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22 Juli 2025

Ahr: Von Blankenheim nach Kripp

Meine Damen und Herren und alle anderen, ich begrüße Sie zum Vorabend der Tour de Ahrtal 2025! Wer wird dieses Jahr das Rennen machen? Die Veranstalter haben es dieses Jahr besonders schwer gemacht, denn die erste Herausforderung besteht gleich in der Anreise. Die Bahn zum Bahnhof Blankenheim (Wald) fährt wegen Bauarbeiten nicht, unten im Tal ist die Bahn zerstört, und am Sonntag fährt kein Bus, nicht einmal morgens vor Veranstaltungsbeginn. Wie es aussieht, werden die meisten einfach unten starten, aaber da sind auch ein paar besonders clevere Teilnehmer, die schon den Radbus für den Vorabend gebucht haben. Der frühe Vogel und sein elektrischer Begleiter fahren bis hoch zum Schwanenweiher von Blankenheim, genau so wie das Ehepaar Florian und Fiona Frühbucher. Damit ist der große Fahrradanhänger noch lange nicht voll, da wäre noch Platz, nur: Wo sollen all die Leute übernachten?


Und hier sehen wir auch schon unseren Ehrengast an der Tour der Ahrtal: Die Ahr. Sie hat sich ein Zimmer in einem vergitterten Keller eines Fachwerkhauses gebucht und ausgeruht, und da startet sie auch schon ins Rennen. Ihr Name kommt übrigens vom Wort aha - das heißt, kurz und bündig, Wasser. Aha. Völlig zu Recht haben die Bewohner erkannt, wie viele Flachwitze sich mit diesem Namen machen lassen, und darum lesen wir auf den Schildern von hAHRmonie, der AHRche und ähnlichen wunderbAHRen Wortspielen.

In den sonnigen Gassen beginnt sie mit ersten Aufwärmübungen, sogar im Kneippbecken. Die Bewegungen wirken hier noch ein bisschen eckig und unnatürlich, aber das wird schon. Was für eine schöne Stadt, hier und da auch noch mit Wandmalereien und vielen Kletterrosen, und dann auch noch mit Burgruine obendrüber. Da werden die anderen Ahrstädte große Mühe haben, mitzuhalten. Übrigens gibt es auch einen 150 Meter langen Tiergartentunnel, der die Burg extra mit Quellwasser versorgt.
Und auch unsere ersten Teilnehmer gucken sich verirrt um, haben sich wahrscheinlich gefragt, ob man hier überhaupt was zu essen kriegt, und jetzt haben sie die Wahl zwischen vielen Restaurants, ach nein, ich höre sogar, bei manchen sind die Tische ausgebucht.

Florian und Fiona Frühbucher haben sich anscheinend schon in ihre Pension zurückgezogen. Aber was machen der frühe Vogel und sein elektrischer Begleiter? Ooh, sie zögern noch, wirken etwas unschlüssig: Unterkünfte? Sind ihnen wohl zu teuer und zu weit weg. Wild zelten? Nein, alles Naturschutzgebiet und in NRW sowieso nicht erlaubt. Ah, jetzt wurde anscheinend eine Entscheidung getroffen und sie radeln los auf den Ahrtal-Radweg - die Bundesstraße ist ja erst morgen gesperrt. Das heißt natürlich auch, sie verpassen schonmal den ersten Stempel, die Fitnessstation Pumptrack an der Weiherhalle, in Blankenheim.
Und hier sehen wir den leeren Radweg, wie er anfangs noch in einer historischen Unterführung unter der Trasse der Ahrtalbahn durchgeht, bevor er auf die Bahntrasse wechselt. Der Weg ist sehr versteckt und dicht bewachsen, da können wir von der Straße aus gar nicht alles so genau erkennen. Wo sind sie denn jetzt?

