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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

03 Juni 2024

Saale: Von Rudolstadt nach Weißenfels

 Saalegeprahle III: Die klassische Saale

An der Saale hellem Strande
stehen Burgen stolz und kühn.
Ihre Dächer sind gefallen
und der Wind streicht durch die Hallen.
Wolken ziehen drüber hin.

An der Saale grünem Strande
liegen Städte mittelgroß.
Dichter dichteten in ihnen.
Salz und Wein und viele Schienen.
Hier ist eine Menge los.

Ab jetzt fahre ich parallel zur Gera und Ilm, und es gibt eindeutig Gemeinsamkeiten: Zwar ist das Gebirge zu Ende, aber nun folgt quasi das Vorgebirge. Der Weg ist immer noch ziemlich wellig, aber verglichen mit dem Gebirge die reinste Wohltat. Der Radweg geht erstmal geradewegs durch die Felder am Talrand.


Der Saale-Orla-Kuss ist die erste Mündung eines Nebenflusses, die mit einer Rasthütte ausdrücklich markiert ist.
Sumpfbiber wohnen hier nach wie vor der Saale, die springende Lachse dagegen sind ausgestorben.

Die Burg von Orlamünde ist "auf sanfte Art verfallen" - eine Umschreibung dafür, dass viele Orlamünder dachten: Jippi, gratis Baumaterial! Als ich den Höhenunterschied zur Burg mit eigenen Augen sah, beschloss ich spontan, dass ich kein gratis Baumaterial benötigte.
Da oben predigte ein radikaler Pastor namens Andreas Bodenstein unter dem seltsamen Künstlernamen Karlstadt. Er trug Bauernkleidung, machte Handarbeit, zerstörte Heiligenbilder und nahm den vertriebenen Thomas Müntzer auf, mit dem Humanismus hatte er es dagegen eher nicht so. Martin Luther waren die beiden eindeutig zu radikal. Er kam für eine öffentliche Thüringer Talkshow nach Orlamünde, um den extremen Müntzer argumentativ zu zerlegen - und zog geschlagen ab. [hier Anspielung auf die Thüringer CDU einfügen]

Diese Eutersdorfer Schaukelbrücke ist zwar nicht die neuste, aber als sie 1908 öffnete, war das Design gewagter als ein Minirock und wurde zum Vorbild für Hängebrücken auf der ganzen Welt.

Die erste Stadt des Tages heißt Kahla. Und wenn Sie jetzt denken: Die sieht ja ganz schön bergig aus - scrollen Sie nochmal hoch nach Orlamünde.
Ein Mauerring umringt die Altstadthäuser und scheint aus der Ferne gesehen selbst aus Häusern zu bestehen. Die meisten Kahla-Bürger waren Bauern, bis sie die Porzellanherstellung für sich entdeckten.

Ist Kahla wirklich so kahl? Schwer zu sagen, so früh morgens schlief die Stadt noch. Mintgrünes Fachwerk und braune Arkaden lassen die Hauswände jedenfalls nicht kahl aussehen.

Vorhin eine Mündung am Wegesrand, nun eine Überlaufquelle: An dieser Verwerfungsstelle strömt das Wasser in langsamen, hypnotischen Sandwirbeln aus dem Boden. Die Quelle Suppiche ist eine kleinere Version der niedersächsischen Schwindebachquelle. Ohne den Hinweis in der Karte hätte ich diese unauffällige Pfütze gar nicht weiter beachtet, aber der Zwischenstopp hat sich gelohnt.

