NEU! Unterirdische Radtour auf Schienen für kleine Menschen

Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

03 Mai 2025

Eger: Von Cheb nach Karlový Vary

Tag zwei (beziehungsweise drei, wenn man den Weißmain mitzählt) begann mit einer absonderlichen Allee. Links Kies, rechts Kies, und ein Asphaltstreifen in der Mitte? Da heißt es hoffen, dass kein Radfahrer entgegenkommt. Auf diesem Weg radelten wir vorbei an Kynšperk, das oben auf einem Berg aufragt und das tschechische Pendant zu Hohenberg zu sein scheint.


In Tisová raucht das älteste Braunkohlekraftwerk Tschechiens vor sich hin und ist schon von Weitem sichtbar. Eigentlich nur von Weitem, denn von Nahem stehen Bäume im Weg. Aus der Ferne dagegen sorgen die Hügel für Panorama.

Der Tag begann im Egerer Becken, aber Tschechien wäre nicht Tschechien, wenn nicht bald das nächste Gebirge folgen würde. Der Slavkovský Les (Kaiserwald) rückt näher...

...und treibt Gleise und Fluss zusammen. Aber der Radweg ist weiterhin richtig gut.

In der Mitte liegt Sokolov (früher Falkenau), die Bergbaustadt der Region - hier kam also die Kohle für das Kraftwerk her. Hinter Röhren, einer gelben Brücke und zartrosa Wohnblocks ragt der Zwiebelturm von Sv. Jakub Větší (St. Jakob der Größere) auf. Auch das scheint noch eher eine funktionale Stadt zu sein.

Damit beginnt das Herzstück des Egerradwegs, das klassische Egertal, eben das, was beim Rhein in Bingen und an der Weser in Hann. Münden beginnt.
Und das sieht so aus: Der grünbraune Fluss bleibt ganz ruhig, und alles andere wird auch ruhig, also im Vergleich. Wir radelten auf einem guten Kiespfad durch jede Menge Grün, gleich neben ein paar Raufaser-Felswänden. Ja, so kann es doch sehr gern weitergehen bis heute Abend! (Tut es auch.)

Was gehört noch in ein klassisches Flusstal? Burgen und Schlösser - manche verfallen, manche Privatbesitz und manche ein Bezirksmuseum. Und eine der Burgen hatten wir uns bereits vorgemerkt.

In einer ganz engen Flussschleife ragt die Altstadt von Loket (früher Elbogen) in die Höhe und ist aus jedem möglichen Blickwinkel (und es gibt wirklich, wirklich viele mögliche Blickwinkel) sehr pittoresk.

Wir radelten also durch die Flussschleife und über die Gleise, die gerade in einem kurzen Bahntunnel verschwanden, als... nanu, was kommt denn da raus? Das war aber kein Zug! Es sah vielmehr nach einem Einheimischen aus, der eine verbotene Abkürzung nimmt. Wir nahmen uns kein Beispiel an ihm, nicht zuletzt, weil wir ja sonst die Burg abgeschnitten hätten.

Wir schlossen die Räder unten an und stiegen die Treppe rauf direkt zur Burg. Dachten wir. Die Innenstadt sehen wir dann nicht, aber es muss ja auch nicht alles, dachte ich.
Doch die direkte Treppe war dann doch wegen Bauarbeiten gesperrt (ebenso ein Teil der Burg), und wir stiegen eine ganze Weile  kreuz und quer über die grauen Wehrmauern der Stadt, die mehr oder weniger fließend in die Burg übergehen. Dabei sahen wir doch noch genug von den leeren Sträßchen der Altstadt sahen, wenn auch aus eher ungewohnter Perspektive. In diesen Häuschen verbergen sich das Buchbinderei- und das Geheimbund-Museum, diese Themen interessierten meinen Mitreisenden aber eher weniger. Mittelalterliche Burgen, also so richtig von 1300irgendwas, kannte er dagegen bisher nur wenige. Und nun befand er sich im perfekten Land, um das zu ändern! 

