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06 September 2010

Seeve: Von Wehlen nach Over

Lüneburger Elbnebenfluss #3: Die Seeve

Der dritte Fluss im Bunde ist ein kurzes, kurioses Gewässer der Gegensätze.


Der Seeveradweg ist eigentlich ein Rundweg, und noch eigentlicher sind das drei zusammenhängende Rundwege. Deswegen steht auf den Schildern unter dem blauen S immer Ring 1Ring 2 oder Ring 3. Ich bin immer nur die Hälfte der Ringe gefahren, und außerdem (wie schon bei der Luhe und Ilmenau) in die andere Richtung als vorgesehen. Bei den Lüneburger Elbnebenflüssen war ich irgendwie in rebellischer Stimmung...

Der Quellgrund der Seeve ist ein stiller Teich im Wald. Wo genau das Wasser heraussprudelt, ist nicht ersichtlich. Nicht die krasseste Quelle, sondern vermutlich die ruhigste.

Dorthin führt ein holpriger Pfad, neben dem der ausgetrocknete Rehmbach fließ, ein weiterer Quellfluss.


Die Seeve möchte erst einmal beweisen, dass sie ein echter Heidefluss ist. Deshalb gelangte ich zuerst auf einem echten Lüneburger-Heide-Sandweg durch einen echtes Lüneburger-Heide-Bauerndorf und eine echte Lüneburger Heidefläche. Das Dorf heißt Wehlen, die Heidefläche Wehlener Heide.
Die Karte weist mich extra darauf hin, dass ich mich nicht wundern soll, falls nackte Menschen herumlaufen, denn hier in der Nähe beginnt ein Nacktwanderweg. (So etwas gibt es in Deutschland nur hier und im Harz.) Es hat mich nicht wirklich gewundert, dass den bei ungefähr 4 Grad Lufttemperatur niemand genutzt hat.

Mit ganzjährig 6 bis 8 Grad ist die Seeve nicht viel wärmer. Damit ist sie Norddeutschlands kältester Fluss - nur die eisigen Gletscherflüsse im Süden können die Seeve übertrumpfen.
Der Heideweg führt zur Straße, wo ich den Fluss zum ersten Mal in seiner voller Pracht gesehen habe. Viel größer wird der auch nicht mehr. Die Straße gehört zum Wümmeradweg und führt zum nächsten Bahnhof an der Seevequelle in Handeloh.

An einer anderen Straße gehts weiter nach Norden. Dieser Fluss kommt wirklich fast aus dem Herzen der Lüneburger Heide - jedes Dorf hat hier seine eigene Heidefläche. Auf meinem Weg sehe ich noch die Heide von Inzmühlen.

Die Seeve ist nicht nur besonders kalt, sondern auch besonders schnell. Das muss man natürlich ausnutzen, und deswegen stehen hier lauter Wassermühlen. An der nächsten Querstraße entdecke ich die Mühle Holm. Die Mühle steht hier seit fast 500 Jahren. Zwischendurch wurde sie mal von Franzosen abgebrannt oder diente als Flüchtlingslager im Zweiten Weltkrieg. Das heutige Mühlrad hat die Mühle 1981 als Update bekommen. Weil es so jung ist, mahlt die Mühle an manchen Mahltagen noch.
Der Leine-Heide-Radweg, ein alter Bekannter aus dem Süden, führt auch hier vorbei.

Auf dem nächsten Streckenabschnitt ist die Seeve ein bisschen zu sehen. Sie schlängelt sich relativ ungezähmt über die Weide. Noch. An ihrem Ufer leben Ochsen im Matsch.

Im Stadtgebiet von Jesteburg durfte ich dann kurz ganz dicht an die Seeve heran, musste dafür jedoch einigen Spaziergängern mit Hunden ausweichen.

Das Zentrum von Jesteburg ist der Niedersachsenplatz. Er besteht aus Bäumen, Balken, Ziegeln und Reetdächern, die zusammen ein historisches Ensemble aus Bauernhäusern bilden. In einigen der Bauernhäuser befinden sich geöffnete Bäcker, denn Jesteburg ist der mit Abstand lebendigste und ansehnlichste Ort an der Seeve.


