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18 August 2025

Donau: Von Feyveshegy nach Budapest

Am letzten Fahrradtag entschieden wir: Wir bleiben an diesem Ufer und sparen uns die Strecke über die Insel Szentendrei Sziget, die Stadt Szentendre und an der Szentendrei-Duna. Dort muss man auch nicht weniger Straße fahren als hier. Und das war keine schlechte Entscheidung. Häufig ging der Weg durch irgendwelche Parks und Hohlwege, die genau wussten, was wir brauchen: Schatten und Wasser.


Auf der letzten Etappe trafen wir viele Reiter an, die sich morgens bis an die Donau vorwagten und später auf ihre eigenen Parkplätze zurückzogen.
"Kinder, das ist die letzte Chance, in der Donau zu baden, nachher kommt schon die Stadt!"
Das klang überzeugend, ich sprang hinein.
Eine Stunde später hielten wir am nächsten Strand.

Gesäumt wurde der Radweg von sehr, sehr unterschiedlich gestalteten Fahrrädern (das auf dem ersten Bild ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen).

Aber natürlich ging es auch lange an lauten, heißen Straßen entlang. Ein Industriegebiet poppte links von uns auf, und dann...
"Da!"
Fast hätten wir es übersehen, das kleine grüne Ortsschild auf der anderen Straßenseite. So kennzeichnet man in Deutschland kleine Käffer, die keine vollwertigen Ortschaften sind - doch Budapest ist mit Sicherheit eine vollwertige Ortschaft. (Beweisstück A: Zu unserer Unterkunft waren es noch immer 13 Kilometer.) Unsere Eltern wollten am Schild gern ein Gruppenfoto machen, also hatte ich ich aufmerksam danach Ausschau gehalten. Die Straße überqueren wollten wir für das Schild dann aber doch nicht. Auf dem Handy einen Kreis ins Bild malen, birgt eine viel geringere Gefahr, überfahren zu werden. Es sei denn, man malt den Kreis während des Radfahrens.

Wenn die Türken während ihrer langen Invasion bis kurz vor Wien vorrückten und dann wieder zurück, kann man sich ausrechnen, dass sie in Budapest etwas länger gewesen sein mussten. Ein positives Ergebnis davon sind die türkischen Bäder, die Budapest zu einer Thermenstadt machten. Sogar die Aquaworld am Nordrand scheint davon noch architektonisch inspiriert zu sein, und selbst die Wasserrutschen stammen von einer türkischen Firma.

Nun ging es richtig los: Wohnblocks, komische Kästen und malerisch überwucherte Altbauten und Ruinen hatten alle einen Platz an der Straße gefunden. Nur die Straße selbst musste irgendwann neu gemacht werden.

Zeit, an die Donau zurückzukehren. Die hat hier eine sehr breite Uferpromenade mit mehreren Ebenen, wie man sie in vielen Metropolen findet - vor allem dieses Geländer verströmt intensive Berlin-Vibes.
Die Szentendrei-Sziget ist längst vorbei, nach zwei weiteren Inseln hat nun die sehr viel kleinere Margitsziget (Marghareteninsel) mit ihren Parks und Freibädern zwischen zwei Budapester Straßenbrücken angedockt. Und da, hinter der nächsten Biegung beginnt auch schon die Skyline der ganzen Budapaläste. Es ist vielleicht die letzte Stadt an der Donau, die noch so richtig an zwei eng verknüpften Ufern liegt (mehr noch als in Wien), ansonsten ist der Fluss schon zu breit für so was. Wenn ich da an Komárno/Komárom denke, wo beide Ufer in ganz verschiednenen Welten zu liegen schienen...
Aber Moment mal. Das hat nicht nur was mit Bebauung und Staatsgrenzen zu tun - die Donau war dort viel breiter. Ein Blick auf die Karte bestätigt: Diese Innenstadtdonau mag breit wirken, aber sie hat seit gestern früh extremst abgenommen. Ui. Es ist ja bekannt, dass Flüsse in Städten eingepfercht werden, aber so krass? Da will ich nicht wissen, wie tief und rasend schnell die nun sein muss. Die letzte Badepause in der Donau ist nun definitiv vorbei, hier springt niemand rein. Was wohl auch die türkischen Bäder erklärt.

Auch die Margitsziget hat Thermalquellen und Freibäder, die Mineralwasserfabrik wurde dagegen geschlossen. Zuerst hieß das Eiland Kanincheninsel, bis sich die Königstochter Margarete in ein Kloster auf der Insel zog.
Die Insel ist der wichtigste Stadtpark mit Sportplätzen, einem Musikbrunnen, bunten Blumenbeeten, kleinem Zoo, noch kleineren japanischen Garten und dem Arboretum of Invasive Species, was auch immer das ist. Auch wenn wir neben der Insel gewohnt haben, habe ich leider nur Zeit für einen kurzen Spaziergang über die breiten Parkstraßen gefunden. Man kann auch solche Fahrradrikschawagen für 2 bis 6 Personen mieten, wie wir sie schon aus dem italienischen Lucca kannten - auf Ungarisch heißen sie Bringó Hintó.

Was haben wir auf dieser Reise nur immer für tolle Übernachtungen? Diesmal sind wir in einer Traumwohnung in einem authentischen Wohnhaus gelandet, mitten in einem wunderbaren Stadtviertel namens Ujlipotvaros, in dem maximal viele Bäume zwischen die parkenden Autos und die Tische der Restaurants gepflanzt wurden.

Es war höchste Zeit, sich durch die ungarische Küche zu probieren: Gulaschsuppe, Paprikahuhn (auch hier mit diesen kleinen halušky-Knödeln wie in der Slowakei), etwas Weißwein, einfach alles schmeckte genau so toll wie erwartet.
Und beim Stadtrundgang am nächsten Tag gab es dann noch Langos. Ich habe mich schon lange gefragt, inwiefern sich das Original ungarische vom Langos auf unserem Weihnachtsmarkt daheim unterscheidet. Die frittierten Teigfladen mit Knoblauchöl sind an sich schon recht ähnlich, aber es kommt mehr drauf. Schon die Tschechen häufen auf ihr Langos im Freibad gern ganze Berge von Käse und anderem Zeug, statt es wie in Deutschland nur sachte zu bestreuen. Die Ungarn gehen noch einen Schritt weiter und machen manchmal sogar Zeug ins Langos rein.
Kurz gesagt, wir sind satt geworden.

Wir sind am Ziel, satt und gut untergebracht! Nun steht zwei spannenden Tagen in Budapest nichts mehr entgegen. Außer der Wetterbericht. Der sagt: Morgen und übermorgen 36 Grad, nur 6 Grad unter der höchsten gemessenen Temperatur in Ungarn jemals. Das sei im Grunde "wie Dauerregen, nur anders", befand unsere Mutter.
Wie gehen die Menschen mit dieser Hitze um, die auch für Ungarn (noch) außergewöhnlich sein muss? Mit Wasserdüsen. In jeder Stadt auf dieser Reise stand mindestens ein halber Torbogen, unter dem Mensch und Tier einen feinen kühlen Nebel genießen durften. Vor dem Parlament in Budapest kommt sogar ein riesiges Nebelfeld dieser Düsen aus der Erde, das aber gar nicht mal so effektiv ist, weil es nur den unteren Bereich der Waden kühlt.

Aus Rücksicht auf die Schwächeren haben wir unsere Besichtigung und vor allem alle Gehstrecken gekürzt. Diese Stadt muss doch Öffis haben, oder?
Hat sie. Erstens sehr rabiat fahrende Oberleitungsbusse, zweitens Straßenbahnen, die manchmal ihre Endstation einfach an einem Gleisende mitten in der Stadt haben und deshalb in beide Richtungen fahren können, und drittens U-Bahnen, die ein faszinierender Spiegel der Geschichte sind.
Die M1 (auf den Bildern) ist von 1896 und damit die zweitälteste U-Bahn Europas (nach London) und die älteste auf dem eurasischen Festland. Mit der Eröffnung sollte gefeiert werden, dass die Ungarn/Magyaren vor genau tausend Jahren in dieses Land gezogen sind. Die M1 verläuft praktisch nur unter der schnurgeraden Prachtstraße Ándrassy Út (linkes Bild, ich fand sie nicht so prächtig). Erst am Ende hat die Bahn zwei Kurven, und in beiden teilt die Bahn lautstark mit, dass ihr null Kurven lieber gewesen wären. So eine kurze Strecke, so kurze Abstände zwischen den Haltestellen, und so eine niedrige Decke, die praktisch direkt ins Straßenpflaster übergeht - kein Mensch würde heute so eine U-Bahn bauen. Damals waren die gelben Fliesen und schwarzen Stahlträger die absolute Moderne, heute hat das Ganze etwas von einer Museumsbahn. Aber ausgerechnet dort kann man plötzlich mit Kreditkarte einchecken.
Erst 1970 kam mithilfe der Sowjets die M2 dazu, im Moskauer Stil total tief, mit Fake-Marmor und Kronleuchtern. 1983-90 dann die M3, bei der das Geld viel knapper war und die Stationen billig mit Alu verkleidet wurden. Und die M4 von 2014 fährt dank Siemens fahrerlos.

