Die Mecklenburger Seengrenze II
Länge: 45,9 km
Grenzquerungen: 3
Bundesländer: Schleswig-Holstein/MV
Seite: etwas mehr West als Ost
Erkenntnis: Mecklenburg ist schlimmer als der Harz.
Erkenntnis: Mecklenburg ist schlimmer als der Harz.
Im Osten der Lübecker Altstadtinsel fließt die Wakenitz. Sobald ich von der Wakenitz-Brücke runtergefahren bin, wurde es schlagartig um mindestens 100 Dezibel stiller. Die Wakenitz ist umgeben von Vorstadtvillen und Kleingärten, und diese Objekte produzieren normalerweise keinen Lärm (zumindest solange alle vorschriftsgemäß ihre Hecken schneiden).
Mal verläuft der Weg direkt am Ufer, mal entfernt er sich ein bisschen. Ein Teil des Uferwegs war versperrt, weil seit dem letzten Sturm Äste von den Bäumen abbrechen könnten. Statt eines nützlichen Umleitungs-Wegweisers nageln die Lübecker lieber den kleingedruckten Volltext der offiziellen Wegsperrungsverordnung an den Bauzaun.
Trotzdem fand ich den korrekten Weg auf den Bahndamm, über den ich ans andere Ufer gewechselt bin. Blöderweise geriet ich an der Wakenitz ständig ins Wanken. Das lag am holprigen Weg, an einem fiesen Ast, der intimen Kontakt mit meinen Speichen suchte, und am eisigen Wind. Als ich zum Essen anhielt, pustete mir der Wind sogar ein Stück Blätterteig aus dem Mund.
Und trotzdem fand ich den Wakenitz-Weg an diesem Tag noch am angenehmsten.
Die Wakenitz wird irgendwann zum Grünen Band. Da hatte mich der Radweg aber längst vom Fluss weggeführt, mitten durch irgendwelche Wälder und Felder. Eine kleinere Sehenswürdigkeit ist dieser dicke Stein auf der Kuhweide. Da steht drauf, dass Herzog Heinrich der Löwe hier Lübeck gegründet hat. Also, nicht direkt auf dem Stein, aber irgendwo in der Nähe. Der eigentliche Ort bleibt ein Mysterium, denn dieses Ur-Lübeck ist längst abgebrannt. (Endlich mal etwas, das Rostock Lübeck voraushat: Wir wissen genau, wo unsere Stadt gegründet wurde.)
Die Orientierung war ein bisschen schwierig, weil ein erbärmlicher Metalldieb oder ungewöhnlich penibler Vandale, der über die Kraft des Hulk verfügt, sämtliche Fahrradwegweiser bis Ratzeburg von ihren Pfosten abgerissen hat.
Irgendwann gelangte ich dann doch an eine Straße, die tatsächlich aus Asphalt bestand. Und neben der Straße gibts sogar einen Radweg, der... och nö, der besteht schon wieder aus diesem Holperkies.
Ein Grünes Band, das sowohl durch MV als auch durch Bayern führt, kann nicht überall gleich aussehen. Das Band passt sich der regionalen Landschaftsform an. Und was ist die typische Landschaft in MV, also außer Stränden? Ganz klar: Seen. Hier beginnt die zweite, streng geheime und deutlich kleinere Seenplatte von Mecklenburg-Vorpommern.
Die Wakenitz befördert die Grenze in den
Grenzsee Nr. 1: Ratzeburger See
Es folgt Ratzeburg, die erste Stadt-für-die-ich-einen-Riesenumweg-mache-damit-ich-auf-der-Tour-überhaupt-mal-eine-Stadt-sehe. Die Altstadt und der Dom liegen auf einer Halbinsel im See, über eine Brücke sind sie mit dem anderen Ufer verbunden. Solche Halbinseln waren schon lange vor der Krim ein Politikum.
Der Dänische König zum Beispiel war der Meinung, der Lüneburger Herzog dürfe in Ratzeburg keine Festung bauen, denn das verstoße gegen den Westfälischen Frieden. Da musste der Herzog natürlich eine bauen, schon aus Prinzip. Er baute sie ganz weit oben, neben den berühmten Dom.
Deswegen blieb dem dänischen König leider gar nichts anderes übrig, als die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Nach dem Ende der dänischen Herrschaft wurde die Halbinsel eine Exklave von Mecklenburg, also komplett umschlossen von Schleswig-Holstein und nur über die Brücke mit MV verbunden.
Im Zweiten Weltkrieg erwischte es die Stadt nochmal schwer, deshalb ist sie heute eher weiß und schlicht aussieht, abgesehen von einer Gasse voller supersüßer Häuschen.
1945 hätte die Ratzeburger Altstadt also das Gegenteil von Westberlin werden müssen, ein sowjetischer Fleck im Westen. Aber die Briten hatten gar kein Interesse an so einem russischen Stück mitten in ihrer Zone und schlugen einen Deal vor. Die Militärs Barber und Ljatschenko tauschten im Gadebuscher Vertrag einfach paar Dörfer hin und her, bis es beiden passte. Und ganz kurz vor dem Inkrafttreten waren sie sogar so nett, noch die Einwohner zu informieren.
