Havelgeschwafel VI: Die Prachtparks
Die Prinzessin auf der Elbe - Badehosen und Völkermord - Liebling, ich habe die Filialen geschrumpft - Die schönste Parkstadt - Das komplizierte Verhältnis zwischen Platten, Pedalen und Potsdamer Parks und wie man es umgeht - Mr Potatoe und sein privater Palast
Die zweite Havelstavel begann mit einem Wettrennen. Auf dem Uferweg hinter Spandau fuhren wir einem superschicken Schaufelraddampfer hinterher, der Elbe Princesse 2, die sich offenbar ein bisschen von ihrem ursprünglichen Fluss entfernt hatte. Statt durch das Elbsandsteingebirge tuckerte sie umher zwischen Wohnvierteln, Sportboothäfen und einem mysteriösen dreieckigen Gebäude, dessen Zweck wir nicht ergründen konnten. Es gelang uns ziemlich mühelos, sie zu überholen.
Kurz hinter Spandau wird die Havel wieder breiter.
Havelsee Nr. 30: Scharfe Lanke (kurz am Radweg)
Havelsee Nr. 31 Stößensee
hängen dort mit einem Ende jeweils links und rechts am Fluss dran.
Auch wenn das zwischenzeitliche Zickzack durch die Spandauer Straßen stressig war, fuhr sich diese Etappe insgesamt schon gut. An einer Stelle wurde extra für die Radfahrer ein Seitenstreifen auf dem Kopfsteinpflaster glatt abgeschmirgelt, obwohl die dort nur ein ganz kurzes Stückchen drauf fahren müssen. Dann tauchten wir allmählich ein ins Gründe und in die Landschaft, die den heutigen Tag prägen würde.
Wir radelten wie der Wind nicht durch den Grunewald geschwind, denn der befand sich am anderen Ufer, aber definitiv durch irgendeinen Wald.
An der uferprämonade von Kladow mussten wir die Verfolgung der Elbe Princess leider endgültig aufgeben: Sie verschwand um die Ecke, während wir noch eine halbe Stunde auf die Wannseefähre zu warten hatten. Dieses Schiff der BVG brummt von morgens bis abends stündlich über
Havelsee Nummer 32: Großer Wannsee
Gleich hinter dem Steg liegt die Insel Imchen, ein ganz überwachsenes, unbewohntes Naturschutzgebiet(chen).
Einen Kaffee später legte sie auch schon an, eine Großraumfähre mit Platz für 60 Fahrräder, die mich an die städtischen Fähren von Kiel erinnert hat.
Ich hatte meine Badehose eingepackt und zwar kein Schwesterlein, aber zumindest mein kleines Brüderlein dabei. Doch das Nieselwetter lud so überhaupt nicht zum Baden ein, also fanden wir es ganz in Ordnung, dass die Fähre ohne Zwischenstopp am Strandbad vorbeifuhr.
Genau gegenüber findet sich die vollkommen andere Assoziation, die ich bisher mit dem Wannsee hatte: Eine unscheinbare graue Villa, in der ein bis dahin einzigartig industrieller Völkermord beschlossen wurde. Komisch, ich hatte mir das Haus immer weiß vorgestellt.
Am 20. Januar 1942 lud Reinhard Heydrich einiger Obernazis in die Villa zu einem Meeting. Wegen des Krieges war das mit dem Reisen sehr schwierig, und so funktionierte die frühere Strategie, Juden durch Unterdrückung aus Deutschland herauszuekeln, überhaupt nicht mehr. Also verlegten sie sich auf Massenmord. Den hatten sie zwar schon begonnen, aber während der Wannseekonferenz koordinierten sie ihn für ganz Europa und beschlossen endgültig, dass jedes einzelne Leben ausgelöscht werden musste. Es ist seltsam, das hier in diesen Beitrag in wenigen Sätzen dazwischenzuschieben, aber es wegzulassen, fühlt sich auch nicht richtig an.
Die Fähre verlässt die Havel und steuert hinein in die Spitze des ungefähr dreieckigen Sees. Nachdem wir uns am Ziel durch Baustellen durchgeschlängelt hatten, radelten wir gleich wieder in den Potsdamer Wald über ein paar Hügel auf der autofreien Straße, auf der uns vollkommen unerwartet ein Doppeldeckerbus entgegenkam.
