NEU! Unterirdische Radtour auf Schienen für kleine Menschen

Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

04 Juli 2023

Ilm: Von Allzunah nach Stadtilm

ILM



Des Flusses erster Teil
Eine Fahrradtour in drei Akten

Personae dramatis
Johann Wolfgang von Goethe, Weimarer Dichter
Friedrich von Schiller, Weimarer Dichter
Johann Gottfried Herder, noch ein Weimarer Dichter
Christoph Martin Wieland, der letzte der Fantastischen Vier von Weimar
Ludwig Bechstein, Weimarer Wanderliederdichter und Bibliothekar
Johann Peter Eckermann, noch irgendein Weimarer Dichter
Gotthold Ephraim Lessing, kein Weimarer Dichter
Jacob Wilhelm Heinse, Langewiesener Dichter
Felix Gebser, Dienstedter Dichter und Heimatforscher
Karsti, Zwerg und touristisches Maskottchen
Rudolf Baumbach, Kranichfelder Dichter
Paul Rudolf Uhl, Online-Dichter
Jakob Michael Reinhold Lenz, Berkaer Dichter
Unbekannter "Dichter" aus Unterroßla
Erlkönig, dubioser Typ, der Minderjährige im Deutschunterricht belästigt
Franz Liszt, Weimarer Komponist
Johann Sebastian Bach, Arnstädter Komponist
Hans Christian Andersen, dänischer Märchendichter
Martin Luther, Thüringer Reformator
Hans Fallada, Berliner Dichter
Kurt Tucholsky, Berliner Satiriker
Christoph Werner, Begründer einer Drogeriekette
Ich, Flussradfahrer und hobbyloser Hobbydichter


1. Akt
Zwischen dem Rennsteig-Bahnhof und Stützerbach

ICH 
Habe nun, ach! Den Rhein so cool,
Ems, Elbe, Donau, Warnow, Weser,
und leider auch die öde Suhl
durchaus gesehen, für meine Leser.
Da steh' ich nun, ich armer Tor,
und bin so klug als wie zuvor!
Zwar fuhr ich die Strecken ab so schnell;
doch fühlt' ich mich nicht intellektuell.
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab' ich mich der Kultur ergeben,
ob mir durch Geistes Kraft und Mund
nicht manch Geheimnis würde kund;
dass ich nicht mehr mit sauerm Schweiß
nur Fahrrad fahre und nichts weiß;
schau' der Weimarer Klassik Samen,
und tu' in vielen Worten kramen.

GOETHE
Flieh, hinaus ins hohe Land
und die geheimnisvolle Schrift
von Esterbauers eigner Hand,
ist sie dir nicht Geleit genug?
Erkennst du dann des Flusses Lauf
und wenn Natur dich unterweist,
erst dann geht Weimars Kraft dir auf,
dann spricht zu dir der Dichter Geist.

ICH (entsteigt der Rennsteigbahn)
Einer von Deutschlands steilsten Zügen
soll sich in diese Berge fügen.
GOETHE Mit Zahnrädern?
ICH Nein, das sind Lügen,
weil Schienen dieser Bahn genügen.
GOETHE Dann hat es die Dampfmaschine, welch Kraft,
tatsächlich aus England herübergeschafft!

ICH Bergauf und bergab und tagaus und tagein.
Es dampften die Züge. Tada!
Zum Sägewerk war etwas länger das Gleis,
schnurgerade und flach, denn so fährt es sich nice.
Nun ist es ein Radweg. Hurra!

Bergauf und bergab, nie hinaus, nur hinein,
da horchte die Stasi. Aha!
Bespitzelte Menschen in all ihrer Pein.
Ein Grauen, das war sie.
GOETHE Oha!
ICH Gleich unter uns, auf der Genossen Geheiß,
erbauten sie Bunker zur Führung im Krieg.
Auf dass sie auch dann lauschten heimlich und leis.
Dabei war doch völlig unmöglich der Sieg.
GOETHE Nur Bahnhof versteh ich. Naja.

