03 Juni 2025

Spree: Von Maiberg nach Trebatsch

Tag 3 beginnt mit einem Wehr.

Es sieht aus wie ein Wehr. Jap, wirklich sehr wehrhaft. Der Radweg wechselt das Ufer und geht dann ganz normal weiter. Fast hätte ich übersehen, dass ungewehr hier der bekannteste Abschnitt der Spree beginnt: Zwischen den Betonteilen teilt sich der Fluss zum ersten Mal - in die Hauptspree (links) und den Nordumfluter (rechts). Der Nordumfluter ist ein relativ junger Spreearm, er wurde erst in den 60ern gegraben. Er, das Wehr und die 99 anderen Wehre haben die Aufgabe, die heutige Tagesetappe vor Hochwasser zu schützen.
Das Land ist noch relativ offen, das Ergebnis ausgiebiger Waldrodungen.

Ein paar Kilometer weiter sollte ich den Nordumfluter verlassen und auf einen Bahnradweg mit grünem Wellblech-Bahnhof abbiegen. Der Haltepunkt Schmogrow war gar nicht mal so unwichtig, wie er klingt: Hier wurden wichtige Güter auf Pferdewagen und Schiffe umgeladen, um die Dörfer zu versorgen. Leider fiel die Bahnlinie dem Nordumfluter zum Opfer, der die Strecke zerschnitt. Eine Brücke wäre zu teuer gewesen, und so war es mit der Bahntrasse vorbei.

Nach einer kurzen Allee übers Feld war es auch für mich mit der Bahntrasse vorbei, und ich kam an diesem mächtigen Bauwerk vorbei. Nanu, wer wird denn hier wohl angebetet, oder begraben, oder auch beides? Der Bismarck. Das ist ein Bismarckturm, und zwar einer, neben dem unser Göttinger Bismarckturm Minderwertigkeitskomplexe bekommen würde. Naja, irgendwie müssen sie ja ausgleichen, dass sie hier keine Berge haben - diesen Hügel kann man ja kaum zählen. Wobei der Hügel sehr viel älter ist als Bismarck, da stand schon in der Bronzezeit eine Burg drauf. Warum die Bronzemenschen die aufgegeben haben und was sie sonst so getrieben haben, weiß man nicht, aber fest steht, die Lausitz war schon damals besiedelt.

Gegenüber wächst ein Weidendom in die Höhe. Ach nee, eine Weidenburg - Arena Salix... sieht aber voll aus wie eine Kirche.
Diese Bioburg ist komplett vegan, mit Ausnahme der (leider verschlossenen) roten Klohäuschen. Auch eine Bühne aus Brettern und Holzschnitzeln gehört dazu. Ziemlich genau wie der Rostocker Weidendom, nur dass dieser hier noch nicht angezündet wurde. In der Landschaft drumherum wachsen auch zig verschiedene Weidenarten.
Ob die nächste Stadt ihren Namen nun von der Weidenburg oder der mysteriösen Bronzeburg hat, weiß ich nicht, auf jeden Fall heißt sie: Burg.

In Burg fließt auch wieder die Hauptspree. Aber etwas Seltsames passiert mit ihr: Immer mehr Teile des Wassers erklären die Unabhängigkeit und spalten sich ab. Unter dieser Trauerweide zum Beispiel macht sich gerade die Neue Spree vom Acker, neben der ich eine Weile hergefahren bin.

Burg ist das Tor zum Spreewald, einer Flusslandschaft, wie man sie sonst nirgendwo in Europa findet. Und deshalb wird sie auch regelmäßig von Touristen gefunden. Mitten in Burg rauscht die Hauptspree ein Wehr hinunter. Sie wird gesäumt von Holzhäusern und Betonmauern in einem Ensemble, das an den Einstieg einer Wildwasserbahn im Freizeitpark erinnert. (Spoiler: Ist es nicht. Sogar die Wehre sind meistens leise, und das Wasser ist ungefähr so wild wie ein Faultier.)
Die Spreewälder lebten in dieser Reihenfolge von: Landwirtschaft und Fischerei, Handwerk (vor allem Flachs anbauen und daraus Leinen weben) und schließlich Touristen. Schon lange war der Hafen ein wichtiges Ziel, wenn die Menschen aus den Dörfchen ihr Vieh verkaufen, einen Gottesdienst oder einen Arzt besuchen wollte. Da ergibt es Sinn, dass die Stadt 1899 als erstes eine richtige Straße (links im Bild) und Eisenbahn nach Cottbus bekam. Das war der Startschuss für den Fremdenverkehr, und die Berliner strömten herbei, um die frisch aufgeschlossene Landschaft zu erkunden. Ab Burg ging es dann aber trotzdem per Boot weiter. Oder im Winter mit dem Schlitten oder Schlittschuhen, wobei die Spreewälder auf dem Eis immer einen Stab zum Abstoßen benutzen, egal welchen Aggregatzustand das Wasser gerade hat.

