14 August 2025

Donau: Von Radvaň nach Esztergom

IV. Ungarn

Richtiger Name: Magyarország
Anteil an der Donau: 417,2 km (14,6 %)
Anteil am Donauradweg: max. 476,5 km (16,7 %)
Anteil der Donau an der Staatsgrenze: ca. 174 km (7,4 %)
Ufer: Weiden (beide Arten), Strände aus Kies und Schutt
Hauptstadt an der Donau? Ja (Budapest)
Größter Nebenfluss: Rába/Raab (250 km, mündet in die Mosoni-Duna)
Anzahl Inseln: 5
Größte Insel: Kleine Schüttinsel
Größter Wasserpark an der Donau: Aquaworld Budapest
Schönste Stelle: Donauknie bei Visegrád
Schlimmste Stelle: Maria-Valeria-Brücke und Straßenverkehr Esztergom
Radwege: schattiger mit gelben Linien, aber teils lückenhaft
Einreise: problemlos dank EU
Währung: 1 Forint=0,0025 € (was zur Hölle)


Was heute geschah, war unfassbar. Unbegreiflich. Niemand hätte es vorhersehen können. Hätte Donald Trump erklärt, er wolle fortan eine queerfeministische Abtreibungsklinik sponsoren, hätte mich das weniger überrascht als dieser Radweg im Schatten.

Auch wenn dieser Weg nicht völlig frei von Hindernissen war.

Und auch nicht die ganze Zeit im Schatten.
Dafür gab es in Kravany den römischen Wachturm Nr. 2, jetzt noch weniger römisch, stattdessen in der typisch neudeutschen Bauweise - Stahl im luftigen Holzmantel.

Allmählich wird der Donauradweg lebendiger. Im selben Stil wie der Turm wurde daneben ein Kiosk erbaut, der Softeis, Getränke und Snacks verkaufte. Und siehe da, auf einmal gab es doch andere Tourenradler, die das Zeug kauften. Wo wart ihr die ganze Zeit? Sind die die monotone Strecke an einem Tag so schnell durchgefahren, dass sie wir sie mit bloßem Auge gar nicht wahrnehmen konnten? Entweder das, oder sie haben die ungarische Seite gewählt, das kann natürlich auch sein.
Ein ungelöstes Rätsel blieben diese geschnitzten slowakisch geschnitzten Säulen. Es sind Störche und andere Vögel darauf zu sehen und allerhand Kreuze und Sonnen. Einige wurden als Torbogen um Gedenkplatten für wichtige Persönlichkeiten gelegt.

Ein verschlossenes Danubium und ein noch größeres Lost Place deuten darauf hin, dass dieser Rastplatz ursprünglich sogar noch viel größere geplant war.

Während der nächsten Badepause fanden ein paar sehr kleine Donaukrebse meinen Rücken so anziehend, dass sie sich darauf niederließen - und leise zwickend protestierten, als das Wasser auf einmal weg war. Unsere Eltern ordneten sie als "eine Art Krill" ein. Das erklärt auch, warum die Kieselsteinchen am Ufer nur so von ihnen wimmeln. Es fehlt an natürlichen Feinden, denn der Donauwal wurde bekanntlich schon tragischerweise vor langer Zeit ausgerottet.

Das Schwimmen in der Donau ist eine eher junge Tradition. Die meiste Zeit war es verboten, bis sich ab 1850 der Schwimmunterricht verbreitete und erste Schwimmbäder aus Holzstegen gebaut wurden - natürlich mit getrennten Bereichen für Damen und Herren. Diese mussten aufpassen, dass sie nicht von einem planlosen Schiff gerammt wurden. Dampfschiffe hatten die "Brüllschiffe" (geschleppte Holzschiffe) abgelöst und brauchten Fachpersonal aus dem Ausland. Wenn aber der Kapitän aus Mainz, der Steuermann aus (Buda)Pest und der Maschinenmann aus Birmingham kam, und keiner von denen je eine Fremdsprache gelernt hat, dann lief der Stahlkoloss auch gerne mal fachmännisch auf Grund.

Und dann passierte etwas noch Unfassbareres: Der Deichradweg endete komplett. Finito. Ein Industriegebiet stand im Weg. Wir radelten durch sonnige Dörfer und noch sonnigere Felder. Bunte Wegweiser wiesen in zwei Sprachen darauf hin, was es im Dorf alles so gab. Eine Familie in Badebekleidung gruppierte sich um ein einziges Fahrrad, das sie gemeinsam aufzupumpen versuchten.

Und ein alter Mann mit lauter Musikbox und rostigem Rohr auf dem Gepäckträger radelte uns langsam entgegen. Rost, Kräne und Gleise kündigten die Nähe der nächsten Doppelstadt an. Dabei gibt es dort gar keine internationale Bahnverbindung über die Donau.
Und dann tauchte am Horizont (nicht im Bild) ein Bauwerk auf, das in dieser Umgebung auf den ersten Blick wie eine Fata Morgana erschien. Dazu später mehr.

Diese Doppelstadt ist sehr viel unausgewogener. Die slowakische Seite heißt Štúrovo und hat laut Radführer keine einzige Attraktion. Er empfiehlt zwar, eine Weile zu bleiben - aber nur, um den Blick auf Ungarn zu genießen.
Dabei hat die Stadt immerhin zwei Attraktionen: Einen Ferien- und Wasserpark mit gewaltig viel Beckenfläche, viel größer als die Anlage gestern, und ohne faule Eier.

"Guten Tag, zwei der größten Schließfächer bitte."
"Zwei?!"
"Sie haben mich schon richtig verstanden."