Aber am ersten Tag stiegen wir zunächst in die Straßenbahn Richtung Parlament. Und was für ein Parlament! Ursprünglich war das nur ein Spin-Off vom Wiener Parlament: Ungarn wollte unabhängiger sein, und das Kaiserreich einigte sich beim sogenannten Ausgleich mit Ungarn darauf, dass ab jetzt die komplette östliche Hälfte von Österreich-Ungarn in Budapest regiert wird, also unter anderem auch Teile vom heutigen Rumänien und Kroatien. Das brachte aber nur bedingt Ruhe, denn jetzt fragten die Tschechen, Rumänen und so weiter, warum sie nicht auch so was bekamen.
Auf jeden Fall gaben sich die Ungarn alle Mühe, die Wiener zu übertrumpfen - welches andere Parlament in Europa hat so viele prunkvolle Türmchen, Spitzen und Seitenflügel? Auf jeden Fall ist es das zweitgrößte Europas und das drittgrößte der Welt. In der großen Kuppel ganz oben liegt die Krone von König Stephan dem Heiligen. Und während Österreich in seine Vorhalle bewusst Materialien aus allen Teilen seines Reiches eingebaut hat, wollte Ungarn unbedingt nur ungarische Materialien benutzen, was nicht ganz klappte, denn Marmorsäulen gab's nur im Ausland.
Abends aber wurde es seltsam beleuchtet: Nur ein kleiner Bereich hell, dann ein Bereich mit einem seltsamen Gittermuster und über dem Großteil - Dunkelheit. Also, wenn das die politische Situation widerspiegeln soll, dann gute Nacht.

Mit Spezialeffekten kennt sich diese Stadt aus, denn das gothige Budapest ist ein beliebter Drehort für Comic- und Fantasyfilme geworden. Für mich relevant: Terry Pratchetts Ab die Post/Going Postal. Das hier soll Ankh-Morpork sein? Ich weiß ja nicht, da müssen die im Film aber noch einen kräftigen braunen Sepiafilter über die Gebäude gelegt haben.
Obwohl, da an der Ecke! Das eine oder andere Gebäude (links) hat sich diesen Filter schon selbst übergelegt. Und auch das Parlament könnte ich mir super als Lord Vetinaris Patrizierpalast vorstellen - und der tatsächliche Drehort liegt genau gegenüber. Es ist das Justizzentrum (rechts) mit ähnlichen weißen Säulen, Türmchen und Statuen, leider aber gerade größtenteils eingerüstet.

Und genau wie Ankh-Morpork besteht auch Buda-Pest aus zwei Hälften an einem Fluss. Wir wollten nun von Pest (ausgesprochen "Pescht") nach Buda hinüber, und zur Auswahl standen neun Brücken. Die nächste Brücke ist (neben der Steinernen Brücke von Regensburg) die berühmteste Donaubrücke überhaupt und heißt Kettenbrücke, mit vollständigem Namen Széchenyi-Kettenbrücke nach dem Grafen, der die Idee dafür hatte. Ein enormes Teil aus bläulich gestrichenem Stahl, dazwischen zwei traditionellere Torbögen, die einzigen Schattenspender bei der Wanderung nach drüben. Am Eingang wachen Steinlöwen, die in Budapest öfter präsent sind. Alles schön und gut, aber wieso nun Kettenbrücke? Die einzigen Ketten, die ich fand, trugen die Lampen in den Torbögen, der Rest sind doch einfach Stahlträger und Stahlstangen.
Erst, als wir beim zweiten Mal rüberliefen, erkannte ich mit etwas Abstand: Die Stahldinger ganz oben, die die Brücke tragen, sind eine Kette. Nur dass ein einziges Kettenglied (oben links) etwa so groß ist wie wir alle zusammen. Eine Kette wie diese habe ich noch nie gesehen, nicht mal als Ankerkette von Schiffen (oder im Kettenschmiedemuseum Fröndenberg).
Dennoch: Als begeisterter Besitzer eines neuen Fahrrads mit Riemen statt Kette finde ich, eine Riemenbrücke wäre die bessere Wahl gewesen.

Das war erstmal genug gelaufen, Zeit für das nächste Verkehrsmittel. Buda ist bergig. (Pest auch, aber da kommen die Berge erst viel weiter hinten.) Damit die Touristen also die ganzen budistischen Festungen komfortabel erobern können, bedecken gleich mehrere Zahnrad- und Standseilbahnen die Hänge. Wir stellten uns in die lange Schlange der Zahnradbahn zum Burgberg, die mit der Kettenbrücke ungefähr eine Linie bildet, und überraschend schnell stiegen wir auch schon in eine der beiden altmodischen Gondeln, die jeweils aus drei Stufen bestehen. Sie wurden nach der Wende instandgesetzt und sehen, anders als die Bahnhofsgebäude, tatsächlich noch gut in Schuss aus.
"Lass uns nach ganz oben setzen, da können wir in beide Richtungen sehen!", schlug unser Vater vor.
Doof nur, wenn nach oben nicht viel zu sehen ist und der Blick nach unten (im Bild unverdeckt) vom Dach der unteren Teile blockiert wird. Kaum zwei Minuten später (auch wenn der Fahrpreis auf eine längere Fahrzeit hindeutet) waren wir auch schon oben.

Der Burgberg besteht aus einem Haufen stuckverzierter weißer Bauten, die gar nicht so anders aussehen als die unten in der Stadt. Erst von Weitem ist ihnen eine burgähnliche Form anzusehen. Bewacht werden sie von Soldaten, so stocksteif wie in England, aber ohne bunte Uniform, sondern richtig militärisch. Und man kommt auch nicht für ein Selfie an sie heran.
In diesem Komplex liegt die Nationalgalerie und ein historisches Museum, mit denen wir den Jüngsten aber nicht so locken konnten. Wir mussten uns etwas anderes ausdenken. Also kauften wir in der brüllenden Hitze drei Eis am Stiel für 7600 Forint - fast 20 Euro, was wir erst hinterher beim Durchrechnen feststellten. Verdammte Forint! Eine so bescheuerte Währung habe ich noch nie erlebt. Klar ist das immer Gewöhnungssache, aber wenn ein einzelner Forint (=ein Viertelcent) so lächerlich klein ist, dass er praktisch komplett irrelevant ist, dann ist die Währung einfach objektiv unpraktisch.

An die Burg grenzt das Burgviertel, wo die Stuckhäuser wieder in ganz normalen Straßen herumstehen. Im Mittelalter war es das Herz der Stadt, die heutige Version wurde aber während der türkischen Besatzung aufgebaut. Ein paar Straßen weiter steht die sehr filigrane Matthiaskirche, die ein ähnliches Mosaik auf dem Dach hat wie der Wiener Stephansdom - sogar auf einem der Türmchen. Sie war während der türkischen Besatzung eine Moschee, vorher wurden die ungarischen Könige da drin gekrönt. Ich dachte, das war in Bratislava? Wie viele Kronen haben die übereinander getragen?

Und gleich dahinter beginnt sich der nächste große Hotspot, die Fischerbastion. Sie ist nicht mit der Rostocker Fischerbastei zu verwechseln, obwohl es dort ähnlich voll ist wie auf dem Rostocker Weihnachtsmarkt. Die Fischerbastion ist eine Art Burgmauer, aber genauso gotisch, grau und filigran gemeißelt wie die Kirche dahinter. Man könnte sagen, die Fischerbastion ist quasi eine gotische Kirche in Gestalt einer Burgmauer. (Darunter wohnten und handelten Fischer, daher der Name.) Doch die Verteidigung funktionierte nicht gut, eine Reisegruppe erstürmte die Stufen und bat unseren Vater um ein Foto.
In ihren Nischen (rechts und links) stehen die sieben Stammesfürsten der Magyaren, die wahrscheinlich irgendwo aus Richtung Ural kamen und genau ein Jahrtausend vor Erbauung der M1 im Karpatenbecken eine "Landnahme" abzogen und eine Stammesförderation gründeten. Landnahme, was soll das sein? Eine Eroberung, bei der noch keiner im Land gewohnt hat? Doch, doch, ein paar Slawen und Verstreute wohnten hier schon. Viel ist nicht mit Sicherheit bekannt über diesen Gründungsmythos. Gab es eine oder zwei Landnahmen, waren die Magyaren in der Überzahl und haben die Bewohner unterworfen und vertrieben, oder waren sie eigentlich in der Unterzahl und haben sich nur zur neuen Oberschicht aufgeschwungen und allmählich mit den Bewohnern vermischt? Alles umstritten, fest steht nur, dass dies der Ursprung des ungarischen Staats ist. 