Ach so, verstehe, sie sind auf die Straße den Berg hinauf zum Eifel-Camp abgebogen. Was für ein Campingplatz, meine Damen und Herren, gleich gegenüber ist der Freilinger See, ein wunderbarer Stausee, und ja, sie schwimmen trotz der Anstrengung noch eine Runde nach drüben, aber hoppla, da scheint es schnell tiefer zu werden im Wasser, Vorsicht.
Und wir sehen auch, dass auf diesem Campingplatz noch ungewöhnlich viele Zelte stehen, stellenweise mehr als Wohnmobile, das sieht man auch selten heutzutage. Aber was ist das? Ooh, das ist böse, eins der Fahrräder scheint massive Schwierigkeiten zu machen. Sie telefonieren, aber nein, auch keiner der Fahrradwerkstatt-Stände morgen an der Strecke wird diesen Schaden beheben können, dafür ist kein Ersatzteil da. Einer der beiden muss aus dem Rennen aussteigen und lässt sich abholen, schade, einfach nur schade.

Wir schalten am nächsten Morgen zu und der frühe Vogel ist diesmal nicht ganz so früh unterwegs. Florian und Fiona Frühbucher sind schon lange losgezischt, es ist 10:45, der Radlersegen in Blankenheim wurde schon abgesegnet und die Tour de Ahrtal läuft bereits seit 45 Minuten. Da erst stößt der frühe Vogel zur Route. Und ich muss sagen, diese Straße sieht noch ziemlich leer aus. Starten wegen der schwierigen Anreise etwa alle unten und haben es noch nicht so weit nach oben geschafft? Nein, da kommt auch schon Familie Flottheimer angeradelt, gleich zwei Kinder auf Kinderfahrrädern haben sie dabei, dafür sind sie aber wirklich schnell unterwegs. Der frühe Vogel überholt sie, aber da hält er kurz an für ein Foto, und gleich haben sie ihn wieder überholt.
Und hier sehen wir auch wieder die Ahr, schlammbraun und gut gefüllt schießt sie abwärts, die wird heute wohl kaum ein Radfahrer überholen können.
Und dann erreichen wir auch schon die zweite Station, das sieht doch schon viel voller aus, sehr schön. Die Station von Oberahreck ist noch eher einfach gehalten, ein Haufen weißer Zelte vor einem der vielen alten Eisenbahnviadukte im Ahrtal. Der frühe Vogel scheint noch nicht so richtig hungrig zu sein, er bedient sich nur aus dem Gratisangebot: Ein Müsliriegel mit Tour-de-Ahrtal-Logo, wow, die geben sich Mühe beim Branding, obwohl, nein, die Pappe wurde einfach nur über die normale Corny-Verpackung geschoben. Aber auf den Apfel haben sie wirklich irgendwie ihr Logo draufgedruckt, wow, wie haben die das nur hingekriegt?
Wird er auch an den Stempel denken? Ja, er holt sich eine Stempelkarte und den ersten Stempel, dann hat er noch eine Chance zu gewinnen.

In Ahrhütte biegt er für den nächsten Stempel ab, denn im Hof hinter der Schmetterlingshalle gibt es Live-Blasmusik und Fleisch namens... Gschnittenes oder Gschnetztes oder irgendwie so ähnlich, ich kann das Schild gerade nicht so gut erkennen. Er geht an den Stand, erwartet wahrscheinlich eine Art Pulled Pork auf Regionaldeutsch, oh, bekommt aber stattdessen eine Art Steak im Brötchen mit Zwiebeln serviert, da sieht er etwas überrascht aus, scheint aber auch zu schmecken.

Oh, oh, oh, die nächste Stempelstation bei Zweirad Hansen übersieht er einfach, oder er ist eingeschnappt, weil sie kein Ersatzteil haben, auf jeden Fall hat er damit schon zum zweiten Mal einen Stempel verpasst.
Der Autoverkehr ist heute ausgesperrt, nur an diesem Kreisverkehr kreuzt er die Tour de Ahrtal. Gerade haben die Autos Vorfahrt, wie die Ampel anzeigt. Wird er sie beachten oder den Kreisverkehr normal benutzen? Nein, er hält an. Ampel gilt auch für Radfahrer haben sie ja sogar extra rangeschrieben.

