Die Mecklenburger Seengrenze IV
Länge: 15 km
Grenzquerungen: 0 bzw. 1 auf der Schwanheide-Strecke
Bundesländer: Schleswig-Holstein/Niedersachsen/MV
Seite: West bzw. größtenteils Ost bei der Schwanheide-Strecke
Erkenntnis: Deutsche Züge waren mal unpünktlicher.
Erkenntnis: Deutsche Züge waren mal unpünktlicher.
Für diese Etappe gibt es zwei Möglichkeiten. Die Westroute ist die offizielle Strecke, die Ostroute ist nur zur Hälfte als Variante verzeichnet. Wir radelten diese Strecke mit einem Freund, der versucht hat, Michael Cramer, den Autoren des Radführers, zu überzeugen, dass die Ostroute besser ist. Zu Recht?
Beginnen wir also bei der Ostroute, die erst einmal die Grenze überquert. Diese verläuft auf einem Graben, umgeben von einem grünen Gürtel aus Bäumen. Das lokale Mahnmal besteht aus einem bunten Grenzzaun, gefüllt mit Steinen.
Von den Grenzanlagen ist nichts übrig, nicht mal der Kolonnenweg aus Beton. Nur zugewachsene Spuren im Feld verraten, wo er eventuell mal verlief. Oder auch nicht.
Alle 10 Minuten braust ein ICE, Regionalexpress oder tschechischer Eurocity am Horizont dahin. Hier verlief die wichtigste Zugverbindung der beiden deutschen Staaten. Davon zeugt der grauenhaft graue Grenzbahnhof in Schwanheide, ein Lost Place, welches zu Recht völlig lost ist.
Unser Freund erzählte, wie damals mit Spiegeln und Taschenlampen jeder Hohlraum im Zug auf Flüchtlinge untersucht wurde, mit Ausnahme der Hohlräume in den Köpfen der Stasileute. Unverdächtige Fahrgäste mussten normalerweise nicht aussteigen (in dieser einen Hinsicht war die britische Grenze vor dem Brexit strenger), aber Dokumente und Gepäck wurden im Gebäude überprüft.
Der Maschendrahtzaun stammt anscheinend noch von damals und weist große Löcher auf. Die Fenster sind eingeschlagen, und eins davon ist mit zwei Holzpaletten ausgestattet. Über die konnte ich ganz einfach hineinklettern, was ich dann auch getan habe. Ich war einfach zu neugierig. Wer hat diese provisorische Leiter aufgestellt? Machen Jugendlicher hier Party? Nein, es fehlen die Flaschen. Leben hier Obdachlose? Sieht auch nicht danach aus. Aber irgendjemand benutzt diesen Raum zur Aufbewahrung seiner... Skier? Und einer Radkappe? Was?
Nachdem 1989 der letzte Zug durchwühlt wurde, hat man ein paar der Eingänge zubetoniert. Danach hat augenscheinlich kein Mensch im Osten oder Westen auch nur einen Gedanken an das Bahnhofsgebäude verschwendet, abgesehen von jenem geheimnisvollen Skifahrer. Weder wurde es irgendwie zur Gedenkstätte hergerichtet, noch wurden Verbotsschilder oder Blockaden aufgestellt. Das ganze Ding bröckelt einfach vor sich hin, als hätte die Welt vollständig vergessen, dass es existiert. Oder?
Ein Großteil vom Erdgeschoss besteht aus einem einzigen großen Raum. Er enthält jede Menge Schutt und Müll. Teile der Decke sind zu Boden geplumpst. Also, nur Plastik- und Schaumstoffteile, nicht der Beton. Vor ersterem sollte mich mein Fahrradhelm ausreichend beschützen, bei letzterem hätte ich ein Problem.
Der nächste Flur war völlig dunkel. Ich schaltete meine Handytaschenlampe ein. Das war eine gute Idee, sonst wäre ich in ein paar Metern ungefähr einen Meter abwärts gestürzt, in ein Loch mit Heizungsrohren. So langsam wurde mir unheimlich. Ich kam mir vor wie in einem Abenteuer-Rollenspiel, in dem eine unheilvolle Ruine erkundet wird. Aber das hier war echt.
Ziegelsteinen mit Löchern stellen die Fenster dar. So konnten weder neugierige Fahrgäste hinein- noch verhaftete Fahrgäste hinausblicken. Die Klos sind dank Fliesen und zertrümmerter Waschbecken leicht zu erkennen. Über den Nutzen der anderen Räume konnte ich nur rätseln. Wozu dieser offene äh, Gang, Flur, Zimmerflucht oder was auch immer innerhalb eines anderen Raumes?
Aber das Dunkle da hinten, das war bestimmt eine Zelle, oder?
Die Treppe wirkt überraschend stabil und wird weiter oben sogar richtig hell. Durch die kleinen Kästchen konnte ich meiner Familie zuwinken, die irgendwo zwischen Sorge und Faszination zurückwinkten.
Die erste Etage besteht aus langen Fluren voller Schutt.
Ein größeres Zimmer enthielt zwei Sofas. Für mich sah es nach einem Pausenraum aus, in dem die höheren Grenzbeamten chillten. Aber wie gesagt, alles nur Vermutungen. Bis irgendjemand diesen Bahnhof in eine Gedenkstätte oder einen ebenso faszinierenden wie pietätlosen Escape Room verwandelt, werde ich es nicht mit Sicherheit wissen.
Danach sind wir noch eine Weile der Bahntrasse Hamburg-Berlin gefolgt, ehe wir die Gleise verließen.
So gelangten wir auf der Ostroute nach Boizenburg an der Elbe. Die grünen Felder und gespaltenen Bäume sind ja ganz schön, doch der Untergrund ist viel zu sandig zum Radeln.
Sorry, aber Michael Cramer hatte Recht, im Zweifel ist die Westroute die bessere Wahl. Was ich aber empfehlen könnte: Bis zum Grenzbahnhof die Ostroute nehmen und dann via Zweendorf in den Westen wechseln.
Die offizielle Westroute verläuft auf dem Salzstraßen-Radweg. Auf dieser Strecke hat man das Salz der Lüneburger Heide in die Hansestadt Lübeck geschafft. Damit das ein bisschen fixer geht, wurde 1392 der Stecknitz-Delvenau-Kanal gebuddelt - die erste künstliche Verbindung zwischen Nord- und Ostsee und der erste Kanal Europas, der eine Wasserscheide überwand.
600 Jahre später erhielt der Kanal ein Update zum breiteren Elbe-Lübeck-Kanal. Und der wiederum verlor seine wirtschaftliche Bedeutung später an den Nord-Ostseekanal (obwohl der eigentlich gar nicht zu wirtschaftlichen, sondern zu militärischen Zwecken gegraben wurde). Jetzt düsen hier nur noch Sportboote um die Wette.
Der Kanal ist umgeben von kleinen Seen und Teichen, die ebenso wie die Wasserstraße ziemlich künstlich aussehen. Einige sind direkt mit dem Kanal verbunden. Keiner von ihnen liegt auf der Grenze, obwohl das Grüne Band direkt dahinter (ganz hinten links im Bild) verläuft. Der Kiesweg am Kanal enthält keine Hinweise auf den Eisernen Vorhang, aber er fährt sich deutlich angenehmer als die Ostroute.
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