Alarm, viel zu viel Bildung! Um dem Jüngsten seine Bildung schonend zu verabreichen und uns alle runterzukühlen, hatte ich die ideale Sehenswürdigkeit rausgesucht: Das Burglabyrinth. Es verbirgt sich hinter einem unscheinbaren und nicht sehr burgigen Hauseingang, in dem wir "Oh Gott, wie tief geht das runter?!" Treppenstufen zur Kasse herunterstiegen und nur leicht überteuerte Tickets lösten. Ist das eine Touristenfalle? Ja aber für uns in dem Moment genau das Richtige.
Feuchte Mauern wölbten sich über unseren Köpfen, und Choräle hallten durch die Gänge. Das hier ist definitiv ein Labyrinth zum Verirren. Im Prinzip ist da zwar ein verschlungener Gang, dem wir anhand von gelegentlichen Pfeilschildern folgen sollten. Doch da sind immer wieder Abkürzungen, Sackgassen, an deren Ende auch etwas zu sehen ist, und selbst die einzelnen Räume sind von so vielen Säulen und Bögen durchzogen, dass wir oft völlig verunsichert waren, wo es nun weitergeht und wo wir schon waren. Die Dunkelheit trug dazu bei. Mit Licht wird so sparsam umgegangen, dass manche Infoschilder absolut unlesbar sind.
An allen Ecken stehen weiße Statuen der ungarischen Könige und auch wieder der sieben Stammesfürsten. Die Gruft von Winterfell existiert wirklich! Nur Königin Gisela darf liegen. Sie war die Frau von Stephan dem Heiligen und Schwester vom deutschen Kaiser. Gemeinsam verbreitete das Paar in Ungarn das Christentum. Als aber ihr heiliger Sohn bei der Jagd nach einem Eber und dann ihr heiliger Mann gestorben waren, hatte auch Gisela genug von der Politik und wurde Äbtissin in einem Kloster in Passau. Für die katholische Kirche reichte das zumindest, um sie seligzusprechen.

Dieses Höhlenlabyrinth war der Fluchtweg des Königs, aber auch Werkstatt mittelalterlicher Steinmetze und sogar ein richtiges Kulturzentrum. Musik und Opern wurden hier unten aufgeführt, woran Wachsfiguren hinter Gittern in entsprechender Kulisse erinnern - natürlich mit Musikuntermalung. Die Effekte in diesem Labyrinth waren für unsere Mutter zu doll, für uns andere gerade richtig.
Die gleißende Sonne war fern, aber sie war uns längst im Fleisch und Blut übergegangen: Sogar hier unten wartete der Jüngste instinktiv immer im Schatten.

Vor allem hier. Mit einem Mal stolperten wir in einen richtig, richtig nebligen Gang. Bunter Dunst kroch an uns hoch, und wir sahen noch gerade genug, um nicht gegen die nächste Mauer zu laufen. Selbst das Atmen fiel schwerer. Wo stolpern wir da gerade rein?
Wir besuchen den berühmtesten Bewohner des Labyrinths. Er wurde 1431 geboren. Sein Vater war im Drachenorden von König Sigismund und hieß deshalb Vlad II. Dracul (vom lateinischen draco Malfoy). Der Sohn Vlad III. war deshalb ein Sohn des Drachen, also draculea. Jetzt wissen Sie vermutlich, zu wem dieser Gang führt. Gehen Sie trotzdem weiter?

Theoretisch erbte der kleine Drache von seinem Vater den Titel als Fürst der Walachei (heutiges Rumänien und teils Serbien). Praktisch musste er das ständig vom Osmanischen Reich zurückerobern, was doof war, weil er gerade noch selbst von diesem Reich als Geisel gefangen gehalten wurde. Eigentlich sollte er zum Marionettenherrscher ausgebildet werden, stattdessen lernte er a) das Pfählen und b) Hass auf Osmanen, eine für Osmanen eher ungünstige Kombi, die darauf hindeutet, dass ihr Ausbildungsplan nicht ganz ausgereift war. Als Vlad endlich die Walachei regierte, ließ er haufenweise Menschen aufspießen, um seinem von Dauerkrieg, Kriminalität und Aufständen zerrüttetem Land Disziplin aufzuzwingen. Als er dann seinen eigenen Kreuzzug gegen die Osmanen startete, machte er damit bei den Muslimen weiter - für ihn war Rache ein Gericht, das am liebsten kalt am Spieß serviert wird. Inzwischen fiel einigen Leuten auf, dass dracul auch Teufel bedeuten kann. Manche Rumänen sehen ihn bis heute aber durchaus als tapferen Helden und Bekämpfer der Korruption, und auch wenn manche seiner Gräueltaten definitiv passiert sind, waren sie nicht zwangsweise schlimmer als das, was die westeuropäischen Fürsten taten, vielleicht waren manche Übertreibungen auch Propaganda.

Aber was hat der Nichtvampir nun in Budapest verloren? Kompliziert, denn die Ungarn waren für ihn mal Feinde, mal Verbündete. Eingesperrt wurde er jedenfalls nicht wegen seiner Pfählereien, sondern wegen eines wahrscheinlich gefälschen Briefs, der ihn des Verrats belastete. Ob er aber wirklich in diesem Labyrinth angekettet war wie eine kreideweiße Statue, oder ob das eher ein bequemer Hausarrest war, das ist nicht so ganz klar. Immerhin heiratete er eine Verwandte des Königs und kämpfte später auch wieder für Ungarn.

Der Autor Bram Stoker wurde von Vlad III. inspiriert zum berühmtesten Vampirroman, der aber kaum etwas mit der historischen Figur zu tun hat, nicht mal das typische Pfählen kommt darin vor. Vielleicht ist der Roman ja auch in dieser wunderbaren Bücherkutsche zu finden. Eine Buchhandlung auf Rädern, großartig!

Wo wir beim Thema Shopping sind, das hier ist die Altstadt, beziehungsweise der Teil von Pest, der direkt an der Kettenbrücke beginnt, natürlich auch wieder mit einer Kuppelkathedrale in der Mitte. Hm, aber ehrlich gesagt, das sieht jetzt nicht so anders aus als der Rest der Stadt. Da hat uns unser Wohnviertel besser gefallen - das hier ist zwar eine Fußgängerzone, dafür aber auch viel voller und weniger grün. Stattdessen mühen sich Ventilatoren mit integrierten Wassernebeldüsen ab, um die Restaurantgäste auf Betriebstemperatur zu halten.

Wo immer wir sind, mein kleiner Bruder will das Geschäft eines gewissen Klemmbausteinherstellers besuchen. Dieser hier sah mir ein bisschen zu sehr nach Kinderfalle aus, deshalb bin ich lieber mit nach unten gestiegen. War dann aber doch nur ein enger Raum voller Regale.

Kreativer wird es auf diesem Wochenend-Flohmarkt, der sich in einen sehr langgezogenen Innenhofdurchgang reingequetscht hat. Und mit ihm quetschen sich viele Touristen und nicht ganz so viele Einheimische. Neben Schmuck gibt es auch haufenweise Bretter mit den Filmmotiven drauf zu kaufen, keine Schneidebretter, sondern anscheinend einfach so nerdige Holzstücke zum Hinstellen. Am einprägsamsten war aber sicherlich ein Stand, der Klemmbaustein-Figuren von Darth Vader bis zur Budapester Freiheitsstatue verkaufte und sogar Klemmbaustein- und Haribo-Ohrringe (mit winzigen Tütchen dran). Offiziell lizenziert ist das wohl nicht, woraus auch kein Hehl gemacht wird: Please don't photograph our handmade works. Die Arme der Konzerne reichen weit, aber vielleicht ja nicht bis in diesen Hinterhof.