Außerdem ist hier noch der Abzweig vom Kalkeifel-Radweg nach zum Bahnhof Ahütte (nicht mit Ahrhütte verwechseln, das gibt es auch, welcher *Pieeep* hat sich diese Ortsnamen ausgedacht) wo ein Künstler aus alten Signalen Kunst gemacht hat. Wird er den Umweg auf sich nehmen? Nein, eiskalt fährt er dran vorbei und spart Zeit, dafür geht ihm aber Stempel Nr. 6 flöten. Ob das eine gute Entscheidung war? Wir werden sehen.

Und damit wechseln wir von NRW nach Rheinland-Pflanz, wo der Großteil der Ahr fließt.
In Müsch teilt sich die Strecke, oh, und er übersieht die Wegweisung, folgt der Masse und biegt ein ins Ortszentrum. Eigentlich könnte er auch außenrum auf der Bundesstraße fahren, im Ortszentrum wird es richtig voll, alles voller Zelte, und auch das Blasorchester hier hat jede Menge Saxophone und spielt ein bisschen frischer und peppiger. Das wird ihn ordentlich Zeit kosten, hier durchzuschieben. Aber ihn scheint das nicht zu stören, denn die Bratkartoffeln sehen wirklich lecker aus. Und an der Bundesstraße kauft er sich auch noch ein Brötchen mit dem Räucherlachs aus Müsch, ist der Magen etwa immer noch nicht voll... ach so, nein, er nimmt es mit als Proviant - ich glaub ja nicht, dass das nötig ist bei der guten Versorgungslage.

Für Nachtisch ist natürlich immer noch Platz, und den gibt es drei Kilometer weiter in Antweiler. Eigentlich haben alle Stationen irgendeinen Kuchen, aber Antweiler hat die längste Kuchentheke des Ahrtals, meine Damen und Herren, da muss man einfach zu greifen, vor allem bei der Zitronentorte. Draußen ist alles komplett voller Bänke und Menschen, aber wir sehen, einige haben sich auch an die Tische nach drinnen verzogen, da gibt es ein bisschen mehr Kühle und Ruhe, und das muss schließlich auch mal sein. Außerdem ist die Kuchentheke viel näher dran.

Weiter geht es auf einen längeren Streckenabschnitt, und hier noch einmal der Blick auf die Landschaft der Kalkeifel. Es ist eine eher sanfte Landschaft, aber so langsam schaut doch der Kalk, oder jedenfalls irgendein Gestein, aus den Seiten raus, das sind wirklich ein paar schöne Hänge. Ah, und ich sehe gerade, die Ahr hat inzwischen einen Trikottausch gemacht und trägt jetzt grau statt braun.

Aber auch wenn bisher alles noch ganz friedlich und intakt aussah, so langsam zeigen sich auch die ersten Spuren der Tragödie von 2021: An diesen Hängen über dem Fluss sind anscheinend große Stücke Wald einfach weggerutscht. Je tiefer wir kommen, umso schwerer waren anscheinend die Folgen der Flut.

Und wer ist schuld? Fragen wir nach im nächsten Dorf, das rein zufällig Schuld heißt. Aber Schuld scheint sich noch mit einer älteren Schuldfrage zu beschäftigen, zumindest deutet das Kriegsdenkmal darauf hin.
Hier hat ein E-Bike-Hersteller Fahrräder zum Ausprobieren aufgestellt und dazu eine Fahrradwaschanlage. Aber die sollten Sie sich lieber nicht wie eine Autowaschstraße vorstellen - das Rad wird einfach nur auf Rollen raufgefahren und dann per Hand von verschiedenen Schläuchen abgespritzt.

Nun biegen die Ahrradler ein in den ersten Tunnel. Sind Sie schon mal mit dem Rad durch einen Straßentunnel gefahren? Heute gibt es die Gelegenheit, genau das gefahrlos zu tun.
Und noch immer kommen uns auch Radfahrer entgegen: Hier fahren Bernd und Beate Bergauf tapfer stromaufwärts. Wollen die es wirklich noch bis nach Blankenheim hoch, und dann zurück? Das wird eng.
Insgesamt muss ich aber leider sagen, diese große Vielfalt und Bandbreite an verrückten Zweirädern, die wir auf der ähnlichen Veranstaltung Siegtal pur gesehen haben, die ist hier leider so nicht gegeben. Nur Lennard Liegerad zischt ab und zu vorbei.