Aus irgendeinem Grund folgen nur ganz wenige Einwohner den russischen Truppen in die sowjetische Zone, umgekehrt waren es mehr.
Großbritannien erhielt unter anderem das Dörf Bäk, wo es ziemlich viel bäkauf und bäkab geht. Auch Mechow ging an den Westen. Die Grenze lag damit auf
Grenzsee Nr. 2: Mechower See
Dieser längliche See hat einen schönen Radweg am Westufer. Und wer durchs Gebüsch nicht genug vom See erkennt, der kann immer noch den Aussichtsturm besteigen. Wer Glück hat, sieht Seeadler kreisen, die den versteckten See als Rückzugsgebiet nutzen. Ich hatte nur so mittelviel Glück und identifizierte ein paar kleinere Vögel, die eher nach Gänsen aussahen.
Laut Infotafeln wurden auf diesem Abschnitt besonders viele Fluchtversuche unternommen. Einmal versuchten es zum Beispiel zwei Jungs aus einem Waisenhaus. Sie wurden angeschossen, bevor sie den Zaun überhaupt erreicht hatten, einem musste der Oberschenkel amputiert werden. Sie durften nach Monaten zurück zu ihren Eltern in einen ganz anderen Ort ziehen, damit die Schüsse auf Kinder nicht "öffentlichkeitswirksam" wurden. Wieso waren die überhaupt im Kinderheim, wenn die noch aufnahmebereite Eltern hatten?
In Schlagsdorf reichten die Felder einiger Bauern ganz nah an die Grenze heran. Damit sich darin keine Flüchtlinge verstecken konnten, durften ihre Kartoffeln nicht durcheinanderwachsen wie Kraut und Rüben, sie mussten in vorgeschriebenen Mustern pflanzen.
Grenzmuseum Nummer zwei steht in Schlagsdorf, trägt den plattdeutschen Namen Grenzhus und veranstaltet als einziges Grenzmuseum (soweit ich weiß) geführte Wanderungen und Radtouren im Grenzgebiet.
Der Rest der Strecke war richtig ätzend. Auf den hügeligen Straßen brausten immer mal wieder kleinere Lastwagen vorbei und ergänzten den Gegenwind um gemeine Seitenböen, die mich tatsächlich zweimal ein Stückchen von der Fahrbahn abbrachten.
Ganz im Ernst: Diese Etappe fand ich anstrengender als meine Tagestour am Grünen Band quer durch den Harz. Bei normalem Wetter ist das aber nicht so. Hoffe ich.
Hinter dem nächsten Wald verbirgt sich
Grenzsee Nr. 3: Lankower See
Von dem ist nur ein bisschen graues Gebüsch in der Ferne zu erkennen. An seinem Ufer lag das Dorf Lankow, in dem die DDR-Führung auf höchst irritierende Weise wütete. Zuerst wurden nur (wie üblich) die politisch unzuverlässigen Bewohner rausgeschmissen, nur um die wenigen Zuverlässigen dann doch noch nach und nach wegzuekeln. Gleichzeitig wurden die Fassaden der Häuser, die man vom Westen aus sehen kann, renoviert, um Normalität vorzutäuschen, nur um wenige Jahre später das komplette Dorf niederzureißen.
Solche geschleiften Dörfer sind ab und zu in der Landkarte eingezeichnet. Die wurden dermaßen gründlich geschleift, dass die Landkarte der einzige Ort ist, an dem man sie erkennen kann. Theoretisch sollten sich hier Fundamente von Lankow befinden. Aber ob die mehr oder weniger rechteckigen Formen unter den Gras wirklich Fundamente sind, kann ich nur raten.
Das nächste Dorf heißt Dechow und hat ein paar echt hübsche Häuser. Falls ich richtig liege, bedeutet der Name so viel wie Atemdorf, und tatsächlich bin ich da ziemlich schwer atmend zum Haus meiner Oma abgebogen.
Die nächste große Sehenswürdigkeit ist die Sonnenblume im Garten meiner Oma. Mehrere Seile halten sie fest, außerdem ist sie mit einem dicken Stab zum Stützen und einem Stab zum Messen ausgestattet. Omas Freund hatte in der Zeitung gelesen, das irgendjemand aus der Gegend die höchste Sonnenblume in MV gezüchtet hatte. Da dachte er sich: Moment mal, meine ist sogar noch höher, und rief bei der Zeitung an. Als seine Sonnenblume in der Zeitung landete, war die konkurrierende Blume aber auch wieder gewachsen, sodass deren Eigentümer den Ehrgeiz verspürte, noch einmal anzurufen. Was folgte, war ein Wettstreit mehrerer Dorfbewohner, bis der zuständige Journalist schließlich sagte: Geben Sie mir einfach Bescheid, was die endgültige Länge ist, wenn Sie die Blume im Herbst abschneiden.
Da soll noch einer sagen, auf dem Land sei nichts los. Hier wachsen Blumen, so lang, dass man damit ausmessen kann, wie tief das Sommerloch reicht (4,7 Meter)!
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