Auch nachdem wir den Eintritt bezahlt hatten, ging es im Inneren der Burg so labyrinthisch weiter wie draußen. Oder noch mehr. Einen eindeutigen Rundweg gibt's nicht, und wirklich durchsehen tut hier auch niemand. Wir konnten nur kreuz und quer rumgehen und hoffen, dass man am Ende alles gesehen... ach, warte, wieso sind wir denn jetzt auf einmal hier rausgekommen?

Im ersten Zimmer lernten wir erstmal etwas über die Egerländer. Angeblich sind die fleißig, aufrichtig, bescheiden und haben einen subtilen Humor. Was erstmal sehr untschechisch klingt: Sie trinken nur Säuerling (also das Zeug aus den Heilquellen), falls nicht vorhanden, Wasser, und nur (!) die wohlhabenden abends Bier, Branntwein mögen sie gar nicht.
Hinter Glas guckten wir, was sich diese Menschen so anziehen. Bei der Tracht ist der wichtigste Bestandteil der reich verzierte Huas'n-oan-thou-tra. Das ist ein sieben Zentimeter breiter Knopf, der Hose mit Hosenträger verbindet. Mit dem Aufschwung des Deutschtums Anfang des 20. Jahrhunderts hatte der Knopf nochmal ein Comeback, da aber schon mehr als Deko-Anstecker als Zeichen Zusammenhalts der deutschen Bevölkerung. Und natürlich, um beim Scrabbeln zu gewinnen.

Die Burg wurde bis 1520 immer weiter ausgebaut, also kein Wunde, dass das noch nicht alles renoviert ist. Die Burgkapelle war geschlossen, aber wir konnten über dem Gewölbe herumlaufen. Die Kapelle wurde in einen alten Burgsaal reingebaut, und so gucken hinter den Gewölbesteinen noch ältere Wandbilder der Stadt hervor. Gegenüber hängen etwas neuere alte Werbeplakate der Stadt Elbogen.

Unvermeidlich wie in den meisten Burgen (besonders den tschechischen) ist natürlich die Porzellansammlung. Und welches Porzellan könnte dieses Land besser repräsentieren als eine schneeweiße Skifahrerin?

Aber unter den endlosen und teilweise interessanten Obergeschossen hat Burg Loket eben auch einen Keller. Und der ist, wie auch jede Menge Schilder warnen, nichts für schwache Nerven.
So weit, so gut. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass sogar der Weg zum Klo nichts für schwache Nerven wird. Ich folgte nur dem Wegweiser nach unten, okay, dann noch eine Treppe tiefer, na gut, hm, Mann ist das tief und kühl hier, nanu, hier geht es noch tiefer weiter... längst waren alle Ausstellungsstücke oder Schilder verschwunden, nur noch weiß gekalkte Wände und ab und zu eine verschlossene Tür. Ich musste mich tief im Fels befinden, fast schon wieder auf dem Niveau der Eger. Keine Spur von einem Klo. Noch ne Treppe, ernsthaft? Wie viele Unterschosse hat dieses Ding bitte?! Ich kehrte doch lieber um und stellte fest, dass sich das Klo im Erdgeschoss befand und der Wegweiser nur irreführend aufgestellt war.
Nebenan beginnt der ganz offizielle Nicht-für-schwache-Nerven-Keller, der sich rund um die allseits beliebten Themen Folter und Hinrichtung dreht. In jeder vergitterten Zelle kann man eine lebensgroße Menschenfigur, zumeist recht blutig, bestaunen, die eine neue Methode praktisch vorführt. Aus Lautsprechern ertönen passende Schreie. Wer einmal gesehen hat, wie genau das Rad funktioniert, wird sich zweimal überlegen, ob er sich nach einer durchzechten Nacht wirklich schon "gerädert" fühlt.

Drei Sprachen erklären den Besuchern die genaue Methode und vergessen auch nicht zu erwähnen, welche davon noch heute von der CIA eingesetzt wird. (Die, bei der man so viel trinken muss, dass die Organe nicht mehr können.)