Immer mal wieder sind Stücke vom Berg abgestürzt, haben die Saale verschoben und längst vergessene Steinzeitdörfer freigelegt. Große Felswände ragen dann aus den Bergen, riesige braune Riffel, im Vergleich zu dem chaotischen grauen Zeug oben im Schiefergebirge sehen die geradezu ordentlich aus. Diese Wände sind alt: Sie wurden geboren, als sich im Quartär das Klima änderte, die Flüsse anders flossen und tiefe Täler bildeten. Je weiter man die Flussterrassen runtergeht, umso jünger wird der Boden. Hier unten zu meinen Füßen ist er am jüngsten, weil die Gletscher der Elster-Eiszeit und die Saale so viel Gestein verschoben haben. Mir egal, ich schleppe mich jetzt trotzdem nicht nach oben zum alten Zeug.
Die Felswände schützen nicht nur das Tal, sondern reflektieren auch Sonnenstrahlen. Dadurch ist der Winter hier warm, der Frühling früh, und der Sommer... den spüre ich gerade heftig im eigenen Nacken. Sogar Aprikosen wachsen hier.
Die größte Stadt im klassischen Saaletal kündigt sich von Weitem durch einen seltsamen Anblick an: Unter einer enormen Felswand überwinden die Betonbögen der Autobahn das komplette Tal, verschwinden dann per Tunnel in einem dicken grünen Erdwall (sorry, das hat nicht alles aufs Foto gepasst), auf dem sich ein Park erstreckt, und direkt dahinter die ersten Wohnblocks. Für sich genommen ist das alles nichts Besonderes, aber in der Summe mutete dieses Panorama irgendwie skurril an.

Der Saaleradweg schlängelt sich um diesen Tunnelwall herum und darüber hinweg, wobei er zuerst durch einen grafittibesprühten Betontunnel (öh, Großstadt halt) und dann plötzlich durch diese coole Schlucht (Nanu, das kam jetzt unerwartet!) gleitet.

Wie lässt sich dieses Tal am besten beschreiben? Mit weißer Farbe!

Übers Stauwehr, unter dem Bahnhof und neben der Straßenbahn bin ich in die Stadt eingetaucht. Ja, es ist ja eine ganz schöne Stelle - aber dass der Bahnhof statt Hauptbahnhof Jena Paradies heißt, ist dann doch etwas übertrieben. Zumal es in Bahndurchsagen mit englischer Aussprache klingt wie eine nicht jugendfreie Schauspielerin.

Schiller nochmal! Schillers Gartenhaus ist nicht ganz so naturnah wie sein Gegenstück, Goethes Gartenhaus in Weimar. Direkt um die Ecke braust die Hauptstraße durch die Innenstadt. Dafür ist der Garten dann doch überraschend ruhig.
Hier wohnte Schiller, als er an der Uni unterrichtete, die damals noch nicht nach ihm benannt war. Nach ihm zogen die Direktoren der benachbarten Sternwarte ein.

Jena war auch mal eine eigene Hauptstadt, genau wie Weimar, Eisenach, Erfurt und sogar (was zur Hölle) Marksuhl. Gefühlt jede zweite Stadt, die ich auf meinen Thüringer Touren besucht habe. Wie viele deutsche Staaten gab es hier bitte? Zu viele, denn die Thüringer hatten ein dummes Erbrecht. Statt dem ersten Sohn alles zu geben (und dann trotzdem mit seinen Onkeln und Brüdern kämpfen zu lassen, wie es sich gehört), haben die Papas das Erbe jedes mal geteilt. Was bei Geld funktioniert, ist bei Staaten total unpraktisch. Als Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar 1662 starb, war das Land schon so zersplittert, dass sogar seine vier Söhne merkten: Mist, Papas Land ist zu klein, um es zu vierteln. Sie nahmen sich zwar unterschiedliche Residenzstädte, wechselten sich aber mit dem Regieren des kompletten Gebiets ab. Bis einer von ihnen jung starb, dann dachten übrigen drei: Och, in drei Teile, das geht ja noch. So wurde Bernhard, der jüngste Sohn, Herzog von Sachsen-Jena. Um alles noch unpraktischer zu machen, waren fast alle seiner Gebiete Exklaven, also gar nicht mit Jena verbunden.

In Jena wurde der Vers Auferstanden aus Ruinen sehr wörtlich genommen.
Oder wie Andreas Gryphius sagen würde: Was dieser heute baut, reißt Jena morgen ein.

Nein, Scherz beiseite, Jena hat eine sehr ansehnliche Innenstadt aufgebaut, und sie wissen sogar, was auf einen Marktplatz gehört: Restauranttische. Mittagszeit!

