Havelgeschwafel X: Das Elbfeld
Es klappert im Dorfe - Wo man lieber nicht in Immobilien investieren sollte - Eine Mündung, zwei Kanäle und zwei Bahnhöfe - Baustellendiplomatie für Fortgeschrittene - Der Doppelradweg - Wunderbare Leere zwischen den Flüssen - Die vergessene Shoppingmeile - Eine sehr teure Alternative zu einer Schachtel Pralinen
Der nächste Tag hat uns durchgängigen Gegenwind beschert und war darum deutlich anstrengender.
Die Elbe wirkt in diesem Bereich besonders naturbelassen. Darauf weisen auch viele Hinweistafeln hin.Menschliche Hinterlassenschaften stehen etwas verloren rum...
...oder verschanzen sich hinter Mauern.
Ich kämpfte mich durch den Gegenwind auf der Straße dem Dorf entgegen. In meinem damaligen Reisetagebuch steht dazu: Ich schaute auf den ersten Schornstein: leer. Den ersten Strommast: leer. Die nächsten Schornsteine: keine Störche. Wozu hat Rühstädt eigentlich den Namen Storchendorf verdient? Dann sah ich das Ortsschild. Es war nicht Rühstädt. Es war erst Bälow! So ein Reinfall!
Aber das echte Rühstädt hatte sich den Titel mehr als verdient. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Nester auf nur einem Foto, die Hälfte davon besetzt! Das soll denen mal einer nachmachen. Etwa dreißig Paare brüten hier jedes Jahr. Schon in den 50ern haben die Rühstädter angefangen, ihre Dächer storchengerecht aufzustorchen. Heißt (soweit ich das mit einem Blick beurteilen kann): Große Platten auf die Masten und Schornsteine schrauben. Die Zweige fürs Nest kommen dann doch von den Vögeln selbst, oder? Seit den 70ern führen sie Statistiken über die Jungstörche, unter anderem per Kreidetafel an der Straße.
Mit Informationszentrum Storchenhaus, Storch-Souvenirladen, Landgasthof Storchenkrug und Gasthaus Zum Storchenhof hat das Storchendorf seine Besonderheit auch touristisch vermarktet.
Ansonsten waren die Ortschaften heute ziemlich weit weg. In den Auen zwischen Elbe und Havel stehen nur noch selten Kleinstgruppen von Häusern. Und auch die dürfen nicht mehr renoviert werden, weshalb sie ziemlich heruntergekommen aussehen. Aber anscheinend sind sie noch bewohnt.
Wenn auch nicht alle.
In der Nähe von Rühstedt mündet die Havel (die hier bloß noch Gnevsdorfer Vorfluter heißt) in die Elbe. Gegenüber der grünen Spitze liegt ein Hof, dessen abenteuerliche Ziegen aufs Dache geklettert waren. Daneben liegt eine Havelbrücke, auf der zwar Bauarbeiten stattfanden, aber nach etwas Verhandlungsgeschick durften wir die Räder trotzdem durchschieben. Von unseren Verhandlungen profitierten auch die nachfolgenden Radler, die sich uns einfach anschlossen.
Mit der Havel ist das nämlich so: Sie mündet zwar bei Rühstedt, aber auf den letzten 20 Kilometern fließt sie parallel zur Elbe. Elbe- und Havelradweg sind also identisch und zwischen den Flüssen. (Außerdem müssen die Havelradler ja auch noch irgendwie von der Mündung wegkommen. Das heißt, sie folgen entweder dem Elberadweg weitere 20 Kilometer zum Bahnhof Wittenberge, oder wenn sie es ganz eilig haben, biegen sie direkt ab in Richtung Bahnhof Bad Wilsnack.)
Der Streifen zwischen den Flüssen ändert zwar nicht seine Farben, dafür aber seine Breite: Mal ist er so schmal, dass man beide Flüsse sieht, mal so breit, dass man keinen von beiden erkennt. Die Elbe hüllt sich in ausgefranste Buchten aus beigefarbenem Schilf. Die Havel ist gerader und grüner, eine Reihe großer Steine befestigt ihr Ufer. Vereinzelt stehen Baumgruppen herum, aber hauptsächlich sahen wir, wie schon die letzten Tage, richtig viel Gras. Zum Einfach-nur-Durchfahren ist das eine herrliche Landschaft. Vorausgesetzt, der Wind spielt mit.
Mittendrin verbindet noch ein Kanal die Elbe und Havel, und bei Havelberg noch einer (den benutzen auch die Lastschiffe). In gewisser Weise gibt es also gleich drei Havelmündungen.
Havelberg wurde dementsprechend auch nicht nach der Havelmündung benannt, sondern weil die Havel hier überhaupt erst auf die Elbe trifft und die 20 parallelen Kilometer beginnen. Hier gehören schon beide Ufer der Elbe zu Sachsen-Anhalt.
Die Altstadt liegt auf einer Havelinsel ist von außen erstmal eindrucksvoller Anblick.
In einem Laden schein die Zeit besonders früh stehengeblieben zu sein. Auf der Tür steht schlicht und einfach Preußen, und das Schaufenster ist voll von Erinnerungsstücken mit Adlern und Kreuzen drauf, dazu Lobpreisungen auf preußische Tugenden, die heute wertvoller sein sollen als je zuvor, und einer Statistik, warum Preußen total friedlich war.
Die meisten Staaten schickten bloß Vertreter, aber aus Preußen und Russland kamen Friedrich Wilhelm I. und Zar Peter I. höchstpersönlich. Da braucht man natürlich ein größeres Gastgeschenk als ne Flasche Wein von der Tanke, zum Beispiel... das Bernsteinzimmer? Ja, genau das wechselte hier den Besitzer. (Also genau genommen waren das natürlich nur Wandverkleidungen aus Bernstein, die man dann in ein Zimmer seiner Wahl einsetzen kann. Schließlich musste der Peter das ja auch irgendwie nach St. Petersburg transportieren.)
Das Ganze passierte im Dom der Havelberger Bischöfe, der hoch über der Altstadtinsel mit einem absurd breiten Turm thront. Zwei Statuen der Monarchen erinnern an das diplomatische Treffen. Wirft man 2 Euro rein, spucken sie eine Kunstpostkarte aus.
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