Die Bewohner des Spreewalds leben heute also größtenteils vom Tourismus. Aber nicht alle von denen nehmen Euro. Manche akzeptieren von den Touristen nur eine einzige Art der Kurtaxe: Blut. Die Rede ist von den Spreewaldmücken, die immer penetranter wurden. Mein Spray war leer, aber in der Apotheke konnte ich mir ein neues besorgen.
Nicht zu vergessen ist der Spreewald immer noch Teil der Lausitz, auch wenn wir uns inzwischen am Nordrand befinden. Heißt: Nach wie vor sind alle Schilder zweisprachig. (Das waren sie seit der Quelle, habe ich das noch nicht erwähnt?) Die sorbische Sprache benutzt Sonderzeichen aus dem Polnischen und dem Tschechischen, was dazu führt, dass der Spreeradweg auf Sorbisch den äußerst klangvollen Namen Sprjewinakolesowarskašćežka trägt.
Mit der Sprache ist es wie mit der Mode: Als die jungen Sorben während der Industrialisierung in die Städte zogen, passten sie sich sprachlich an. In der Weimarer Republik war das Gebiet immer noch zweisprachig, aber das Aussterben schon nicht mehr aufzuhalten, hat das Museum gestern geklagt. Ach so? Dann sind die ganzen zweisprachigen Schilder und sorbischen Zeitungen also völlig sinnlos und niemand kann sie lesen? So ganz ausgestorben sieht mir das aber nicht aus.

Eine Weile kurvte ich noch durch offene Straßen und Felder zwischen den Flussarmen - viel Spree, aber wenig Wald. Schließlich aber verschluckte eine grüne Laubwand die Flussarme und mich. Auf einem super Kiesweg zischte ich durch ein Paradies, das Mückenspray tat seine Wirkung, und ich genoss den Wald in vollen Zügen. Das war auch besser so, denn diese fünf Kilometer sind leider die einzigen, auf denen man mit dem Fahrrad so nah an Spreewald herankommt.
Die ersten E-Biker tauchten bereits auf, doch in der Frühe war ich noch ziemlich allein auf der Strecke und atmete die ganz besondere Atmosphäre aus Wasser, Leben und Cholorphyll in meine Lungen. Und so nass diese Landschaft auch war, so trocken blieb der Weg, sodass mir auch die vielen, vielen Holzbrücken nichts anhaben konnten.
Immer leistete mir mindestens ein Spreearm Gesellschaft. Oder eigentlich zwei, denn auf der anderen Seite des Weges befand sich auch einer. Und da ist schon wieder eine Verzweigung, da kommt ein anderer dazu, und auf der anderen Seite auch einer, also treffen sich an dieser Brücke insgesamt sechs verschiedene Wasserstraßen, oder sieben, oder drei? Kommt drauf an, wie man zählt. Oder warte mal, da hinten ist ja schon die nächste Kreuzung zu sehen, also eigentlich neun? Diese moorgrünen Wasserläufe heißen Fließe. In welche Richtung die Strömung geht, ist meistens nicht zu erkennen. So herrlich die Natur auch ist, bei genauerer Betrachtung sind die Fließe doch ein bisschen zu gerade, um komplett natürlich zu sein. Geflossen ist hier schon seit der Eiszeit was, aber mehr so querbeet durchs Moor. Viele Fließe sind ein Ergebnis mühevoller Buddelarbeit, um etwas ähnliches wie Landwirtschaft möglich zu machen. Dass das schwierig ist, musste schon der Teufel feststellen. Sogar in unserem Deutschlehrbuch in der dritten Klasse stand folgende Sage (damals konnte ich mir die Landschaft dazu noch null vorstellen): Satan versuchte, den Spreewald zu pflügen. Er war mit der Leistungsbereitschaft seiner Ochsen aber so unzufrieden, dass er sie beschimpfte und mit seiner Großmutter drohte. Dabei unterschätzte er Omas Abschreckungspotential: Die Ochsen flohen panisch in alle Richtungen und zogen die Pflüge hinter sich her, das Ergebnis ist ein Netzwerk aus 300 Fließen.