Der Flohmarkt liegt schon im jüdischen Viertel. Doch auch hier: Ähnliche Architektur, enge Bürgersteige, laute Durchgangsstraßen, der einzige Unterschied ist erst einmal, dass die Bars jetzt Mazel Tov oder so heißen. Kann es wirklich sein, dass unser Wohnviertel schon das Schönste war?
Nicht ganz, eine herrlich begrünte und ruhige Fußgängerzone entdeckten wir dann doch noch, die Liszt Ferenc tér. Und die verrät auch schon, wen die Staue links darstellt. Aber das ist nur der Anfang, in diesem Bereich lebten wohl lauter Künstler, an die mit auffälligen bis ausgeflippten Statuen gedacht wird. Super, dachten wir, denn einen der Budapester Künstler schätzten wir ganz besonders. Laut Google Maps war das Ephraim Kishon Monument nicht mehr weit entfernt.

Und da ist es.
Was? Um die Ecke wurde der beste Satiriker von allen geboren, und das ist das Beste, was euch dazu einfällt? Frechheit. Was soll das überhaupt sein, ein aufgeschlagenes Buch oder doch Kishons Hintern? Oder doch nur der Deckel irgendeines Lüftungsschachts, an den eine Gedenktafel getackert wurde. Vielleicht sind die Ungarn neidisch, weil er Ungarn verlassen hat. Als er 1924 auf die Welt kam, hieß er noch Hoffmann Ferenc (in Ungarn steht der Nachname zuerst). Als er erwachsen wurde, gab es bereits Maximalquoten, wie viele Juden auf die Hochschulen durften, darum wurde er erstmal Goldschmied. Aus dem Zug in ein Arbeitslager konnte er fliehen. Im Kommunismus benannte er sich dann um in Kishont Ferenc, weil das weniger bürgerlich klang, und wurde Kunsthistoriker, was ihn wiederum bürgerlicher machte, floh dann aber doch lieber nach Israel. Was dann geschah, beschreibt er in einer Kurzgeschichte: Der Grenzbeamte war von seinem ungarischen Namen wie paralysiert, wusste nicht mal, was davon der Vorname sein sollte, und ersetzte ihn mit der Bemerkung "Gibt es nicht" durch Ephraim Kishon. In dem Moment entdeckte der Autor seine schräge Liebe zu diesem Land und beschloss, nicht (nur) über das Dunkel in seiner Vergangenheit zu schreiben, sondern auch über den Alltag in Tel Aviv mit seinen Ärzten, Anwälten und unfertigen U-Bahnen, womit er gerade bei den deutschsprachigen Ländern richtig gut ankam.

Aber gehen wir nochmal zurück zum Anfang dieses Stadtviertels.
Im Jahr 1785 lebten nur 40 Juden in der Stadt. Was logisch war, denn die Tore waren erst seit zwei Jahren für sie geöffnet. Im Laufe der Jahrzehnte siedelten sich immer mehr an, aus dem Osten, Westen und ein paar auch aus dem Balkan, und nutzen die Möglichkeiten der europäischen Handelsstadt. Viele wollten Ungarn beweisen, dass sie es eine gute Entscheidung war, sie aufzunehmen: Sie trugen die Kippa nicht mehr, verlegten den Sabbat auf den Sonntag, wollten vollwertige Bürger des Königreichs Ungarn sein und Juden nur noch hinsichtlich ihrer Religion. Doch manchen ging das auch zu weit, und eine Spaltung ging durch die wachsende jüdische Gemeinde: Etwa 80 Prozent gehörten zu den Integrationswilligen, 20 Prozent zu den Traditionalisten.
Auf ihren Spuren besuchten wir nun ein prächtiges Gebäude an der Ecke der Dohány-Straße, die größte Synagoge Europas und die zweitgrößte der Welt. Sie ist im maurischen Stil erbaut, das heißt anscheinend: Runde Bögen und hellorange-gelbe Ziegelstreifen. Ein Gewirr aus Warteschlangenbändern erstreckt sich vor ihr, doch wir hatten überraschend schnell Eintritt gezahlt und waren durch die Sicherheitskontrolle.
In einem Haus direkt neben der Synagoge, das heute nicht mehr steht, kam übrigens 1860 ein Mann auf die Welt, der weder zu den 80 noch zu den 20 Prozent gehörte und bis heute enormen Einfluss auf die Geschichte hat. Der kleine Theodor Herzl begleitete seinen Vater in die Große Synagoge. Aber erst in Wien kam der Schriftsteller allmählich zu dem Schluss, dass die Juden nie wirklich akzeptiert werden und einen eigenen Staat bräuchten, und suchte Sponsoren, um Land im damaligen Osmanischen Reich anzukaufen und zu besiedeln, etwa dort, wo die Juden vor 2500 Jahren ihr eigenes Königreich hatten. Anfangs verlachten ihn auch die meisten Juden, aber letztendlich war das die Keimzelle des heutigen Israel, im Guten wie im Schlechten.

Zur Jahrhundertwende wurde die Stadt umgeplant und Häuser neben der Synagoge abgerissen, die den entstandenen Platz für einen öffentlichen Garten mit Pool nutzte und noch eine Heldensynagoge als Denkmal für jüdische Soldaten dazubaute.
Aller Integrationswille half nichts, als sich in Ungarn die rechtsradikale Pfeilkreuz-Partei (weil deren Symbol so ein bescheuertes + mit Pfeilen an allen Enden war) an die Macht putschte und das Stadtviertel als Ghetto abriegelte. Deutschland verlangte 25 000 bis 50 000 jüdische Arbeiter, und die Ungarn schickten sie breitwillig auf Hungermärsche, bei denen ein Fünftel der Menschen schon auf dem Weg starb. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der einst so belebte Innenhof zum Friedhof, auf dem, von Efeu überwachsen, die herumliegenden Erfrorenen, Verhungerten und Erschossenen aus dem Ghetto begraben wurden, zum Teil ohne Namen. Es scheint, dass der ungarische Holocaust chaotischer und weniger organisiert ablief als in Deutschland, doch an dem Grauen der Zeit ändert das nichts.

Wir schauten über eine Absperrkordel in den eigentlichen Innenraum der Synagoge, und alles glänzte uns entgegen. Die Integrationswilligkeit der 80 Prozent sieht man dem Raum deutlich an: Es ist eine Orgel eingebaut, und die Bima (Lesepult) steht nicht in der Mitte, sondern am Rand, fast wie eine evangelische Kanzel. Erst auf den zweiten Blick kristallisierten sich in dem goldenen Gefunkel die Unterschiede zu einer Kirche heraus, zum Beispiel sind die runden Buntglasfenster viel kleiner und zeigen immer dasselbe Symbol.
Aber wie kommen wir da rein, da drinnen sind ja Leute? Oder kann man den Raum nur mit der Führung betreten, die wir gerade verpasst hatten? Denn bei genauerem Hinsehen sahen die Menschen da drin eigentlich nicht nach Touristen aus, sondern nach Gläubigen.
Immerhin sind es deutlich mehr als 40.

Schneller als befürchtet kam der letzte Abend, und hier wollten wir noch einen Tipp umsetzen, den ich von einem guten Freund hatte, wobei er sich jetzt nicht mehr erinnern kann, mir den Tipp gegeben zu haben, also habe ich ihn vielleicht doch von jemand anders. Ich rede von einer Nachtbootsfahrt auf der Donau, denn Budapest lässt viele seiner Uferbauwerke beleuchten, zum Beispiel den Burgberg (hinten).
Doch unser erster Blick auf das Lichtermeer fand nicht gerade in romantischer Atmosphäre statt. Wir standen eine halbe Stunde zwischen Brückenpfeiler und Leitplanke, neben uns brausten die Autos dahin. Wer das Ticket mit Pizza und Cocktails gebucht hatte, durfte zuerst rauf und sich die Fensterplätze sichern. Wir saßen dann unten in der Schiffsmitte oder drängten uns draußen am Heck zusammen, um mehr zu sehen, während sich Kellner mit Pizza hindurchdrängten. Natürlich kann ein Schiff nicht nur Fensterplätze haben, und doch ist diese Tatsache recht unbefriedigend bei einem touristischen Konzept, das eigentlich nur mit Fensterplatz Sinn ergibt.

Zumindest sahen wir schon einmal, was hinter der Kettenbrücke noch kommt. Nämlich viel: Eine kleinere Freiheitsstatue mit Bieröffner Palmwedel in der Hand, darüber auf dem dunklen Berg die Citadella, Brücken, die älteste rein technische Uni, Thermalbäder, Theater...