Auf das Wasser trafen wir erst wieder an der Pfaueninsel. Eine Fähre pendelt rüber zum ersten der vielen Potsdamer Schlösser. König Friedrich Wilhelm II. nutzte es, um mit seiner Geliebten Wilhelmine Encke "zu zweit allein zu sein". (Na, hoffentlich hatte die Königin eine Extrainsel, und zwar in gewissem Abstand.) Allein heißt in dem Fall: Zusammen mit 850 Tieren in Gehegen, deren Nachkommen heute im Berliner Zoo leben. Außer die Pfauen, die durften natürlich auf der Pfaueninsel wohnen bleiben.
Buhnenreihen glucksen hinter dem Schilf vor sich hin, und ein halb asphaltierter, halb erdiger Radweg folgte dem steilen Waldufer. Unsere Mutter rätselte, ob dort Bärlauch wuchs, obwohl das die eindeutigsten Maiglöckchen waren, die man sich vorstellen kann.
Havelsee Nummer 33: Jungfernsee
kannte ich schon von der Berliner Mauertour.
Also begnügten wir uns mit einem kurzen Blick zur Sacrower Heilandskirche und der Glienicker Geheimagentenbrücke, ehe wir die Reise über zu rutschiges Kopfsteinpflaster durch den Babelsberger Park fortsetzen.
Hier reiht sich nun Schloss an Schloss, Ruine an historisches Portal... Moment mal, das da drüben ist ja gar kein Schloss, nur ein Dampfmaschinenhaus. In dieser prächtigen Burg wurde gerade mal das Wasser über die Parkanlagen gepumpt, und der Hofmarschall hatte da drin noch eine repräsentative Wohnung. Wie müssen dann erst die richtigen Schlösser aussehen?
Der Stadtteil Babelsberg beginnt erst hinter dem Park und wurde für seine Filmstudios bekannt. Im freizeitparkartigen Filmpark Babelsberg steht unter anderem der originale Löwenzahn-Bauwagen. Aber dafür, dass man in den Bauwagen nicht mal rein kann, war der uns dann doch zu weit weg und zu teuer.
Havelsee Nr. 34: Tiefer See
Mit einem Mal wurde es am anderen Ufer immer moderner, und schließlich kamen wir an einem kurzen Havelkanal in Potsdam heraus, direkt zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Landtag. Dieser Landtag befindet sich im alten Stadtschloss. Boah, was für eine eindrucksvolle Säulenkuppel, das sieht wirklich nach einem Ort aus, an dem geherrscht wird, wie ein Kapitol (wahlweise das römische, panemsische oder valyrische). Obwohl, nee, Moment, die Kuppel gehört zur Nikolaikirche und nicht mehr zum Landtag, der erstreckt sich bloß in dem rosaweißen Schlosskasten davor. Auch beeindruckend, aber da ist das Schweriner Schloss doch schöner.
Eigentlich war Potsdam lange eine unwichtige Stadt, bloß die südöstliche Ecke der Mark Brandenburg. Das änderte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm im 17. Jahrhundert. Ihm wurde es in Berlin anscheinend zu voll, denn er kaufte die ganzen Stadtgebiete auf und machte Potsdam neben Berlin zu seiner zweiten Residenz. Der Soldatenkönig Friedrich I. holte total viele Soldaten in die Stadt. Die Bewohner waren eventuell nicht so begeistert, denn sie mussten Soldaten in ihren eigenen Häusern unterbringen. Für das Stadtbild und die Wirtschaft ging es aber steil nach oben.
Wie Kassel ist Potsdam eine Stadt der großen Parks, mit dem großen Unterschied, dass sich zwischen diesen Riesenparks auch eine sehenswerte Innenstadt erstreckt. Die Fußgängerzone zwischen der St.-Peter-und-Paul-Kirche und dem Brandenburger Tor (kleiner und gelber als das in Berlin) besteht aus überraschend niedrigen Geschäften.
Diese sympathische Einkaufsstraße zwingt selbst große Ketten wie Thalia dazu, sich klein zu machen, als wären sie ein ebenso bescheidener Kleinbetrieb wie Vit's Bücherwelt oder Internationales Buch. Sogar Ikea (rechts im Bild) hat sich auf 1 Prozent seiner üblichen Größe geschrumpft.
Friedrich Wilhelm I. a.k.a. der Soldatenkönig interessierte sich 1734 zur Abwechslung mal nicht für Soldaten, sondern für holländische Handwerker. Die hatte er gerade umgesiedelt, und damit sie sich wie zu Hause fühlten, ließ er ihnen 150 Backsteinhäuser bauen. Nirgendwo in Europa findet man so viel niederländischen Stil auf einmal, also außer in den Niederlanden natürlich.