Nur mit der Freundlichkeit ist es in Jena nicht so weit her. Als ich das Stadtmuseum in einem der ältesten Häuser betrat, blaffte es mir entgegen: "Aber nicht damit!" - Meine Trinkflasche sollte gefälligst draußen bleiben.

Der Museumskeller ist noch ein echtes Gewölbe und hat allerhand Kreuze und Heiligenfiguren aus den zig Kirchen von Jena ausgestellt.
Das Treppenhaus ist sehr originell: Mehrere Zeitstrahlen (Weltgeschichte, Landesgeschichte, Architektur, Kultur, Uni Jena) voller Bilder und Fakten laufen nebeneinander. Ich stieg durch die Zeitalter aufwärts, die sich immer weiter ausdehnten, bis im 19. Jahrhundert 30 Jahre eine komplettes Treppenstück einnahmen. Grund dafür sind die Studenten.
Wegen der Pest zog die Uni Wittenberg ständig nach Jena um, bis Jena sagte: Jetzt reicht es, da können wir ja genauso gut eine eigene gründen. Und sie dann prompt wegen der Pest nach Saalfeld verlegen. Erst im 18./19. Jahrhundert kam die Uni richtig aus dem Tee und sollte ganz Deutschland verändern.
Die Studenten auf dem Uni-Zeitstrahl waren schon immer für Veränderung zu haben: Erst wurden sie zu strengen Luther-Fans, später gründeten sie an der Jenaer Uni die erste Burschenschaft, die viel zum Wartburgfest und der Idee des deutschen Staates beitrugen, auch die Farben Schwarz-Rot-Gold gehen mehr oder weniger auf sie zurück (wie genau sie auf die Farben gekommen sind, ist umstritten).
Die Türen zu den Fotografie-Ausstellungen waren verschlossen, denn die werden immer mal umgebaut.
In der Mitte des Treppenhauses steht ein Vertikalseisometer. Jena ist seit Langem ein Zentrum der deutschen Erdbebenforschung - schließlich liegen überall ringsrum Felsen, aus deren Verformungen man herauslesen kann, wann es wo gebebt hat.
Das Gerät überwacht für ganz Mitteldeutschland, ob es irgendwo zu beben beginnt. 30 Erdbeben hat Thüringen pro Jahr, zwei davon können Menschen wahrnehmen, 1872 wurde zum letzten Mal ein Gebäude beschädigt. Auch wenn gerade nichts bebte: Irgendwelche mikroskopischen Bewegungen der Erde hat es aufgezeichnet, die Linie ging ständig leicht auf und ab. Kein Wunder, dass der Apparat lospiepste, als es 2012 in einem ganz anderen Stadtteil zu einer Gasexplosion kam.

In der ersten Etage betrat ich knarzend die Alte Göhre. So heißt der große Hauptraum in einem Jenauer Stadthaus. Seine Holzbohlen tragen sich selbst, ohne dass man sie mit dem Rest des Hauses verbinden muss - man konnte den Raum also auseinanderbauen und woanders im Haus zusammensetzen, wenn man Lust auf Abwechslung hatte.
Der Stahlball in der Mitte ist eine Himmelskugel von 1661. Wer den Kopf reinsteckt, dem blinken Löcher in der Dunkelheit wie Sterne am Himmel entgegen, die erste Version eines Planetariums.

Ernst Haekel hat in Jena die Evolutionslehre vorangetrieben, Goethe und Loder den Zwischenkieferknochen entdeckt und Carl Zeiss die Produktion von Brillen und Mikroskopen revolutioniert. Sein Geschäftspartner war ein Chemiker namens Ernst Abbe, ein Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, der seinen Arbeitern schon um 1900 den Achtstundentag und Pension gewährte, lange bevor er es gesetzlich musste. Dabei hätte er es wahrscheinlich sogar gern gesetzlich gemusst, schließlich war sein Motto: Keine Wohltaten, bessere Rechte! Die Bergarbeiter in Saalfeld wären erstaunt gewesen. Sogar noch erstaunter als Abbe, der in einem Video im Museum eine Zeissreise ins 21. Jahrhundert unternimmt und sieht, dass sein Unternehmen unter dem Namen Jenoptik noch immer weiterläuft. 