...und sogar der Donauwal ist doch nicht ganz ausgestorben! Das Kultur-, Unterhaltungs- und Einkaufszentrum wird nämlich auf Englisch mit CET abgekürzt, und das heißt auf ungarisch Wal, wovon sich der Architekt offensichtlich hat inspirieren lassen.

Unsere Fahrräder übernachten in einem original Budapester Innenhof.

Und wohin fahren sie nun weiter?
Erstmal nirgends und nach Hause.
Unsere Familientouren an den drei größten Flüssen Deutschlands sind hiermit abgeschlossen (was nicht heißt, dass uns die Ideen für künftige Touren ausgegangen sind.) Es gibt es da allerdings ein klitzekleines Aber: Bei Elbe und Rhein waren wir nach der vierten Staffel fertig, bei der Donau haben wir noch nicht mal die Hälfte geschafft. Doch die übrige Strecke ist für die anderen nun definitiv zu abenteuerlich, und auch ich musste meiner Mutter versprechen, den Rest zumindest nicht allein zu fahren. Fahren will ich ihn schon irgendwann, aber ganz oben auf meiner Liste steht das jetzt nicht.
Denn zur Zeit gibt es da noch ein anderes Problem.
Die Donau strömt nichts Böses ahnend nach Osten und hat noch keine Ahnung, dass am Ufer ihres zehnten und letzten Staates gerade Bomben fallen.

08 August 2025

Donau: Von Carnuntum nach Bratislava

III. Slowakei

Richtiger Name: Slovenská republika
Anteil an der Donau: 172 km (6 %)
Anteil am Donauradweg: max. 166,8 km (5,8 %)
Anteil der Donau an der Staatsgrenze: ca. 174 km (9,9 %)
Ufer: Undurchsichtige Wälder, Beton mit Unkraut, herrliche versteckte Naturstrände
Hauptstadt an der Donau? Ja (Bratislava)
Größter Nebenfluss: Váh/Waag (403 km)
Anzahl Inseln: 3
Größte Insel: Große Schüttinsel
Größter Wasserpark an der Donau: Vadaš Thermal Resort Štúrovo
Schönste Stelle: Badesee Rusovské Jezero
Schlimmste Stelle: in praller Sonne ohne Infrastruktur hinter Gabčikovo
Radwege: Deichradwege ohne Schatten
Einreise: problemlos dank EU
Währung: 


Das hier ist ein Flussgott, der möglicherweise Danuvius heißt. Also der Gott der Donau. Ob diese Personifizierung wirklich eine Verbesserung im Vergleich zur jungen Frau an der Donauquelle ist, muss jeder selbst beurteilen. Auf jeden Fall führte uns dieser füllige Gott heute in neue Gefilde.

Noch mehr Römerkram? Ja, denn auch die nächste Stadt Bad Deutsch-Altenburg war trotz ihres krampfhaft deutschen Namens Teil der Römerstadt. Eigentlich sogar der ältere Teil: Bad Deutsch-Altenberg war die Militärstadt, wo die Soldaten in immergleichen rechteckigen Kasernen (natürlich auch mit Säulen) untergebracht waren. Weil die natürlich alle Essen, Kleidung und Zerstreuung brauchten, wuchsen ringsherum die Häuser der Zivilisten, bis der Platz nicht mehr reichte und fünf Kilometer entfernt eine reine Zivilstadt gegründet wurde - das heutige Petronell-Carnuntum, in dem wir gepennt haben. Damals wurden aber beide als eine Stadt angesehen.
Bad Deutsch-Altenberg ist hauptsächlich eine stille Kurstadt, aber in einer römischen Villa befindet sich auch noch ein kleineres Römermuseum auf zwei Etagen. Moment, müsste unser Ticket nicht auch dafür gelten? Ja, man ließ mich rein. Als ich mich dann aber erdreistete, mich bei einer Führung dazuzustellen (die ohnehin praktisch im ganzen Museum zu hören war), kam mir sofort die Kassiererin hinterher und meinte, dafür müsse ich aber schon obendrauf zahlen.
Also beschränkte ich mich halt auf die Betrachtung von Statuen und Touchscreens. Herzstück ist ein farblich angestrahltes Relief vom Gott Mithras (hinten in der Mitte), der in Carnuntum sehr populär war. Den haben die Römer aus Indien und Persien importiert und stark verändert. Mithras war der Sohn eines Gottes, wurde aus einem Felsen geboren, ist später gestorben, am dritten Tag von den Toten auferstanden, und sein Symbol ist ein +. Klingt vertraut? Niemand weiß mit Sicherheit, was die Mithrasianer von den frühen Christen abgeschrieben haben oder umgekehrt. Manche Historiker behaupten, wäre das Christentum durch einen Zufall untergegangen, dann wären die Europäer alle Mithras-Anhänger geworden. Und doch hatte ich noch nie von ihm gehört.

Unterdessen suchten die anderen McDonalds auf, um sich Kaffee zu holen, und der Jüngste besorgte sich einen Cheeseburger "für den Notfall, wenn ich Hunger habe."
"Und der Notfall trat 500 Meter später ein.", witzelte ich.
"Ja, so war es.", antwortete er.

Mapy.cz hatte noch einen weiteren Tipp für mich: Im Wald über den Sportplätzen sollen sich haufenweise Höhlen befinden, und ihre Namen sind völlig random: Fledermausstollen, Sportplatzstollen II, Gewöllkamerl, Gabelkluft, Altenburger Höhle, Steinbruchstollen I und Rieselkluft.
Ich suchte die zugewachsenen Pfade ab, doch die einzige Höhle, die ich finden konnte, hieß einfach nur: Höhle. Und war ungefähr 2 Quadratmeter groß. Oder wie man in München sagen würde: 900 Euro kalt.
Ansonsten entdeckte ich noch einen Zaun mit dem Schild: Natur im Garten, Räuber im Haus, so sieht's in Österreich seit Schengen aus. Die EU ist bekanntlich an allem Schuld, sogar daran, dass man den eigenen Garten verwildern lässt.

Das ganze Gebiet grenzt an einen Steinbruch und ist der letzte Ausläufer eines Gebirgsmassivs, das wir gestern schon gesehen haben und jetzt umrunden mussten - zum Glück fast steigungsfrei. Vielleicht stecken die restlichen Höhlen direkt in dieser Felswand (rechts) drin, dann hatte ich natürlich keine Chance, da reinzukommen.

Dieses Gebirgchen sieht ja geradezu alpin aus! (Es ist nicht mit den Alpen verbunden, aber auch nicht so weit von ihnen entfernt.) In unserem Hotel lagen sogar Flyer für irgendwelche Bergseilbahnen aus. Das erklärt dann auch, warum die Römerstadt in diese Richtung nicht weiterwachsen konnte. Auch uns blieb eine kleine Steigung nicht erspart, vorher aber konnten wir nochmal so richtig schön zwischen Stadtmauer, Gleis und Donau fahren.
Hoch über der der Stadt thront eine große Burgruine, die so alt ist, dass sie schon im Nibelungenlied alt genannt wird. Unsere Mutter wollte da unbedingt hoch, bis sie sah, wie hoch genau die Ruine über der Stadt lag (ziemlich hoch).
Vom antiken Rom wechseln wir ins Mittelalter. Hainburg an der Donau ist eine stark befestigte Stadt, die hier die Stellung hielt gegen die Ungarn und alle, die sonst noch aus dem Osten kommen könnten. Für ihre Stadtmauer waren die Hainburger bereit, weit zu gehen: Ein Teil der Befestigungen wurde aus dem Lösegeld für den entführten König Richard Löwenherz gebaut.

Die Mauern gaben ihr Bestes und schafften es einmal, das Osmanische Reich von Wien fernzuhalten. Beim zweiten Mal waren sie aber schon so lädiert, dass die Türken den Rest zerschossen und die Mauern überrannten.
Wir stiegen hinauf zur Blutgasse. In Hainburg deutet der Name ausnahmsweise nicht auf die Wohnung eines Schlachters oder Henkers hin, sondern auf eine Tragödie.
Am 12.7.1683 stürmten die Türken Hainburg. Die Bewohner wollten in die Donauauen abhauen und stürmte die Blutgasse runter. Nur leider hatte noch keiner das Fischertor geöffnet, und die Torflügel öffneten nach innen. Sehr schnell kam es zu einem Gedränge, in dem das Tor einfach nicht mehr aufzukriegen war. 8.432 Hainburger starben an diesem Tag, viele durch türkische Krummsäbel, viele aber auch einfach zertrampelt in einer Massenpanik.
Überlebt haben 100. Unter ihnen war ein gewisser Thomas Haydn, der Großvater des Komponisten.