Zum Schluss trampelten wir in den Bergfried, um auch noch den Aussichtsturm zu besteigen, aber... huch, da haben wir wohl gerade den grimmigen Untermieter der Burg aufgeschreckt. Sein Name ist Scharkan, und wenn er fliegt, erkennt man ihn an Feuer, Rauch und seinem schrillen Pfiff, anscheinend eine Art reptiloide Lokomotive. Der schuppige Scharkan guckt zwar grimmig und könnte theoretisch ein Pferd verschlingen, aber der Sage nach ist er gutmütig, denn die Hausfrauen von Loket haben sich bei ihm immer Feuer für ihr Unterzündholz im Ofen geholt. (Nicht ganz so nett ist der Strakakal, ein zotteliges Männchen, das angeblich ungekämmte Kinder sucht, mit einem Buch schlägt und dann mit einer Bürste brutal durchkämmt.)

Ich wollte meinem Mitreisenden ein Stück echte tschechische Rad- und Esskultur nahebringen, und dazu gehören auf jeden Fall einfache hölzerne Imbisshäuser am Wegesrand im Grünen. Hoffentlich haben Anfang Mai schon ein paar von denen geöffnet.
Na, so ein Glück, gleich hinter Loket kommt schon der erste offene, mit herrlichem Blick auf die Campingplatzwiese, das Wasser der Ohře und Paddelboote.
Ganz so ein Glück war es dann doch nicht, denn der Imbiss war mehr so theoretisch geöffnet. Praktisch unterhielt sich die Dame lieber mit ihrer Kollegin und teilte mit, es gebe exakt gerade nur 1 Sorte Bier und panierten Käse. Immerhin ein sehr authentisches Menü, wenn auch in der lieblosesten Tiefkühlvariante.

Hinter einer Hängebrücke tauchte noch die spektakulärste Stelle im klassischen Egertal auf, der Hans-Heiling-Felsen. Ursprünglich war das mal eine komplette Granitwand, aber Erosion und Frost haben sie gesprengt. Deswegen stechen jetzt lauter steinerne Zacken und Spitzen aus dem Wald, was sogar noch mehr hermacht als einfach nur ne Wand. Die einen erkennen darin Säulen und Pyramiden (naja), die anderen einen versteinerten (Zwergen)Hochzeitszug inklusive Braut, Priester, Trauzuge und Musiker (najaaa). Das mit dem Hochzeitszzug hat immerhin die Phantasie der Menschen angeregt, deswegen kursiert dazu die Sage von Jan Svatoš alias Hans Heiling. Der Typ war ein Erdgeist, der sich in eine sterbliche Frau namens Anna verliebt und sie zur Verlobung überredet hat. Als sie dann doch einen anderen wollte, war er stinksauer und wollte sich mit seiner Erdgeisterarmee rächen. Bei den zig sehr verschiedenen Versionen (Roman von Christian Spieß, Kurzfassung der Brüder Grimm, Heinrich Marschners Oper, Eduard Dietrichs Gedicht) lässt aber gar nicht mehr wirklich sagen, wie viel davon jetzt wirklich böhmische Volkssage war.

Dann weitete sich das Tal ein wenig (nicht so sehr, wie ich es bei einer Stadt dieser Größenordnung erwartet hätte), Wohnblocks, Bahnhöfe und Hotels wuchsen am anderen Ufer in die Höhe, auf unserer Seite rauschte eine fette Autobahn, und immer mehr Brücken überspannten kreuz und quer das Tal. Ist es ein Wunder, dass wir da die richtige Brücke verpasst haben? Und dass wir uns bei dem Krach nicht gegenseitig gehört haben? Mit einem unnötigen Umweg erreichten wir also die zweite große Stadt an der Ohře. Nur dass unser Fluss diesmal gar nicht durch das Zentrum fließt, sondern bloß am Rand entlang. Hier mündet die Teplá (wörtlich einfach die Warme) in die Ohře, und der folgten wir rein ins Herz des böhmischen Bäderdreiecks nach Karlový Vary alias Karlsbad.
Die Teplá sieht eher aus wie ein kleiner, gemauerter Kanal mit grauem Wasser, der aber immerhin manchmal laut strömt und plätschert. Anfangs standen an ihrem Ufer noch normale tschechische Wohnblocks und Spätis. Dann verschwand die Straße unter einem Hochhaus. Plötzlich furzte das Hotel eine Wolke aus, und ein intensive Wolke aus Chlorgeruch hüllte uns ein, als würden wir geradewegs in ein Schwimmbecken reinsteuern.
Taten wir nicht.
Als wir auf der anderen Seite rauskamen, standen wir in einer tschechischen Stadt, wie ich sie noch nie gesehen hatte.

