Nach den Niederlanden besuchen wir nun die deutschen Kunstwerke. In der Kartoffel- und Ölstadt Emlichheim besiegeln der Buur en Vechkoopmann einen traditionellen Viehhandel per Handschlag. Während die beiden einander als gleichberechtigte Geschäftspartner in die Augen sehen, demonstriert das demütig daneben kauernde Ferkel, möglicherweise unbeabsichtigt, die Herrschaft des Menschen über das Tier.
Ob der Kaufmann die Hand nun zu einem freundschaftlich-komplizierten Handschlagsritual oder doch zu einer Respektschelle hebt, bleibt dem Betrachter überlassen.
Nun folgen wir einige Kilometer dem Coevorden-Piccardie-Kanal. Benannt wurde er nach Johan Picardt, Pastorensohn und Vorfahr eines Raumschiffkapitäns, der sich mit der Theologie und Medizin noch immer unausgelastet fühlte und nebenbei auch noch die Trockenlegung und Besiedlung eines unbewohnten Moores (die sogenannte Piccardie) anführte. Hier finden sich die nächsten Kunstwerke.
Vom Hören Sagen ist nur schwer als Kunstwerk zu erkennen. In diesem Doppelhaus lebte in den 50er Jahren ein Ehepaar. Die japanische Künstlerin Suchan Konishita gestaltete es mit ihrem niederländischen Partner Hasje Boeyen. Hauptsächlich, indem sie Fragen stellte wie: Warum sehen die verstreuten Möbel nach einem überstürzten Aufbruch aus? Warum lebten die Bewohner nicht in der Stadt, sondern gleich neben dem Kanal und dem großen Öl-Industriegebiet? Eine Frage, die sich der Zuschauer stellen mag, lautet indes: Worin genau bestand die künstlerische Arbeit, wenn die Ruine so offenbar schon vorher da war?
Der drehende Park am Kanalufer mag auf den ersten Blick wie ein Labyrinth aussehen. Doch hier findet jeder wieder heraus: Es handelt sich nur um sechs leicht versetzte, gekrümmte Wände, die eine Art Kreis bilden. Olafur Eliasson wollte den Geist des Ortes einfangen und das Mineral "verflüssigen". Doch zu seiner Enttäuschung verwandelte sich der Bentheimer Sandstein keineswegs in Lava, als er ihn in Drahtkörbe füllte. Was hat er auch erwartet? Der Stein stamme aus einer streng protestantischen Gegend, schreibt ein Informationstext, also sei auch er spröde und verlange klare und disziplinierte Bauwerke. Ist das nicht ein sehr harsches Urteil? Nun, zumindest in zerhackter und abgefüllter Form wirkt er tatsächlich eher spröde, und vom beschriebenen Farbenspiel ist auch wenig zu erkennen.
Die reiche Industrie dieser Gegend bringt kuriose Bauwerke wie das
Haus der tausend Schornsteine hervor.
Das Moor weiter nördlich des Kanals hat eine andere Geschichte. Zwar wurde 1860 versucht, es zu bewohnen, doch die Nationalsozialisten enteigneten das Gebiet wieder und richteten ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene ein. Im heutigen Neugnadenfeld stand das Sterbelager für die schwächsten unter ihnen. Viel Genaues ist nicht bekannt über die Zustände dort, und niemand hat gezählt und dokumentiert, wie viele Menschen wirklich auf dem "Russenfriedhof" begraben sind. Ein Zeuge weiß zu berichten, dass die Menschen barfuß durch den Schnee laufen mussten. Allein die folgenden Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Das Lager Alexisdorf war geplant für 1000 Gefangene, am Ende waren 3600 inhaftiert.
Dies wollte Franke Hörnschemeyer mit Koordinaten darstellen. Im feuchten Wald unweit des Friedhofs platzierte sie neun sogenannte Schalenelemente. Eine Schale ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, und auf den zweiten auch nicht, nur rostige, stachlige Gitterformen, die unschwer eine Assoziation zur Gefangenschaft hervorrufen. Ihre Achsen kreuzen sich in der Mitte der feuchten Waldlichtung. Betritt man sie, sollen angeblich die Stimmen von Zeitzeugen erklingen, die man sich entweder von Modul zu Modul einzeln anhören oder beim schnellen Hindurchgehen zu einem Raunen der Geschichte vereinigen kann. Doch in Wirklichkeit ist absolut nichts zu hören. Wie auch - ich dachte, es sei kaum etwas über das Lager bekannt? Nicht einmal Lautsprecher sind zu erkennen. Soll dieses Schweigen im Walde womöglich die deutsche Vergangenheitsbewältigung - große Klappe, doch am Ende nur Stille - konterkarieren? Kunst oder kaputt, das ist hier die Frage.