GOETHE Berg auf und Berg ab und Tal aus und Tal ein.
Es radeln die Radler. Platz da!
Doch ist die Entfernung und Steigung nur klein
nach Allzunah, wie wunderbar!
Wir schonen das Blut und wir sparen den Schweiß,
verbringen die Fahrtzeit auf andere Weis,
etwa im Museum.
ICH Ah ja.

GOETHE Über Berg und Tal,
nach Allzunah allzumal,
kommt die Lengwitz nun ins Freie.
Doch ist sie gar nicht mal so breit.
Sucht Tann und Kraut nach kurzer Zeit
im schmalen Straßental aufs Neue.

ICH Zwischen Berg und Wald,
steiler als die Wildnis bald,
liegt das Südthüringer Kaff
mit dem Namen Stützerbach.
Erbteilungen ließen wachsen
auf dem Bach gar grüne Grenzen
zwischen Weimar und Kursachsen,
weshalb gleich zwei Kirchen glänzen.

GOETHE Was weiß ich, was mir hier gefällt,
in dieser engen, kleinen Welt,
mit leisem Zauberband mich hält!
Mein Carl und ich erlernten hier,
wie man wild campt und jagt und reitet.
Und doch, der Herzog ward von mir
zu mehr Verantwortung geleitet.
Wir schliefen allzu oft in Stützerbach,
um hier den Bergbau rasch zu reformieren,
im Hause der Familie Gundelach.
Die hieß uns stets willkommen mit Manieren.
ICH Ich schätze, damals schliefst du immer
im heutigen Erinnerungszimmer?
Es wurde, wie das Schild berichtet,
nach deinem Tod gleich eingerichtet.
GOETHE (betrübt) Nein, eigentlich gegenüber.
Doch erkenn ich es kaum wieder.
Ich lernte, wie man Glas schleift, von den Meistern.
Denn das ist eine Kunst, eine gar schwere.
Und, damit sie ihr Glas bald besser kleistern,
experimentierte ich mit Farbenlehre.
Ich wollte wissen, wie das Licht
sich in gewissen Prismen bricht.
Und nicht zuletzt erwarb ich hier
mein allerbestes Schreibpapier.
Doch war im Sommer Wasser knapp,
brach die Papierherstellung ab.
Die Lengwitz zwang mich so zum Fasten.
ICH Und was ist das hier für ein Kasten?
GOETHE Mein Reiseschreibzeug? Meinst du das?
ICH Ein Laptop quasi?
GOETHE Bitte was?
Es dient zum Zeichnen, Dichten und Berichten.
Doch als Geheimrat meine Pflichten,
den Bergbau wieder aufzurichten,
vernachlässigte ich mitnichten.
In denk, ich hab das rechte Maß getroffen,
in Spaß und Arbeit mich gehüllt,
die wir, von Lebenskraft erfüllt,
in holder Gegenwart der lieben Zukunft uns erhoffen.

2. Akt
Zwischen Stützerbach und Ilmenau

BECHSTEIN Du stiller Fluss, der von der Höhe
des Rennsteigs niederfällt ins Tal,
dein denk' ich oft und süßes Wehe
erfasst mein Herz dann jedesmal.
Du Bergestochter, silberhelle,
durch Schattentäler euer Lauf
nimmt dreier Bäche Bruderwelle
mit sanftem Flüsterkosen auf.

Die Lengwitz von des Rennsteigs Schwelle,
die mit dem Taubach sich vereint.
Dieser entstammt einer Baustelle,
wo Kies und Busch den Blick verneint.
Der Freibach durch sein Tale hüpfend,
wo es nur holprig vorwärtsgeht,
bald unter Ulmenbüsche schlüpfend,
der Waldeswiesen Blumenbeet.

Am Grenzstein dreier Herzogtümer
Freibach mit Lengwitz sich vermischt.
Von Stein zu Stein, noch ungestümer,
Kristallwasser den Blick verwischt.
Dann kommst du wieder fromm gezogen,
so fotogen, fast wie im Film.
Und fortan tragen deine Wogen
einen ganz neuen Namen: Ilm.