Von denen sind 190 befahrbar, und zusammen sind sie an die 1000 Kilometer lang. Jeder hat seinen eigenen Namen, und die Namen sind absolut random. Sie heißen unter anderem: Bischofkanal, Schweißgraben Nord, II. Freiheitskanal, Richters Strenigk, Huschepusch, Südumfluter/Goroschoa, E-Kanal, Groß Japan, Kanal 9/10, Scheidungsfließ, Gurkengraben, Henska-Tschummi, Venediggraben, Untere Boblitzer Kahnabfahrt, Irrtumkanal, Spree, Doninka, Kleine Wildbahn, Eschenfließ und Brodg. Ich liebe es. Irgendwo da drin steckt zwar immer noch die Hauptspree, aber die ist so zusammengeschrumpft, dass ich sie ohne die Karte niemals wiedergefunden hätte. Die Nadel im Heuhafen!
Und mit Heuhaufen kennen sich die Leute hier aus, überall stehen welche. Oben guckt ein Stock raus und verrät, dass sich a) im Inneren eine Holzkonstruktion verbirgt, auf der sich Heu besonders gut stapeln lässt und b) ein Stock im Heuhaufen deutlich leichter zu finden ist als eine Nadel.

Schließlich zogen sich die grünen zwitschernden Wände auf den Inseln zurück und gaben den Blick frei auf... nun , nicht gleich Häuser, erst einmal kleine Schuppen, Stege und Ziegengehege sowie Wiesen, die von besagten Ziegen gemäht wurden. Subtile Anzeichen, dass auf diesen Inseln tatsächlich jemand lebt. Sogar auf den Inseln, die bis heute keine Brücke haben. Für diese idyllische Lage nehmen Menschen auch in Kauf, Waschmaschine und Kühlschrank auf einem Kahn rüberzustaken. Ich weiß nicht, ob ich das nachvollziehen kann - ja, es ist verdammt schön hier, aber Umzüge sind weiß Gott auch so schon ätzend genug. So gelangte ich allmählich rein nach Lübbenau. 1910 kam man hier noch ausschließlich per Kahn oder zu Fuß durch. Klingt glaubhaft bei diesem Foto, oder?

Bei diesem Foto klingt es schon weniger glaubhaft. Lübbenau hat hintendran auch eine ganz normale Stadt dranhängen, sogar mit Bahnhof und Therme, die so überall in Nordostdeutschland stehen könnte. An einer Ecke weist ein handgeschriebenes Schild nach Lübben Berlin Dresden und Husum 531 km, offenbar hat hier irgendjemand eine besondere Affinität zur Nordseeküste.
Hm, hier und da ein enges Gässchen und bissl Fachwerk, aber das erklärt noch nicht, warum so viele Reisende in dieser Ackerbürgerstadt wimmeln.

Kaum jemand besucht Lübbenau für diese Innenstadt, deswegen machte ich mich direkt auf die Suche nach dem Einstieg zur nächsten WMildwasserbahn. Der Haupthafen von Lübbenau sieht viel schöner aus als in Burg, ein eher dezentrales Gewirr an Gräben, Blumen und Holzbrücken, um Hintergrund ragt auch noch ein kleines klassizistisches Säulenschloss in die Höhe. Ob hier morgens um zehn schon etwas abfährt? Die Website hat vage geschrieben, das würde alles spontan entschieden, je nach Andrang und Laune.
Zum Glück war hier im Mai schon Hochsaison. Bevor ich überhaupt erkennen konnte, dass Hochsaison war, hatte mich am Eingang schon ein Mann in roter Uniform angesprochen, was ich suche und ob ich denn mitfahren wolle. Aber hallo! Glück gehabt, es waren nicht mehr viele Plätze frei. Ich sprühte noch einmal ordentlich Mückenspray nach und stieg dann ein. (Das war eine gute Idee, aber eher für die letzten Minuten bis zur Abfahrt - auf der eigentlichen Tour gab es dann deutlich weniger Mücken.)
Man kann sich auch sein eigenes Kanu mieten, aber das klassische Touristenspreektakel ist eine Kahnfahrt. Die flachen Kähne bestehen traditionell aus geteertem Holz, in dem Tische und gepolsterte Bänke stehen. So bequem habe ich noch nie in einem Paddelboot gesessen! Wer Durst hat, kann sich vom Kahnführer ganz hinten eine Getränk aus der Kühlbox durchreichen lassen. Gegen Aufpreis natürlich.