Die Seeve ist inzwischen nicht mehr so kurvig. Sie fließt unter einem Brückenbogen durch, der eine größere Bahnstrecke trägt.

Den Nebenfluss Schmale Aue überquerte ich auf einer nicht ganz so beeindruckenden Brücke.

Dann bin ich auch schon am dritten Radwegring angekommen. Diesmal wollte ich nicht der kurzen und geraden, sondern der längeren Hälfte des Radwegrings am linken Ufer folgen. Sonst hätte ich einige interessante Dinge verpasst.

Die Wälder lösen sich auf und die Lüneburger Heide ist zu Ende, stattdessen irrte ich durch ein Netz aus Ackerwegen. Dass ich mich der Elbe näherte, konnte ich daran erkennen, dass ein Schaf meinen Weg blockierte, wie damals auf meiner allerersten Radreise am Elberadweg. Ich denke, es wollte mich nur auf folgendes hinweisen: "Du fährst in eine Sackgassäääh!"

Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen fand ich den richtigen Feldweg zu den Reihenhäusern von Hittfeld.

Hittfeld ist einer jeder Orte, wo sich die offizielle Radroute dermaßen kreuz und quer durch das Straßennetz schlängelt, dass ich die Orientierung irgendwann aufgebe, einfach den Schildern folge und hoffe, dass keins verdreht ist oder fehlt. Auf diese Weise bin ich am Pastor-Bode-Teich am Stadtrand rausgekommen, habe ihn umfahren und dann war Hittfeld irgendwann zu Ende. Wurde auch Zeit - langsam begann es zu dämmern und ich wollte noch etwas vom Rest der Strecke sehen.

Im Norden Niedersachsens sind viele Bahnhöfe nach folgendem Prinzip aufgebaut: Viele Treppen, kein Aufzug, zwei Gleise und dazwischen ein Bahnsteig, der gefühlt 40 Zentimeter breit ist. Solange die Leute vom Fahrtwind der Züge nicht weiter als zehn Meter mitgerissen werden, gilt ein Bahnsteig laut dem niedersächsischen Bauordnungsrecht als breit genug. Möglicherweise wird da mit neuer Technologie experimentiert, wie man Menschen mittels Windstößen befördern kann.
Trotzdem gibt es ein paar Gemeinden südlich von Hamburg, die aus ihren suboptimal aufgebauten versifften Bahnhöfen etwas Tolles gemacht haben: Bunte Bahnhöfe. Das bedeutet, das komplette Gebäude ist von innen vollgehängt mit Bildern, damit von den schmierigen beigefarbenen Fliesen möglichst wenig zu sehen ist.


Der Bahnhof in Hittfeld wurde von Menschen verschiedenen Alters, insbesondere Jugendlichen, Senioren und Behinderten, zum Thema Seevetal gestaltet. Das ist ein weites Feld, denn das Seevetal ist sowohl eine Landschaft als auch eine Gemeinde, zu der Hittfeld gehört. Von Kinderzeichnungen über politische Protestbilder gegen Umweltzerstörung, Grafitti, Landkarten und Kohlezeichnungen (glaube ich) bis hin zu richtigen Landschaftsgemälden ist alles dabei.
Ganz ehrlich: Für mich als Laien hatte dieser Bahnhof denselben Mehrwert wie ein Museumsbesuch - selbst wenn pubertierende Kritiker auf einigen der Werke mit Edding nicht jugendfreie Kunstkritik hinterlassen haben.

Und nun macht die Seeve einen fatalen Fehler. Sie nähert sich der Metropole Hamburg - und gerät mitten ins Kreuzfeuer ihrer großen Verkehrsprojekte. Der Fluss wird begradigt, kanalisiert, in Tunnel gehüllt und versteckt.
Mehrere Autobahnen treffen hier aufeinander und bilden über der Seeve ein Muster aus Autobahnkreuzen. Ich fahre unter insgesamt drei Autobahnen durch.

In Maschen ragt dann ein großer Wall auf. Zunächst ist nicht genau zu erkennen, was sich da oben verbirgt, nur ein rätselhaftes Leuchten und Quietschen dringt durch die Bäume. Sobald die Seeve auf den Wall trifft, verschwindet sie in einem 600 Meter langem Tunnel. Neugierig folgte ich ihr ein Stück...