1370 hieß die Stadt bloß Vary (Warmbad), aber schon da war bekannt, dass da heißes Wasser aus dem Boden kommt, in dem man gesund baden kann. Karl IV. badete anscheinend ganz gern, denn er machte die Stadt zur Königsstadt, im Gegenzug musste sie bloß seinen Namen in ihren Namen integrieren. Aus der Zeit ist fast nichts mehr übrig, alles in Großbränden abgefackelt oder in Hochwassern abgesoffen (muss wirklich wahnsinnig erholsam gewesen sein damals). Die typischen barockbunten Kurhäuser und Hotels, die heute hier stehen, sind aus dem 18. und 19. Jahrhundert, und das war auch die Blütezeit der Stadt, denn da hatte man rausgefunden, dass man - Trommelwirbel - das gesunde Wasser ja auch trinken kann.
Zum Beispiel rechts im Bild in der

Quelle Nr. 7: Mlýnská kolonáda (Mühlenbrunnenkolonnade)

Dort wurde am nächsten Morgen sogar irgendein Film gedreht, Kameras und Scheinwerfer und schwarz gekleidete Menschen wimmelten herum.

Zwischen Marmorboden, Sandsteinstatuen und einem Wald aus Säulen sprudeln Tag und Nacht fünf Mineralwasserquellen aus Mineralwasserhähnen. Vom Prinzip her kannte ich das ja schon aus Františkový Lázně: Man schlendert da halt rum und trinkt draus, und das soll dann gesund sein. 
Im Prinzip sind die Kolonnaden kostenlos, die Stadt verdient Geld daran, indem sich alle so hübsche Porzellantassen zum Trinken kaufen. Nö, nicht mit mir, ich halte einfach die Hand drunt... AAAU! Das Zeug ist ja kochend heiß! Damit hatte ich nicht gerechnet, die Quellen in Františkový Lázně waren normal temperiert. Aber hier, nur wenige Kilometer weiter, heizt Mutter Natur ihr Wasser zum Zwecke des Diebstahlschutzes und zum Wohle der heimischen Tassenindustrie auf.
Und noch ein Unterschied: Während die Quellen in Františkový Lázně sehr lecker oder sehr eklig waren, geht Karlový Vary geschmacklich weniger in die Extreme, hier fand ich die Quellen alle irgendwie mittel.

Weitere metallene Wasserhähne sprudeln in den Parks der

Quelle Nr. 8: Sadová kolonáda (Gartenkolonnade)

wo ich am nächsten Morgen mit neu gewonnener Weisheit meine Trinkflasche drunterhielt.
Das klare Highlight der Stadt liegt aber weiter hinten: Die

Quelle Nr. 9: Vřídelní kolonáda (Sprudelkolonnade)

Das Gebäude ist schon von Weitem ein Blickfang: Ein Betonklotz mitten im Tal, aus dem ein Glastürmchen ragt, das oben offen ist - und aus dem es dampft?
(Vor dem Gebäude auf der Teplá läuft gerade Wasser an einer Test-Trinkfontäne, wo Geschwindigkeit und Technik der Metallverkrustung herausgefunden werden. Mit diesen Erkenntnissen soll dann nächstes Jahr draußen eine neue Fontäne installiert werden.)

