Dumm, Dümmer, am dümmsten oder: Was der deutsche Nahverkehr mit russischen Puppen zu tun hat
Dienstagmorgen. Ich erwache. Brauche einen Moment, um herauszufinden, wo ich bin. Liege offenbar im Wald. Über mir verblassen die letzten Sterne zwischen den Zweigen. Bin entzückt, aber auch verwirrt. Erinnere mich vage. Habe gestern versucht, anhand der letzten Sonnenstrahlen auf der ausgehängten Landkarte zu erkennen, wo die Naturschutzgebiete enden, wo ich also einigermaßen legal im Wald schlafen darf. Der letzte Zug war schon weg. Da war auf der einen Straßenseite das Naturschutzgebiet Pestruper Gräberfeld und auf der anderen Seite das Naturschutzgebiet Rosengarten. Keine Ahnung, wieso das so heißt. Es ist halt einfach ein dichter Wald.
Stehe auf und gehe ein paar Schritte. Treffe auf eine Bundesstraße mit Radweg. Esse Frühstück in einer Bushaltestelle und entscheide dann, der Straße zu folgen. Kürze mir dadurch viele Kilometer ab. Komme an 500 Bäumen vorbei. Die wurden als Ersatz für ihre älteren Kollegen gepflanzt, die eine Windhose 2017 abrasiert hat.
Im Prinzip also ein ganz harmloses Thema. Eigentlich. Aber wie wir diesen Sommer gelernt haben, ist so ein Regenbogen alles andere als harmlos, sondern ein brandgefährliches politisches Statement. Hätte man diese Brücke über die Donau genau neben die ungarische Grenze gebaut, dann hätte sie wahrscheinlich eine außenpolitische Krise ausgelöst und wäre europaweit in den Schlagzeilen gelandet. Aber sie überquert nun mal die Hunte, und dieser Fluss passiert gar keine Grenze (nicht einmal zwischen zwei Bundesländern).
Denke mir, hm. War das wirklich so eine gute Idee, diesen Blogeintrag im Stil von Horst Evers zu schreiben? Andererseits weiß ich eh nicht, ob man da so einen großen Unterschied bemerkt. Immerhin schaffe ich es eh nicht, seinen Stil so hundertprozentig zu treffen, und außerdem hat mich sein Humor schon länger beeinflusst. Glaube ich. Zum Beispiel bekomme ich oft zu hören, dass ich das Wort quasi ja quasi genauso oft benutze wie Horst Evers, also quasi.
Wahrscheinlich soll das darüber hinwegtäuschen, dass es eben keine richtige Stadt mit Bahnhof direkt am Dümmer gibt, die sich als Schlusspunkt eignet. Finde nur lauter kleine Orte, die meistens mit Lem- beginnen: Lembruch, Lemwerder und Lemförde. Letzteres liegt noch ein Stück weiter südlich und hat dann auch einen Bahnhof, ist aber auf der Karte nicht mehr drauf.
Durchquere das Naturschutzgebiet Hohe Sieben. Das ist ein seltsamer Name für einen Sumpf. Betrete einen Steg und wandere durch das Schilf. Beobachte eine Entenmutter mit ihren Küken. Normalerweise sieht man die im Stadtpark, wie sie brav in einer Reihe hinter der Mama herschwimmen. Hier sehe ich die aber quasi in ihrem privaten Bereich, und da geht es alles andere als ordentlich zu. Die Küken schwimmen wild durcheinander durch ihr unaufgeräumtes (und überflutetes) Kinderzimmer. Ich versuche, alle zu zählen, aber ich gerate ständig durcheinander. Baumstümpfe, Grasbüschel, Äste und Entengrütze... Moment, was ist das für ein blaues Vogelküken? Das ist ja gar keine Stockente, sondern noch eine andere Art. Wahrscheinlich ist die gerade zum Spielenachmittag da.
Ich bin ja generell kein Fan der Idee, Wörter klein zu schreiben, die eigentlich groß geschrieben werden, nur weil das irgendwie modern und stylisch aussieht. Aber wenn man das bei dem Wort Dümmer macht, dann wirkt diese Idee gleich noch viel dümmer.
Der See wird manchmal einfach Dümmer genannt und manchmal Dümmer See. Überlege, welche Bezeichnung die Einheimischen wohl in Wahrheit benutzen. Will mich ja nicht gleich als Tourist outen. Andererseits - will ich mich etwa als Einheimischer aus dieser Region ausgeben? Frage mich, was wohl peinlicher ist - freiwillig hierhin zu reisen oder freiwillig hier zu leben.
Komme zu dem Schluss: Eigentlich keins von beidem. Der Dümmer ist doch super! Superflach, superweit, supergrün, ganz ähnlich wie das Steinhuder Meer. Und super übervögelt. Aber hallo! Hier sind viele Vögel unterwegs. Das bedeutet zwangsläufig, dass in regelmäßigen Abständen so ein hölzerner Aussichtsturm stehen muss, wo man anhand der Bilder auf einer vergilbten Plastiktafel die einzelnen Vogelarten identifizieren kann. Also rein theoretisch. (Auf meinen Reisen ist mir das bisher nur zweimal gelungen.). Im Norden steht der Nordturm, im Osten der Ostturm, im Süden der Südturm und im Westen war ich ja wie gesagt nicht, aber ich vermute mal ganz stark, da steht der Westturm. Einer der Aussichtspunkte hat komische Plastikscheiben mit Löchern, die man über die Fenster schieben kann. Keine Ahnung, was das bringen soll. Ist ja nicht so, dass die Vögel dadurch besser vor dem Lärm der Leute geschützt sind, wenn die Leute das Fenster nach Belieben öffnen oder schließen können und rundherum sowieso alles offen ist.