Der frühe Vogel ist unterdessen weitergefahren: In Insul kauft er gerade vor dem Gasthaus Eis mit der Geschmacksrichtung... Rose? Das hab ich auch noch nicht gegessen, aber es scheint zu schmecken.
"Und was wollen Sie?"
Wie ich höre, ist der ehrenamtliche Eisverkäufer etwa 10 Jahre alt und engagiert bei der Sache, aber seine Begrüßung braucht eventuell noch ein wenig Feinabstimmung.

Damit wären wir auch schon in Dümpelfeld, meine Damen und Herren, und ich weiß, das klingt so ähnlich wie Dümpelbach aus der Serie Mord mit Aussicht, aber ich denke, dieses Wochenende hat bewiesen, dass die Serie nur bei dem Ortsnamen korrekt ist, ansonsten aber total übertrieben hat - die Eifel ist bei Weitem nicht so ausgestorben wie dargestellt! Es sei denn, das Ahrtal ist der beliebteste Hotspot im ganzen Gebirge. (Nein, das war kein Wortwitz, der sich auf den Vulkanismus bezieht. Zumindest nicht, bevor es mir aufgefallen ist.)
Der frühe Vogel geht an die Fotobox und knipst ein Beweisfoto. Ja, das Ding sieht ein bisschen aus wie diese Automaten auf Hochzeiten, nur ohne bescheuerte Verkleidungsmöglichkeiten. Was nicht heißt, dass man darauf wirklich vorteilhafter aussieht. Aber was ist das? Ach so, das Foto wird gar nicht ausgedruckt, man scannt einen QR-Code, unter dem man es dann runterlädt.
Außerdem ist diese Kreuzung der Punkt, an dem die Bundesstraße nicht mehr gesperrt ist. Knapp 38 Kilometer hatten die Radfahrer nur für sich - da hat das Siegtal pur mehr als doppelt so viel.

Also müssen jetzt alle abbiegen auf den Ahr-Radweg, und dort dürfen sie erst einmal sehen, mit welchen Geräten den Flutfolgen zu Leibe gerückt wird, zum Beispiel diesem Steinschredder-Bagger.

Langsam schneidet das Tal immer tiefer in die Landschaft ein, die Felswände werden höher. Das ist doch auf jeden Fall ein Radweg, auf den man gerne abbiegt.

In Liers gibt es jetzt noch so einen Parcour-Wettbewerb am Ahrtal Warrior for kids geben, das ist bestimmt lustig zuzusehen... aber nein, scheint alles schon vorbei zu sein, jetzt ist nur noch ein normaler Spielplatz und ein mobiles Auto voller Spielgeräte übrig, naja, den Kindern scheint es zu reichen.

Und dann sind wir auch schon kurz vorm Ziel, nach 44 Kilometern steuert er nach Ahrbrück rein und - geschafft! Im letzten Zelt bietet der ADFC an, sein Fahrrad mit einer Art überdimensionalem Stempel als Diebstahlschutz codieren zu lassen. Neugierig nähert er sich dem Zelt, aaber leider muss man Personalausweis und Kaufbeleg vorlegen, dann wird das heute nichts.
Er holt die Stempelkarte aus der Hosentasche, zeigt sie vor, der Mann im Zelt namens Stefan Stempelmeister beugt sich vor, drückt den Stempel aufs Stempelkissen, aufs Papier und - jaa, er hat es geschafft, der letzte Stempel! Aber wie viele fehlen ihm jetzt eigentlich? Insgesamt 4 von 15 hat er nicht bekommen, wenn man den von der Radreisemesse 2025 in Bonn mitzählt. Ob das ausreichen wird? Oh, ich erfahre gerade, eigentlich reichen mindestens vier Stempel aus. Och, na dann ist es ja einfach. Und welchen Preis gibt es zu gewinnen? Da stand doch vorhin irgendwas von Hubschrauberrundflug an einem der Stempelzelte. Aaah, nein, ich höre, das war eine Spezialverlosung nur in diesem Dorf, da hätte man die Karte dort einwerfen und um 16 Uhr bei der Ziehung dabeisein müssen, schaade, aber dann hätte das vom Zeitplan auch überhaupt nicht hingehauen. Bei der allgemeinen Verlosung gibt es bloß Gastronomiegutscheine. Er wirkt etwas enttäuscht, wirft seinen Zettel aber trotzdem rein.