1945 war Neugnadenfeld ein verfluchter Ort, der zweifellos unbewohnt bleiben würde. In diesem elenden Morast würde sich niemand ansiedeln wollen, oder?
488 Jahre zuvor gründeten Hussiten im tschechischen Kunvald die erste protestantische Kirche. Sie waren Anhänger des Reformators Jan Hus, aber nicht die, die im Krieg gegen den Papst kämpften, sondern strenge Pazifisten. Drei Jahre später wurden sie verboten und mussten im Untergrund predigen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war die Kirche zwar wieder legal, aber nur, wenn sie in ein protestantisches Land umzog. So ging die Herrnhuter Brüdergemeinde nach Sachsen, stritt, versöhnte und vereinigte sich dort mit einer anderen geflohenen Kirche.
Jahrhunderte später flohen sie erneut, als Sachsen an eine Macht fiel, die jede Kirche ablehnte, egal ob reformiert. In ihrer Not nahmen sie jede Immobilie, die sie bekommen konnten. Sogar völlig heruntergekommene Baracken mit dünnen, verschimmelten Holzwänden und Bettwanzen irgendwo in der hinterletzten Ecke Niedersachsens. Die Nachfolger von Jan Hus zogen freiwillig in die Hölle! Was für ein
Dieser gegensätzlichen Geschichte widmet sich das zweiteilige Kunstwerk Turf Cupola von Ann-Sofi Siden. Die Herrnhuter Brüdergemeinde benötigte zuallererst Brennstoff, also stachen sie Torfplaggen aus dem Moor und legten sie als großen Haufen mitten in das Lager. Diesen Haufen hat die Künstlerin nachgebildet - auch wenn die Umgebung nun vollkommen anders aussieht. Von Baracken keine Spur, Neugnadenfeld ist ganz gewöhnliches, außergewöhnliches Dorf. Kein Zweifel: Die harte Arbeit der Brüdergemeinde war ein voller Erfolg.
Noch etwas ist anders: Die böhmischen Brüder konnten ihren Haufen Brennmaterial zweifellos nicht durch eine Stahltür betreten. Wie sich herausstellt, können wir es auch nicht, denn die Tür ist verschlossen. Im Inneren soll eine Leinwand eine Live-Aufnahme vom Wachturm des Gefangenenlagers am Ortsrand senden - und auch immer wieder ein Video aus dem Inneren der Kuppel, um 180 Grad versetzt: Mit moderner Überwachungstechnik lässt sich alles beobachten, doch letztlich beobachtet man immer sich selbst. Doch aller künstlerischer Auseinandersetzung zum Trotz muss Neugnadenfeld die moderne Überwachung nicht fürchten, hier funktioniert eh nichts.
Das Moor selbst sehen wir auf Peter Fischlis und David Weiss' Ein Weg durch das Moor. Es ist mit Sicherheit das längste Werk des konstwegen: 1,2 Kilometer misst der schmale Holzbohlenweg, der ziellos Haken durch die helle Landschaft schlägt und die Schönheit der Natur wie auch die Anstrengungen der Lagerinsassen vermitteln soll, wobei vor allem ersteres sehr gut gelingt. In diesen glitzernden Gräsern lockt zum Beispiel der Sonnentau Insekten in die Falle.
Dem Wegwerk ist anzusehen, dass es von 1999 stammt: Die Bretter sind zum Teil stark verbogen, verfault oder zerbrochen, und oft neigt sich die Konstruktion so stark zur Seite, dass dem (wortwörtlich) geneigten Wanderer nichts anderes übrig bleibt, als verbotenerweise den Weg zu verlassen und auf den ausgetretenen Trampelpfad auszuweichen. So erhält er immerhin einen Einblick in den Zustand der Infrastruktur der Gefangenenlager.
