NEU! Unterirdische Radtour auf Schienen für kleine Menschen

Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

04 Mai 2025

Eger: Von Karlový Vary nach Žatec

Guten Morgen, wir sind raus aus Karlový Vary und das hier sieht doch sehr wie der klassische Egerradweg von gestern aus.
Aber nicht lange.
Die ersten Steigungen konnten wir noch umgehen, indem wir auf der Landstraße am rechten Ufer fuhren.

Die brachte uns schnurstracks zum Mattoni-Wasserfall. Die kleine Otto-Quelle stürzt hier moosige Kaskaden runter, was an den "berühmten Wasserfall in Gastein" (noch nie von gehört) erinnern soll. Sieht künstlich aus? Ist es auch, dieser Wasserfall sollte Touris anlocken.

Aber nicht nur er: Um 1885 baute ein gewisser Heinrich Mattoni hier ein Theater, Konzertsaal, Restaurant, Grotte, Wetterstation und Säulengänge in die Höhe. Das war das Dorf Kyselka, das damals noch den eher unsexy Namen Bad Gießhübl-Sauerbrunn trug.
Was ist vom Dorfe übriggeblieben? Ein Lost Place. Die Häuserzeile guckt traurig und verfallen aus der Wäsche (und zum Teil aus Baugerüsten). Das Einzige, was noch läuft, sind der Wasserfall und die letzte Heilwasserquelle an der Ohře, nämlich

Quelle Nr. 10: Gießhübler Säuerling

Na Gott sei Dank, meine Flasche mit Karlsbader Quellwasser ist schon wieder leer! Aber warte mal, was steht da auf dem Pfosten? Das Wasser nicht... was? Trinken? Die Schrift war verwischt, doch auf der anderen Seite stand es vollständig: Nicht abdrehen, trinken geht klar.
Dennoch ist Kyselka ein trauriger Anblick. Wieso ging das touristische Konzept nicht mehr auf, obwohl es ja quasi nichts anderes ist als Karlsbad als Dorf? Die Kurgäste in der Stadt haben wohl echt keine große Reichweite.

Und was wollte der Mattoni dann ausgerechnet hier? Weitaus mehr als Tourismus. Darum schlossen wir Touristen unsere Räder an und spazierten durch ein süßes Tälchen den hellen Wald hinauf.
Dort oben startete Heinrich Mattoni sein wichtigstes Unternehmen und ließ die Löschner-Quellen einfassen (vom selben Ingenieur, so was auch im deutschen Bad Ems gemacht hat), was ziemlich knifflig war. Rundherum baute er ein Haus, in dem er das Mineralwasser abfüllte und die Kästen per Standseilbahn runter ins Tal schickte. Heute ist in dem Haus das Mattoni-Museum, das ich echt gern gesehen hätte, doch leider war es trotz anderer Informationen geschlossen. Zumindest erzählt der Mattoni-Lehrpfad ein bisschen was. Sogar in Comic-Form: Die Kinder entdecken im Museum einen Ballon, starten ihn aus versehen und durchbrechen nicht nur das Dach des Museums, sondern auch den Bilderrahmen. ("Mir ist schlecht! Ich will zurück in den Comic!")
Das Häuschen hat außen so Deko-Holzschnitzereien im norwegischen Stil und war, wie alle von Mattonis Bauwerken, ziemlich ausgefeilt. Wer würde eine Mineralwasserfabrik heute noch so schön bauen? Und so klein?

Niemand!
Der sprudelnde Beweis brummt unten im Tal vor sich hin. Lost Place hin, Museum her, auch heute wird in Kyselka eine Limonade abgefüllt, die eigentlich Mattoni heißt, aber von jedem einfach nur Kyselka genannt wird - umgangssprachlich ist der Name des Dorfes sogar zum Wort für Limonade ganz allgemein geworden. Das ist doch ein kleiner Trost für die Trostlosigkeit dort unten.
Tschechische Zitruslimonaden werden prinzipiell in grüne Flaschen gefüllt und schmecken nicht so pappsüß wie die heilige Dreifaltigkeit Cola/Fanta/Sprite, sondern sanfter, eher in Richtung 7Up. Lange war die Kyselka von Kyselka ganz klar die beliebteste, aber dann sind sie von Glas- auf Plastikflaschen umgestiegen und haben vermutlich auch irgendwas an der Rezeptur verändert, und plötzlich fanden sich vermehrt andere Marken in den Einkaufskörben wieder. Eine kurze Geschmacksprobe nach dem nächsten Supermarkteinkauf ergab: Inzwischen schmeckt es wieder besser. Und vor allem nach Kindheit.

Die nächsten Felswände waren in Netze gepackt und sahen irgendwie aus, als wären sie für einen Zoo aus Beton gegossen.
Auf dieser Straße verliefen die letzten leichten Kilometer.