...und auf einmal war ich im Dunkeln verschwunden. Völlig überrascht stellte ich fest, dass man der Seeve auf ihrer unterirdischen Strecke folgen kann, die Karte verrät nämlich nichts davon. Dadurch habe ich mir einen ordentlichen Umweg gespart und die Strecke doch noch bei Tageslicht absolviert. Der rechteckige Betontunnel hat aber eine niedrige Decke, ist völlig unbeleuchtet und je nach Nervenstärke ein bisschen oder sehr unheimlich. Wer mit Klaustrophobie hineinfährt, könnte die unangenehmsten 600 Meter seines Lebens erleben. Wer ohne Helm hineinfährt, könnte mit einer Beule am Kopf wieder herauskommen. Und wer ohne funktionierendes Licht dort reinfährt, könnte einen Teil der 600 Meter unfreiwillig treibend in der Seeve zurücklegen.

Mehrere Treppenaufgänge führen an der Seite des Tunnels nach oben. Alle waren verrammelt - bis auf einen. Die Treppenstufen enden in einer gottlosen Gleisgegend (einer Gleiswüste, wie Modellbahner sagen würden). Einige Güterzüge zuckeln in der Ferne dahin, ansonsten: Gleise, Gleise und noch mehr leere Gleise bis zum Horizont.

Das ist der Rangierbahnhof Maschen, der zweitgrößte der Welt. Des nachts ist er an seinen vielen Lampen zu erkennen und sieht wesentlich stimmungsvoller aus als bei Tag. Am Rande hängt auch ein kleiner Passagierbahnhof dran.

Auch der Bahnhof Maschen ist ein Bunter Bahnhof, diesmal zum Thema Reisen, allerdings ist er nicht ganz so reichhaltig mit Bildern ausgestattet. Das Wort Reisen assoziieren die Jugendlichen, Senioren und Behinderten von Maschen offenbar vorwiegend mit exotischen afrikanischen Tieren wie Löwen. Der regionale Bezug ist dabei deutlich geringer als beim Thema Seevetal - sollte man zumindest meinen. In Wahrheit haben Löwen aber durchaus ein bisschen was mit der Seeve zu tun.

Als nämlich in den 1970ern der Rangierbahnhof erbaut wurde, musste eine Menge Torf, Sand und Gestein weg. Das wurde mit solchen Maschinen einfach auf die Wiese nebenan geschmissen.

Jahre vergingen, und auf dem trockenen, nährstoffarmen Boden am Ufer des Steller Sees machten es sich Magerrasen, Dornenbüsche und Eisvögel bequem. Eine Marschlandschaft direkt vor Hamburg hatte sich in etwas verwandelt, das der Serengeti ähnelt, wenn auch (noch) ohne Löwen. Fans des gepflegten Wortspiels müssen dieses Gebiet allein schon wegen seines Namens lieben: Die Seevengeti.


Gleich nebenan liegt noch das Naturschutzgebiet Untere Seeveniederung, das bekannt ist für die Schachbrettblume, die an ihrer Blüte einen natürlichen rechten Winkel aufweist. Deswegen wurde sie fast ausgerottet, weil die Menschen das Monopol auf rechte Winkel haben wollten.

Zwischen diesen beiden Landschaften bin ich der Seeve auf einem kleinen Deich gefolgt. Am Horizont ist bereits ein deutlich höherer Deich zu erkennen.


Es dauerte noch eine Weile, bis die Seeve endlich auf den großen Deich trifft und darin verschwindet. Auf den letzten Metern wird der Fluss noch mit einem Schöpfwerk zugepfropft. Bei Hochwasser schöpft es das Wasser über den Deich...

...und ab in die Elbe. Weiden und Schilf säumen den schönen Uferweg, sodass diese Mündung besser aussieht als die der Ilmenau, die nur wenige Kilometer weiter östlich zu finden ist.
Die Seeve ist auf nur 40 Kilometern vom Herzen der Lüneburger Heide zum zweitgrößten Rangierbahnhof der Welt bei Hamburg gereist. (Meine Fahrstrecke war etwa 55 Kilometer lang.) In der Nähe von Over heißt es dann in den Worten von Wolfgang Schäuble: "Isch over!"