Auch die Abstichstellen und Plaggenaufschichtungen bekommt man zu Gesicht. Wie Stufen durchziehen sie den weichen Boden, zu gradlinig, um Teil dieser Natur zu sein - und doch sind sie es, sind zugewachsen und zurückerobert und gehören dazu, irgendwie. Anders als versprochen ist die rotbraune Wüste, an der das gesamte Moor vollständig abgetragen wurde, durch die Bäume nicht wirklich zu erkennen, der Bohlenweg dorthin ist womöglich vollkommen vermodert.
Es waren übrigens auch Kriegsgefangene, die 1870 im Deutsch-Französischen Krieg überhaupt erst den Piccardie-Kanal für die aufsteigende Industrie und zu weiteren Austrocknung des Moores graben mussten. Das macht es umso bitterer, dass die französischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs während des Transports noch nicht einmal aus dem Gewässer trinken durften, das ihre Vorfahren ausgehoben hatten.
zeugen erzählt die Geschichte eines französischen Gefangenen aus dem Lager Bathorn, der bei der Flucht erschossen wurde. Andreas Kaiser wählt einen eigentlich naheliegenden Ansatz und betrachtet das Verbrechen als, nun ja, Verbrechen. Ein rotweißes Absperrband schützt den Tatort, weiter hinten liegt eine Art Lineal. Es fehlt allerdings der typische Kreideumriss, der auf bewachsenem Erdboden nur schwer zu zeichnen wäre. Von allen Kunstwerken scheint dieses aus den einfachsten, vergänglichsten Materialien zu bestehen. Die kleinen nummerierten Schilder verschwinden allmählich unter dem Kraut, als würde die Tat trotz allem mit dem Fortgang der Zeit in Vergessenheit geraten. Wieder stellt sich die Frage: Ist das vom Künstler beabsichtigt?
Doch kehren wir nun zurück zur Vechte und den Orten unmittelbar an ihrem Ufer. Stolzen Lokalpatriotismus präsentieren der
Dorfstein und Torbogen in Hoogstede, beide versehen mit dem Wappen des Dorfes. Doch worauf können die Hoogsteder stolz sein? Auf jeden Fall nicht auf das versprochene Frühstücksbuffet von 9 bis 12 Uhr täglich, keine Anmeldung erforderlich, denn dieses existiert nicht.
Oder soll das an einen Grabstein erinnernde Werk viel eher Lokalpatriotismus oder das Landsterben kritisieren? Sollen die skurrilen Figuren unter dem Torbogen das klischeehafte Dorfleben parodieren? Was auf den ersten Blick nur als angeberisches Ortseingangsschild erscheint, lässt eine Vielzahl an Deutungen zu.
Dieses Aquarell zeigt die
Vechtebrücke von Hoogsteede. Es fängt gekonnt den stillen Frieden und die immerwährende Androhung von Regen des ländlichen Niedersachsens ein. Klaffende Leere herrscht am vorderen linken Ufer, wo sich eigentlich ein Kunstwerk namens
funkschattenkarte befinden sollte.
Das Dorf Esche hat etwas, worauf es tatsächlich stolz sein kann: Ein
Insektenhotel mit großzügigem Rastplatz, einer runden Terrasse mit weitem Blick über die Ebene, und einer achteckigen überdachten Hütte für schlechtes Wetter. Großzügigkeit und Naturverbundenheit strahlen aus jeder Pore dieser Installation und lassen sie sogar vor Leben aufleuchten, wenn gerade niemand dort sitzt.
Neben Esche beginnt ein Hutungs- und Hudelandschaft (ja, so heißt sie), die als
Naturschutzgebiet Brünas Heide geschützt wird. Was haben die Menschen mit dieser Landschaft getan? Einerseits Tiere gejagt, andererseits geforscht. Mark Dion verband beide Traditionen mit
the hunters cabin, die Ruine einer Jagdhütte mit Baum im Dach (nicht auffindbar) und eine naturwissenschaftliche Forschungsstation (direkt am Weg). Zwar finden sich darin typische Utensilien wie Glaskolben und Gefäße, doch die Bilder an der Wand und die hellen Holzmöbel lassen es beinahe wie ein heimisches Wohnzimmer wirken. Betrachten kann man es nur durch eine dicke Glasscheibe, welche die Abgeschiedenheit der Wissenschaft und ihre Distanz zum Rest der Bevölkerung darzustellen scheint. Anders als versprochen lassen sich auf diese Entfernung keine Informationen über die Natur gewinnen.