Dann wurde es heftig. Hoch und runter und hoch und runter und hoch und runter... boah, das hatte ich beim Blick auf die Karte massiv unterschätzt. Ich dachte, die Moldau wäre der anstrengende tschechische Nebenfluss und die Ohře noch eher der entspannt-familienfreundliche. Aber in Wahrheit sind beide nicht ohne. Das Tal sieht zwar immer noch herrlich aus, aber unten am Fluss gab es einfach keinen Weg mehr. Irgendwann nahmen wir die Schönheit nur noch während der Trinkpausen oben auf den Hügel wahr, ansonsten verschwammen die endlosen Dörfchen und Weghecken ineinander.
Diese Landschaft heißt Doupovské hory (Duppauer Gebirge). Von den vielen, vielen tschechischen Gebirgen ist es wahrscheinlich das unbekannteste, denn man darf in den allergrößten Teil gar nicht rein. Nur die Ränder sind ein bisschen besiedelt, der Rest gehört zum Truppenübungsplatz Hradiště. Das Tal wird auch Schlangental genannt, weil da drin bedrohte Äskulap-, Schling-, Glatt- und Würfelnattern leben.

Der Weg wurde auch nicht gerade leichter, als wir einen Wegweiser übersahen und uns unversehens auf dieser Wandertreppe wiederfanden. Es war ein Kraftakt, die Räder da hochzuhieven, ohne im Staub abzurutschen. Aber immer noch besser als viele Kilometer zurückzufahren.

Auch ziemlich bergig, aber bei Weitem nicht so wild, war der Park in Klášterec nad Ohří. Eine sächsische Adelsfamilie hat sich hier ein rotes Schloss namens Klösterle gebaut und rundherum einen englischen Landschaftspark voller exotischer Bäume angelegt. Der Bildhauer Jan Brokoff hat darin Statuen der sechs Kontinente (Afrika, Amerika, Odysseus, Asien, Europa, Unbekannte Allegorie) und der sechs Jahreszeiten (Winter, Frühling, Erde, Herbst, Venus und Merkur) aufgestellt. Thematisch ein bisschen sprunghaft, der Gute.

Nur eins gibt's in Klösterle nicht: Ein Klöster.
Das thront erst ein paar Kilometer später in Kadaň auf einem Felsen und setzt die Panorama-Prachtpauten-Parade fort. Die Franziskaner mussten es an die Wehrmacht abgeben und probierten es nach der Wende nochmal für einem Comeback für vier Jahre, was aber nicht so recht klappte. Rund um den Klosterfelsen besteht der Egerradweg aus einem ebenso gewundenen wie sehenswerten Gitter. Dieses Stück Radweg ist vermutlich nicht gerade das verkehrssicherste (zumindest würde ich da nicht mit vollem Karacho runterrasen), aber dafür das blickfangiste.

Dort unten beginnt dann eine Uferpromenade, die auf Englisch den stolzen Namen Embankment of Maxipes Fík trägt. Und für alle Kulturbanausen, die nicht wissen, wer das ist, steht auch eine Skulptur eines riesigen weißen Hundes und eines sehr viel kleineren Mädchens herum (leider habe ich kein Foto gemacht). Das ist eine der bekanntesten tschechischen Zeichentrickfiguren, und ihr Erfinder kommt aus einem Dorf bei Kadaň. Mehrere Generationen haben dem sprechenden Maxi-Hund namens Fík zugesehen, wie er zum Beispiel das Auto der Familie entwendet und damit gegen so viele Verkehrsvorschriften verstößt, wie in eine 10-Minuten-Folge passen. ("Haben Sie einen Führerschein?" - "Nein" - "Haben Sie denn Geld dabei?" - "Nein" - "Haben Sie überhaupt irgendwas?" - "Ja. Flöhe.") Und nein, wir hatten damals keine Ahnung, dass der Name des Hundes irgendwie anrüchig sein könnte.

Egal, wo man hochguckt, in diesem Bereich türmt sich über dem Fluss immer etwas Altes, Spitztürmiges und frisch Saniertes auf.
Wir steuerten gerade inmitten von Wohnblocks und Tankstellen auf einen Kreisverkehr zu, da begann zu unserer linken plötzlich einfach so eine Wiese. Mitten in der Stadt. Kein Park, einfach eine völlig freie Fläche mit Gras. Das sieht man auch selten. Und dahinter stand auf dem Hügel die Altstadt von Kadaň. Der Name erinnert an den tschechischen Namen für Kopenhagen, Kodaň. Eigentlich müsste Kadaň dann eingedeutscht Kapenhagen heißen. Tut es aber nicht, es hieß Kaaden, laangweilig. Als freie königliche Stadt hatte Kapenhagen eine besonders starke Stadtmauer. Als sich die Stadt ausdehnte, wurde sie ganz pragmatisch wieder abgebaut, aber genau über der Wiese ist noch was übrig. Doch suchten wir nach Phantomrestaurants - von außen waren die Gäste an den Tischen auf der Mauer zu sehen, doch im Inneren fanden wir den Eingang nicht.