GOETHE Wenn der Ilme Bach bescheiden
schlängelnd still im Tale fließt,
überdeckt von Zweig und Weiden
halb versteckt sich weiter gießt,
ICH hört er öfter mal die Tröte -
Bahn und Autos sind recht laut.
Was die Stille, lieber Goethe
ab und zu dezent versaut.

GOETHE Vieles ist an mir entsprungen,
Brunnen, Mühlen, Kunst und Bier.
Und so ist es wohl gelungen,
dass man Fluss sagt nun zu mir.
Will ein Reisender mich sehen
wie die Donau, wie den Rhein,
ich versteck’ mich, lass ihn gehen,
denn ich bin doch gar zu klein.
BECHSTEIN Und wenn von Thal zu Thal so flüchtig
dein jugendliches Leben rann,
so wallest du wie Jungfrau'n züchtig,
entfaltest dich am Kickelhahn.
Du ruhst in einem Blumenbette,
und strahlest rein und klar dem Blick
vor deiner Fläche Spiegelglätte
weichen die Berge bald zurück.

Von deiner Nixe hört ich singen:
Sie weile gern am Uferrand.
Wenn Kinder dann ins Freibad gingen,
da winke sie mit weißer Hand.
Sie heb' empor die Lilienarme
und flechte sich das grüne Haar.
"Meidet die Sommerluft, die warme!
Der Eintritt ist heut frei, hurra!"

Da sehnte sich mein kindisch Träumen
voll leiser Schauer, sie zu sehn;
mit ihr zu zauberischen Räumen
tief in ihr Schloss hinab zu gehn.
Ich war ein Kind — den Wunsch gewährte
mir keine Zeit, ich sah sie nie.
Doch jenes Sehnen, das ich nährte,
wuchs mit mir auf, ward Poesie.

Noch wüsst' ich nicht, dass Himmelslieder
An dir erklangen, trauter Fluss!
Vom Himmel stiegen Götter nieder
und Schillers keuscher Genius.
Und darum denk' ich dein so gerne,
ob ich von deinen Ufern schied.
Und grüße dich aus weiter Ferne,
und weihe, Ilm, dir dieses Lied.

GOETHE (auf dem Gipfel des Kickelhahn)
Über allen Wipfeln ist Ruh.
Über allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch.
Dies schrieb ich in diesem Walde.
Warte nur, balde
ruhst du auch.

Anmutig Tal! Du immergrüner Hain!

Mein Herz begrüßt euch wieder auf das Beste,
entfaltet mir die schwerbehangnen Äste,
nehmt freundlich mich in eure Schatten ein.
ICH Ein Schutz vor großen Straßen, Stress und Frust,

fast feinstaubfrei und Balsam für die Brust!

GOETHE Wie kehrt’ ich oft mit wechselndem Geschicke,
Erhabner Berg! An deinen Fuß zurücke.
O lass mich heut an deinen sachten Höhn
nach Ilmenau, der ersten Stadt, hin gehen!

Auch dort hab ich dem Herzog oft gedienet:
Ich sorgte still, dass hier der Bergbau grünet.

Lasst mich vergessen, dass auch hier die Welt
so manch Geschöpf in Erdenfesseln hält.
Der Bergmann Kupfer, Gold den Loren anvertraut,
ein neues Bett der frechen Ilm hat er erbaut,
sie zwischen Porphyrfelsen eingeengt,
welche mit Feuer, Wasser freigesprengt,
damit das Grundwasser, das klare, gute
nicht mehr so stark die engen Minen flute.
800 Meter brauchten 13 Jahre
(für manche von der Wiege bis zur Bahre).

So mög’, o Fürst, der Winkel deines Landes
ein Vorbild deiner Tage sein!
Du kennest lang die Pflichten deines Standes
und schränkest nach und nach die freie Seele ein.
Der kann sich manchen Wunsch gewähren,
der kalt sich selbst und seinem Willen lebt.
Allein wer andre wohl zu leiten strebt,
muss fähig sein, viel zu entbehren.