Und zweitens hat Štúrovo eine überraschend grüne Fußgängerzone mit einem sehr abenteuerlichen Sammelsurium an schöner und scheußlicher Architektur.
Vielleicht mag die Stadt nicht das beste Aushängeschild der Slowakei sein für alle, die aus der entgegengesetzten Richtung kommen. Aber sie wurde nach einem der wichtigsten Slowaken überhaupt benannt. L'udovít Štúr war von Beruf Schriftsteller und Revolutionär. Im 19. Jahrhundert sammelte er die vielen Dialekte und schmiedete daraus die slowakische Sprache, wie sie heute gesprochen wird - eine Art Tschechisch, bei dem die Vokale durcheinandergeschüttelt wurden, mit einer besonderen Vorliebe für a, o, ie und ň. Den gefürchteten, unaussprechbaren Todesbuchstaben Ř (über kaum einen Buchstaben gibt es so viele Memes) dagegen fand Štúr unnötig und nahm ihn nicht in sein Alphabet auf. Allein dieser Verdienst für sein Land wäre wohl Grund genug, eine Stadt nach dem slowakischen Martin Luther zu benennen.
Umso schmählicher für den alten Štúrkopf ist es, dass das Märchentheater für Kinder in der Fußgängerzone auf Ungarisch gespielt wurde! Das verstanden wir sofort, weil wir nichts verstanden.

Vorbei mit der Slowakei! Über die grünliche Maria-Valeria-Brücke wechselten wir nach Ungarn. Ein total verrostetes Schild verbietet das Radfahren auf dem Bürgersteig, aber alle ignorierten es. Denn wer auf dieser Fahrbahn Fahrrad fahren will, dem sei stattdessen eine Reise in die Schweiz empfohlen - dort werden schmerzfreiere Möglichkeiten der freiwilligen Selbsttötung angeboten.
Und da ist sie auch wieder, die Fata Morgana, die Basilika von Esztergom. Ungarns größte Kirche zieht Kinnladen nach unten, Köpfe nach oben und Handys in die Hände. Inmitten wehrhafter Mauern auf dem Schlosshügel steht unbeeindruckt von all dem Verkehr da unten eine reine, weiße Kuppel.

Damit steht sie im Gegensatz zum Rest der Stadt, der uns wie schon Štúrovo mit sehr abenteuerlichen architektonischen Gegensätzen und Grünanlagen empfing.

Alles ist irgendwie abgewetzt und staubig, doch je tiefer wir reinfuhren, umso knuffiger fand ich die Stadt. Nur der Verkehr ist halt speziell und erfordert Umwege, um den großen Straßen auszuweichen. Manche Häuser hatten beinahe schon etwas von verwunschenen, überwucherten Ruinen aus einem Märchen, vielleicht ja dem in Štúrovos Fußgängerzone.
Abends sprudelte eine Reihe kleiner Fontänen in allen möglichen bunten Farben. Aber immer nur jeweils eine Farbe auf einmal. Hätten sie mehrere Farben gleichzeitig, könnte es sich ja um einen Regenbogen handeln.

Unser Häuschen ist nicht abgewetzt, sondern nur knuffig. Es liegt gegenüber vom (abgewetzten) Bahnhof, und abends schallten Durchsagen durch mein angekipptes Fenster, von denen ich rein gar nichts verstand. Was aber in dem Fall nicht an der ungarischen Sprache lag, sondern an Bahnhofsdurchsagen im Allgemeinen.

So, wir müssen erstmal dringend was nachkaufen. Die kleinen Supermärkte sind voller Fertiggerichte, selbst Tiefkühlware gibt es nur wenig, und frisches Obst und Gemüse überhaupt nicht - dafür sind offenbar Extrageschäfte da.

Um uns die "Wiege Ungarns", das "ungarische Rom" oder "Die Stadt der Schwarzen Reaktion" (laut den Sowjets) anzuschauen, mussten wir Treppen steigen. Auf der Karte sah der St.-Thomas-Hügel ganz interessant aus, und wir stiefelten an den alten Mauern und Felswänden hinauf. Eine Sonnenuhr verkündete auf Latein: EGO NIHIL SINE SOLI - TU NIHIL SINE DEO. So wie ich (also der Hügel, der hier anscheinend zu uns spricht) nichts ohne den Boden bin , bist du nichts ohne Gott. Demnach darf man Gott mit den Füßen treten?

Diese verwinkelten Gässchen da oben, ist das eine Altstadt?
Ist es nicht. Es ist ein offenbar sehr altes und grünes, aber eben auch stilles Wohngebiet. Die kleine weiße Thomaskapelle war verschlossen, und das mit Abstand Eindrucksvollste der Blick auf den nächsten Hügel. Wer nach außen schön baut, tut damit eben mehr Gutes für seinen Nachbarn als für sich. So von oben gesehen, sah das Ganze für mich eher nach Jerusalem als nach Rom aus.

Auf dem nächsten Hügel wanderten wir durch Burgtor um Burgtor um Burgtor. Während die ersten noch richtig alt aussagen, war das letzte Ziegeltor schon deutlich jünger. Von wann ist diese Burg denn nun?
Antwort: Es ist kompliziert. Bereits die Römer haben hier oben ihren Donaulimes gesichert. Als die Magyaren alles eroberten, machten sie Esztergom zu ihrer Hauptstadt - und damit zum Handlungsort eines sehr blutigen Finales. Denn das Nibelungenlied endet in der "Etzelsburg", und wahrscheinlich ist damit Esztergom gemeint. Nach all den Nibelungenstädten, die sich damit rühmen, dass die Protagonisten dort mal kurz Pinkelpause gemacht haben, sind wir nun am Ende der Geschichte angekommen - und es gibt keinerlei Hinweis darauf.