Was verbirgt sich Inneren dieser mittelalterlichen Mauern? Ein mittelalterlicher Marktplatz, ganz klassisch tschechisch - aber technisch hochgerüstet! Die Bänke haben Handy-Ladebuchsen, und auf dem Touchscreen konnten wir nicht nur auf der Landkarte an die Sehenswürdigkeiten der Stadt ranzoomen, sondern auch die neusten Beschlüsse des Stadtrats als PDF öffnen. (Wir erinnern uns, vorgestern in Bayern hingen die noch in Papierform aus.)
Schweißüberströmt machten wir uns im Schatten der Arkaden über ein paar wirklich gute Burger her. Kadaň ist doch schön, sollen wir heute wirklich noch weiter? Aber nein, jetzt sind wir gestärkt. In Žatec ist ein Hotel, wo man bis 22 Uhr einchecken kann, das schaffen wir schon. Jetzt haben wir den schlimmsten Teil ja überwunden.

Also fast.
Eine letzte steile Steigungsstraße kam noch, und die war brutal.
Und dann sah auf einmal alles komplett anders aus.
Wir hatten das Ende des tschechischen Grenzgebirges erreicht. Aber dieses Ende sieht komplett anders aus als an der Elbe - keine Pforte aus dem Gebirge heraus, und dahinter kein Flachland, stattdessen: Rapsterassen. Hohe, endlose Flächen aus Raps. Ausnahmsweise ist Die Berge sind zu Ende und sie können die Blicke weit schweifen lassen keine Beschönigung - es ist fast noch untertrieben!
Die erste Rapsterasse besteht zusätzlich aus Elektrizität. Links erstreckte sich der große Stausee von Nechranice (wortwörtlich heißt das Nichtbeschützingen, und ich hoffe, dass das keine Rückschlüsse über die Sicherheit der Staumauer zulässt). Der See ist umgeben von Ackerland, nur in einem kleinen Wald gibt's ein paar Campingplätze und eine Badestelle. Hinter dem See dampfen fossile Kraftwerke vor sich hin, und Hochspannungsleitungen umspannen das hochspannende Land, um all den frischen Wasser- und Fossilstrom abzutransportieren.
"Können wir nicht einfach dieser Straße bis Žatec folgen?"
Könnten wir, aber gleich gibt es wieder einen Radweg am Ufer.

Wenn der Stausee mal überläuft, landet das Wasser in einem Abflusstrichter. Auf der Staumauer verläuft eine absurd lange gerade Straße, die aussieht, als würde im nächsten Moment Forrest Gump darauf angelaufen kommen. Mein Mitreisender war enttäuscht, dass wir auch auf dieser Straße nicht weiterfahren würden. Für uns ging es hinter der Staumauer abwärts, und wir bauten all die angestauten Höhenmeter gleich wieder ab.

Wenn der Stausee mal überläuft, dann hat das überschüssige Wasser aus dem Trichter einen wilden Ritt vor sich. E rauscht eine steile, breite Betonpiste runter und springt anschließend über diese Rampen. Auch wenn sie verlockend aussehen mögen, wird Wasserski-Fahrern dringend davon abgeraten, diese Sturzflut auszunutzen.
Im Moment war sowieso alles trocken, daher konnten die Rampen höchstens Skateboardfahrer mit Lust auf ein Bad in Versuchung führen.
Der Uferweg, den ich versprochen hatte, bestand leider erst einmal aus Stock und Stein (überwiegend Stock).

Später wurde er dann doch noch frisch asphaltiert, und dann erschien am Horizont auch schon das žagenumwobene Žatec. Auch diese Stadt liegt auf einem Hügel. Das einzige übriggebliebene Stück Stadtmauer heißt Husitská bašta (Hussitenbollwerk) und gibt damit einen dezenten Hinweis, wer sich in dieser Stadt wohl verschanzt haben könnte.

Trotz aller Ähnlichkeiten und Arkaden ist Žatec ein bisschen ausgestorbener und nicht ganz so beeindruckend wie Kadaň.
Mitten im Kreisverkehr steht ein gewaltiges Bierfass und gibt damit einen dezenten Hinweis, wofür diese Stadt bekannt ist. Also Bier, oder?
Fast. Aus Žatec (früher Saaz) kommt Saazer Hopfen, die (laut den Žatecern) wichtigste Zutat für Pilsner Urquell und viele andere Biere. Die Stadt hat den größten Hopfenspeicher in Europa und insgesamt drei Hopfenmuseen: Der Hopfen- und Biertempel verfüht über einen 40 Meter hohem Leuchtturm (den wir irgendwie nicht gesehen haben), und im Hussitenbollwerk wird das Thema eher satirisch mit dem Homo Lupulus (Hopfenmensch) aufgegriffen.
Viel deftiges Essen verlangt auch entsprechend viel Alkohol, schreibt der Reiseführer - okay, okay, schon klar, ist alles sehr lecker in diesem Land - aber ist es wirklich eine gute Idee, die Menschen in einem Reiseführer für Radfahrer so sehr zum Saufen zu animieren?

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