NEU! Unterirdische Radtour auf Schienen für kleine Menschen

Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

01 Oktober 2024

Feldberger Seen

Hans Fallada durchlebt Höhe- und Tiefpunkte

An einem heißen Sommertag trete ich in eine Wirtschaft der Stadt Bergfeld, ich lasse mir ein Glas Bier geben. Ein paar Leute sitzen da, sie kennen mich nicht, ich bin ein Kurgast für sie. Eine Stimme erhebt sich: "Da hat ja so'n Berliner Dösbartel das Haus von dem Pendel in Mahlendorf gekauft. Zwölftausend Mark soll er dafür gegeben haben. Daß die Dummen nicht alle werden!"
"Dat seg man, Päule!", stimmt der Wirt eifrig zu. "Zwölfdusend Mark - und is doch bloß ne Baracke, die alle Tage einfallen kann! Herrgott, wie groß ist dein Tiergarten!"
"Meine Herren!", sprach ich hoheitsvoll. "Der Dösbartel aus unsers Herrgotts Tiergarten - der bin ich!"
Sah sie alle der Reihe nach an und verschwand unter tiefem Stillschweigen.

Willkommen im ländlichsten Mecklenburg, wo sich jeder Neuankömmling zunächst liebevoll beleidigen lassen muss.
Der Schriftsteller, der jene Zeilen geschrieben hat, nennt sich Hans Fallada, und wird uns auf unsere Reise durch die Feldberger Seen begleiten. Ob sich die Feldberger wohl hätten träumen lassen, dass der Dumme aus Herrgotts Tiergarten 12 Jahre später ihr Oberhaupt werden sollte? Vom Dösbartel zum Erfolgsautor und Bürgermeister - das mag für manchen nach einem kometenhaften Aufstieg klingen. Aber die Wirklichkeit ist meist anders, als sie im Lebenslauf aussieht. Als Hans Fallada, Sohn eines Richters und Enttäuschung seiner Eltern, als Dösbartel in Feldberg ankommt, hat er bereits einen Suizidversuch, Haftstrafen wegen Unterschlagung und Betrug, Alkohol- und Morphinismus hinter sich. Der Dösbartel war in Wahrheit jemand, der gerade zum ersten Mal sein Leben in Ordnung brachte. Mit Frau, Sohn und einem frischen Bestsellererfolg floh aus Berlin, wo die SA lauerte und verführerische Spelunken lockten. Bis die Baracke im Dorf bezugsfertig war, logierte die Familie lange in einem Hotel. (Das ist zwar 95 Jahre her, doch offenbar haben es die Unterkünfte versäumt, sich unterdes umzustellen: wie auf Amrum verlangen sie alle mindestens sieben Nächte Aufenthalt, ansonsten braucht der Besucher gar nicht erst anzufragen. Eigentlich wollte unsere Mutter ein ganzes Wochenende hierher, doch daraus ist nichts geworden.)
12 Jahre später lag nicht nur Deutschland, sondern auch Falladas Ehe in Trümmern. Die Sowjets setzten ihn für wenige Monate ins Rathaus, weil er weder NSDAP-Mitglied noch im Staatsapparat tätig gewesen war. Der Bürgermeister aber war in Wahrheit jemand, der gerade sein Leben zum wiederholten Mal in Unordnung brachte. Er heiratete seine zweite Frau, die Witwe Ursula Losch, die ebenfalls ein ungesundes Verhältnis zum Morphium hatte, und zog mit ihr nach Berlin.

Es war einmal gefragt, wie man in Mahlendorf über einen Bahnanschluss dächte. Dieser Bauer stand auf und sprach: "Wozu brauchen wir eine Eisenbahn? Mein Vater hat keine Eisenbahn gebraucht, mein Großvater hat keine Eisenbahn gebraucht, ich brauch' auch keine!"

Der Bauer sollte recht behalten: Heute hält nicht einmal am Bahnhof Feldberg eine Eisenbahn, von den anderen Dörfern ganz zu schweigen. Alle zwei Stunden kommt ein Reisebus aus Neustrelitz, dessen Fahrer es gestattet, ein Fahrrad zwischen die hinteren Sitze zu zwängen.