Fröhlich wurden wir also drauflosgestakt, und zwar als erstes... zur nächsten Anlegestelle. Vor uns standen noch zwei weitere Touristenkähne Schlange, aber bald kamen wir an die Reihe und man fragte uns, was wir möchten: Getränke, eine Fettbemme (Schmalzbrot) oder eine Gurkenplatte? Ah ja, als erstes werden die Reisenden also in einen Drive-In gestakt, um sie noch weiter zu melken. Ich und das Paar, das mir gegenübersaß, amüsierten uns prächtig.
Und kauften dann natürlich trotzdem was.

Nun aber los, auf nach... wohin eigentlich? Das wusste nicht mal unser Kahnführer so genau, er wollte sich da ganz nach uns richten. Auch die Fahrgäste waren unentschlossen. Fest stand, es sollte eine Fahrt nach Lehde werden, was wohl der Klassiker unter den Lübbenauer Kahntouren ist. Aber wie lange und welche Variante genau, und wie hoch entsprechend der Fahrpreis wird, das war noch basisdemokratisch zu entscheiden. Wir hatten ja genug Zeit.
Wie bewegt man so einen Kahn fort? Erstens sehr, sehr langsam und zweitens mit einer Stange, die am unteren Ende wie ein Paddel etwas breiter wird.
Jeder Fahrgast darf eine Frage stellen, die Durchsetzung dieser Obergrenze wird aber sehr locker gehandhabt.
Erst einmal ging es über den Lehder Graben, die Gigliza und den SpreeNav-Kanal. Die Ufer waren zunächst mit Holz befestigt. Aber was sind das für komische Holz- oder Blechkisten mit Löchern, die da in jedem zweien Vorgarten hängen (links)? Klingt vielleicht komisch, aber das ist ein Aquarium, also quasi. Wenn der Lübbenauer Fische gefangen hat, tut er sie in diese Box und kurbelt sie runter, bis das Wasser durch die Löcher reinläuft. Wenn er dann Hunger hat, sind die Fische noch immer frisch, quicklebendig und höchstens etwas klaustrophobisch.

Allmählich stakten wir aus der Stadt raus, und es tauchten auch wilde Ufer auf. Die sind im Prinzip auch mit Holz befestigt, nur dass dieses Holz noch quicklebendig und Teil einer Wurzel ist. Diese Ufer sind nicht ganz ungefährlich. Regelmäßig muss geguckt werden, ob die Wurzeln nicht schimmeln, damit nicht eines Tages einem Paddeltouristen eine Silberweide, Mandelweide oder Ohrweide auf den Kopf fällt.

Ein paar Wasserkreuzungen später tauchten wieder Häuser auf. Oder die Häuser waren nie so richtig weg: Natur- und Kulturlandschaft gehen hier wortwörtlich fließend ineinander über.
Auf jeden Fall sind diese neuen Häuser nochmal viel schöner - sogar Umgebindehäuser sind dabei. Die Türen und Fensterrahmen tarnen sich in der Natur mit verschiedenen Dunkelgrüntönen, aber auch andere Farben tauchen immer wieder auf. Und natürlich gibt es viele, viele Häuser mit direkter Zufahrt in den überdachten Bootsschuppen.
Willkommen in Lehde, einem der schönsten Dörfer Deutschlands! Darum war ich natürlich auch einverstanden, die eine Stunde längere Runde für nur wenige Extra-Euro zu drehen. Zwischen Lehder Fließ, Zeitzfließ, Jablona und Suez-Kanal (wir blieben nicht stecken) umrundeten wir ein Dorf aus vielen einzelnen Kaupen (so heißen diese Talsandinseln laut Reiseführer, vor Ort hat aber niemand den Begriff benutzt). Der Kahnfahrer erzählte zunehmend weniger von Natur und Alltagsleben, sondern blieb bei den einzelnen Häuser hängen, wer da wohne, welche leerstünden und wo jemand Neues etwas Neues aufbauen wolle. Diese Details sind dann doch nur für Einheimische interessant, mich hätte eher noch ein bisschen was zur Geschichte vor der DDR interessiert.

