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04 September 2024

Bode: Von Treseburg nach Thale

Darf ich vorstellen? Das Tal der Luppbode. Darf ich Ihnen eine kleine Empfehlung aussprechen? HALTEN SIE SICH UM GOTTES WILLEN FERN VON DIESEM GEISTESKRANKEN COUSIN DER BODEFAMILIE! Gehen sie da lieber nicht zu Fuß rein, auf keinen Fall mit dem Rad, vor allem nicht mit dem Kraftfahrzeug und unter gar keinen Umständen NIEMALS MIT EINEM MOTORRAD! Nicht die Mutproben am Rappbodestausee, sondern die lebensgefährliche Luppbode hat mich am meisten verstört. In ihrem Tal ist einfach nicht genug Platz.
Nichts Böses ahnend stieg ich in eine kleine Buslinie, kaum mehr als ein Minivan, der einen Haufen Wanderer nach Treseburg transportierte - leider durchs Luppbodetal. Ein größerer Bus hätte auf diese staubige, schmale Piste nur schwer raufgepasst. Immer wieder donnerten um Haaresbreite Motorräder an uns vorbei, sekündlich wuchs mein Respekt gegenüber dem Beruf des Busfahrers im Allgemeinen und denen der Linie 256 im Besonderen.
Schließlich begegneten wir einer der Motorrad-Kolonnen erneut, doch diesmal bewegten sich die Motorräder nicht mehr. Und einer ihrer Fahrer auch nicht. Die Busfahrerin fragte sofort, ob sie Hilfe brauchten, doch sie hatten alles da und den Notruf bereits verständigt.
"Das war schon der dritte diese Woche.", murmelte die Fahrerin düster.
Während der restlichen Fahrt hatten die Gespräche im Bus einen völlig anderen Ton und streiften unter anderem das Thema Organspende.

In Treseburg löst sich die Luppbode in der großen Bode auf.
"Dann viel Spaß beim Wandern!", rief uns die Fahrerin hinterher.

Heute war mein Rad in der Werkstatt, also habe ich den schönen Tag genutzt, um endlich mal die vielleicht zweitbeliebteste Harzwanderung (nach dem Brocken) zu absolvieren. Rasch hat sich die Bustruppe zerstreut, und im angeblich so beliebten Tal war doch überraschend viel Platz und Ruhe. Auch für Feuersalamander.
Der älteste Wanderpfad von 1834 hieß Jägerstieg und ist dem Oberforstmeister Bülow zu verdanken. Aber das Update in Form der heutigen bequemen Wege stammt von... der Bahn? Ehrlich? Jap, einfach nur, weil die Bahn wollte, dass an ihrem Endbahnhof in Thale irgendwas Attraktives ist. Was für ein Engagement! Aber von der heutigen DB kann man so etwas nicht erwarten, sonst müsste sie ja ganz Bielefeld neu aufbauen.

Was macht die Schlucht so beliebt, dass alle gefallenen Bäume fein säuberlich durchgesägt und die Wege so gut in Schuss sind? Die Bode ist bereits sprudelig, aber noch halbwegs normal.

Doch die Felswände schauen bereits überall heraus. Allein unter diesem Baum sieht man eine Kombination aus drei verschiedenen Gesteinsarten und Erdzeitaltern.

Mit der Sonnenklippe schwingen sich die Felsen zum ersten Höhepunkt auf und lugen in einer kleinen, schartigen Spitze in das Tal hinein.

Und dann wird es allmählich enger und enger. Geländer und Abgründe am Wegesrand sind nicht durchgehend vorhanden, aber auch keine Seltenheit.
Sturmbedingte Schäden im Geländer auch nicht.

Aber wer wegen der paar Lücken denkt, der Wanderweg sei ungepflegt, der sollte dringend mal in die Schlucht des Kästenbachs abbiegen. Das Buch Vergessene Pfade empfiehlt diesen Nebenbach als stilles Hinterzimmer des Touristen-Hotspots.

Tja, diese vergessene Schlucht hat man auf jeden Fall ganz und gar für sich. Dabei bilden die Felsen ein paar überaus versteckte Überraschungen: Eine Höhle, die wie eine dunkle Pore in der Felswand steckt, und ein Wasserfall, der sich wie ein welliger Wurm von der Klippe stürzt.