Als nächstes verließ ich die offizielle Route und machte eine Schleife nach Norden, um mir einen ganz markanten Punkt der Donau anzuschauen, zumindest vom anderen Ufer. Der Kiesweg am Ufer ist gar nicht so schlecht, nur ein Stückchen gegen Ende ist verschlammt. Aber wo ist jetzt Devin? Mist, das Ufer ist ja total zugewachsen. Ich kämpfte mich durch Brennnesseln, immer dem Gekreische der badenden Kinder nach, und kam schließlich an einem idyllischen Kiesstrand mit umgestürzten Bäumen heraus. Was im Grunde eine ziemlich sinnlose Aktion war, denn ein paar Meter weiter konnte ich dasselbe direkt vom Weg aus sehen.
Wow! Die Burgruine Devin ist unerwartet groß. Die malerischen Mauerreste auf dem Gipfel sind nur die Spitze des Burgbergs, über dem ganzen Dorf erstrecken sich viel intaktere Mauern den ganzen langen Hügel entlang, als hätte jemand bei Carcassonne eine viel zu langgezogene Stadt gerade noch rechtzeitig fertiggestellt.
Wie ich später erfahren habe, war der ganze Umweg im Grunde eine ziemlich sinnlose Aktion, denn die Burg ist so hoch, dass man sie auch vom offiziellen Radweg aus sieht. Hm, naja. Zumindest sieht man nur hier die Mündung der March, wenn auch nicht allzu gut.
Die Burgruine war das erste, was ich jemals von der Slowakei zu sehen bekam. Was für ein Auftritt!

Mein Umweg wurde erst recht zur sinnlosen Aktion, als wir auf dem Rückweg mit dem Auto von der Autobahn in diesen unscheinbaren Stadtteil mit Parkplatz und Restaurants am Fuße der Burg abbogen. Aber ich will mich nicht beschweren, denn das war ein richtig faszinierender Stopp. Sogar ein Immobilienplakat warb mit dem Bild der Burg, darunter stand: Familienhäuser zu verkaufen!
Tief unter den altehrwürdigen Steinmauern bringt die moosgrüne Morava/March das komplette Wasser aus dem östlichen Tschechien in die Donau. Aber nanu? Vergessen Sie die gleichberechtigten Streifen in Passau, hier ist die Donau so dominant, dass sie das Morawasser ein gutes Stück in sein Flussbett zurückdrängt. Noch nie habe ich einen Fluss gesehen, dem das Münden so schwer gemacht wird.
Die Morava ist zwar die Lebensader von Mähren, aber an dieser Stelle grenzt sie nicht mehr an Tschechien, sondern an Österreich und die Slowakei.

Hauptsächlich sind wir über graue Mauern, verfallene Treppen und Tore gewandert, wie man das auf Burgruinen eben so tut. Eidechsen huschten über den Stein. In den paar Ausstellungsräumen lagen jetzt keine superspannenden Sachen herum, die meiste Zeit habe ich Texte gelesen. Die Besonderheit der Burg ist eine andere: Erstens kann man wirklich, wirklich weit durch verfallene Mauern wandern (den großen Rundweg haben wir gar nicht geschafft) und zweitens war ich noch niemals zuvor an einem Ort, der so verdammt lange historisch relevant war.
Die ersten Menschen lebten hier schon 6000 Jahre vor Jesus. Die Römer vom anderen Ufer bauten sich hier ein Lager als Standbein im Feindesland. Aber es sollte nochmal 900 Jahre nach Jesus dauern, bis Devín tatsächlich Teil eines Staates wurde - dann aber auch gleich ein Verwaltungs- und Machtzentrum. Dieser Staat ist zugleich Mythos und Mysterium. Man nennt ihn das Mährerreich, oder in Tschechien und der Slowakei lieber: Großmährisches Reich. Viel weiß man nicht darüber, außer dass Fürst Rastislav geherrscht hat, Kyrill und Method aus dem Oströmischen Reich missioniert und die kyrillische Schrift gebracht haben - und dass eben das heutige Mähren das Zentrum des Reiches war. Und es war der erste richtige Staat auf tschechischem und slowakischem Boden. Gerade die Slowaken identifizieren sich sehr damit, weshalb sich im 19. Jahrhundert gern slowakische Nationalromantiker in der Ruine versammelten.

Aber der Reihe nach. Nach dem Mährerreich kamen die Ungarn und mussten feststellen, dass auf dieser Burg eine simple Sache nicht so einfach ist: Das Trinken. Obwohl sie an zwei Flüssen lag, die sich sogar ins Gestein fraßen und richtige Höhlen ausspülten, war der Stein einfach zu hart, um einen Brunnen zu bohren. In den höchsten Turm war eine enorme Regenwasserzisterne eingebaut, und auf die und schlechtes Wetter waren die Bewohner angewiesen, bis es im 15. Jahrhundert mit dem Brunnen endlich klappte.
Napoleon ließ die Burg sprengen, obwohl sie militärisch nicht mehr wichtig war, einfach zur Demütigung. Die Ungarn bauten dann ein Denkmal für die Landnahme der Magyaren darauf, was sie Slowaken so sehr anpisste, dass sie das Denkmal in die Luft sprengten. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts lebten hier noch irgendwelche Adelsfamilien.

Aber auch im letzten Kapitel eines heutigen Geschichtsbuchs war Devín präsent: Dem Kalten Krieg. Schließlich brachte die Morava nicht nur Wasser, sondern auch den Eisernen Vorhang aus dem Norden. (Der Iron Curtain Trail kommt mit ihr und folgt dann der Hauptstraße am Nordufer bis nach Bratislava.) Ein Ausstellungsraum voller Drähte und Zäune widmet sich diesem düsteren Kapitel.
Die 11. Grenzbrigade bewachte das Gebiet um Bratislava, etwa 2000 Leute, davon 50 bis 85 auf Devín. Dazu kamen zivile Helfer und Jungpioniere von 6 bis 15 Jahren. Wenn ein bestimmtes Lied im Radio gespielt wurde, war das ihr Signal, auf ihre Posten im Dorf zu gehen und Ausschau zu halten. An der slowakischen Grenze wurden mindestens 42 Menschen erschossen, was die Ausstellung mit den drastischen Strafen erklärt, die den Soldaten bei einer erfolgreichen Flucht drohten. 
Aber gleichzeitig war die Burg eben immer noch eine wichtige historische und symbolische Stätte, die nun dummerweise in der Grenzzone lag, und nun brauchte man eine Sondergenehmigung, um überhaupt die dazugehörige Ortschaft zu besuchen. Die Kommunisten diskutierten und konnten sich schließlich durchringen, eine Ausnahme für touristische Besucher zu machen. Und die wurde natürlich gleich von Flüchtlingen genutzt.
Eine Familie floh erfolgreich mit einem selbstgebauten Amphibienfahrzeug - erst vier Meter vor dem österreichischen Donauufer blieb es auf einer Sandbank stecken. Der verantwortliche Grenzkommandeur wurde für 30 Tage freigestellt, weil er seine Waffe nicht eingesetzt hatte, und fortan standen steinerne Hindernisse in der Donau.
Ein anderer Kommandeur plauderte bis spät in die Nacht mit einem Grenzsoldaten über das Leben und den Dienst. Danach kroch der Soldat, der die Gegend gut kannte, durch einen Entwässerungstunnel unter der Straße, knipste entscheidende Kabel der Elektrozäune durch und schwamm nach drüben, wo er brüllte: "Grüßt Leutnant Randúch von mir! Ihr habt ein Loch im Zaun!" Was ein Typ.
Weniger gut lief es für eine Gruppe DDR-Touristen, die ihr Auto nah am Zaun parkten und kurzerhand vom Autodach über den Zaun sprangen. Einer von ihnen wurde beim Schwimmen im Kreuzfeuer tödlich verwundet.
Im Dezember 1989 war das hier einer der letzten Grenzabschnitte, auf dem der Eiserne Vorhang noch stand. Ein großer Protestmarsch nach Hainburg sollte das ändern, die Grenzsoldaten ließen sie durch und kamen kaum damit hinterher, ihre Pässe zu stempeln. 
Dennoch ist der Geist dieser Zeit nicht restlos verschwunden.
"Was guckst du da rüber nach Österreich?", herrschte ein Vater seinen Sohn an, der in ein Fernglas schaute. "Guck da nicht hin!"