Spannender ist auf jeden Fall, wie die Lehder ihren Alltag organisieren. Post und Müllabfuhr kommen nach wie vor per Boot. Manche haben ihren Briefkasten als ein Modell ihres Hauses gestaltet. Da passen dann auch Pakete rein. Auf deiner eigenen Insel klaut dir keiner so schnell was aus der Paketbox.
Natürlich ist der traditionelle Holzkahn, der super aufwändig gebaut und jeden Winter kompliziert gewartet werden muss, für solche Aufgaben nicht so geeignet. Immer mehr Spreewälder steigen auf silbrig schimmerndes Aluminium um, sogar bei den Touristenfahrten. Einmal wurde unser traditionelles Boot von einem rasend schnellen Alukahn überholt. Sein Kahnführer geriet rasch in Sicht. Er fuhr fast oberkörperfrei, nur mit Weste, war deutlich jünger und kräftiger als unser Mann am Steuer und hätte auch in anderen Berufen arbeiten können, in denen Stangen eine bedeutende Rolle spielen. Unser Kahnführer brummte laut hörbar etwas über die jungen Raser in ihren Alukähnen, und es entwickelte sich ein nicht ganz ernstgemeinter Schlagabtausch zur Unterhaltung aller Fahrgäste.

Nach weiterer Unentschlossenheit, wo wir denn nun eine Stunde Pause machen sollen, legten wir schließlich im hölzernen Herzen von Lehde an. Es besteht aus einem Haufen Holzbrücken, Holztreppen und Holzhäuser. Auf der einen Seite befindet sich Brandenburgs ältestes Freilichtmuseum, für das der Kahnführer intensiv warb - erstaunlich, dass die es hier 1957 hingekriegt haben, auf engstem Raum Häuser aus unterschiedlichen Regionen des Spreewalds hinzuquetschen.
Auf der anderen Seite liegt eine Open-Air-Kantine, ein Souvenirshop und laut meiner App ein Aquarium mit Spreefischen, das anscheinend aber nicht mehr existiert. Dennoch war es trotz der vormittäglichen Stunde schon gut gefüllt. Für die Kahnfahrer ist immer ein Ehrentisch reserviert, dennoch ärgerte sich unser Fahrer, weil die neuen Betreiber nicht erlauben, die Kähne während der Pause bei ihnen zu parken, sodass er ihn zum Abstellen noch woanders hinstaken musste. Bei dem hohen Andrang an weiteren Kähnen, die ihre Gäste auf der begrenzt langen Kante abladen wollten, überraschte mich die Regel jetzt nicht so.
Trotzdem: Ich hätte lieber auf seine Tipps hören sollen. Ich hatte Hunger und war mir nicht sicher, wie weit es zu den anderen Restaurants war und wie teuer die waren, also nahm ich einfach das erstbeste Angebot. Das Kantinenessen schmeckte aber nur so meh.

Anschließend wollte ich Lehde auch noch zu Fuß erkunden. Also betrat ich die Straße (es gab nur eine) und befand mich nun technisch gesehen mitten im Dorf. Warum hatte ich trotzdem das Gefühl, auf die Rückseite von Lehde zu schauen? Weil die Musik nun mal auf dem Wasser spielt und die meisten Fassaden nach wie vor dem Wasser zu gewandt sind. Der sehr enge Weg zwischen den Häusern verbreiterte sich ein bisschen, sodass Platz war für Gärten mit Schildern wie Wer keine Ahnung von Gartenarbeit hat, soll einfach mal die Kresse halten oder Eis Kalte Getränke Mückenspray AntiBrumm klein, groß, sensitiv. Wegweiser wiesen mich zu weiteren Kleinunternehmen wie der Marmeladenmanufaktur, doch als ich einem davon folgte, geriet ich sehr schnell auf einen kaum erkennbaren Trampelpfad über 12 verschiedene Holzbrücken, mit immer mehr Nur-für-Anlieger-Schilder, bis ich mich fragte, ob Auswärtige überhaupt befugt waren, hier zwecks Marmeladenkauf durchzugehen.
Aber immerhin: Es gibt eine Straße, über die man Lehde heute trocken erreicht. Auch wenn es auf den letzten Metern gefährlich für die Seitenspiegel wird. Was ich sehr anschaulich an einem LKW voller Lebensmittel beobachten konnte. Wer in Lehde übernachtet, darf sogar mit dem eigenen Auto kommen und vor der Engstelle parken. Alle anderen benutzen die Strecke zu Fuß oder per Rad.
Die Straße von Lübbenau ist übrigens 1,8 Kilometer lang.
Die Kahnfahrt dauerte 3 Stunden und 15 Minuten.