Das Gebäude der Sprudelkolonnade ist von 1975, und so sieht es auch aus. So fremdartig der funktionalistische Stahlbeton auch ist, so eindrucksvoll ist das Innere. Wir irrten erstmal ins Gebäude, bis sich eine Schiebetür für uns öffnete. Im ersten Raum befand sich eine Theke und natürlich ein Stand mit Porzellantassen. Im hinteren Raum ein weiteres Zimmer mit Quellen zum Trinken (hinten im Bild hinterm Fenster). Aber dann tat sich eine weitere Schiebetür auf, und...
PFFFFFFŠŠŠPFFFFŠŠŠŠ...
Warme Salzluft und nasse Geräusche hüllten uns ein.
Dieser Raum gehörte einzig und allein einer Fontäne, die unablässig bis zu 12 Meter hoch spritzt. An sich ist sie gar nicht mal so dick, trotzdem dominiert sie den ganzen Raum. Das Wasserbecken reicht ihr bei Weitem nicht, Dampf und Tröpfchen breiten sich aus, auch über unsere Haut und Kleidung, wenn wir zu nah rankamen. Ja, dieses Glastürmchen oben wird definitiv gebraucht, sonst würde der Sprudel ständig volle Kanne gegen die Decke knallen. Und nun weiß ich auch, warum es nichts macht, dass dieses Türmchen oben offen ist - dieser Raum muss selbst im Winter warum genug sein. Nach dem Geysir von Andernach ist das die beeindruckendste Fontäne, die ich kenne.

Natürlich gab es auch in Karlový Vary wieder so einen Laden mit angewärmten Oblaten, schließlich kommen die ursprünglich von hier (heute werden sie in Marienbad hergestellt). Die andere Köstlichkeit der Stadt macht betrunken: Jan Becher baute 1867 eine Fabrik, um seine Kräuterlikör in die ganze Welt zu vertreiben. Sein Nachname dürfte die Vermarktung erleichtert haben.

Dieses Teplá-Tal ist... wie soll ich das beschreiben? Einerseits so friedlich und auch seltsam eindrucksvoll durch die zighundert Hotels, und gleichzeitig so komisch - unten alles künstlich, und oben eine Berglandschaft mit Gipfelkreuzen und Aussichtspunkten zum Hochwandern. Als hätte jemand einen Erlebnispark für Omas angelegt. Diese Architektur hat zum Beispiel Wes Andersons Film Grand Budapest Hotel inspiriert, das aber nicht hier gedreht wurde - Karlsbad hatte "alle richtigen Elemente, aber nicht an den richtigen Stellen". Das änderte nichts daran, dass bei diesem Anblick gleich der Soundtrack in meinem Kopf loslegte.
"Das ist hier für die Touristen, das richtige Zentrum muss woanders sein.", mutmaßte mein Mitreisender. Kann sein, aber vielleicht waren die Wohnblocks mit den Spätis da vorn auch schon das "richtige Zentrum".
Noch weiter hinten, hinter der Sprudelkolonnade, begann ein besonders breites Hotel. Wir wanderten abends am Ufer entlang, landeten auf dem Parkplatz, fragten uns, ob dieser Gebäudekomplex jemals aufhören würde, und kamen uns trotz mangelnder Verbotsschilder vor wie Eindringlinge. Auch wenn das alles aus der Habsburgerzeit stammt, war Karlový Vary bis vor Kurzem vor allem bei Russen extrem beliebt. Als die 2022 wegblieben, war das ein echtes Problem, und seitdem bemüht sich die Stadt, stattdessen Deutsche und andere Westeuropäuer anzulocken. Anscheinend mit mäßigem Erfolg: Bei mehreren Hotels habe ich in den Bewertungen noch immer Beschwerden gelesen, wonach alle, die nicht Russisch oder Ukrainisch sprechen (seltsame Kombi eigentlich), unfreundlich abgekanzelt werden.
 