Aber es gibt eben auch einen Grund, warum der Kästenbach vergessen ist: Bäume. In dieser Schlucht liegen sie überall, quer über dem Fluss, dem Wasserfall, der Höhle und dem Weg, es wäre leichter aufzulisten, wo kein Baumstamm liegt. Und hier macht sich definitiv niemand die Mühe, sie durchzusägen. Baum um Baum um Baum musste ich übersteigen, bis ich weder sehen noch wissen konnte, ob unter den Stämmen wirklich noch etwas Ähnliches wie ein Pfad lag.
Ich habe gelesen, dass der Harzer Wanderverein aus Gründen der Effizienz einige Wege aufgeben musste, um sich auf die Instandhaltung der anderen konzentrieren zu können. Deutlicher als zwischen Bode und Kästenbach lässt sich der Unterschied nicht darstellen.

Was sind das überhaupt für Bäume? Eiben, sofern man dem Namen des Tals glaubt, denn Käste ist ein altes Wort für Eibe.
Schon Alexander von Humboldt war so begeistert von den Eiben hier, dass er sich in seiner Euphorie um 3000 Jahre verschätzte. Er behauptete, einen 4000 Jahre alten Baum gefunden zu haben, dabei bringt es der Jungspund nur auf 1000.
Einige Bäume im Bodetal haben Hausnummern. Das sind nicht die Zählenden Kiefern der Scheibenwelt, sie wurden markiert, weil ihr Erbgut unter derselben Nummer in einer Gen-Datenbank liegt.

Nee, nee, ich kehre lieber um zum bodenständigen Bodeweg. Der legt nun eine etwas felsenarme Passage durch den Wald ein und steigt zum nächsten Höhepunkt an.

Felsarm? Von wegen, jetzt legt das ganze Tal richtig los. Graue Wände fallen von den Bergen ab, und ganz unten geht das Spektakel bereits los.
Das muss der brutale Bodekessel sein: Eine Engstelle folgt auf die andere, nur einmal bildet der Fels plötzlich einen Kreis und das Wasser wird schwarz und fast vollkommen ruhig. Von der Form her ähnelt dieser Ruhepol am meisten einem Kessel, doch laut der Karte sind mit dem Bodekessel trotzdem die engsten, schaumigsten Stellen weiter oben gemeint.

Vielleicht, weil das Wasser darin zu kochen scheint. Das Gestein hat immer mehr vom Grund des Flusses weggeschmirgelt und sogenannte Kolke geschaffen. Eigentlich war hier auch ein Wasserfall, aber den haben die Flößer gesprengt, damit sie das Harzholz auf diesem nicht wirklich sicheren Verkehrsweg transportieren konnten.
Sorry, liebe Eckerschlucht, es mag Mainstream sein, aber das hier ist mein neuer Fluss Nr. 1 im Harz. Von allen Harzschluchten kommt diese hier einem Hochgebirge am nächsten. Als ich den Felswänden folgte, wähnte ich mich wirklich kurz in einer mittelgroßen Schlucht im Tirol.

Über die bequeme Teufelsbrücke habe ich das Ufer gewechselt. Und immer noch zwängen sich die schaumigen Fluten durch steinerne Wände. Zugegeben, die Pflanzen verdecken das auf meinen Fotos oft - das menschliche Auge ist einfach besser darin, Zweige und Blätter auszublenden, um sich auf alles dahinter zu fokussieren. Live sieht es anders aus!


Natürlich war auch Goethe mal hier. Ja, wissen wir, sagt das Schild am Goethe-Felsen präventiv und etwas verzweifelt, der war überall und das steht überall dran - aber hier war es ihm wirklich wichtig, und er war mehrmals da! Okay, er hat nicht hier den Bergbau geleitet, sondern in Ilmenau - aber bestimmt konnte er sich bei den Bergleuten hier inspirieren lassen! Und den Brocken (der ist ja quasi fast um die Ecke) hat er ja sogar im Faust eingebaut!

Bei der Einhaltung der Wanderregeln versucht es das Bodetal zur Abwechslung mal mit Umgekehrter Psychologie.