Beim Rausfahren aus Jena begleiteten mich viele lokale Wochenendradler. Einer hatte auf dem Helm ein rotes Display und sah damit einem Polizeiwagen oder einer polnischen Strandpromenade erstaunlich ähnlich. Statt wichtiger Verkehrshinweise oder einem Warnblinker fuhr jedoch immer nur dieselbe Botschaft über seinem Nacken: Hakuna Matata.

Studieren in Jena hatte seine Risiken: Im Jahre 1829 ertranken sieben Studenten in der Saale. Irgendwas an der Kunitzer Fähre war lebensgefährlich, ständig forderte sie Menschenleben. Der Bruder eines Studenten kam ans Ufer und wollte seinem Bruder ein Denkmal setzen. Ein pragmatischer Pfarrer überzeugte ihn, lieber für eine Brücke zu spenden.
Wenig später stand sie da: Die Kunitzer Hausbrücke, ein Tunnel aus Holz. Okay, eigentlich ist sie von 2012, aber ihr Vorbild von 1832. Wer hat sie kaputtgemacht? Das Jahr 1945. Wegen des Hochwasserschutzes liegt sie viel höher als die erste Version.

Die drei Dornburger Schlösser aus drei verschiedenen Stilepochen lagen mir zu weit oben. (Ob es tatsächlich masochistisch-kultivierte Radsportler gibt, die sich nach der Stausee-Strecke wirklich noch alle empfohlenen Schloss-Ausflüge die Berge hinauf antun?) Ich beließ es lieber bei dieser erstaunlich schmalen, aber hohen Kirche aus der Zeit des, äh, Barock?

Die folgende Strecke hat mich etwas an die Werra erinnert: Immer jeweils fünf Kilometer, die ein bisschen anders aussahen. Mal ein Radweg auf dem Feld in praller Sonne, mal eine kleine wellige Straße im Schatten der Flussbäume.

Aber Moment mal, hat die Werra Weinberge? Nope, jetzt beginnt die Weinregion Saale-Unstrut. Die kenne ich zwar schon von der Unstrut, aber gleich am ersten Weinberg in Kaatschen konnte ich etwas Neues an dieser Landschaft erkunden: Der Weinrosenweg windet sich eine Steintreppe hinauf und zeigt, welche bunten Blumen sich in der Nähe der begehrten Trauben wohlfühlen.
Kaatschen wird sich mit weiteren Aufstrebungen zu einem idyllischen Weindorf entwickeln!, meint ein Schild bescheiden. Seid ihr etwa noch keins?

Erst am Ende der Treppe wachsen dann die richtigen Weinfelder - auf diesem Bild gerade nicht ganz so steil. Bald gesellt sich der Radweg eine Etage höher zu ihnen. Auf diesem Hang zum Alkohol verläuft die Grenze von Thüringen nach Sachsen-Anhalt, und irgendwo über der Ilmmündung (auf diesem zugewachsenen Ufer kaum zu erkennen) wechselte ich ins letzte, aber größte Bundesland der Saale.

Und genau wie nach dem letzten Grenzwechsel wird erstmal eine neue Brücke mitten durchs Tal gebaut - eigentlich sogar mehrere.

Keine leichte Aufgabe, denn das Tal verengt sich an dieser Stelle nochmal. Dieses enge Grenzgebiet heißt Thüringer Pforte. (Die coole Flussklippe auf dem Bild ist eigentlich schon Sachsen-Anhalt, aber es war die Stelle, die am meisten nach einer engen Pforte aussah.)
Diesmal schickte mich sogar die Hauptroute auf wilden Pfaden irgendwelche Berge hoch zu weiteren Burgen, aber nein, ich nahm lieber die flache Strecke auf der Hauptstraße.