03 September 2010

Ilmenau: Von Hoopte nach Bad Bevensen

Lüneburger Elbnebenfluss #1: Die Ilmenau


Drei Flüsse entspringen im Herzen der Lüneburger Heide und schließen sich südlich von Hamburg der Elbe an. Der längste (und städtischste) ist die Ilmenau, deshalb habe ich zwei Tage für diesen Fluss gebraucht. Aus einer Laune heraus bin ich in die entgegengesetzte Richtung gefahren, also an der Mündung gestartet.

Der offizielle Schlusspunkt des Ilmenau-Radwegs ist die Elbfähre von Hoopte - warum auch immer. Es gibt jetzt nicht wirklich einen Grund, die Fähre zu nutzen, denn auf der anderen Seite ist auch nichts Interessantes und auch kein Bahnhof zum An- oder Abreisen. Wer mit der Bahn kommt, muss entweder am Luhe-Radweg in Winsen oder am Südufer der Elbe in Hamburg-Harburg (was deutlich länger ist) losfahren.
Einen Kilometer hinter der Fähre ergießt sich die Ilmenau in die Elbe. Die Mündung besteht aus einer geraden Spitze mit Gras und Büschen. Hier sieht man direkt: Die Ilmenau ist zunächst sehr gerade, ordentlich und kanalisiert.

Falls eine Sturmflut mal sehr viel Wasser in die Elbe drücken sollte, versiegelt dieses dicke graue Stauwehr den Fluss. So bleiben all die Orte geschützt, die ich nun sehen werde.


Als nächstes bietet die Ilmenau ein paar kleine Hafenbecken für Sportboote. Eine Deichstraße brachte mich zwischen Hafenhütten und Gewächshäusern hindurch.


In der Nähe von Stöckte habe ich den Deich verlassen und die Luhe überquert, die in die Ilmenau mündet.

Die Ilmenau heißt hier eigentlich Ilmenaukanal, denn genau das ist sie auch: eingedeicht, begradigt und schiffbar, wenn auch nur für kleinere Schiffe. Andererseits erstreckt sich hinter dem Deich das Naturschutzgebiet Ilmenau-Luhe-Niederung, wo sich der Fluss einst wild verzweigte. Für die Natur ist also durchaus Platz, nur soll das Wasser da nicht überall unkontrolliert durchfließen. Lediglich ein paar Entwässerungskanäle, die bei Bedarf geöffnet und verschlossen werden können, verbinden den Ilmenaukanal mit den Wiesen dahinter.
Neben dem Deich verläuft ein gerade Weg.

 Etwa 50% des Deichwegs wird aber durch Baustellen blockiert, also entweder erneuert oder gerade erst gebaut... ich weiß es nicht genau. Jedenfalls darf man gerade nicht drauf.

Deshalb bin ich auf den Landstraßen im größeren Bogen durch diverse Dörfer gegurkt. Die Dorfhäuser bestehen zu 60% aus Efeu und zu je 10% aus Schilf, Moos und Backstein.

Nahe der Mündung der Neetze steht ein Nadelwehr aus dem Jahr 1888.

Nadelwehr bedeutet, dass man einzelne Nadeln rausziehen und reinstecken kann, um genau zu regeln, wie viel Wasser durchkommt. Damit das nicht zu friemelig wird, sind das keine kleinen Nähnadeln, sondern so eckige Holzlatten. Ursprünglich sollte das Wehr sicherstellen, dass immer genug Wasser für die Schifffahrt zur Verfügung steht. Auch wenn die Schiffe heute weitgehend auf den Elbe-Seitenkanal ausweichen, kümmert sich nach wie vor ein Wärter um die Nadeln und bewegt sie ganz ohne Strom, denn ein erhaltenes Nadelwehr ist eine echte Seltenheit.