Esztergom konzentriert sich lieber auf echte Personen wie den ersten König von Ungarn: Stephan der Heilige wurde auf diesem Berg geboren und im Jahr 1000 gekrönt. Und hält sich hier auch heute noch auf, zumindest ein Teil von ihm: Der oberste Knochen in diesem Reliquiengefäß ist seiner, darunter schwimmen seine Nachkommen Prinz St. Emeric und König St. Ladislav - gleich drei aus der Familie wurden heiliggesprochen, eine Quote, die unsere Familie vermutlich nicht mehr erreichen wird.

Nachdem die Mongolen eingefallen waren, zogen die Könige nach Budapest. Der Primat der ungarischen Katholiken nahm den leeren Schlossberg in Beschlag, und seine Nachfolger gaben ihr Bestes, um die Könige an Prunk zu übertreffen. Viele Bischöfe waren begeisterte Kunstsammler, und ihre Sammlung wuchs.
Im ersten Raum der Burg waren Kunstwerke zu sehen, die vermutlich nicht zu ihrer ursprünglichen Sammlung gehörten. Die Free Art Gallery beherbergte kühle Luft und kunterbunte Bilder von Menschen, Wasser und Menschen am Wasser.
Das Burgmuseum dahinter wirbt auf Englisch mit See where the Archbishop had his sauna! Die Eintrittstabelle ist dann aber nur auf Ungarisch, sehr clever. Daher übersprangen wir das und gingen gleich auf den Mittelpunkt des ganzen Komplexes zu. Und der sah erstaunlich neu aus. Das hier soll die Wiege Ungarns sein?

Der Grund dafür ist der übliche Verdächtige, das Osmanische Reich. Als sich die Türken nach 140 Jahren zurückzogen, ließen sie eine Ruinenstadt mit gerade mal 400 Einwohnern zurück. Doch die Kirche war fest entschlossen: Wir bauen das wieder auf, größer als je zuvor! Auch wenn sie sich schon im 19. Jahrhundert befanden. Egal, wie viel Mühe sie sich gaben, bei der Jahreszahl konnte kein klassisches Bauwerk mehr bei rauskommen, höchstens ein neoklassisches.
Meine Eltern wirkten etwas ernüchtert, dass das Herz dieser ach so alten Kirchenstadt gar nicht wirklich alt ist. Aber, ich meine: Die Stadt heißt Esztergom, nicht Echterdom.
Auch als uns endlich die kühlen und - verhältnismäßig - stillen Hallen der Basilika umfingen, war der Anblick erstmal ernüchternd: Baugerüste. Auch ohne Rückkehr der türkischen Truppen nagt der Zahn der Zeit an Gottes Haus. Ah, das Bild da hinten zeigt Christi Himmelfahrt, oder? Fast, es ist Mariä Himmelfahrt. Das größte Leinwand-Altarbild der Welt war noch zu erkennen, doch zu einem Viertel verdeckt büßte es sehr an Wirkung ein, wie der Rest. Es sei denn, wir legten den Kopf in den Nacken und schauten senkrecht nach oben in die goldenen Verzierungen der Riesenkuppel und blendeten die Pfosten am Rande des Blickfelds aus. Dann ging's eigentlich.

Einen Raum weiter schwimmen die Knochen und Zähne der Heiligen in Flüssigkeit herum. Die einen wurden schon vor Jahrhunderten handschriftlich beschriftet und in kleinen rechteckigen Pillenboxen gesammelt, die wichtigeren schwimmen in altertümlichen oder moderner gestalteten Goldpokalen. Niemand betete zu ihnen, und die Atmosphäre war auch nicht gerade andächtig, denn sie standen im Religious Gift Shop (immerhin nicht zum Verkauf).
Das Kirchenschiff, die Reliquien, der Shop und das Panorama-Café im zweiten Stock (WC-Besuch nur gegen Entgelt, oder bei Verzehr im Café gegen Vorlage der Quittung) sind kostenlos zugänglich. Der Rest kostet Eintritt, und da wir besagten Eintritt bezahlten, kann ich verraten, woraus dieser Rest besteht.

Die Schatzkammer ist voller Sammelobjekte der Bischöfe: Wandteppiche und Talare mit eingewebten Gestalten, ihre Gesichter sind längst vergilbt, dazu Goldpokale und goldene Bischofsstäbe. Überraschenderweise stammt nur wenig davon aus Ungarn, sondern fast alles aus dem Italien der Renaissance.
Fotografieren darf man darin nicht. Immerhin konnte ich dieses Modell ablichten. Hö, diese Seitenflügel habe ich da draußen gar nicht gesehen? Der Wiederaufbau des Schlosshügels ist nicht so groß ausgefallen wie ursprünglich geplant, trotzdem war die Wiedereröffnung natürlich ein Riesending in Österreich-Ungarn, Franz Liszt komponierte extra eine Messe.

Am Eingang stiegen wir dann eine Treppe runter - und befanden uns in einer anderen Welt. Einer kühleren und erhebenderen Welt. Die sogenannte Unterkirche wirkt gleich viel älter, es war, als würden wir die (sehr gut erschlossenen) Katakomben zu einer vergessenen Zivilisation betreten. Dabei sind die Menschen, die hier begraben wurden, oft gar nicht so alt.
Diese Räume werden als Krypta der Kardinäle benutzt. Sie liegen hinter schlichten, zubetonierten Betonplatten (hinten im Bild), und ihre Namen wurden im Nebenraum auf marmorne Scheiben (rechts) eingraviert. Die allermeisten Scheiben sind noch frei, die ungarische Kirche blickt optimistisch in die Zukunft.