Es ist noch nicht 17 Uhr, aber die Tour der Ahrtal ist zu Ende. Auch der Radweg ist jetzt erst einmal zerstört. Also steigen nun bitte alle in den Shuttlebus von Ahrbrück nach Ahrweiler, der Sie zum Bahnhof... hallo? Hallo, was machen Sie da? Und Sie auch? Stopp, Sie können doch nicht einfach auf der Bundesstraße weiterfahren, das ist gefährlich... oh, ich sehe, da hängt ja sogar ein einzelner Wegweiser für die Ersatzroute Ahr-Radweg, hm, ja, dann hätten wir den da vielleicht nicht hinhängen sollen.
Mutig, mutig, auch Florian und Fiona Frühbucher fahren auf der Straße weiter, und der frühe Vogel hinterher, dort biegen sie... Moment? Wo sind sie denn jetzt? Auf einmal sind die Straßenradler alle verschwunden, und der frühe Vogel fährt ganz allein durch zwei weitere Straßentunnel. Erst beim Weinfest zwei Orte weiter (an diesem Wochenende scheinen sämtliche Veranstaltungen des Ahrtals gleichzeitig stattzufinden) tauchen Fiona, Florian und die anderen Radler wieder auf. Damit sind sie leider disqualifiziert, Teleportation im Straßenverkehr ist ebensowenig erlaubt wie Alkoholkonsum.
Die Ahr legt sich nun richtig ins Zeug und schneidet hundert Meter tiefer in Schiefer und Sandstein rein. Und dieser Schiefer hat eine besondere Eigenschaft: Er speichert Wärme, was die Menschen früh herausgefunden haben. Als die obere Ahr noch praktisch unbesiedelt war, wurde unten schon fleißig Wein angebaut. Dieses Tal ist das größte zusammenhängende Weinbaugebiet Deutschlands - egal, wie viele Felszacken die Weinberge durchbrechen, über irgendeine Ecke sind sie alle miteinander verbunden, damit das mit dem Rekord hinhaut. Und dazu: Burgruine um Burgruine. Wow, meine Damen und Herren, was für ein Anblick! Auch der frühe Vogel legt staunend den Kopf in den Nacken, er hat sicher nicht damit gerechnet, dass an diesem kleinen Nebenfluss plötzlich ein paar Kilometer spektakulärer sind als der Mittelrhein oder die Mosel.

Aber um das ganze Panorama völlig bizarr zu machen, klafft mitten in diesem Tal immer wieder eine Art braune Mondlandschaft mit Baggern drin. Manche Häuser stehen nur noch halb herum, und auch einer der Weinberge ist braun und tot. Das ist der Teil, in dem die Flut am stärksten gewütet haben muss. Viele Brücken sind noch Baustellen, darunter auch für die Ahrtalbahn und den Ahrtal-Bahnradweg. Und selbst die geöffneten Brücken haben oft provisorische Geländer, weil das originale zerstört wurde.

Und ich sehe, auch auf den Transparenten ist die Flut immer wieder Thema:

KEINE BIOGASANLAGE IM ÜBERSCHWEMMUNGSGEBIET!
Ruine für die Ewigkeit [vor einem völlig zerstörten Haus]
Die Johanniter helfen beim Wiederaufbau. Haben Sie schon Unterstützung beantragt?
2016, 2021, 2026? Wo bleibt der Hochwasserschutz im Ahrtal?