Hinter Lübbenau knickt die Spree nach Norden ab und beginnt allmählich wieder, ihre Fließe einzusammeln. Zumindest ist sie jetzt wieder erkennbar breiter als der Rest. An ihrem Ufer folgte ich dem sonnigen Radweg und entdeckte eine mysteriöse Ruine, vollständig bedeckt von Schlingpflanzen.
Der Spreewald erstreckt sich rechts vom Fluss noch weiter und wilder, aber das ist vom Radweg aus nicht wirklich zu sehen. Wer da so richtig in die Wildnis reinwill, der muss einen halben bis ganzen Tag in eine lange Kahnfahrt investieren. Das Angebot ist schließlich viel umfangreicher als die Standardfahrt nach Lehde: Sagenfahrt, Theaterkahnfahrt, Kaminfahrt, Frühstücksfahrt, Glühweinfahrt und Kahnfahrt im Liegen (damit man das Blätterdach über sich so richtig bewundern kann).

Kurz vor Lübben wird es wieder spreewaldiger, zu Recht wirbt die Stadt mit Wo sich die Fließe treffen. Ich tauchte ein in einen schattigen Park aus Wasserläufen und Holzbrücken...

...aber das war dann auch schon das Schönste an der Stadt. Lübben ohne au war eine wehrhafte Stadt, welche die Fließe ausgenutzt und sich hinter Wasser und Stadtmauern verschanzt hat. Am Ende half das nicht, der Zweite Weltkrieg hat 80 Prozent der Altstadt zerstört, was übrig blieb, sah für mich nicht mehr allzu wehrhaft aus. Immerhin wurde vieles rekonstruiert oder zumindest mit Wandbildern bespreet.

Trotz der langen Kahnfahrt bin ich richtig gut vorangekommen, über das Kopfsteinpflaster von Hartmannsdorf, über den Feldweg zum Deich, vorbei am Tor am Wehr und immer am Deich entlang, bis... wieso bin ich jetzt wieder kurz vor Hartmannsdorf?! Mist, der Deichweg hat mich unauffällig um 180 Grad gedreht. Ich hätte durch das Tor beim Wehr fahren müssen, auf das, was nach Betriebsgelände aussah! Also nochmal über das Kopfsteinpflaster von Hartmannsdorf, über den Feldweg...
Auf dem rechten Weg wurde es wieder waldiger und schattiger, ich kam an der nächsten Teichlandschaft vorbei, wo auf dem Sommer Teich zahlreiche Schwäne Schwankram machen.

In Schlepzig schleppen die letzten Spreewaldkähne Touristen in den Spreewald, hier aber bloß noch so zwei-, dreimal am Tag. Bei Krausnick musste ich ein bisschen Straße fahren, und es wurde nochmal leicht bergig. Moment, Krausnick? War hier nicht... ja, auf dem Gebiet dieser Gemeinde liegt Europas größte freitragende Halle, eine superbreite ovale Kuppel aus Stahlträgern und Glas, die wie eine sehr gleichmäßige Beule in der Landschaft aufragt. Darin sollten Zeppeline gebaut werden, aber die verkauften sich nicht mehr so gut, nachdem eins von ihnen namens Hindenburg Bumm gemacht hatte. 1,5 Weltkriege später hatte jemand eine irrwitzige Idee: Lass uns da drin einen echten Regenwald anpflanzen, komplett drinnen, mit Pfauen und Vogelspinnen (in Glaskäfigen, die ungefähr so groß sind wie die Spinne), und der Rest der Halle wird ein Schwimmbad.
Vom Spreeradweg ist das Tropical Islands noch ein ordentliches Stück entfernt, und das störte mich wenig, denn kürzlich hatte jemand anders im Tropical Islands eine wahrhaft dämliche Idee: Lass uns die höchste Wasserrutsche Deutschlands abreißen und durch eine niedrigere ersetzen.