Ein Grab aber steht im Mittelpunkt all dessen, ist mit bunten Tüchern und Blumen geschmückt.
All das hier riecht derart nach reichem, religiösen Establishment, dass man leicht übersehen kann, dass es auch unter den Klerikern manchmal mutige und unbequeme Menschen gab. So wie József Mindszenty. Dieser Kardinal machte den Mund auf, schrieb und predigte gegen alles, was ihm ungerecht erschien: Eine zu linke Regierung in der Republik, aber eben auch die Deportation der Juden, Hinrichtungen und Verstaatlichung aller Schulen im Kommunismus. Die Arbeiterpartei ließ ihn foltern, unter Drogen setzen, ein Geständnis unterschreiben und im Schauprozess verurteilen. Beim Ungarischen Volksaufstand 1956 befreiten ihn die Aufständischen und trugen ihn in einem Triumphzug nach Ungarn. Als dann aber Russland einmarschierte, um den Aufstand niederzuschießen, floh er in die amerikanische Botschaft und lebte schließlich im Exil in Wien. Dort verscherzte er es sich sogar mit dem Papst, der laut Mindszenty viel zu nachgiebig gegenüber den Kommunisten war - am Ende enthob ihn der Papst seines Postens.
Das klingt alles nach weit entfernter, dunkler Vergangenheit. Aber zeitliche Abstände hängen immer vom Blickwinkel ab. Als wir unserer Oma ein Bild schickten, schrieb sie, in Esztergom sei sie 1970 auch einmal gewesen.
Da war der Mann in dieser Gruft noch am Leben und verschanzte sich in der US-Botschaft.

In die gegenteilige Richtung der Gruft zu steigen, ist das genaue Gegenteil von erhebend. Bisher waren die Räume mäßig gefüllt, aber auf die Kuppel wollten auf einmal alle. Und der komfortable Aufzug zur Schatzkammer und zum Panoramacafé reicht nicht so weit nach oben. Ich landete eingekeilt auf einer endlosen, wahnsinnig engen Wendeltreppe voller schnaufender Touristen, so viel Platzangst hat weder der Aufstieg auf den Kölner Dom noch das Ulmer Münster zu bieten.
"Digger, wieso seid ihr alle so fit?", keuchte ein digger Junge auf Deutsch.
Naja, so fit klang die Geräuschkulisse für mich nicht. Wieso bin ich, der ich im Schulsport immer zu den schlechtesten gehörte, auf einmal derjenige, dem dieser Aufstieg und diese Tour am wenigsten auszumachen scheint? Wo sind die fitten Leute von damals? Offenbar nicht in Esztergom.
Schließlich ließen die Mitarbeiter eine großzügige Portion Touristen die finale Treppe hinauf in die nicht sehr prunkvolle Innenseite der Kuppel. Wie das schwarze Hinterzimmer eines Theaters.
Und dann raus.

Die Aussicht über die Donau ist wirklich toll, auch wenn das Donauknie noch nicht zu sehen war. In Štúrovo war der Wasserrutschenturm klar zu erkennen. Eine Wasserrutsche hier runter wäre jetzt nicht das schlechteste für die schwitzenden Menschenmassen, dann wäre auch der Besucherfluss deutlich schneller.
Es ist ein seltsames Gefühl, von außen um so eine Kuppel zu gehen, ganz anders als bei einem klassischen Turm. Kleiner Tipp: Egal, wie erschöpft du bist, lehne dich nicht an die Wand neben dir an.
Das Metall war glühend heiß.

Unser Räder übernachten in einer völlig überdimensionierten Garage.

13 August 2025

Donau: Von Komárno nach Radvaň

Radfahr'n nach Radvaň macht Spaß. Denn zum heutigen Ziel waren es weniger als 25 Kilometer. Und das brauchten wir auch. Denn als wir die Váh auf einer rostigen Brücke überquert hatten, landeten wir wieder einmal auf dem gleichen heißen Dammweg.
Außer das auf einmal graue Grundmauern neben dem Damm und eine Unesco-Symbol auf dem Radweg auftauchten.
Die Römer schipperten und schnupperten an dieser Stelle auch am Nordufer der Donau vorbei. Während der Markomannenkriege bauten sie ein einfaches Lager und sicherten es mit Erde und Holzpalisaden. Die Germanen fanden das ästhetisch nicht sonderlich ansprechend und äußerten diese Architekturkritik, indem sie alles zerstörten. Als die Kriege ausgefochten waren, baute Rom ein stabileres Lager mit meterdicken Steinmauern. Das hielt dann auch tatsächlich stand, bis sich das Römische Reich im 4. Jahrhundert generell aus der Gegend verzog. Kommandiert wurde es einem Grabstein zufolge von Marcus Vinius Schwanzus Longinus.
Heute ist vom Lager Kelemantia nicht mehr so viel übrig, das Wesentliche kann man eigentlich schon vom Radweg aus überblicken. Ein bisschen lässt sich an der Außenmauer noch ablesen, wo Türme und Tore standen, das war's aber auch schon.

Auf der anderen Seite des Deichs fließt die Donau, und ihr Ufer ist so ästhetisch ansprechend, da hätten selbst die Germanen nix zu meckern gehabt. Schlanke Bäume wachsen aus dem weißen Sand. Wir stürzten uns hinein, und... whoa, was ist denn hier los? Die Strömung zog uns ständig stromabwärts, allerdings eher in Richtung Ufer als weg davon. Wem das Schwimmen in der Sonne mit Gegenstromanlage zu anstrengend ist, der kann im Schatten der Bäume auch ein erholsames Schlammpeeling genießen. Aah! Und hier kommt auch keiner mit dem Auto hin, der uns stören könnt...
WruummmMMMMMM...!
Ein Speedboat schoss die Donau herunter. Und wieder rauf. Und wieder runter. Ahja, richtig. Diesen eiligen Herrn hatten wir schon vorhin an der Váh-Mündung gehört, doch natürlich war die Fahrt auf diesem Fluss langfristig nicht genug, um sein Selbstwertgefühl aufzuwerten.
Gegenüber lag übrigens ein Lastschiff an einer komischen Betonfestung, vielleicht ein Kriegsüberbleibsel, das nun als Anlegestelle dient.