Ja, schwere Hochwasser gab es hier schon immer: 1601, 1804, 1910, 2016 und 2021... leider ist klar zu erkennen, dass die Abstände immer kürzer werden. Am 14.7.2021 war der Boden nach wochenlangem normalen Regen schon völlig gesättigt, als in der Nacht das Tiefdruckgebiet Bernd ankam und nochmal zwölf Stunden lang Starkregen abließ. Alle Rückhaltebecken flossen über. Die Menschen rechneten mit einem normalen Hochwasser und stapelten 500 Sandsäcke auf. Mancherorts konnte noch etwas evakuiert werden, anderswo fuhr die Feuerwehr durch und warnte bloß, der Strom werde abgestellt - obwohl zur selben Zeit stromaufwärts schon Menschen ertranken.
Die Ahr und die Nebenbäche wuchsen um 5 bis 10 Meter in die Höhe. Im Grunde ist diese Formulierung Unsinn: Das Wasser war ja fast nur Regenwasser, und an die Ufer der Ahr hat es sich auch nicht gehalten, also hat das Ganze doch eigentlich gar nichts mit der Ahr zu tun und niemand kann dem kleinen Flüsschen die Schuld geben.
Was lese ich da neben dem hoffnungslos zerquetschten roten Auto?
DAS MUSST DU GESEHEN HABEN: DEUTSCHLANDS EMOTIONALSTE AUSSTELLUNG
Das klingt etwas reißerisch, aber wenn es die Bewohner selbst so schreiben, ist es vermutlich okay. Anscheinend hat jemand ein Ruinenhaus zum Flutmuseum umdekoriert, vollgestopft mit Gegenständen, Fotos, einem Gemälde des lachenden Laschet und insbesondere mit Bildschirmen, auf denen die Menschen erzählen, wie sie 50 Stunden auf einer Insel aus Baumstämmen auf einen Helikopter warteten, oder wie sie auf einem Stück ihres Dachbodens (dem letzten "intakten" Teil ihres Hauses) herumtrieben, gegen das Nachbarhaus stießen und dort durch die Fenster einbrachen. Vielen Häusern wurde zusätzlich das alte Heizöl im Keller zum Verhängnis. Es starben 135 Menschen, nicht nur wegen der Klimakrise, sondern auch, weil Institutionen versagt haben. Menschen mitten in Deutschland, die ebenso gut du und ich hätten sein können. Diese Tatsache will das Gehirn am liebsten ausblenden und so tun, als sei das alles zwar schon schlimm, aber auch irgendwie ganz weit weg in einem Dritte-Welt-Land passiert.

Man mag es sich nicht vorstellen, wie in diesen Tagen, als das Ahrtal von der Außenwelt komplett abgeschnitten war, ohne Helikopter und Rettungsfahrzeuge, die Menschen praktisch auf sich allein gestellt waren, keine staatliche Ordnung mehr herrschte und jeder sich selbst der nächste war im gnadenlosen Kampf ums Überl... ach, einen Moment, so war das gar nicht? Alle haben sich gegenseitig geholfen, Krisenstäbe gewählt und selbst organisiert? Und bei alledem noch nicht mal ihren Sinn für Wortwitze vergessen (SolidAHRität, DankbAHRkeit)? Unfassbar. Man könnte fast meinen, wir seien eigentlich gute Lebewesen und alles, was uns über den gewalttätigen, bösen Urzustand des Menschen erzählt wurde, sei eine Lüge, damit wir jede Maßnahme gegen Kriminalität bereitwillig akzeptieren.

Schließlich öffnet sich das Tal und die Weinberge haben keine Felsen mehr drin, sondern sind nur noch Wein pur, wie im Rheingau. Der frühe Vogel fährt durch die Doppelstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, wobei die Altstadt von Ahrweiler der mit Ahrbstand schönste Teil ist. Aber auch der vollste. Menschen in bunten Trachten und Uniformen schieben sich durch die Gassen, und am Stadttor warten die Menschen auf eine Art von Festumzug. Wie sollen die Ahrradler nun durch das Stadttor kommen? Ah, kein Problem, er hat einen kleineren Tordurchgang gefunden.
Und immer wieder sehen wir jetzt auch Menschen in auffälligen Trikots oder bunten Klamotten. Da ist Reinhard Renner, der den AHRaton läuft. Wilhelmine Weininger dagegen nimmt an einer Weinwanderung teil, das verrät uns schon ein um den Hals hängendes Weinglas.