Der Donauradweg auf dem Deich folgt die ganze Zeit einer Hauptstraße, und unter dem futuristischen Fernsehturm türmen sich schon Berge und bunte Wohnblocks auf. Die Berge sind die Kleinen Karpaten, eine Mini-Version des großen slowakischen Gebirges. Und die Wohnblocks sind die slowakische Hauptstadt, eine Mini-Version von Wien und Prag.
Dabei war dieses Ufer bis 1918 noch ungarisch. Und wenn sich die Tschechen und Slowaken in den 90ern auf eine gemeinsame Staatsform geeinigt hätten, dann wäre es jetzt tschechoslowakisch. Stattdessen stritten sie sich im sogenannten Gedankenstrich-Krieg schon darum, ob man einfach den Sozialismus aus der Tschechoslowakischen sozialistischen Republik rausstreicht, oder mit Bindestrich, oder doch Tschechische und slowakische, und ob man slowakische großschreiben soll, obwohl die Grammatik das nicht erlaubt, und was eigentlich der Unterschied zwischen einem Gedanken- und Bindestrich ist. Es gab sogar Hungerstreiks für den Bindestrich und natürlich Nazivergleiche. (Hitler hat es auch den Gedankenstrich benutzt, und schaut euch an, wie das ausgegangen ist!) Jedenfalls haben sich die tschechischen und slowakischen Politiker am Ende friedlich getrennt, und das Gute daran ist, wir lernen jetzt einen neuen Staat und eine neue Hauptstadt kennen.

Am Wegesrand erschien ein abgenutztes österreichisches Zollgebäude. Auf den ersten Blick schien es nicht mehr in Betrieb zu sein, aber... doch, die Fahrzeuge wurden durch Warnbaken auf eine Ehrenrunde über das Zollgelände geleitet, wir dagegen rasten unbehelligt durch.
Die Grenzlinie war kaum zu erkennen. Irgendwo links unterm Deich verkündet an einem trockenen Graben (vor dem Wäldchen hinten in der Bildmitte) ein kleines rechteckiges Schildchen: Staatsgrenze. Hätte ich nicht gezielt nach irgendeinem Zeichen gesucht, dann hätte ich es garantiert übersehen.
Und was ist das erste Gebäude, mit dem uns die Slowakei empfängt? Ein zwielichtiges Billigcasino. Wow. Was für ein Auftritt.

Aber nein, im selben Gebäude befindet sich auch ein Laden mit Holztischen. Er heißt Autoberg, doch statt Ersatzteilen konsumierten wir direkt auf der Grenze Kofola und Koláče. Die Dinger sind anscheinend nicht nur typisch tschechisch, sondern auch slowakisch. In der Slowakei stopft man die Nuss- und Mohnfüllungen aber auch gern in ganz kleine gebogene Hörnchen.
Hier treffen wir auch den Iron Curtain Trail wieder. Der kommt frisch aus Bratislava und verläuft ab hier erstaunlich nah an der Grenze, praktisch auf der Grenzlinie.

Mein Sitznachbar hatte mich schon auf der Fahrt nach Wien darauf hingewiesen, dass um diesen Deichradweg überall Bunker verstreut liegen. Manche sind offene Ruinen, manche kostenpflichtige Museen und manche werden noch heute von der slowakischen Armee zur Verteidigung benutzt (im Bild). Nach Hitlers Machtergreifung wollte die Slowakei ihre Grenzen zu den besten und modernsten in Europa aufrüsten, mit "Stahlbetonobjekten", Kanonen- und "Maschinengewährausrüstung" (alle Angaben ohne Gewehr). Noch bevor sie fertig waren, war Deutschland aber so hochgerüstet, dass es die Slowakei bedrohen konnte: Hört auf mit dem Ausbau, sonst marschieren wir ein.
Am 10.10.1938 marschierten sie natürlich trotzdem ein.

Der Radweg folgt der Autobahn im Bogen bis ans Ufer und stößt schließlich auf den Nový Most - die Neue Brücke, auf deren Spitze ein Ufo gelandet ist, und die Aussichtsplattform da drin heißt wirklich UFO. Unser Vater schlug vor, in dem Restaurant da oben essen zu gehen, bis er die Preise sah. Ich hatte diese brutalistische Brücke schon auf Bildern gesehen und irgendwie hat sie mein Bild von Bratislava (scheußliche Eindeutschung: Preßburg) als stalinistische Stadt sehr geprägt.

Ein vollkommen falsches Bild! Das wurde uns bei der Fahrt über die Donau langsam klar. Über dem Fluss thront der weiße Hrad (Burg) von Bratislava in Form eines selbstbewussten Quadrats mit vier Türmen. Das sieht doch sehr viel burgiger aus als die Wiener Hofburg oder Prager Burg!

Kurz hinter der Brücke fanden wir uns auch schon am Martinsdom wieder, in dem die ungarischen Könige gekrönt wurden. Dafür ist er gar nicht mal soo groß. Der Donnerstagsgottesdienst beginnt erst in 15 Minuten, also können wir noch reinschauen, oder?
"...der uns Leib und Trank gegeben hat beim letzten Abendmahl."
Doch bereits jetzt sang eine Stimme, und die Gemeindemitglieder antworteten.
"Jesus Christus, der den Lauf des Lebens beherrscht, der uns Leib und Trank gegeben hat beim letzten Abendmahl."
Ungefähr so viel habe ich verstanden.
"Jesus Christus, der den Lauf des Lebens beherrscht, der uns Leib und Trank gegeben hat beim letzten Abendmahl."
Immer wieder dasselbe, minutenlang.

Der Dom bewacht den Eingang in die Altstadtgassen.
Bratislava mag im Schatten von Wien, Prag und Budapest stehen, aber Touristen gibt es hier definitiv auch, und zwar nicht zu knapp. Souvernirläden, Restaurants, Cafés, dazwischen zwängt sich gelegentlich eine Limousine zu ihrer Botschaft durch, und natürlich Touren- und Stadtradler, die in diesem Gewusel nur wenig Hemmungen kennen.
Und doch... irgendwie ist hier alles eine Nummer kleiner. Ist es sehr gemein, wenn ich schreibe, Bratislava ist die allergrößte Kleinstadt, die ich je gesehen habe? An den Aussichtspunkten erstrecken sich die Wohnblocks der Vororte zwar noch weit in die Ferne, aber das ist dann eben auch alles, dahinter kommen nicht noch zwölftausend Vororte außer Sichtweite wie in Berlin.
Muss ja auch nicht.
Es ist eine sehr sehenswerte Stadt, nur fehlt ein touristisches Highlight vom selben Kaliber wie der Prater oder Schönbrunn. Andererseits ist Wien ja um die Ecke.

Von den vielen Marktplätzen hat uns der Platz des Nationaldichters Hviezdoslav am besten gefallen. Als unser Vater das letzte Mal hier war, bestand er noch aus öden Betonplatten, jetzt sprudelt und grünt es rund um den Poeten.
Komponisten kamen auch immer aus Wien rüber, wie die Steinplatten an den Häusern verraten: Hier gab Mozart mit sechs ein Konzert, dort Franz Liszt als Erwachsener.

Čumil ("Glotzer") heißt dieser zufriedene Kanalarbeiter, der sich ausruht und dabei Passanten von unten beobachtet. Er ist der instagramabelste Ort von Bratislava, und wer ihn ohne einen wildfremden Menschen mit der Hand auf dem Hut fotografieren will, der braucht Geduld. Dass er an einen stadtbekannten Widerstandskämpfer aus dem Sozialismus angelehnt sein soll, ist nicht bestätigt.

Hinter der Michalská brána (Michalstor) steht das schmalste Haus Europas. Mit 1,3 Metern ist es nicht viel breiter als die Glastür. Wir haben ewig gebraucht, um es zu finden.

Vor dem Tor gibt es auch Suppe in essbaren Bechern zu kaufen, ein sehr sättigender und nahrhafter Snack.

Gegenüber vom Martinsdom steht eine doppelte Stadtmauer, die permanent von Touristenführungen mit Audioguides gestürmt wird, ein Durchkommen ist schwierig. Aber notwendig, wenn man das Brückchen über die Schnellstraße erreichen will. Dieser Straße stand 1969 noch eine große und prächtige Synagoge im Weg, welche die Sozialisten gesprengt haben. Plakate auf der Stadtmauer erzählen vom jüdischen Leben Bratislavas, auch das dazugehörige Museum ist nicht weit.
Hinter der Straße guckt unauffällig ein besonderes Haus (links) hervor, frisch gestrichen in gelb mit weißen Streifen. Das Haus zum Guten Hirten ist ein ehemaliger Teil der Vorburg und eins der am besten erhaltenen Rokoko-Häuser der Stadt.