Diese Etappe ist doch ein bisschen lebendiger: Es gibt eine Fähre rüber nach Ungarn und zwei Imbisse in erreichbarer Nähe, das ist für die Länge okay. Und auch zwei Rasthütten, deren komisch gebogene Dächer aber keinen gescheiten Schatten spendeten. Besser war da schon der kühle römische Wachturm, auch wenn seine Fenster etwas schmuddelig waren. Anders als damals ist er frei zugänglich per Treppe, während in der Antike jemand von oben eine Leiter runterlassen musste. Aber genau wie damals zieht sich ein hölzerner Balkon einmal außenrum. Da drin hatten vier bis fünf Männer Dienst, die den Abstand zum nächsten Lager durch intensives Gucken überbrücken sollten. Anders als damals ist der Turm heute für jeden frei zugänglich.

Oben sahen wir im Prinzip dasselbe wie von unten, nur halt von oben. In der Ferne erschienen neue Blaue Berge - sollen das schon die Berge am Donauknie sein, die wir übermorgen erreichen? Ich weiß ja, dass unsere Tagesetappen jetzt kürzer sind, aber so kurz? Nein, die vordersten Berge werden schon heute erscheinen, allerdings am anderen Ufer.

Neben der Fahrradinfrastruktur nahm auch die Dichte an Störchen und sichtlich abgeschrabbelten Häusern deutlich zu.
Wieso hat eigentlich jedes Kaff hier eine Miniversion des Berliner Fernsehturms? Mapy.cz gab Antwort, es sind Wassertürme. Meine Mutter gab weitergehende Antworten, nämlich, dass die Dinger einst "Steuerknüppel des Sozialismus" genannt wurden.

Bei dem Wetter hat jeder das Bedürfnis nach einem Bad, auch römische Soldaten. Es gibt Berichte, wonach die Römer aus dem Lager Kelemantia gern in matschigen Seen badeten, aus denen 27 Grad heißes Wasser aufstieg. In Patince, am südlichsten Punkt der Slowakei und nur ein kurzes Stück vom Radweg entfernt, beginnt eine Reihe heißer Quellen, die entlang der Donau bis zur Marghareteninsel in Budapest reicht. (Wobei es auch schon in Komárno ein ganz ähnliches Thermalfreibad geben soll, warum das nicht zur Kette gehört, erschließt sich mir nicht.) 1953 wurde intensiv nach dem Wasser gebohrt, und heraus sprudelten neben H2O auch Biocarbonate, Kalzium, Magnesium und Sulfate. Die sollen gut für Muskeln und Skelett sein, was bekanntlich Ausrüstungsgegenstände sind, die man immer gebrauchen kann, nicht nur beim Radfahren.
Nur haben die Sulfate eine gemeine Nebenwirkung: Sie riechen nach den Eiern, die dein Mitbewohner vor dem Urlaub im Kühlschrank vergessen hat. Am intensivsten roch es auf dieser hölzernen Insel auf einer originalen Thermalquelle. Über den Seerosen spritzt und sprudelt das Eierwasser kühl und erfrischend aus einem pilzförmigen Springbrunnen, macht das Holz saumäßig glitschig, lässt die völlig verrosteten Schrauben wie Seepocken aussehen, und riecht.
Allzu lange blieb hier niemand sitzen.

Ansonsten machte das Thermalbad von Patince Kupele, anders als diverse Bewertungen sagen, auf mich durchaus einen ordentlichen und gepflegten Eindruck. Klar, die ganze Umgebung des Ferienparks, verfallene Betonwege und rostige Kassenhäuschen, deuten darauf hin, dass die Anlage mal ein gutes Stück größer und wichtiger war, vielleicht noch im Sozialismus. Aber das, was erhalten wird, wird auch erhalten.
Im Innen- und Außenbereich gibt es verdammt viel Beckenfläche. Ein Wegweiser verweist zur Rutschenwelt, obwohl nur eine einzige langsame Rutschen am Außenbecken steht. Ist diese Rutschenwelt hier mit uns im Raum? Ist sie, mehr oder weniger. Wer den Wegweisern etwa einen Kilometer an leeren Becken vorbei folgt, der erreicht mit verbrannten Fußsohlen tatsächlich diesen Rutschenturm.

Am Imbiss nebenan ließ sich derweil ein deutsch-slowakisches Ehepaar nieder. Der schüchterne Deutsche bat seine Frau, ihm auf Slowakisch ein großes Bier zu bestellen.
Die burschikose Frau entgegnete: "Das schaffst du doch selber. Sag einfach: Jedno. Velke. Pivo. Prosim."
"Nein, mach du lieber."
Das wiederholte sich einige Male, ehe die Frau zum Tresen ging und mit derselben slowakischen Subtilität, die wohl auch für das tschechische Haus in Komárno verantwortlich ist, ein kleines Bier bestellte.