Aber zum Glück gibt es auf den Hügeln auch Hotels zu moderateren Preisen und ohne Vorurteile, sodass wir uns eine authentische Karsbader Übernachtung in einem der 7428 Grand Budapest Hotels gönnen konnten. Wobei das Zimmer an sich eher normal aussah, aber zumindest von außen und im Treppenhaus ging der Soundtrack im Kopf direkt wieder los.
Ich fragte beim Check-In, ob es auch einen Abstellplatz für Fahrräder gäbe. Die Dame zögerte, anscheinend hörte sie diese Frage nicht oft. Doch obwohl sie uns deutsch sprechen gehört hatte, versuchte sie, eine Lösung zu finden - es mag an meinen halbwegs brauchbaren Tschechischkenntnissen liegen, aber sie erlaubte uns, die Räder durch die Lobby zu schieben hinein in... lol, ist das ein Wellnessraum? Jap, diese Nacht verbrachten unsere Räder zum ersten Mal zwischen Sauna, Dampfbad und einer künstlichen Felswand.
Die Gäste störte das nicht, denn der Bereich wird anscheinend sowieso nur auf Anfrage gegen gepfefferten Aufpreis geöffnet.

Hm, wenn wir im Hotel nicht baden, dann gibt es hier doch sicher eine schöne Therme, oder?
Nope.
Nur Kur.
Hier ist nichts, was mit der Kurhessentherme Kassel oder gar Therme Erding vergleichbar wäre. Das einzige Bad, was weder hoteleigenes Bad noch einfache Sportschwimmhalle noch medizinische Einrichtung ist, ist eine kleinere öffentliche Therme mit tollem Blick über die Stadt, aber die Bewertungen kritisieren dort recht einhellig die Sauberkeit und das eher unterwältigende Angebot.
Ernsthaft? Ich dachte, das hier soll die Thermalstadt schlechthin sein oder so?
Was zum Geier machen die Leute dann hier? Trinken die echt den ganzen Tag nur das heiße Quellwasser?
Nicht ganz. Bei meiner eiligen Recherche während der Reise kam ich schließlich zu folgendem Schluss: Anscheinend badet man hier typischerweise einfach nur in Badewannen, in denen irgendein Zeug drin ist. Zum Beispiel Bier. Ja, sie haben richtig gelesen, man kann sich hier ein Beer Spa buchen. Das schien mir aber eher ein Touristengag zu sein. Aber warte Mal, im Alžbětiny Lázně haben die so was ähnliches im Angebot, ein Hemp Bath. Das klingt schon besser.

Also buchten wir uns einen Termin und suchten am nächsten Morgen das Gebäude auf. Es liegt in einem Park, hat hinten anscheinend auch noch eine Sportschwimmhalle drin und sieht auf den ersten Blick ganz schick aus. Als wir dann allerdings auf dem Flur rumsaßen und überall Menschen in Kitteln rumliefen, erkannten wir den Fehler: Das ist keine Therme, sondern ein Krankenhaus. Rückblickend betrachtet hätte uns misstrauisch machen sollen, dass auf der Website auch Elektroschocktherapie und so Gedöns angeboten wurde.

In dem alten gekachelten Raum schießt das Wasser aus fetten Röhren in die Metallwanne, und es ist ungefähr so gemütlich wie in... einem Krankenhaus halt. Was das Hemp im Bath angeht, so besteht dieses aus einem winzigen Becherchen mit Kräuteröl, das da reingekippt wird und beim Baden praktisch null zu merken ist.
Da wird man dann reingerufen und sitzt 15 Minuten allein im Wasser, mit einem komischem Gitter im Rücken.
Hm.
Also eine authentische Erfahrung ist es auf jeden Fall. Jetzt weiß ich endlich ungefähr, wie genau sich all die Mitschüler und Großeltern, die auf mysteriöse Weise für Wochen "auf Kur" verschwanden, zu Tode gelangweilt haben. Ich hatte ja keine Ahnung. Möge es noch bis zur Rente dauern, bis ich so was machen muss.
Und doch: Für mich als Menschen über 1,90 m hatte die Erfahrung einen sehr beglückenden Aspekt: Zum ersten Mal seit über 10 Jahren befand ich mich wieder in einer Badewanne, in die ich bequem reinpasste.

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