Kommen Sie an einen Ort, an dem die Zeit stehengeblieben ist! Wir folgten dem Schild ins Haus zum Guten Hirten und entrichteten drei Euro pro Nase für das Uhrenmuseum. Bei dem Preis hatten wir jetzt nicht viel erwartet. Eine Erwartung, die nicht enttäuscht wurde.
Bratislava war seit dem 15. Jahrhundert eine Stadt der Uhrmacher. Die Uhrmachergilde war die einzige der Slowakei und die größte in ganz Ungarn, als die Stadt noch ungarisch war. Ihre Arbeiten sind auf drei knarzenden Stockwerken ausgestellt und werden nicht von Kameras, sondern noch ganz oldschool von gelangweilten Museumswächterinnen auf knarzenden Stühlen bewacht. Interessant fand ich zum Beispiel eine Armband-Sonnenuhr, mit integriertem Kompass, damit man auch weiß, wohin man sie halten muss.

Die reich verzierten Uhren aus Gold und Ebenholz sind von verschiedenen halbnackten Figürchen umzingelt, zum Beispiel Papageno aus der Zauberflöte.
Außerdem gibt es sowohl Bilderuhren (Uhren mit einem kleinen runden Gemälde drin) als auch Uhrenbilder (Gemälde mit einer kleinen Turmuhr o.Ä. auf der Leinwand, deren Zeiger tatsächlich die Zeit anzeigen).
Nur: Die Zeit war immer falsch. Nichts regte sich, nichts tickte, nichts gongte.
"Schade, ich dachte, das ist wie bei Meister Hora", meinte unsere Mutter enttäuscht.
Nun ja, das Schild am Eingang hatte es ja schon verraten.

So, aber jetzt ist ein bisschen Bergwanderung angesagt! Richtig in die Kleinen Karpaten werden wir nicht wandern, aber zumindest den Aufstieg zur Burg schaffen wir. Auf halbem Weg stolperten wir noch in die Orthodoxe Nikolauskapelle rein.

Auch hier erschallte Singsang, allerdings nur vom Band. Wer es wagte, die heilige Tonaufnahme mit allzu lauter Stimme zu stören, wurde trotzdem mit einem "Pscht!" zurechtgewiesen. Die überbordende Deko gibt es so ähnlich in allen orthodoxen Kirchen, auffällig fand ich dagegen den, äh... ist das ein Weihwasserspender? Oder eine automatisierte Fußwaschanlage, bei der einem quasi der daraufgemalte Jesus die Füße waschen soll?

Nun aber hinauf zur Bur... oh, ein Café, wir sind eigentlich schon ziemlich durstig.
Jetzt aber.
Die Burg Bratislava ist richtig, richtig weiß. Sogar im Garten dominiert diese Farbe das Rot der Rosen, die sich im grünen Heckenlabyrinth für Gnome verirrt haben. Damit ist dieser Garten noch sehr, sehr farbenfroh im Vergleich zum Innenhof, der ein vollkommen steriles weißes Rechteck darstellt. Selbst der Blick in den Burgbrunnen war spannender. Immerhin waren da drin neben Wasser auch 600 PET-Flaschen.

In der Burg befindet sich ein historisches Museum, das mehreren Quellen zufolge aber eher trocken sein sollte. So wie unsere Kehlen es bereits wieder waren. Also genossen wir den Blick über die Donau und machten uns an den Abstieg.

Gleich neben der Burg steht das Parlament der Slowakei. Burg Devin war nicht mehr zu sehen, dafür aber die weiter entfernte Burg von Hainburg. In Österreich drehten sich überall Windräder, an der Grenze hörten sie schlagartig auf. Stattdessen Wohnblocks und weiter stromabwärts Fabrikschornsteine. Und trotzdem musste unser Vater zugeben: "Ich habe Bratislava großes Unrecht getan."

Ja, die Stadt hat sicher Ostblock-Vibes, aber auf eine nette Art. Und das hat nicht einfach nur damit zu tun, dass die Wohnblocks bunt gestrichen sind (das sind sie in Nordkorea auch), es ist die ganze quirlige und freudige Art dieser Stadt. Die ging auch nicht verloren, als wir die touristische Altstadt verließen, sie veränderte sich nur. Und wurde lauter. Neue Architektur aller Art mischt sich mit gelegentlichen Stuckbauten, dazwischen drängen sich endlose Autokolonnen, Straßenbahnen und Oberleitungsbusse hindurch.

Direkt hinter solch einer Kreuzung steht auch das zweite Schloss der Stadt. Im Palais Grassalkovi wohnt der Präsident. Seine Residenz folgt dem Motto Liebling, ich habe das Weiße Haus geschrumpft und ist fest verschlossen. Nur ein Plakat auf dem Zaun wirbt für den Tag der offenen Tür am 31. August. Die Mauern hinter dem Palast verraten nur, dass der Präsident in seinem Garten herrliche alte Kastanienbäume hat.

Der Jüngste, der bisher bei der Reiseplanung eher untergebuttert wurde, stand vor der Wahl: Shoppen mit der Schwester oder schwimmen mit dem Bruder? Er entschied sich für das Freibad inmitten von Wohnblocks, eine wahrscheinlich sogar ziemlich authentische Bratislaverfahrung. Wir checkten per Kreditkarte im Oberleitungsbus ein und fuhren ein paar Stationen hinaus, dann liefen wir über einen Bürgersteig, der eigentlich eine Art zweite Fahrbahn zum Ranfahren an die Wohnblocks war.
Es ist ein ganz pragmatisches Freibad, und doch auf seine Art sehr nett gemacht. Statt Umkleiden gibt es zum Beispiel diese gewundenen Umkleide-Sichtschutzwände, die ich eher vom Strand kenne. Statt eines Sprungbeckens nur ein abgetrenntes Eselsohr vom Becken, in das man vom Beckenrand springen darf.
Und statt einer Liegewiese Beton.

Abends schauten wir in der Altstadt die Speisekarten durch, und vieles kam uns gleich bekannt vor. Manches ist ein bisschen anders geschrieben, doch die Gerichte sind dieselben wie in Tschechien.
"Rezeň?", meinte unser Vater. (Klingt fast wie das Zeug, aus dem meine Bremsbeläge bestehen.) "Was ist das?" Er fragte die Kellnerin auf Tschechisch.
"Řízek", antwortete sie - Schnitzel. Ah, natürlich! Auch wenn wir fast alle Schilder lesen können, sind die Unterschiede zur Sprache des Bruderstaats manchmal doch tückisch.
Außer für die sprachbegabte Kellnerin. Die sprach mit dem Jüngsten auf Deutsch, und am Nachbartisch dann auf einmal Italienisch.
Letztendlich bestellten wir das, was sich in tschechischen Speisekarten eben nicht so häufig steht: Köstliche Rippchen (die waren in allen Restaurants am teuersten) und neue Arten von Knödeln. Zumindest hatten wir unter dem Namen so etwas wie Kartoffelknödel erwartet. Aber nanu? Diese Knödel sind ja winzig, das sind doch eher Gnocchi! Geschmeckt haben sie aber.

Wir blieben zwei Nächte in einer Ferienwohnung in der Altstadt. (Wenn man die Radtour halb zum Hauptstädte-Trip macht, dann lassen sich nämlich auch Teenager überzeugen, mitzukommen.)
"Können wir die Räder irgendwo unterstellen?", fragten wir vorab beim Vermieter.
"Kein Problem, stellen Sie sie einfach auf die Terrasse. Das Haus hat einen Aufzug.", lautete die Antwort.
Ja, das Haus hatte in der Tat einen Aufzug. Und der ist auch super geeignet, wenn man, sagen wir mal, eine Besenstange ins zweite Stockwerk transportieren möchte.

Oben stellten wir überrascht fest, dass die Wohnung das genaue Gegenteil des Aufzugs darstellt - viel geräumiger als der Fahrstuhl oder die enge Terrasse.
So nah bei meinem Rad habe ich, abgesehen vom Camping, noch nie zuvor geschlafen.

Die Donaugrenze

Länge: 14 km
Grenzquerungen: 1 
Länder: Österreich (Niederösterreich)/Slowakei (Bratislavský kraj)
Seite: Ost, ab dem Grenzübergang am Südufer dann ziemlich exakt auf der Grenzlinie
Erkenntnis: Slowakische Flüchtlinge sind krasse Typen.