In Žitava erwarteten uns gleich mehrere Überraschungen: Der Deichweg war zu Ende und ging in die einzige Dorfstraße über. Ein kleiner Weinberg (ohne Berg) erstreckte sich am Wegesrand. Und auf ihn folgte so ein eigenartiges Denkmaldach mit... einem Halbmond drauf? Ich dachte, die Türken waren hier immer die Feinde gewesen?
Ja. Und deshalb erinnert das Denkmal an den Frieden von Žitava, als der deutsche Kaiser, der ungarische König Rudolf I. und der türkische Sultan Ahmend I. 1606 ihre Streitigkeiten durch Verhandlungen beilegten. So etwas gab es eben auch.

Okay, aber wieso ist der Deichradweg zu Ende? Mein Bruder war zunächst erleichtert, bis ich darauf hinwies, dass die Dorfstraße keineswegs mehr Schatten bietet.
Unsere Pension in Radvaň nad Dunajom beantwortete die Frage: Kein Platz. Diese Dörfer sind nah am Wasser gebaut. Den Zusatz nad Dunajom ("über der Donau") haben sie sich redlich verdient, indem sie so ganz ohne Angst vor Hochwasser gebaut haben. Andererseits: Der Höhenunterschied zum Wasser ist wahrscheinlich höher als der Deich vorhin. So langsam machen sich die Berge auch auf dieser Seite bemerkbar.
Die Lage ist auf jeden Fall ein Traum, eine Terrasse mit Donaublick hinter jedem Zimmer, eine Donauterrasse am Restaurant, eine grüne Donauterrasse mit Mini-Pool und schließlich ein Donaustrand. Die Deko im Restaurant deutet darauf hin, dass hier oft Hochzeiten stattfinden, und das einzige, was daran keinen Sinn ergibt, ist: Wo sollen die restlichen Gäste unterkommen, sobald alle Zimmer (1 bis 5) voll sind?

Noch immer düsten Sport- und Speedbootfahrer durch die Gegend. Aber auch ein Trio aus Kanufahrern verließ gerade das Restaurant und kehrte zu seinen Booten zurück. Ach, die wollen hier gar nicht übernachten? Warte, wo paddeln die denn jetzt noch hin, die Sonne geht doch schon unter?
Und wie kommen sie überhaupt zurück? Die Strömung ist brutal, stromaufwärts schwimmen konnte ich nur mit großer Anstrengung. Wer entspannt schwimmt, schwimmt rückwärts. Ein paar Meter weiter draußen konnte ich nicht mal stehen, die Donau schleifte zu ihrem ewigen Gesang meine Füße über den Kies. Wie!? Der Rhein war längst nicht so heftig, als er so breit war.
Aber die Kanufahrer wollten ja stromabwärts, also entfernten sie sich schnell und mussten nur symbolisch paddeln. Ah! Das erste Kanu steuerte eine größere Donauinsel an, dort wollten sie bestimmt ihr Zelt aufschlagen. Ihre Nacht wird damit wahrscheinlich ungefähr so malerisch wie unsere.
Später ging der Vollmond auf. Im Nachbarzimmer brabbelten die Kinder, die abends um acht im Restaurant noch Kofola getrunken hatten, unruhig in die Nacht hinaus. Die Grillen zirpten (taten sie schon den ganzen Tag) und die Donau rauschte in erstaunlich lauten Wellen an den Strand. Warum ist das nur nachts so laut zu hören? Selbst von unserem Zimmer aus klingt sie wie ein großer See oder ein kleines Meer. Es ist ein Geräusch des tiefen Friedens, welchen die Eltern der Kofolakinder in diesem Moment vermutlich nicht empfanden.

Unsere Fahrräder übernachten hinterm Bartresen, ebenfalls mit Donaublick.

11 August 2025

Donau: Von Vrakúň nach Komárno

Hinter der zweiten Staumauer wird der Privodný kanál zum Odpadový kanál (Müllkanal?). Aus irgendeinem Grund ist er genauso breit wie oberhalb der Mauer. Wirklich eine seltsame Stauanlage.
Ein paar Kilometer weiter vereinigt sich das alte Flussbett (hinten) mit dem Odpadový kanál (rechts), womit wir wieder eine einheitliche Donau hätten, auf der jetzt auch die Grenze nach Ungarn verläuft.

Raider wird zu Twix, sonst ändert sich nix.
Am slowakischen Nordufer wurden wir nach wie vor auf dem Deich gebacken, auf der einen Seite Bäume mit zu viel Abstand, auf der anderen tote Dörfer. Nur ein einziges hatte ein Bufet, und an dem fuhren mein vorauspreschender Bruder und ich schnurstracks vorbei.

Und Badeseen? In Klížska Nemá sollte es einen geben. Aber wo ist kristallklare Blau von gestern geblieben? Der schmutzige Kies bricht abrupt ab in eine kotzgrüne Suppe. Dass mitten an einem Samstag kein einziges Dorfkind da drin baden wollte, stimmte uns skeptisch.

Schatten? Gab es auf dem Radweg insgesamt zweimal für jeweils fünf Meter.
Rasthütten? Das hier war die einzige. Immerhin zur Hälfte im Schatten, doch um reinzukommen, musste man sich ducken, und die Hitze staute sich unter dem Teerdach.