In Mahlendorf gibt es nicht einen Laden, alles, was wir zum Leben brauchen, kommt aus Bergfeld (ein irreführendes Pseudonym für Feldberg, denn ganz in der Nähe gibt es wirklich ein Dorf namens Bergfeld). Im Frieden war das kein Problem: drei Kaufleute kamen einmal in der Woche nach Mahlendorf, zwei mit ihrem Auto, der dritte mit einem Pferdefuhrwerk. Ihr Gefährt war ein richtiger kleiner Laden: vom Tabak bis zum Zucker, vom Stallbesen bis zum Petroleum konnte man alles darin kaufen.

Nun, ganz so eine Einkaufsmeile ist Feldberg nicht mehr. Die notwendigsten Lebensmittel kommen aus dem Automaten, zum Beispiel Buttermilch-Zitronen-Eis. Aber nicht einmal Sonnencreme lässt sich in den Lebensmittelläden dieser Stadt auftreiben. Zumindest sind diese Einschränkungen praktisch für Menschen mit Shoppingsucht - oder, wie Fallada es formuliert, einer - freilich völlig unglücklichen - Liebe für das Kaufmännische.

Für Achim wird es ein sehr erregender Nachmittag. Nicht die Stadt, nicht die Eisenbahn, nicht die Läden, nicht die vielen Menschen, denen er allen guten Tag sagen muß, sind's, die ihn erregen. Sondern wieder einmal ist unser Hund Brumbusch die Sensation des Tages! Was ein Wunder, dass die prachtvolle Stadt Bergfeld mit ihren eintausenddreihundert oder eintausendvierhundert Einwohnern auf Achim kaum einen Eindruck macht.

Ja, was ein Wunder! Bekanntermaßen begeistern sich Vierjährige doch für nichts so sehr wie einen Kurpark, ein Haus des Gastes und einen Kreisverkehr.


Nein, an Feldberg ist nichts Besonderes, es ist nur ein Startpunkt in eine besondere Landschaft. Und das nicht nur für die Rentner mit Paddelboot, die mit Mühe in die schmalen Kanäle zwischen den Seen einsteigen.


Die Seenplatte in der Seenplatte

Das soll ein Seenradweg sein? Zunächst kann ich weit und breit kein Wasser erblicken. Auf dem Radweg geht es in brütender Hitze bis ins Fallada-Dorf Carwitz, von dem noch zu sprechen sein wird - ich habe es nämlich schon vor Monaten besucht.
Ich fühle mich stark, dass ich trotz des Wetters mit fast 15 Kilometern pro Stunde vorankomme. Doch dann fällt mir wieder jene Textstelle ein, in der Falladas Gärtner versehentlich das Auto verkratzt und vor lauter schlechtem Gewissen spätabends verschwindet, um noch Lack zu holen:

"In der Stadt sind Sie gewesen?! Wie sind Sie denn da hingekommen?!"
"Mit dem Rade doch!"
"Mit dem Rade -!"
Mir verschlug es die Puste, denn nach unserer Kreisstadt sind es einunddreißig Kilometer hin und einunddreißig Kilometer zurück, und die in der Nacht nach einem harten Tagewerk runterzustrampeln, ist keine Kleinigkeit.

Schon fühle ich mich nicht mehr so stark. Aber Moment mal: 31 Kilometer? Die gesamte Rundtour durch die Feldberger Seenplatte ist doch nur 31 Kilometer lang, und die Strecke nach Carwitz ist gerade mal ein Viertel davon. Welch seltsamen Verlauf muss die Straße damals gehabt haben?

Als die Wehrmacht das verkratzte Auto im Krieg einforderte, musste auch der Schriftsteller wieder auf den Sattel steigen:

Ich besann mich auf meine alten Künste, kaufte ein Fahrrad und radelte wieder wie vor Jahrzehnten. Es erwies ich, dass ich das Radeln nicht verlernt hatte, nur fiel ich nicht mehr so gerne wie früher.