Schafe, Gras, freier Horizont und Küstenwind - das war das norddeutsche Deichland. Ich ahnte bereits, dass sich die Landschaft im Laufe des Tages deutlich verändern würde. Dennoch fühlte ich mich etwas überrumpelt, als mit einem Mal in der Ferne eine dunkelgrüne Masse (ein sogenannter Wald) auftauchte, sich rasend schnell näherte, mich verschluckte und quasi per Wurmloch in die Lüneburger Heide transportierte. Ich fand mich wieder in einem Nadelwald mit Sandboden und beigefarbenem Gras.
(Okay, jemandem aus Bayern würde der Unterschied vielleicht nicht mal auffallen, aber für mich sind das zwei komplett verschiedene Arten von Flachland. Dafür können die ihre Berge da unten besser unterschieden.)

Der erste Ort in der Lüneburger Heide nennt sich Bardowick und hat eine Klappbrücke. Die aktuelle Brücke wurde 1964 gebaut, aber eine hölzerne Zugbrücke stand da schon im Mittelalter - durch die Jahrhunderte der Geschichte Bardowicks zieht sich die Konstante: Brücke hoch, ein Schiff muss durch. Erst der Elbe-Seitenkanal ließ diese Konstante abflauen.
Obwohl die Brücke ganz nüchtern einen pragmatischen Zweck verfolgt (Schiffe müssen durch), war sie Schauplatz religiöser Konflikte. Auf ihr wurde der Missionar Marianus 782 von Aufständischen erschlagen. Ihm wurde später (nachdem die Aufständischen ihrerseits längst erschlagen wurden, nehme ich an) eine Kapelle neben der Brücke errichtet, die Herzog Ernst der Bekenner 1540 abreißen ließ, weil er als Protestant Reliqienverehrung doof fand.

Wohin waren all die Schiffe unter der Brücke denn unterwegs? Ich bin ihrem Weg auf einem Pfad zwischen Fluss und Gewerbegebiet gefolgt.

Die Schiffe wollten alle nach Lüneburg, denn hier gab es Salz. Die Stadt ist aus dem Kloster Lüne, einer Burg (zack, fertig ist der Stadtname) und einer Saline entstanden, und letztere verschaffte der Stadt fast eine Art Monopol in der Hanse. Später musste sich die Stadt auf chemische Industrie und Kurbäder umstellen und die Saline im Jahr 1980 nach 1000 Jahren aufgeben (außer für den Kurbetrieb).

Durch die größte Stadt an der Ilmenau hat fast der ganze große Mittelteil von Niedersachsen den Namen Lüneburger Heide bekommen, auch wenn Lüneburg nur ein winziger Fleck in dieser Landschaft ist.

Dieser Fleck besteht aus bunten Fassaden, Handelshäusern und Backsteintürmen. Einer der Türme gehört zu einer Schifferkirche. Dass diese Kirche speziell den Leuten auf Schiffen gewidmet ist, ist an dem kleinen Kranz zu erkennen, der den Kirchturm kurz vor der Spitze umschließt.
Als ich Lüneburg erreichte, begann es auf die Schifferkirche zu schiffen.

Zwischen all den Ziegelsteinen fließt die Imenau und muss dabei die eine oder andere Wassermühle antreiben.

In diesem Ziegellabyrinth suchte ich den Ausgang aus der Stadt. Stattdessen landete ich am Wasserturm. Weil es immer noch regnete, versteckte ich mich darin vor dem Regen.

Auf der Aussichtsplattform habe ich es bei dem Wetter nicht lange ausgehalten, also schnell eine Etage tiefer. Im Wassermuseum habe ich gelernt, dass der Turm schon wenige Jahre nach seiner Fertigstellung 1907 gar nicht mehr ausreichte, um den Wasserbedarf der Stadt zu stillen. (Deutsche Bauprojekte konnten sich auch damals schon als Fehlschlag erweisen.) Als nächstes lernte ich, dass das Thema Wasserversorgung in Lüneburg schon wenige Informationstafeln später nicht mehr ausreichte, um auch nur den Bedarf einer einzigen Etage des Museums zu stillen. Also steht da noch was über allgemeine globale Wasserknappheit.
Eine Etage tiefer wird der große, ehemalige Wasserbottich eindrucksvoll beleuchtet. Darunter ist noch eine Ausstellung mit Kinderkunst.
Ein Lüneburger Schriftsteller hatte als Kind die grandiose Idee, sich an seinem fiesen Lehrer zu rächen. Er stand unten Schmiere, während sein Schulfreund sich nach oben zum Bottich schlich und... naja. Hinterher fiel dem Jungen auf, dass ja nicht nur der Lehrer, sondern auch alle anderen inklusive ihm selbst dieses Wasser tranken, woraufhin er sich weigerte, zu trinken, und fast verdurstet wäre - bis er zufällig herausfand, dass ein kleines Missverständnis vorlag: Der Mitschüler hatte nur reingespuckt und nichts Schlimmeres.
Das nur mal so an alle, die meinen, die Kinder seien heutzutage viel dümmer als früher.