So wurde dieser Tag und nicht der letzte zum anstrengendsten der ganzen Tour.
Naja, immerhin bestand fast alles aus Asphalt oder brauchbaren Betonplatten. Lieber so auf dem Deich gebacken werden als auf den längeren Dorfstraßen, wo laut Karte manchmal die Hauptroute verläuft.
Trotzdem ist es tragisch. Was die Qualität des Radwegs angeht, scheint Wien-Budapest die beste Staffel des Donauradwegs zu sein, und was die Infrastruktur drumherum angeht, bisher die schlechteste. Solch einen Gegensatz habe ich noch nie erlebt.
Kein findiger Unternehmer traut sich, in einem der leerstehenden Häuser eine Radlerunterkunft zu öffnen. Für wen habt ihr dann diesen Asphaltweg auf den Deich gegossen? Für lokale Rennradler? Davon zischten viele vorbei, auf jeden Fall mehr als die Tourenradler, von denen erst ab 11 zaghaft ganz wenige herauskamen. Aber ist ja auch gut, wenn die Menschen vor Ort etwas von den EuroVelo-Radwegen haben.
Immer wieder fielen uns rätselhafte weiße Steinreihen auf. Da hat jemand mit den Grenzsteinen aber komplett übertrieben. Trennen die die Gemarkungen der Dörfer voneinander oder nur Privatgrundstücke? Egal, es ist zu heiß, um darüber nachzudenken.

Was also tun, um die Familie heil durch das slowakische Bratblech zu bringen?
Es hilft nichts: Immer wieder runter vom Deich und im Schatten der Bäume ausruhen. Und nochmal. Und nochmal.
Abgesehen davon fanden wir noch zwei andere Ansätze.
Am staubigen Rande der Hauptstraße nach Gabčikovo saß eine einsame Frau an einem Melonenstand. Die Melonen sahen tatsächlich gut aus (auf jedem Fall viel besser als die fliegenübersäten aufgeschnittenen Melonen auf dem Bauernhof ein paar Kilometer vorher). Sie pickte für uns die kleinste heraus, die immer noch verdammt groß war und happige 13 Euro kostete. Mit Ach und Krach bekamen wir sie provisorisch für ein paar Kilometer in meine Fahrradtasche. Ob das eine gute Idee war?
War es. Wir schnitten, schlürften und löffelten das Obst zu viert leer, und sie war so süß und saftig, wie eine Wassermelone nur sein kann, möglicherweise die perfekte Melone. Mit vollem Bauch, satt und das genaue Gegenteil von dehydriert, lagen wir im Gras, und ich konnte nicht anders, mir entwich ein Melonenrülpser. Nur die Idee, die halbe Schale als Helm zu tragen, trug keine Früchte. Für die ersten Kilometer kühlte er noch, dann heizte er sich viel stärker auf als ein Fahrradhelm. Außerdem denken dann alle, man hätte das berühmte Melonen-Fahrradhelm-Experiment komplett missverstanden.

Die andere Idee: Einfach wieder in der wiedervereinigten Donau baden. Das Wasser ist zwar nicht unbedingt klarer (auch nicht bedingt), doch nach dem Zusammenfluss entdeckten wir wieder erstaunlich schöne Strände mit Sand, Muscheln und Baumwurzeln, die bis ins Wasser ragten. Die Fahrrinne für Schiffe lag auf der anderen Seite, und so sind zumindest ein paar Schwimmzüge in Ufernähe unter diesen Umständen hoffentlich verzeihlich. Die Gegenstromanlage war eingebaut, denn die Strömung war verdammt stark, die Wellen des einzigen Lastschiffs dagegen noch relativ zahm.
Als ich bis zum Hals im Wasser steckte, hörte ich folgendes: Rrschschsch... Es war das endlose Rauschen der Donaukiesel am Grund, der Gesang des Flusses, aber eben auch, wie Andreas Fath es über den Rhein formuliert hat, "eine große Plastikmühle".
Wobei die Slowakei in der Hinsicht gar nicht so schlimm zu sein scheint. Nach einer Weile fuhren zwei Autos vorbei und parkten direkt am Strand, packten bei laufendem Motor Liegestühle und einen Grill aus. Die waren eindeutig gekommen, um zu bleiben, zumindest länger als wir. Wenn die hier öfter so was veranstalten, dann ist es bemerkenswert, dass wir an diesem herrlichen Strand überhaupt keinen Müll gefunden haben.

Wie gehen die Slowaken sonst mit der Hitze um? Machohaft und nicht unbedingt auf die schlauste Art. Viele radeln oberkörperfrei oder im Bikini. Sonnencreme ist unerwartet teuer und scheint nicht so wahnsinnig verbreitet zu sein. Kurz vorm Ziel kam uns ein Herr in Unterhose entgegen, und seine krebsrote Haut verkündete, dass dem Hautkrebs das gelungen war, woran die Türken einst gescheitert waren: Die Donauufer dauerhaft zu erobern.
Auch scheinen die Slowaken etwas distanzierter und weniger sozial zu sein als die Tschechen. Es dauert, bis sie auftauen - der einzige, bei dem ich lange genug anwesend war, war mein Sitznachbar im Nachtzug nach Wien auf der Anreise. Meine Mutter war sehr froh, dass sie einen Tschechen geheiratet hatte.

Schließlich guckte am anderen Ufer ein fetter skeptischer Kreis aus Backsteinen mit grünem Dach herüber, das Fort Monostor. Es stammt von 1850, damit ist es die größte neuzeitliche Festung in Europa.