Diese Kunst wollte er auch seiner Tochter beibringen, nur war sie ein chronisch langsames Kind, selbst für eine Mecklenburgerin. Der einzige, der geduldig genug war, ihr das Radfahren beizubringen, war der bereits erwähnte Gärtner.

Jeder Radler weiß, dass rasch radeln die geringste Kunst ist. Man muß nur feste treten, und das Rad kippt nicht. Langsam radeln, ganz langsam radeln, auf dem Rad gewissermaßen stehen, das ist schwierig. Mücke begann mit dem Schwierigen, nahm das Rad Geschwindigkeit eines mäßig bewegten Kinderwagens an, so bremste sie und fuhr, die Unterlippe bedachtsam vorgeschoben, in Schlängelungen. Dann stieg sie ab, kühl bis ans Herz hinan. "Papa, was bin ich gesaust!", sagte sie.
"Ich fand's nicht sehr sausig.", sagte ich.
"So wie Uli sause ich natürlich nicht, aber das nutzt das Rad nur ab."


Aber zurück zur Landschaft:

Das ganze Land, jedes Stückchen Acker ist durchsetzt von Steinen, Blöcken, Felsen: das sind die Geröllmassen, die von den Gletschern aus Schwedens Gebirgen herabgetragen wurden.

Wohin mit all dem schwedischen Geröll, Gotländer Granit und Rügener Feuerstein? Die Treuhandanstalt fasste nach der Wende den Plan, das Gebiet zwischen zwei Seen zu kaufen und Kies abzubauen. Eine Bürgerinitiative hatte eine andere Idee: Sie kaufte das Grundstück auf einer Endmoräne, stapelte die Steine zum Findlingsgarten Carwitz-Thomsdorf auf und pflanzte Birken, denn das waren die ersten Gehölze, die das Land nach dem Abschmelzen der Gletscher bewuchsen. Aus den Steinen haben sie ein Mammut geformt, welches freilich nur aus dem Himmel eindeutig zu erkennen ist.

Alles schön und gut, aber wo sind nun die Seen -?

Das Land sieht flach aus, ab und zu liegt unter den reifenden Feldern ein dunkler Waldstreif. Wer es nicht weiß, kann nicht ahnen, daß jeder dieser dunklen Waldstreifen einen tief ins Land eingeschnittenen See bedeutet, Seen mit dem tiefsten, klarsten Wasser, von einem bezaubernden Türkisgrün oder Azurblau. Wir sind hier in einem Endmöränengebiet, hier enden die Gletscher der Eiszeit, tief schnitten ihre Zungen in das Land ein. Heute noch hat das Wasser etwas von der Frische und Klarheit des Eises, unsere Seen sind wie Hochgebirgsseen.


So, so, sie sind also gut versteckte Juwele, diese Seen. Anders als die meisten Mecklenburger Seen sind sie für eine Fahrradreise gar nicht so gut geeignet. Nicht wegen der Steigungen: die sind zwar vorhanden, sollten aber keinen geübten Radfahrer abschrecken. Aber auf den eigenen Füßen oder im Boot bekommt der Reisende einfach mehr Wasser zu Gesicht.
Endlich tauche ich in den Wald ein und sehe zum ersten Mal von meinem Rade Wasser. Es ist der Dreetzsee, dessen Wasser durch die Bäume funkelt. Seltene Krebsarten leben darin, zum Beispiel der Reliktkrebs.

Die kleine Seenplatte umfasst ganze 70 Seen und erstreckt sich auf der Grenze zwischen Mecklenburger Seenland und Uckermark. Kein Wunder, dass ich zwischenzeitlich auch einmal die Grenze nach Brandenburg überquere! Hier sause ich zwischen dem Mellensee und Krewitzsee hindurch, die durch einen tiefschwarzen Wasserlauf im Walde verbunden sind.

Weiter geht es auf der Nebenstraße in Richtung Norden zu Dörfern mit solch adligen Namen wie Fürstenau, Fürstenhagen und Fürstenwerder. Ihre Seen sind noch kleiner und klarer. An den Nordspitzen sollen sie recht schön sein, doch ich komme nur an den Südspitzen vorbei, und diese sind in Maisfeldern verborgen.

