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02 Mai 2023

Düne

Helgoland II: Düne

 Das (fast) senkrechte Boot - Robb n Roll - Abgekapselt - Was sind 30 Meter? - Ducken vor Luftangriffen - Wenn Robben hinter Robben robben, dann joggen wir hinter Robben

Man stelle sich ein Schiff vor, klein und kompakt, mit kahlen weißen Bänken, einem engen Innenraum und einem noch engeren Außendeck hintendran. Der Steuermann sitzt ungefähr fünfzig Meter über den Passagieren, auf einem Sessel mit gigantischer Federung. Warum? Das werden wir gleich erfahren. Wir fahren zusammen, bis dass der TÜV uns scheidet, verkündet ein liebevoll verrostetes Schild in vertrauenerweckendem Ton.

Man stelle sich nun vor, eine Nussschale dieser Größe würde nicht etwa eingesetzt, um einen Kanal in Kiel oder dergleichen zu überqueren. Nein, man setzt sie mitten auf dem Wellengebirge der Hochsee aus, um alle halbe Stunde Touristen für sechs Euro von einer Insel zur nächsten rüberzuschießen. Zu diesem Zweck erhält sie einen ähnlich sprudelig-brutalen Powerantrieb wie der große Katamaran nach Büsum. Was ist das Ergebnis? Dass sich das verdammte Schiff gefühlt senkrecht aufbäumt!
Und das ließ insbesondere die Familienmitglieder, die sonst nie an Reiseübelkeit leiden, kreideweiß erbleichen.

Nach zehn wilden Minuten, die besagten kreidebleichen Familienmitgliedern vermutlich länger vorkamen, legte die Fähre auf einem halbversunkenen Steg an. Willkommen auf Helgolands Nebeninsel!

Auf Deutsch heißt sie Düne, auf Englisch Sandy Island, früher nannte man sie auch Strand-Insel. Alle drei Namen treffen den Nagel auf den Kopf: Im Grunde ist die Insel wirklich nur ein einziger Haufen Sand. Dieser wird untergliedert in Nord- und Südstrand. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die folgendermaßen aufgeteilt: Das Damenbad liegt im Norden, das Herrenbad im Süden, und dazwischen ein Familienbad. Heute dagegen wird unterteilt in Nackt- und Textilstrand.
Aber auch sonst hat die Insel ihre Form komplett verändert: Kaum zu glauben, aber früher hatte auch Düne steile Klippen. Anders als auf der Hauptinsel waren die weiß wie auf Rügen, denn da steckte jede Menge Kalk und Kreide drin. Nach diesem Witte Kliff wird sogar bis heute die Fähre benannt. Weil die Helgoländer von den Kreidefelsen zu viele Steine abgebaut hatten, verschwanden die Klippen 1711 in der Neujahrsflut - zusammen mit der letzten schmalen Verbindung zwischen den beiden Inseln. Nur bei ganz niedrigem Wasserstand gucken die Reste der Felsen aus der Nordsee.

Anschließend schrumpfte Düne immer weiter zusammen, und 1935 waren gerade mal 0,1 Quadratkilometer übrig. Die Nazis änderten das, indem sie der Insel auf der Helgoland zugewandten Seite einen fetten Betonstreifen verpassten und Sand aufschütteten - aus Helgoland und Düne sollte ein Militärstützpunkt für Luft und Wasser werden, der die komplette deutsche Flotte aufnehmen konnte. Weil Projekt Fette Betonstreifen dämlich klingt, nannten sie die Operation Projekt Hummerschere. Der große Militärhafen wurde nie fertig, stattdessen bekam die Insel Düne ihre heutige Form. Und die wird auch so bleiben: 2011 stimmten 54% der Helgoländer dagegen, die Inseln wieder zu verbinden.