Das Fort ist Teil der ungarischen Stadt Komárom, die sich ansonsten mit ein paar Kirchtürmen und Blocks eher bedeckt hält. Aber gut, bei einem derart breiten Fluss kann man nicht erwarten, allzu viel zu erkennen.
Als das Nordufer an die Slowakei ging, wurde diese Stadt in zwei Hälften geteilt, und damit man die auch auseinanderhalten kann, heißt der slowakische Teil Komárno. (Obwohl der Name wahrscheinlich von komár, also Mücke, kommt, nahm die Mückendichte mit der Einfahrt in die Stadt rapide ab.) Eine neue Straßenbrücke, eine Eisenbahnbrücke und schließlich eine alte Straßenbrücke verbinden die beiden - erst gibt es ewig keine Brücken und dann gleich ganz viele auf einen Streich. Eine davon muss die Brücke der Freundschaft sein. Dabei war durchaus wenig Freundschaft zu spüren, als diese Donaugrenze 1918 gezogen und die Stadt geteilt wurde. Der größte Feind waren damals nicht irgendwelche fernen Deutschen oder Russen, sondern der Nachbar direkt gegenüber. Es gab ungeklärte Konflikte um den Grenzverlauf, Aufrüstung und die Befürchtung, dass Ungarn als Verlierer des Ersten Weltkriegs sich das verlorene Ufer (auf dem eine beträchtliche ungarische Minderheit lebte) zurückholen will. Wollte es auch unbedingt, aber durch Verhandlungen. Bei der Konferenz in Komárno 1938 machte die Tschechoslowakei verschiedene Kompromissvorschläge, aber einen so großen Teil ihres Gebiets wollten sie natürlich nicht einfach so abgeben. Weil sie sich auf nichts einigen konnten, wollten sie durch Schiedsspruch entscheiden lassen, und als Schiedsrichter wählten sie zwei ganz objektive, vernünftige Männer namens... Hitler und Mussolini. What?! Beide hatten sich heimlich mit Hitler verständigt und waren sicher, er würde in ihrem Sinne entscheiden. Aber Ungarn hatte zusätzlich Mussolini auf seiner Seite, und der überzeugte Hitler, Ungarn vollumfänglich Recht zu geben. Mit den Ersten Wiener Schiedsspruch kam das Nordufer also nochmal für ein paar Jahre zurück nach Ungarn.

Über eine kleinere und sehr viel ältere Brücke radelten wir in die Stadt rein. Schranken, Kräne, Schornsteine und Rost, so richtig einladend war das alles nicht. Komárno (unnötige Eindeutschung: Komorn) ist etwas, das ich so weit vom Meer entfernt nicht erwartet hätte: Eine Werftstadt. Hier entstehen Donau- und sogar Hochseeschiffe für die Slowakei.

Dann aber bogen wir ab und standen urplötzlich in einer richtig gemütlichen Altstadt. Auf dem Klapka-Marktplatz musizierte ein Saxophonist, in den Restaurants klapperte das Besteck. Alles war ein bisschen niedriger und unaufgeregter als in Bratislava. Und es gab Schatten!
Der Platz wurde nach General Georg Klapka benannt, der da auch als Statue rumsteht. In seiner militärischen Karriere stand die Stadt immer wieder im Mittelpunkt, er hat sie gegen Russen und die Revolutionäre von 1848 verteidigt, wurde zwischendurch bei einer Belagerung komplett eingeschlossen und brachte es dabei zum provisorischen Kriegsminister und Abgeordneten.
Neben dem Schiffbau scheint die Stadt noch einen zweiten Wirtschaftszweig zu haben: Goldhandel und Pfandleihen. Die Stadt wimmelt von diesem Geschäftsmodell, das ich eigentlich nur noch aus Geschichten kannte. Im Dönerhandel dagegen bekleckert sich diese Stadt wirklich nicht mit Ruhm, sondern lediglich mit Tatarská und Ketchup.

In der eindrucksvollen Barockkirche haben alle Omis Stammplätze, die an der mit Vornamen beschrifteten Tüte zu erkennen sind. Darin steckt das Kissen, auf dass sie sich im Gottesdienst niederknien.
 
Von dem Fenster unserer Wohnung sahen wir direkt auf den Europa-Platz, ein etwas versteckter zweiter Marktplatz mit Hinterhof-Aura, der ursprünglich Teil einer Festung war. Um den Springbrunnen stehen die Statuen europäischer Monarchen. Nur der Sockel von Bela III. ist leer. Was hat er angestellt, damit er nicht gezeigt werden darf - eine Punkband gegründet?
Rundherum drängen sich 45 Häuser, die verschiedene Länder und Regionen in Europa repräsentieren sollen. Der genaue Plan, welches Haus welches ist, findet sich nirgendwo online, sondern nur versteckt in einer Ecke am Platz, damit alle erstmal raten. Das deutsche Haus (das Fachwerkhaus rechts) stammt als einziges nicht vom Ende des 20. Jahrhunderts, sondern ist das älteste der Stadt. Wir übernachten allerdings im rosaroten dänischen Haus in einer Wohnung, deren Architekt alles superfancy machen wollte, selbst wenn dafür die Funktion komplett baden geht, oder der komplette Flur, weil die Dusche ausläuft.

Preisfrage: Welches ist das tschechische Haus?
Das ganz rechts.
Wohl dem, der auf einem Kontinent lebt, auf dem Kriege durch solch fiesen Spitzen ersetzt wurden.

Doch in Komárno tobten vorher viele Kriege, natürklich auch wieder gegen die Türken. Die fette Festung hat einen massiven Wall aus Gras und Backsteinen, dahinter gehen die langen Kasernen los, die eine Hälfte weiß gestrichen, die andere heruntergekommen. Wer mehr sehen will, muss eine Führung mitmachen, die nur zweimal täglich startet.
Es war damals die größte Festung in Ungarn, und weder das Osmanische Reich noch die Revolutionäre von 1848 schafften es rein. Weder mit List noch mit Kraft soll irgendwo an der Spitze reingeschrieben sein. Mag sein, aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Die Türken gingen einfach außenrum und schafften es so bekanntlich bis kurz vor Wien.

Die Festung steht in der Landspitze zwischen Donau und Váh (Waag), der zentrale Fluss der Slowakei,  welcher der Donau jede Menge Wasser aus der Hohen Tatra mitbringt. Quasi die slowakische Moldau.

Unsere Räder stehen heute Nacht in einer Art Wäscheraum.