1860 wurde ernsthaft geplant, den Dümmer trockenzulegen. Weil dann ja viel mehr Platz für die Landwirtschaft und die vielen Menschen ist. Wurde zum Glück nicht umgesetzt. Wenn Niedersachsen etwas nicht braucht, dann sind es noch mehr flache Felder.
Der Hunteradweg ist jetzt zu Ende, der Fluss aber noch nicht ganz. Die Hunte muss schließlich noch zu ihrer Quelle im Wiehengebirge am Teutoburger Wald. Denke, gut, ist mir aber egal, wenn es da überhaupt keine Radroute gibt. Stelle erst ein Jahr später fest: Es gibt doch eine, und hole den Abschnitt nach.
Epilog
Am Bahnhof Lemförde hat jemand drei weise Ratschläge auf die Wand geschrieben: Stay in drugs. Eat your school. Don't do vegetables. Immerhin: Den dritten habe ich in meiner Kindheit konsequent befolgt.
Fahre über Osnabrück bis zur Zigarrenstadt Bünde und erfahre dort, dass mein Anschlusszug ausfällt und ich eine Stunde warten muss. An sich eine ganz normale Information für einen Bahnfahrer. Wo man sich schon denkt: Das ist jetzt nicht sonderlich originell. Den haben sie schon oft gebracht, da hätten sie sich ruhig was Neues ausdenken können.
Die Bahn-App scannt offenbar automatisch meine Gedanken und denkt sich gleich etwas Originelleres aus: Bei dem Zug in einer Stunde entfällt dessen Anschlusszug, also quasi der Anschlusszug an den Anschlusszug, sodass ich dann auch in Hannover noch anderthalb Stunden warten muss, während der frühere Anschlusszug an den Anschlusszug, den ich geschafft hätte, wenn der Anschlusszug nicht ausgefallen wäre, ganz normal fährt. Also zwei gekreuzte Verspätungen. Respekt. Das ist schon sehr kreativ und gleich auf so vielen Ebenen ärgerlich. Bin begeistert.
Komme irgendwann in der Nacht zu Hause an und mache mich am nächsten Morgen auf die Suche nach dem verschwundenen Laptop. Laut dem Schild an der Bushaltestelle fahren dort Busse des Verkehrsverbunds Bremen-Niedersachsen. Bin naiv und denke also, dass die zuständig sind und ich mich dann einfach an sie wenden muss. Ich suche auf Google nach dem VBN, finde eine E-Mail-Adresse und schreibe dahin. Erhalte am nächsten Tag die Antwort: Die sind gar nicht zuständig, dafür muss ich mich an die Verkehrsbetriebe Oldenburger Land wenden, bekomme sogar eine Telefonnummer. Rufe da an und höre eine automatische Durchsage: Willkommen bei der Wilhelm-Hering-Verkehrsgesellschaft. Nanu? Für Fundsachen solle man sich auf der Website melden. Rufe die Website auf. Die besteht eigentlich nur aus Weiterleitungen zu anderen Verkehrsbetrieben, darunter auch wieder die Verkehrsbetriebe Oldenburger Land. Ich klicke mich zur Website der VOL durch und schreibe eine Nachricht ans Kontaktformular. Bekomme am nächsten Tag die Antwort: Die Strecke bedienen sie gar nicht, dafür ist das Busunternehmen Jürgen Schloter zuständig. Immerhin, jetzt habe ich schon einen richtigen Namen. Habe das Gefühl, ich komme dem Ziel langsam nähe. Google findet von Herrn Schloter eine Website und eine Telefonnummer. Leider geht bei der Nummer niemand ran und die Website gibts nicht mehr. Langsam beschleichen mich erste Zweifel. Als Herr Schloter irgendwann doch noch abhebt, frage ich ihn nach dem Laptop. Er erklärt kurz angebunden, es wurde kein Laptop gefunden, es würden aber auch andere Busunternehmen die Haltestelle anfahren. Leider weigert er sich, mir zu verraten, welche das sind. Die Suche geht weiter.
236783 Verkehrsverbünde, Busfirmen und Verkehrsbetriebe später komme ich zu dem Schluss, dass ich den Laptop vermutlich nicht finden werde.
Habe dann noch die Idee, beim Huntebad in Oldenburg zu fragen. Die antworten direkt, dass er gefunden wurde. Jetzt weiß ich wieder, warum ich lieber schwimme als Bus fahre.
Vergessen Sie das 5-Sterne-Zertifizierungssystem des ADFC, die Dungeons-and-Dragons-Zertifizierung ist weitaus präziser! |
Da bin ich aber froh, dass der Laptop wieder da ist!
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