Und was ist mit den Dörfern, gibt es dort etwas von Interesse? In Wittenhagen jedenfalls steht zwischen den Gutsarbeiterhäusern eine außergewöhnliche Kirche. Sie ist achteckig. Warum, weiß niemand so recht. Das Schild verrät nur, dass die vorherige Kirche den Religionskriegen zum Opfer fiel. Darauf zimmerten die Wittenhäger erst einmal eine Notkirche aus Brettern und Stroh, ohne jede Inneneinrichtung - im Grunde nur ne Baracke, die alle Tage einfallen kann.

Und das brachte sie anscheinend auf den Geschmack.
Auf jeden Fall fügten in der nächsten Kirche von 1758 nicht viel Inneneinrichtung hinzu. Da sind nur zwei Kerzen, ein Taufstein und eine einzige Bank, die einmal ringsherum an der Wand verläuft. Noch nie habe ich eine so leere Kirche gesehen.

Nun nähere ich mich wieder der Stadt Feldberg, und damit komme ich auch endlich den Seen näher. Den Anfang macht die Brücke zwischen dem Schmalen und dem Breiten Luzin.

Den See namens Breiter Luzin kann ich auch auf dem Backofenberg bewundern. Die Menschen am Hüttenberg zwischen den Seen hatten allesamt rohrgedeckte Häuser, und so war ihnen zum Schutze vor Feuer das Backen im eigenen Heim bei Strafe verboten. Sie alle mussten auf den Berg sehen und ihr Brot bei bester Aussicht unter freiem Himmel backen. Allerdings nicht in einem kommunalen Backofen, jeder hatte dennoch seinen eigenen Ofen auf dem Berg stehen.

Auf der anderen Seite erstreckt sich der Haussee von Feldberg, und hier wird es nun wirklich lebendig. Eine Touristengruppe wird auf Segways herumgeführt, auf dem See befindet sich eine Wasserskianlage, und ein herrlicher Fahrradweg folgt dem Ufer im Wald. Aber wohlgemerkt: dieser ganze Bereich, von dem ich hier spreche, lässt sich auch zu Fuß gut erwandern.

Oder man macht es sich ganz schwer und radelt nach Hause mit einem soeben erworbenen Hund auf dem Rücken:

Mit Hilfe vieler Männer wurde Brumbusch in meinem Rucksack verstaut, so daß nur sein Kopf heraussah. Ich schwang mich aufs Rad, Uli fuhr als Beobachter hintendrein, daß Brumbusch auch richtig sitze - und los ging die Fahrt!
Ein paarmal machten wir unterwegs Station, befreiten ihn aus seinem engen Gefängnis, ließen ihn herumlaufen und an Bäumchen und Steinchen riechen. Das hat den lieben Brumbusch nicht gehindert, sein kleines Geschäft gerade auf meinem Rücken zu verrichten, und leider war der Rucksack nicht wasserdicht!

Auch heute lieben die Feldberger Hunde das Wasser. Zumindest hat das Hundeverbotsschild den weißen Hund nicht gehindert, in der Kneippanlage Marienquelle zu sitzen. Und auch seine Besitzerin störte sich nicht daran. Das ungehorsame Biest - ich meine natürlich den Hund - ignorierte das Schild seelenruhig.

Nein, mit einem Hund würde ich nur ungern radeln, ganz gleich, wo er sich genau befindet.
Aber sonst bin ich der leidenschaftlichste Radfahrer in meiner ganzen Bekanntschaft. Da finde ich eine Strecke, und dort finde ich noch eine Strecke. Und nun müßte ich schon längst nach Hause fahren, denn die Feldberger Seenrunde habe ich abgeschlossen, den letzten Seenradweg Mecklenburgs! Aber wie kann ich das —? Hier in der Nähe ist ein Gebiet, da habe ich einmal im Internet ganz überraschend im tiefsten Mecklenburg die herrlichsten Bahnradweg-Stücke gesehen. Und nur ein kleines Stück weiter nördlich liegt auch noch der höchste Gipfel Mecklenburgs!


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