Hatte der Regen inzwischen nachgelassen? Nein, nach einer Stunde im Wasserturm prasselte immer mehr vom Himmel. Ich wartete in einer Rasthütte im Wald, bis der Regen ein bisschen nachließ, aber aufhören wollte er partout nicht.

Das Heidekraut der Lüneburger Heide hat sich bis in die Vorgärten ausgebreitet. Kein Wunder, es sieht ja auch toll aus. Und so viele verschiedene Farben!

Am Kreisverkehr von Bienenbüttel bin ich falsch abgebogen.

Ich war zwar in die richtige Richtung unterwegs, aber auf dem direkten Radweg an der Hauptstraße. Das war ein durchaus vorteilhaftes Verfahren.

Irgendwann wollte ich dann aber doch zurück zum Fluss. Das ging leider nur auf einem feuchten Feldweg. Unter der nassen Erde verbargen sich alle möglichen spitzen Steine und Ziegel, die irgendjemand einst völlig schief zu einem Weg aufgeschüttet haben muss. Das Ergebnis ist eine höchst holprige Angelegenheit.

An dieser alten Mühle habe ich trotz des Wetters einen Ausflug eingeschoben.

Von der Ilmenau hatte ich bisher noch nicht allzu viel gesehen, da wollte ich mir diese kleine Besonderheit des Flusses nicht entgehen lassen. Ich irrte eine Weile durch ein Netz von Waldwegen, bis ich sie entdeckte.

Die Ilmenau hat hier ein hübsches Steilufer mit Wald drauf. Durch die Bäume ist die Ilmenau nur als grüngrauer Schemen zu erkennen. Ich hatte das Gefühl, ich sei so ungefähr der einzige Mensch in diesem Wald bei solchem Sauwetter. Aber als ich das Steilufer gerade verließ, tauchten doch noch ein paar nasse Wanderer auf und eroberten die trockene Rasthütte.

Das Wetter wurde und wurde nicht besser. Das Regenwasser und der Wasserturm in Lüneburg hatten mich so was von ausgebremst, dass ich keine Chance hatte, noch heute den Anfang der Ilmenau zu erreichen. Als ich den Kurpark von Bad Bevensen durchquerte, war ich schon pitschepatschenass.

Deshalb habe ich in Bad Bevensen aufgehört.
Waren Sie schon mal in Bad Bevensen? Ich schon. Das kam so: Vor einem Jahr saß ich am Bahnhof Uelzen und las in einem Buch namens Slow Travel den folgenden Reisetipp: Heiße Katastrophen willkommen. Dabei vertiefte ich mich so in die Lektüre, dass ich in den falschen Zug umstieg, eine Stunde in Bad Bevensen auf den richtigen warten musste und den Tipp aus dem Buch direkt umsetzen konnte. Das wäre mir an sich gar nicht so schwergefallen, hätte ich nicht versehentlich einer Frau auf Englisch den Weg in den falschen Zug gewiesen ("Is this the train to...?"- "Yes, yes..."), die mich am Bad Bevenser Bahnhof sehr böse anstarrte. Das schlechte Gewissen verdarb mir den Spaß daran, sich das nette weiße Kurstädtchen anzusehen.
Es stimmt: Ohne Katastrohen hätte ich hier häufig viel weniger Interessantes zu schreiben. Aber ich weiß nicht, ob diese Radtour schon eine Katastrophe darstellt. Sie war halt nur nass. Es regnete und regnete und regnete... spannender wird's nicht.