Absurd kitschig, mit Zweigen und Baisers verziert, wirft dieser
Wegweiser Fragen auf, anstatt sie zu beantworten. Fragen wie: Ist etwa schon wieder Ostern? Der winzige Pfeil auf dem Schild über ihm scheint im Vergleich dazu unter einem Minderwertigkeitskomplex zu leiden.
Komplexer gestaltet sich der Zugang zu dieser Installation. Wortwörtlich, denn er ist von einer Mauer umgeben. Der
Garten der Ambivalenzen scheint sich jeder Kategorisierung entziehen zu wollen, zugleich schön und hässlich, ein naturverbundener Garten und ein Schottergarten zu sein, auf dem zu allem Überfluss (den rostigen Grabsteinen zufolge) auch noch mehrere Roboter begraben liegen.
Kennen Sie den Brocken und die Zugspitze? Vergessen Sie sie, denn hier kommt der Spöllberg. Und der wirkt wesentlich beeindruckender. Zumindest insofern sie noch nie zuvor einen Berg gesehen haben. Luciano Fabro installierte hier den Tumulus, nach dem Weg durch das Moor das zweitlängste Werk des konstwegen. Um den Hügel legte er eine 240 Meter lange Ankerkette, die er im Hafen von Ravenna gefunden hatte. Was macht sie hier, so fernab vom Meer? Nun, zur Bronzezeit wurden im Spöllberg acht Gräber angelegt, in bis zu 2,5 Meter hohen Hügeln. Nicht nur, dass die Reise ins Leben nach dem Tod oft mit einer Seereise verglichen wird - schon zu Lebzeiten waren die Kelten ein Wandervolk und gingen am Spöllberg gewissermaßen nur kurz vor Anker. Für besonderes Aufsehen sorgte ein goldener Becher, der hier im 19. Jahrhundert gefunden wurde. Inzwischen ist die Kette (linkes Bild unten rechts) kaum noch unter dem Gras zu erkennen und löst sich ebenso auf wie die bronzezeitlichen Artefakte.
Arachnophobikern raten wir von der Besteigung des Hügels dringend ab, denn mehr als 100 Spinnenarten spinnen die Heidelandschaft ein. Die Kette soll auch eine Schutzzone markieren (ja, auch für die Spinnen), denn mit dem Schutz nahm man es nicht immer so genau: Obwohl der Berg schon 1936 als Naturdenkmal geschützt wurde, erlaubte man dann doch Landwirtschaft, und eine Vertriebenenfamilie wohnte hier zwischenzeitlich.
Nun ist aber Zeit, dass wir die erste deutsche Stadt betreten. Neuenhaus hat sogar einen Bahnhof, der 2019 wieder in Betrieb genommen wurde, doch die einsamen Torbögen scheinen an noch ruhmreichere Zeiten zu erinnern. Obwohl ihr brauner Farbton nach wie vor in die Umgebung passt, stehen sie verloren an der Hauptstraße, als wüssten sich nichts mehr mit sich anzufangen in dieser Zeit. Es handelt sich um den
Eingangsbereich des Hotels Sickermann, das 1974 abgerissen wurde.
Konkreteres über diese Vergangenheit erzählt uns
Der Pferdehändler. Diese Skulptur soll an die Viehmärkte von Neuenhaus erinnern, auf denen auch Ziegen oder Schweine über die Theke gingen. Und was der Lüneburger Heide ihre Heidschnucke ist, war in dieser Region das Bentheimer Landschaf.