Im Amtshaus schlief ich manche süßen Träume.
Sie schmeicheln mir und locken alte Reime.
Melodisch rauscht die hohe Tanne wieder,
und schwungvoll eilt die Stromschnelle hernieder.
Doch sag mir, was ist das dort für ein Haus?
ICH Dort schenkt man Bücher und nimmt andre raus.
GOETHE (begeistert) Warum ist das nicht damals hier gewesen?
Dann ist das Volk heut sicher sehr belesen!

LESSING Einen schönen guten Tag!
Seid gegrüßt im Lessingpark!
ICH Dann hast du die Stadt auch besucht?
LESSING Oh Mist, ich bin enttarnt. Verflucht!

35
3. Akt
Zwischen Ilmenau und Stadtilm

ICH Und dort am Ende, wo das Tal sich weitet:
Die Bahntrasse, so herrlich asphaltiert,
auf der man über weiße Streifen gleitet,
von Walde still umrauscht und dekoriert.
Mich treibt das Herz, auf jenem Weg zu radeln.
GOETHE Dann tu es, denn wer soll dich dafür tadeln?

HEINSE (verkündet vor seinem Geburtshaus)
Wer große Dinge sehen will,
muss sich zu einer Mücke wünschen.
GOETHE In Langewiesen, ruhig und still,
ganz nackt, ja, nicht einmal mit Strümpfen,
wurde Herr Heinse einst geboren,
auch er zum Dichter auserkoren.
In diesem Haus aus Schiefer
die ersten Schrittchen lief er,
früh wortgewandt und sehr gewitzt.
HEINSE Denn Großes enthält stets das Kleine.
Nimmst du das Klein nicht in Besitz,
ist auch das Große nie das Deine.

GOETHE (betritt Stadtilm)
Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen?
Und was du tust, sagt erst der andre Tag,
war es zum Schaden oder Frommen.
ICH Hat nicht dereinst das allerletzte Schwein
die Stadilmer Belagerung beendet
und noch mehr Blutvergießen abgewendet?
GOETHE Die Sage sagt, so soll's gewesen sein.
ICH Haben die Feinde nicht gerochen,
die Bratwurst, ganz frisch angestochen?
Brachte die Grillparty den Sieg
im Schwarzburgischen Bruderkrieg?
"Die sind versorgt!", meinte der Feind
gab auf und zog dann ab vereint.
Thüringens größter Marktplatz blieb erhalten.
Doch ach! Ein Gott versagte hier die Kunst.
Die Kunst, den Marktplatz herrlich zu gestalten.
So bleibt er kahl, welch zweifelhafte Gunst.

GOETHE Die Wolke flieht, der Nebel drückt in’s Tal,
und es ist Nacht und Dämmrung auf einmal.
ICH Sei mir gegrüßt, der hier in später Nacht
am überquellenden Papierkorb wacht!
Was sitzest du entfernt von allen Freuden?
Du scheinst mir auf was Wichtiges bedacht.
Was ist’s, dass du in Sinnen dich verlierest,
und nicht einmal den Campingkocher schürest?

GOETHE O frage nicht! Denn ich bin nicht bereit,
des Fremden Neugier leicht zu stillen.
Sogar verbitt’ ich deinen guten Willen.
Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit.
Ich bin dir nicht im Stande selbst zu sagen,
woher ich sei, wer mich hierher gesandt.
Von fremden Zonen bin ich her verschlagen
und durch die Freundschaft festgebannt.

Ein Glühwürmchen glimmt durch den Fichten-Saal.
Am niedern Herde kocht ein rohes Mahl.
ICH Im finstern Feld, bei’m Liebesblick der Sterne,
hol ich die Instantnudeln still hervor.
Am Wasserrauschen schlafe ich zu gerne.
Das Gras ragt um ein Rechteck hoch empor.
Ich eile sacht zu sehn, was es bedeutet:
Hier schlief einst jemand. Er hat mich geleitet.

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