Nach den ersten Biegungen wartet Deutschlands Biergarten mit dem besten Blick und armer Küche (irgendein itzbold hat das W vom Schild abgerubbelt). Beim Genuss meines einfachen Mahls wusste ich gar nicht, wo ich hingucken sollte. Die steilen Felswände, die pittoreske Steinbrücke oder doch ins schäumende Wass... oh, jetzt hab ich mich bekleckert.


Allmählich näherte ich mich wieder der Stadt. Nachdem ich ganz eng an einer Felswand vorbeispaziert war, tauchte am anderen Ufer sogar eine befahrbare Straße auf, an deren Ende eine Jugendherberge mit traumhaftem Standort thront.
Denn auch mit Straße bleibt das Tal aufregend!

Aber Moment! Ehe ich dieses phänomenale Tal verließ, wollte ich es noch einmal von oben sehen. Und dafür gibt es eine stattliche Auswahl. Links und rechts rahmen jeweils ein feministischer Berggipfel die Schlucht ein.  Ich hätte zwar auch eine der Seilbahnen in der Stadt nehmen können, aber meine Waden sahen sich durchaus in der Lage, über deren gesalzene Preise hinwegzusteigen.

Also habe ich mich dann an die Bezwingung der Schurre gewagt. Dieser "erbärmliche" Wanderweg war schon das Sorgenkind des Bodetals, als die Wanderwege unten im Tal richtig angelegt wurden. Ein kürzlicher Sturm hat die Schurre wieder mal verwüstet, aber sie wurde wiederhergestellt. Mehr oder weniger. Dieser provisorische und wenig vertrauenerweckende Mischmasch besteht mal fast schon aus Pflastersteinen und dann wieder aus etwas, das aussieht, als hätte eine Lawine eben erst frische Felsbrocken angespült. Wandern auf eigene Gefahr? Ja, das glaube ich gern! Allerdings wandert es sich bei weitem nicht so schlimm, wie es aussieht.

Die Rosstrappe ist auf jeden Fall der ruhigere und natürlichere Berg von beiden: Wer durchgehend in der Natur bleiben will, dem dürfte die Wahl nicht schwerfallen. Der Gipfel besteht, wie so oft im Nordharz, aus einer schartigen Felskuppe mit Geländer, diesmal ungewöhnlich langgezogen - geht es da hinten etwa immer noch weiter? So schlägt die Plattform immer wieder neue Winkel ein und zeigt das Tal von allen möglichen Seiten.

Es war einmal eine Prinzessin namens Brunhilde (in manchen Versionen auch Emma), die begegnete Ritter Bodo dem Toxisch-Männlichen aus Böhmen. Der wollte sie unbedingt heiraten und wurde nachts dermaßen unangenehm, dass Brunhilde einfach auf ihr Pferd stieg und den Turbogang einlegte. Bodo ritt hinterher. Leider führt das Drehbuch in solch dramatischen Verfolgungsjagden praktisch unvermeidlich in eine Sackgasse an einem tiefen Abgrund. Brunhilde gab ihrem Pferd die Sporen, so hart es nur ging, und es sprang so heftig ab, dass es a) einen tiefen Hufabdruck im den Fels hinterließ und es b) tatsächlich über die Bodeschlucht schaffte. Bodo war anscheinend weniger geübt im Betätigen des tierischen Gaspedals und stürzte ab - zusammen mit Brunhildes Krone, die im Sprung abgerutscht war. Eine Gottheit, die anonym bleiben möchte, verwandelte den Ritter in einen Hund, der zur Strafe im Fluss die Krone bewachen muss. Dafür wurde immerhin die Bode nach ihm benannt. (Ganz genau, der schönste Harzfluss trägt den Namen eines mutmaßlichen Sexualstraftäters.) Ende.
Im Hufabdruck, der legendären Roßtrappe, sammelt sich seither Regenwasser und Kleingeld. Doch anders als beim Hexentanz gegenüber hat aus irgendeinem Grund niemand versucht, den Sprung zu wiederholen.