Als wir am Betonstreifen ausstiegen, war die Aussicht erst einmal langweilig: Eine lieblos gepflasterte Strandpromenade und eine Ansammlung hölzerner Ferienhäuser im Gras, die daran scheitern, das skandinavische Rot zu treffen. Wir folgten dem Betonstreifen um die Ecke in der Hoffnung, einen richtigen Strand zu finden.

Wer oberflächlich zu Helgoland-Düne recherchiert, stößt sehr schnell auf die Besonderheit der Insel: Robben. Angeblich soll man die da so richtig voll aus der Nähe sehen können. Meine Familie hat da von Anfang an gar nicht dran geglaubt, und auch ich war skeptisch - als ob da jetzt wirklich gleich echte Robben sind, bestimmt sind die gerade dann rausgeschwommen, wenn wir da sind.

So bogen wir also um die Ecke, völlig unvorbereitet auf den Anblick, der sich uns bot.
"Ich seh keine Robben."
"Na da!"
"Das sind doch Steine. Oder?"
Es ist vollkommen nachvollziehbar, wenn ein Gehirn, das auf touristische Mecklenburger Ostseestrände konditioniert ist, die unzähligen dunklen Punkte erst einmal als Steine interpretiert. Was sollte es sonst sein? Sächsische Touristen sehen schließlich anders aus.

Erst nach ein paar Schritten begreift das Mecklenburger Strandhirn, dass die Steine leben.
Schon am Südstrand (Textil) ist die Robbendichte hoch, aber am Nordstrand (FKK), ist fast das gesamte Ufer bedeckt mit kuscheligen Kegelrobben - so dicht, dass man am im Grunde fast nirgendwo schwimmen gehen kann. Stattdessen gehen ein paar der Robben schwimmen. Die meisten sind so dicht behaart, dass man das sowohl als FKK als auch als Textilbaden durchgehen lassen kann. Ihre vielfältigen Fellfarben imitieren die verschiedensten Steinmuster. Beim Schwimmen sind nur ihre Köpfe zu erkennen, aber deren Bewegung reicht aus, um zu erahnen, wie geschickt die Torpedotiere durchs Wasser sausen.

Die meisten Robben waren so nett und blieben an Land, damit wir mehr von ihren Kegelkörpern angucken konnten. Und das, obwohl diese Körper an Land vom Torpedo zum nassen Sack werden. Die Fortpflanzungszeit neigte sich gerade dem Ende zu, die Kinder waren fast ausgewachsen. Bald würde sich die Kolonie auflösen, die Weibchen würden den Harem ihres Männchens verlassen und allein die Nordsee durchpflügen. Aber andererseits: Das mit der Nordsee hat ja auch Zeit bis morgen, heute war noch Zeit, um in Ruhe herumzuliegen und den Fellwechsel zum Sommerfell abzuwarten. Und so eine Sommerfigur wächst bekanntlich am besten, wenn man einfach träge daliegt und döst, oder? Manche streckten den Kopf empor und kommunizieren durch eine maritime Mischung aus Wolfsgeheul und Nebelhorn: "Ohoou!"
Einige räkelten sich derart ausgiebig in der Sonne, dass ihr Körper vorübergehend die Form eines stehenden Croissants annahm. Es war eine wahre Freude, ihnen dabei zuzusehen. Hätte meine Familie mir nicht diesen Ausflug vorgeschlagen, hätte ich mich genau in dem Moment sonntagnachmittags zu Hause auf dem Sofa mit ähnlichen Bewegungen geräkelt. Wer also in den adrenalingeladenen Springuinen vom Lummenfels nicht sein Spirit Animal gefunden hat, wird vielleicht hier fündig.

Dass es sich um Kegelrobben und nicht um Seehunde handelt, erkennt man übrigens am spitzen Kopf und am dickeren Körper.

