Rosenduft benutzt wird. Eigentlich riecht es sowieso besser als Rosen. Hmm!
Im Hintergrund sprudelt der Duftbrunnen, der für meine Nase allerdings nur nach Wasser roch.


Manchmal haben die Düfte auch etwas mit ihrem Standort zu tun. Vor der Lutherkirche etwa steht eine Duftstele mit heiligem Salböl. In der Kirche selbst riecht es nach Kerzenwachs.


Fahren Sie nur nicht den Umfahrstein um, sonst landen Sie im Internet! Dieser Stein hat eine eigene Website, weil ihn schon über 20 Autofahrer umgenietet haben. Da er die Fußgänger schützen soll, wurde er trotzdem nie entfernt, sondern nur 20 Mal neu aufgerichtet. Weil er auf Sand steht, geht das ziemlich einfach.



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