Hexentanz? Ach ja, dazu komme wir jetzt. Die Serpentine am rechten Ufer ist viel komfortabler und brachte mich direkt rauf zu einer Reihe von Felstürmen. Der erste ist anscheinend Franzose und heißt La Viershöhe. Aber auch auch les anderen Felstürme haben tolle Ausblicke, es sieht ein bisschen aus wie die Rabenklippen, aber in der superextended edition.

Aber ausgerechnet der berühmteste Gipfel ist aus Bergsteigersicht eine Enttäuschung. Wo genau soll nun der Hexentanzplatz sein? Meine Eltern waren vor mir hier. Als ich sie um ein Bild bat, schickten sie mir ein Foto eines Parkplatzes, und ich dachte: Super. Dabei ist es wahr, laut App liegt der höchste Punkt am Rande des Parkplatzes. Das sagt im Prinzip schon alles.
Irgendwo am Rande eines Hauses in Baugerüsten kann man sich zwar auf den Rand der Felsplatte stellen, doch das Panorama über das Tal ist hier eingeschränkter als bei allen anderen Gipfeln. Immerhin ist der Blick auf die Stadt Thale im Talausgang hier am besten.
Was wollten die Hexen bloß ausgerechnet hier?
Als Jesus in Deutschland noch keine Fanbase hatte (unter anderem, weil er noch nicht geboren war), brauchten die Sachsen einen anderen Glauben. Dazu suchten sie sich tolle Panoramaspots und vollzogen in der Walpurgisnacht nicht näher definierte heidnische Bräuche. So schrecklich barbarisch können diese Bräuche aber nicht gewesen sein, schließlich reagierten die Heiden sehr ängstlich, als sich noch heidnischerer Kram auf dem Kultort abspielte: Eines nachts kamen Gestalten mit schwarz angemalten Gesichtern (Blackfacing, nicht in Ordnung), Besen und Heugabeln und vertrieben die Nachtwächter.

Seitdem kursieren Legenden, dass jedes Jahr Hexen auf Böcken und Kälbern, Besen und Heugabeln (irgendwann blieben nur noch die Besen übrig) CO2-neutral angeflogen kommen, dem Teufel ein paar Opfer bringen und die schönste Hexe mit dem Teufel verheiraten. (Damals waren Hexen in der Folklore noch nicht alt und runzlig, sondern eher von Männern erdacht, die, wie Terry Pratchett es formulierte, mehr an die frische Luft gehen sollten.) Lange Rede, kurzer Besenstil: So kam der Hexentanzplatz zu seinem Namen.
Inzwischen haben die Hexen ihr Hexenhaus kopfüber aufgestellt und eine Sommerrodelbahn, einen Tierpark, eine Freilichtbühne und die Harz-Mystery-Show sowie ca. 666 gastronomische Einrichtungen ergänzt, um den Muggelmengen massenweise das Geld aus der Tasche zu hexen. Dass der größte Teil dieser Fläche aktuell auch noch Baustelle ist, raubt dem Gipfel den letzten Zauber. Immerhin: Der Lautsprecher am Hexenhaus erfüllt seinen Bildungsauftrag und zitiert aus der Hexenküchen-Szene bei Faust.

Unter einer alten Eisenbahnbrücke verlässt die Bode den Harz und steuert Thale an.

Links und rechts fährt je eine Seilbahn auf die Berge (davon eine sogar mit richtig geschlossenen Gondeln), dazwischen liegt ein kleiner Freizeitpark mit mittel-einfallsreichen Namen Seilbahnen Erlebniswelt. Das einzige, was mir dort interessant erschien, war die schaukelnde Hänge-Achterbahn Boderitt. Also habe ich für drei Erlebnispunkte bezahlt, die einer Fahrt entsprechen. Es ist ein netter, schaukeliger Ritt über den sprudelnden grünen Fluss, könnte aber schon schneller sein.

Das touristische Thale wird bewacht vom Götterkönig Wotan. Zugegeben, die Stadt ist eher funktional als schön - das wahre landschaftliche und touristische Zentrum der Stadt ist der Eingang ins Bodetal. (Insofern ist Thale ein tothal passender Name.) Die Stadt dahinter kommt nur noch, weil die Leute irgendwo auch irgendwo wohnen und übernachten müssen.

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