Ich fand es völlig surreal, dass Menschen und wilde Tiere in solchen Massen am selben Strand unterwegs sind, wie in einem Zoo ohne Zäune. Die einzige Regel: 30 Meter Abstand halten. Es ist unglaublich (und wahrscheinlich stark den Fährpreisen zu verdanken), dass das so gut funktioniert und die Robben derart zutraulich sind. Fast schon ein bisschen zu zutraulich. Ein brauner Ausreißer lag weitab von seinen Artgenossen mitten auf dem Strand, so gut getarnt, dass ich fast über ihn gestolpert wäre. Wer hätte gedacht, dass in freier Wildbahn ein solcher Abstand zwischen Robbe und Bagger existiert - und funktioniert?

Offensichtlich hat man vergessen, den Robben das mit den 30 Metern mitzuteilen. Als wir zwischen zwei Robbengruppen ein Junges entdeckten, bemerkte es unseren Blick - und robbte auf einmal zielstrebig in unsere Richtung. Huch! Du bist zwar wirklich niedlich anzusehen, aber wir sind trotzdem nicht deine Mutter! Nee, echt nicht!

Das Kleine schien offensichtlich irgendjemand Aufsichtspflichtigen zu suchen und robbte weiter an den Robbengruppen entlang. Ab und zu blieb es erschöpft liegen, dann ging die Suche weiter - immer noch zuversichtlich, und (noch) ohne zu heulen, wie es zurückgelassene Robbenkinder ja angeblich tun. Hoffentlich ist der süßeste nasse Sack Deutschlands inzwischen fündig geworden.

Na schön, leider müssen wir bald auch schon zurück. Also schauen wir nochmal, wie es hinter der Düne von Düne aussieht, also im Inselinneren von Düne? Überraschenderweise wie... eine Düne. Das Wegenetz der Insel besteht aus Bretterwegen, die sich durch ein Labyrinth von Sand und Gras winden. Manche der Bretter führen zu hölzernen Kapseln mit gläsernen Vorderwänden. Die Bewohner dieser modernen Bungalows leben lieber abgekapselt, sodass ihre Bretterwege mit Ketten versperrt sind.

Doch ausgerechnet in diesem recht rustikalen Verkehrsnetz, wo ich nicht mal mit einer befahrbaren Straße gerechnet hätte, besteht Anschluss zum schnellsten Verkehrsmittel überhaupt: Der Flughafen von Helgoland wurde nach Düne ausgelagert, auf der Hauptinsel ist es zu eng. Und selbst hier reicht der Platz nur für ein Terminal von der Größe eines stillgelegten Mecklenburger Dorfbahnhofs. Auf der Betonbahn starten in erster Linie kleine Ausflugsflüge, und zwar ständig. Während wir am Strand den Robben zusahen, schwirrte immer wieder ein neues Propellerflugzeug über uns hinweg. Oder war es immer dasselbe?
Wer sich für den Holzweg direkt auf der Düne (also die Düne, die den Strand begrenzt, nicht die Insel Düne) entscheidet, kann völlig kostenlos und intensiv in Kontakt mit dem Flugverkehr treten. Laut dem Schild soll man sich zunächst vergewissern, ob gerade Flugzeuge in die eigene Richtung starten, und wenn ja, nicht weitergehen, sonst könnte der Pilot einem bei Start oder Landung unfreiwillig einzelne Körperteile absäbeln, was so ungefähr nach dem stressigsten Strandspaziergang überhaupt klingt. Aber an diesem Tag kamen und gingen anscheinend alle Flüge vom entgegengesetzten Ende der Landebahn, also bestand keine Gefahr.

Trotzdem zu stressig? Dann ist hier zum Runterkommen noch ein Robbvideo.

Dazu noch folgende Anmerkung: Am Anfang des Strandes stecken ein 10-m-Schild, ein 20-m-Schild und ein 30-m-Schild mit dem entsprechenden Abstand im Sand, damit man auch vor Augen hat, wie weit die 30 Meter Robbenabstand in der Realität sind. Die Person im Video, die hier nicht namentlich genannt werden soll, hatte jedoch nur das 10m-Schild gesehen und unterlag daher einem vermeidbaren Verbotsirrtum bezüglich des erlaubten Mindestabstands.

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