Und tatsächlich: Im holländischen Viertel fühlten wir uns wie in Holland. Und offenbar hatten am Karsamstag extrem viele Menschen Lust, sich wie in Holland zu fühlen. Also drängten sie sich zwischen den kleinen Geschäften, Klinkerbauten und blumenbunten Baumscheiben hindurch zu einem köstlichen Restaurant ihrer Wahl. Wir entschieden uns für den Fliegenden Holländer, der zwar nichts erkennbar Holländisches servierte, dafür aber Leckeres. (Böse Zungen sagen, das schließe sich gegenseitig aus.)
Nun aber zurück zu den Parks und Schlössern. Achtung, die sind für Radfahrer nur eingeschränkt offen: Es gibt in der Regel einen oder zwei zentrale Wege, auf denen man Rad fahren darf, und auf allen anderen Wegen ist nicht einmal das Schieben erlaubt. Was in den Parks an der Havel kein Problem war, weil dieser eine Radweg optimal direkt an der Havel verlief. Als wir aber den weiter entfernten Park Sanssouci ansteuerten, wurde es schwieriger. Theoretisch gibt es eine Fahrradrunde einmal durch den Park. Praktisch entpuppte sich der ganze nördliche Teil dieser Runde als Autostraße, an der sich zwar eine Windmühle dreht, die aber nicht mehr wirklich Teil des Parks ist, und auf der man bis ganz hinten durchfahren muss, um in den richtigen Park reinzudürfen.
Was suboptimal ist, wenn ausgerechnet in dem Moment das väterliche Fahrrad einen Platten bekommt und man diese paar Kilometer plötzlich schieben muss, weil man ja auch mit dem platten Rad keine Abkürzung quer durch zur Fahrradstraße im Süden des Parks nehmen darf. Zum Glück entdeckten wir irgendwann ein Schild, das zwar Radfahren, aber nicht das Beisichführen verbot. Wahrscheinlich haben Sie einfach das falsche Schild aufgehängt, aber wir nutzten die Regelungslücke (argumentum e contrario) aus und bekamen keinen Ärger dafür.
An der Fahrradstraße steht ein chinesisches Teehaus. China war damals wie heute weit weg und damit exotisch, also interessant, auch ein Gästezimmer im Schloss ist chinesisch thematisiert. Ob die mit dem damaligen China mehr gemeinsam hatten als heutige Asia-Restaurants, sei mal dahingestellt.
Der Anblick des barocken Parks im Regen entschädigte ein bisschen für die Hindernisse. Der Park ist barocker, heckiger und künstlicher als die Parks an der Havel. Vor allem die Sichtachse den Weinberg rauf zum Schloss Sanssouci war wirklich ein befriedigender ästhetischer Anblick. Oder wie es mein kleiner Bruder formulierte: "Mein innerer Monk ist glücklich." Auch wenn zur Zeit des Rokoko noch niemand den Ausdruck Innerer Monk kannte, bin ich der festen Überzeugung, dass er die wahre Motivation hinter solchen symmetrischen Sichtachsen wunderbar beschreibt.
Aber wir wollten - nicht nur aufgrund des klammgrauen Wetters - auch irgendwo reingehen in dieser geschichtsträchtigen Stadt. Und wir hatten uns für das Schloss Sanssouci entschieden. Zum ersten Mal habe ich von diesem Schloss im Brettspiel Finden Sie Minden gehört, wo ich zu meiner Schande nicht sagen konnte, in welcher Stadt es sich befand. Meine Mutter hingegen war in ihrer Oberschule lang und breit davon vorgeschwärmt worden. Ihre Erwartungen konnten also nicht höher sein. Das war nicht gut. Denn je näher wir kamen, umso mehr verblasste der Glanz. Die Wände waren abwetzt, an den Fensterrahmen splitterte die weiße Farbe ab und die grauen Säulen färben sich allmählich abgasschwarz. Der Potsdamer Postkutscher mag den Potsdamer Postkutschkasten putzen, doch die Stelle als Potsdamer Schlossschmutzputzer ist wohl schon länger vakant. So weit wie mein Bruder, der das mit einem "Plattbau aus der Vorzeit" verglich, würde ich aber nicht gehen.