Nördlich von Neuenhaus mündet die Dinkel in die Vechte. Auch dieser Nebenfluss wird künstlerisch begleitet von 17 sogenannten Dinkelsteinen. Der letzte, Dinkelstein XX alias Zusammenfluss, markiert die Mündung. Volker Pahnke und Wolfgang Schönfeld wollten sich offenbar nicht auf Stein im Singular beschränken und installierten auf einer Betonplatte gleich ein ganzes Ensemble aus Bentheimer Sandstein. Anders als an den Vechte-Kunstwerken fehlt jede Erklärung, sodass der Steinbetrachter in seiner Interpretation völlig frei bleibt. Die zwei hintersten Steine lehnen wie ein umgekehrtes V aneinander und imitieren offenkundig die Form der sich vereinigenden Flüsse. Aber die anderen beiden? Sind das die Flüsse vor dem Zusammenfluss, oder vielleicht ein heidnischer Opferplatz, an dem der Regengott (anscheinend erfolgreich) um Hilfe ersucht wurde? Und warum haben die Steine Käselöcher - müssten diese dann nicht Inseln in den Flüssen darstellen? Aber es sind gar keine Inseln im Fluss zu sehen.
Am neuen Flussbett der Dinkel finden wir auch zwei konstwegen-Werke, die seltsamerweise nicht zur Dinkelstein-Route, dafür aber zur Vechtetal-Route gehören. No Peep Hole von Martin Kasimir könnte das drittlängste Kunstwerk am konstwegen darstellen. Kasimir nimmt zwei Fotos aus dem benachbarten Ort Lage: Die Burgruine und ein Neubauviertel. Beide löst er allmählich auf, bis Gegenwart und Vergangenheit ineinander übergehen. Ein origineller Einfall, allerdings wählte er zum Auflösen eine eher plumpe Möglichkeit der Bildbearbeitung: Bunte Punkte, die immer größer werden, bis ein dicker rotbrauner Punkt alles verdeckt. Da bietet die heutige Technik deutlich organischere Möglichkeiten. Möglicherweise erschließt sich die volle Wirkung aber auch nicht, da einige der Leinwände völlig eingerissen sind: Das Bild der Ruine wird selbst zur Ruine. Auch an diesem Kunstwerk hat der Zahn der Zeit genagt, und diesmal lässt sich der Verfall nicht schöninterpretieren, unzweifelhaft ruiniert er die Wirkung. Durch ihre enormen Ausmaße beeindrucken die Leinwände in ihren stählernen Rahmen dennoch.
Der mittlere Punkt soll eine Farbe irgendwo zwischen Sonne und Erde haben. Einige Meter weiter dagegen steht der Mond im Mittelpunkt:
Caprimoon'99 von Tobias Rehberger besteht aus einer modernen Betonbank auf einem Hügel, deren rundes weißes Fundament tatsächlich an den Mond erinnert. Über der Bank soll eine kugelförmige Lampe leuchten und die Bank zum Fluoreszieren bringen, "wenn man Glück hat". Immerhin, diesmal gesteht der Künstler ein, dass die Technik alles andere als zuverlässig ist - wir haben noch nicht einmal das Glück, die Lampe selbst zu sehen, von ihrem Licht ganz zu schweigen. Die Assoziationen zu exotischen Ländern, die der Künstler hervorrufen will, bleiben dabei aus: Ohne Zweifel ist diese Landschaft immer noch höchst niedersächsisches Niedersachsen.
Doch immerhin, wenige Minuten später berühren wir erneut das Ausland: Ein Pfad folgt für wenige Meter der n
iederländischen Grenze, ohne sie zu überqueren. Mit einem kunstvoll arrangierten Ensemble aus Ampel, Rasthütte, Fahrradständer und internationalem
Klettergarten wird gebührend auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, da man die Grenze ansonsten leicht übersehen und für einen völlig gewöhnlichen Streifen Bäume am Feldrand halten könnte. Ob es wohl eines Tages im Donbass und am Jordan Spielplätze und Rutschen über die Grenzlinie geben wird?
Doch wir wollen nicht zu sehr abschweifen, kehren wir also zurück ans Ufer der Vechte. Hinter dem Kloster Frenswegen entdecken wir die
Neue Klosterkapelle von Hans-Busso von Busse (ja, der heißt so), die kompromisslose Eigenständigkeit ausstrahlen soll, aber dennoch die Südwand der alten gotischen Kirche integriert (was eigentlich durchaus nach einem Kompromiss klingt).