Auch wenn das Tal hier nicht so eng ist, hat die Flut offensichtlich gewütet, aber die Aufbauten scheinen schneller voranzugehen als gedacht. Eine neue Stahlbrücke nach der anderen hat das THW hier hochgezogen, Wahnsinn. Alle haben das Stadtwappen drin, und eine soll sogar von einem Pflanzentunnel überwachsen werden. Ob dieses alte Casino von der Flut geschädigt wurde oder schon vorher, das bleibt ein Rätsel, und genauso, ob es überhaupt ein Casino ist.
Was macht er jetzt? Ach so, er watet hinein für ein kaltes Fußbad mitten in der Stadt, eine gute Idee, die meisten anderen Radler haben inzwischen ja sowieso aufgegeben. Wahnsinn, wie klar das Wasser ist - nanu, was hat er da gefunden? Einen Scheibenwischer? Und eine FFP2-Maske? Die Flut hat die seltsamsten Relikte angespült.
Doch da kommen zwei weitere AHRaton-Läufer auf ihn zu, die... im Wasser laufen? Ja, Willi und Veronika Watema legen am liebsten einen Teil des Rennens mit flüssiger Fußkühlung zurück, auch wenn das natürlich Tempo kostet, müssen sie selber wissen. Sie quatschen ein bisschen, aber nein, nein, er sollte lieber auf Pisso, den Hund der beiden, achten, der will nämlich gerade sein Revier auf dem Kleiderhaufen der Radfahrer am Ufer markieren, ufff, gerade noch rechtzeitig hat er es gesehen, angesprochen und sie pfeifen ihn zurück, na immerhin gehorsam ist er.

Jetzt muss er nicht mehr auf der Bundesstraße fahren. Die Radwege durch die schönen Alleen am geraden Ahrufer sind oft noch zerstört, aber auch die Ersatzroute geht nur über Nebenstraßen und Feldwege, alles nicht mehr so spektakulär.

Aber dann sind wir auch schon am Schluss, wohin will er denn jetzt? Bevor es zum Bahnhof Sinzig geht, muss er jetzt noch zur Mündung nach Kripp, wenn schon, denn schon. Wenigstens in Kripp haben sie viel aus der Flut gelernt und so eine Hochwassermauer installiert. Wie funktioniert die? Ich sehe gar keine Metallplatten, die von oben in die Maueröffnungen runterfallen? Nein, stattdessen werden die Metalltüren von außen zugeklappt. Das dauert natürlich etwas länger, also hoffen wir, dass beim nächsten Mal rechtzeitig gewarnt wird.

Die Ahr hat inzwischen schon mehrmals den Trikottausch zwischen Braun, Grau und Durchsichtig gemacht, kommt auch immer etwas drauf an, wie nah man herangeht. Sie schießt auf ihr Ziel zu, schlängelt sich noch ein bisschen durch den Kies, will sie es etwa spannend machen, vorbei an den letzten Bäumen und dann - jaa, Ziel erreicht, sie hat den Rhein getroffen. Und auch der frühe Vogel kommt an der Mündung an, etwas verwirrt, vielleicht weil hier vor wenigen Jahren noch eine stabile Holzbrücke stand, die nicht so aussah, als hätte sie nur noch zwei Jahre zu leben.
2019
2025








 

Ob er nun wirklich einen Gastronomiegutschein gewinnen wird, das können wir an dieser Stelle auch noch nicht sagen, auf jeden Fall hat er die gesamte Ahr abgefahren. Herzlichen Glückwunsch, darf ich Sie um einen kurzen Kommentar bitten?

"Das Ahrtal hat mich zutiefst beeindruckt und ich glaube, es ist ein Fenster in unsere Zukunft. Was hier passiert ist, im Guten wie im Schlechten, erwartet uns alle. Ich habe Hoffnung für die Menschen - aber zuerst muss es anscheinend noch einmal gewaltig knallen."

Oh, ähm, das war jetzt... unerwartet düster, aber, äh, vielen Dank.