Am Neuendorfer See sind der Spreewald und die Lausitz so ungefähr zu Ende. Die Spree fließt durch den See und macht darin wieder einen ihrer vielen, vielen Richtungswechsel, diesmal nach Osten. Auf Nebenstraßen umrundete ich eine weißblaue Wasserfläche, die ich durch die Stämme nur schemenhaft erkennen konnte.

Die Route ist hier viel zickzackiger, aber neben den Straßen und Hügeln konnte ich auch diesen tollen Uferweg genießen. Die Landschaft hatte sich urplötzlich verändert: Auf einmal sah alles komplett norddeutsch aus. Nadelwälder, vereinzelte Campingplätze, Sand und gelbliches Gras... nur eines ist gleich geblieben: Diese Wasserlandschaft ist nach wie vor ein populäres Paddelgebiet. Und das sollte große Auswirkungen auf meine nächste Nacht haben.

Eine weitere Konstante: Holzbrücken. Diesmal sind es aber deutlich massivere Hängebrücken aus den 90ern. Diese in Briescht besteht (neben ein paar Stahlseilen) aus Basralocus- und Bangossi-Hölzern, die aus Kamerun und Suriname stammen - aber keine Sorge, diese Länder überwachen ihre Forstwirtschaft ganz genau, behauptet das Schild. Angeblich hat die Brücke eine Lebensdauer von 50 bis 70 Jahren, genau wie eine Stahlbrücke. Mag sein, aber eine Regenrutschfalle ist sie wahrscheinlich auch mit afrikanischem Holz. Rotweiß abgesperrte Gehwege auf beiden Seiten verschmälern die Fahrbahn. Und das man ausgerechnet dann, wenn die Brücke hochgezogen ist, nicht stoppen soll, erschließt sich mir auch nicht so recht.

Die Sorben haben die Spree hellbraun und noch erstaunlich durchsichtig hinterlassen. Zumindest sah sie so aus, als ich sie vom Rasenstrand aus bewunderte, aus der Ferne wirkte sie dunkler.
Eine Paddeltour von Berlin zum Spreewald scheint ein echter Klassiker zu sein, und diese Strecke schaffe ich ja nicht mal per Rad an einem Tag, geschweige denn im Boot. Damit die urbanen Paddelabenteurer auch irgendwo sicher schlafen können, folgt jetzt eine ganze Kette von Naturlagerplätzen. Der erste in Werder kostete so 3 Euro, hatte dafür aber ein richtiges Häuschen mit Klos und Duschen. Irgendeine Kinderfreizeitgruppe oder mehrere Familien hatten ihn schon zu großen Teilen in Beschlag genommen, aber ich konnte meine Trinkflasche dort auffüllen.
Die nächsten Plätze sind dann gratis und haben einfach nur Dixiklos, Mülleimer, Rasthütten, Tische und eine wunderbare Wiese am Ufer. Und sie waren leer. Reicht mir! Ich hatte noch genug Tageslicht und Power, um den vierten, vorerst letzten Naturlagerplatz in Trebatsch anzusteuern. Das Schild auf der Wiese verkündet den Paddlern stolz, was es in Trebatsch alles gibt: Telefon, Eisbecher, Einkaufstasche, Bett, Heißgetränk, Erste-Hilfe-Kreuz, Teller mit Essen und einen Brief. Wahnsinn.
Nicht erwähnt werden auf dem Schild: Parkbank (Nimm Platz), Honigverkaufsstand (Hier wohnt ein Imker mit seiner schönsten Biene) und die Geburtsstätte des Australienforschers Ludwig Leichhardt (Sein Vater besitzt eine Flotte von neun Kaffeekähnen, mit denen Waren von Berlin an den Schwielochsee transportiert wurden), dem ich ja schon in Cottbus begegnet war. Angeblich ist er den Schulweg bis Cottbus öfter zu Fuß gegangen - bitte was? Wie?! Sogar per Rad habe ich mehr als einen Tag gebraucht. Der Wanderweg Leichhardt-Trail folgt diesem unmöglichen Schulweg. Ich verstehe nun, wie dieser Mann auf die Idee kam, er könne das Outback durchqueren. Zum Glück hatte er keine Kinder, denn die hätten sich die Geschichte seines Schulwegs sicher permanent anhören müssen.
Wie auch immer, alles, was ich für einen erfolgreichen Abend in Trebatsch brauchte, waren: Bank, Buch, Brot und die leisen Geräusche des Flusses.
Und mein Mückenspree.

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