Die komischen grünen Drahtkästen ums Schloss waren von keinerlei Pflanzen bewachsen und damit als Regenschutz leider höchst ungeeignet. Als wir nach einer vollständigen Umrundung des Schlosses an mehreren Eingängen und Shops abgewiesen wurden, und dass wir den gesamten Berg wieder runter laufen und klären mussten, um überhaupt Tickets zu kaufen, dachten wir daran, doch lieber auf ein anderes Potsdamer Museum umzusteigen. Bis wir das erreicht hatten hätten, hätte es womöglich längst geschlossen, also zogen wir Sanssouci trotzdem durch.
Das war auch gut so, denn von innen kehrte der Glanz dann doch zurück. Das überraschend kleine Schloss besteht im Prinzip aus einer Kette von 11 Räumen, jeder mit einer Nummer im Audio Guide. In denen wohnte kein anderer als Friedrich Wilhelm II. a.k.a. Friedrich der Große a.k.a. der Kartoffelkönig a.k.a. ein Kriegsverbrecher (Quelle: Polen, der Audioguide erwähnte nur ganz beiläufig, dass er "den Staat um polnische Gebiete erweiterte"). Ein fortschrittlicher, aber maximal undemokratischer König mit einem so umfangreichen Leben, dass wir im Geschichtsunterricht eine lange Pro-Contra-Tabelle über seine Taten erstellen mussten. Das ist im Zweifel immer ein besserer Ansatz für amivalente Persönlichkeiten, als sie einfach nur in die Schublade Gut oder Böse zu stecken.
Der Name "ohne Sorge" stellt gleich klar: Dieses Schloss hier war Friedrichs privater Rückzugsraum für den Sommer, offiziell und im Winter lebte er im Potsdamer Stadtschloss. Aber beim König von Preußen gelten sogar für einen privaten Rückzugsraum gewisse Maßstäbe, wie er den einzurichten hat, die Gemälde welcher italienischer Meister aufzuhängen sind und dass ein paar Deko-Sofas (schon damals nicht zum hinsetzen!) an die Wände zu stellen waren.
Damit auch alle sehen konnten, dass er diese Maßstäbe einhielt, konnte man das Schloss besuchen, wann immer der Fritze nicht da war. Es gab schon zu Lebzeiten des Königs gedruckte Schlossführer. Und später wurde es eins der ersten Schlossmuseen Deutschlands.
In diesem grünen Zimmer schlief der Fritze und schrieb Briefe an seinem Schreibtisch (rechts). Und im selben Raum verbrachte er seine letzten Tage im Sessel (links), so krank, dass er sich nicht mal mehr hinlegen konnte. Ein dramatisches Gemälde der Sterbeszene hängt im selben Raum.
Der Audioguide erklärt das alles sehr schön, kompakt und mit passender Musik, auch wenn wir von diesem Gerät eher in der Masse rasch durch die Räume durchgeschleust wurden. Mein kleiner Bruder wurde am Eingang gefragt, ob er den Kinder- oder schon den Jugendaudioguide haben wolle. Natürlich wählte er den Jugendguide. Und beschwerte sich hinterher, der habe auf äußerst cringe Weise mit Jugendsprache um sich geworfen, um den Alten Fritz möglichst fresh erscheinen zu lassen.
Der Stil wird Friderizianischer Rokoko genannt. Genau wie beim Barock ist alles total übertrieben viel verziert, aber nicht einfach nur so, sondern die Muster sollen die Natur nachahmen. In den meisten Räumen heißt das einfach: Das Wort Blattgold ist sehr wörtlich zu nehmen. Aber in diesem Dschungelzimmer ranken sich bunte Blüten über die Wände, Reiher und Papageien staksen herum und Affen schwingen sich von Ecke zu Ecke. Quasi ein früher Vorläufer des Tropical Islands.
Übrigens gibt es da auch noch ein Liebeszimmer voller Gemälde mit mythologischen Liebesszenen, bei denen für alle weiblichen Gestalten striktes Oberkörperbekleidungsverbot gilt. Das Zimmer ist quasi ein Fleisch gewordenes Argument gegen die Theorie um Friedrichs Homosexualität. Aber das Gegenargument folgt sofort: Die Königin hatte auf Sanssouci kein Zimmer, sie musste leider draußen bleiben.
In unserem Potsdamer Hotel fragten wir nach, wo wir die Räder abstellen können. Ganz einfach, in der Tiefgarage ist ein ziemlich großes zweistöckiges Fahrradständer-Gebilde, schieben Sie einfach durch die Lobby zum Aufzug. Echt jetzt, mit den schlammigen Reifen über den frisch geputzten Boden in den Fahrstuhl? Das haben wir so auch noch nie gemacht, aber meinetwegen, ist ja echt nett gegenüber Radfahrern.
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