Davor erstreckt sich der Ostgarten mit Labyrinth. Verirren dürfte sich darin niemand, und das nicht nur, weil es keine hohen Wände gibt (eigentlich überhaupt keine Wände, abgesehen vom zentralen Brunnen), sondern auch nur einen einzigen Weg. In der klösterlichen Tradition sollte ein langsamer Spaziergang durch auf dem verschlungenen Weg eine körperliche und geistige Selbstfindung möglich machen. Das Labyrinth wurde nach einer Idee des Labyrinthplaners Gernot Candolini wiederhergestellt. Ob es schon früher derart flach war, bleibt unklar.
Auf dem finalen Uferweg nach Nordhorn wurden mehrere konstwegen-Stationen platziert, die erneut aus Bentheimer Sandstein bestehen. Die erste stammt von Christiane Möbus und wurde E
inerseits, andererseits getauft. Es handelt sich um zwei Sandsteine an gegenüberliegenden Flussufern, die gemeinsam eine Zylinderform bilden. Die fundamentartigen Steine scheinen über den Fluss hinweg miteinander zu sprechen, zum Beispiel: "Hey, wo ist eigentlich unsere Brücke abgeblieben?"
Für Göttinger dürfte Christiane Möbus ein bekannter und nicht unumstrittener Name sein, doch hier hat sie darauf verzichtet, ihren Namen in den Stein einzugravieren.
Auf diesem bequem gepflasterten Weg erreichen wir die Wasserstadt Nordhorn. Die Vechte teilt sich hier in mehrere Arme, den Nordhorn-Almelo-Kanal, den Verbindungskanal und den üblichen Flussarm mitten durch das Stadtzentrum. Die Altstadt wird somit zu einer Insel.
Durch Alleen von Trauerweiden können wir (mit einer Unterbrechung) sehr gut an den verschiedenen Wasserstraßen entlangradeln.
Einer der Flussarme verbreitert sich zum Vechtesee, und hier stoßen wir auf eine weitere konstwegen-Station. Folke Köbberling und Kaltwasser sind eigentlich für ihre ehrgeizige Verkehrspolitik bekannt, die sie jedoch auch mit den Mitteln der Kunst vermarkten. Dazu stellten am am Seeufer als Modell ein Fahrradbahnkreuz auf. Was das ist? Im Grunde ein Autobahnkreuz, nur eben ausschließlich für karbonfreie Fahrzeuge: Skateboarder, Kinderwagen, Inliner, Spaziergänger und (seufz) auch E-Bikes und E-Scooter. Zwei Radschnellwege kreuzen sich mit einer Brücke, und verschlungene Ausfahrten verbinden sie zu einer Art Kleeblatt. Ein innovatives Konzept. Unklar bleibt jedoch: Soll das in Nordhorn realisiert werden - und auch noch an dieser ruhigen Stelle, wo die vorhanden asphaltierten Uferwege völlig auszureichen scheinen? Zumindest sind auch im Modell ein vertrockneter See und Kanal zu erkennen. Schießt man damit nicht mit Kanonen auf Spatzen? In einer Stadt wie Berlin wäre das Fahrradbahnkreuz am besten aufgehoben - doch vermutlich würde man es gerade dort am unwahrscheinlichsten umsetzen, weil es dort viel zu eng und umstritten wäre. Und so wäre es gar nicht mal so untypisch für Deutschland, würde man das Projekt letztlich doch in eine kleine Stadt wie Nordhorn verschieben, um wenigstens irgendetwas gemacht zu haben. Womöglich haben die Künstler dieses Ergebnis ja bereits in ihrem Modell antizipiert.
Mitten in der Fußgängerzone blättert die Statue einer Leserin entspannt in ihrem Buch. Soll sie die Seele der Stadt widerspiegeln - bescheiden, belesen und sympathisch? Auf jeden Fall sitzt sie lebendig, aber unauffällig in der Ecke, so wie Nordhorn lebendig, aber unauffällig in der flachen nordwestlichen Ecke Deutschlands sitzt.
Übrigens gibt es an einer Imbissbude (leider ist mir der Name entfallen) am Kanalufer östlich der Altstadt-Insel eines der besten Fischbrötchen überhaupt. Womöglich rührt das sanfte Lächeln der Leserin daher, dass sie gerade eins verspeist hat.
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