Dichter, Wein, Klippen, Industrie, Stauseen, Großstädte, Burgen... die Saale will einfach alles auf haben. Also selbstverständlich auch Kurstädte mit Salzwasser.
Bad Kösen war anfangs keine Kurstadt, sondern eine Floßstadt mit ordentlich Holz vor der Hütte. Zweimal im Jahr trafen sich 800 Flöße auf dem Wasser, um das Holz von weiter oben auf der Saale zu verticken. Die Floßarbeiter zimmerten sich einfache Holzhütten, aus denen eine leicht entflammbare, aber zum Glück feuchte Stadt heranwuchs.
Bis eines Tages Sole aus dem Boden gebohrt wurde. Dank ihrer Erfahrung im Umgang mit Holz zimmerten die Kösener im Jahr 1780 für das Salzwasser etwas ganz Besonderes zusammen - Wasserräder mit Wellenbädern (wie auch immer die damals funktioniert haben) und ein Kunstgestänge. Die hölzernen Stangen und Rinnen rinnen quer durch den kompletten Ort. Solch ein altes Kraftübertragungssystem gibt es sonst nirgendwo in Europa.

So kommt das Wasser bis hinauf auf den Berg. Und hier steht ein echter Gigant von einem Gradierwerk. So ein großes habe ich noch nie gesehen! Schon Kilometer vorher konnte ich es am anderen Ufer ausmachen. An manchen Stellen hat es Holztürme, zu denen Treppen hinaufführen - die alten slawischen Fürsten von Mecklenburg hätten so ein Teil wahrscheinlich direkt zu ihrer Festung gemacht. Die Schilfhalme sind total versalzen von all dem Salzwasser, das über Jahrhunderte runtergeflossen ist.
Mal sehen... auf den Türmen steht niemand, da kommt man wohl nicht rauf, schade. Aber zumindest auf den Gang rund ums Gradierwerk wird man ja wohl raufkommen, oder? Warum läuft dort niemand? Die Menschen spazieren alle eine Etage tiefer durch den Park, aber spürt man dort überhaupt noch eine Wirkung? Zugegeben, ein kleines bisschen salziger fühlt sich die Luft schon an, aber der Unterschied ist bei Weitem nicht so groß wie in Bad Sooden-Allendorf. Endlich fand ich eine kleine Treppe rauf. Sie endete direkt an einer versperrten Tür, und dort oben sah ich, dass es überhaupt keinen hölzernen Wandelgang um das Bauwerk gibt, sondern nur ein... Becken. Kann es sein, dass ausgerechnet dieses gigantischste aller Gradierwerke auch das Nutzloseste ist?
Ursprünglich nicht: Das Ding sollte eigentlich nur die Sole besser machen, indem es die nutzlosen Salze raussiebt, bis 8 Prozent Kochsalz drin sind. Dass es gesund ist, daneben zu atmen, wurde erst später entdeckt - aber auch mit Abstand war die medizinische Wirkung stark genug, um den Koloss vor dem Abriss zu schützen.

Auch als nächstes wählte ich eine Abkürzung, diesmal aber nicht an der Straße, sondern auf einem freundlichen Feldweg an der Kleinen Saale - einem tiefschwarzen und total zugewachsenen Nebenarm.

Er versorgte das Kloster Schulpforte mit Wasser. Der Name ist wortwörtlich gemeint, denn nach der Reformation wurde daraus eine Fürstenschule. Die war zwar nicht mehr religiös, dafür bestimmte der Fürst, was die kleinen Friedrichs (die mit Nachnamen Kloppstock oder Nietzsche hießen) lernen mussten.

An der Stelle, wo sich die Kleine Saale wieder mit der großen vereint, hat jemand ein Kilo Möhren ausgekippt.

Und dann zeigte die Saale, dass sie nicht nur schwierig sein kann. Sie kann auch einen der schönsten, traumhaftesten Flussradweg-Abschnitte in ganz Deutschland haben. Der Naumburger Traumbogen (so nenne ich den einfach mal) windet sich mit etwas Abstand um Naumburg, vorbei an der Unstrut-Mündung im Blütengrund mit Blick auf Weinberge und Weingüter.

Ab und zu rücken die Felswände noch mal nah heran, meistens sind die Berge aber auf dem Rückzug. Auf mindestens einer Seite ist bereits offenes Feld. Aber genau das macht den Radweg eben so traumhaft angenehm.

Dieser Weg gab mir die Kraft, in Schönburg zu sagen: Ach komm, die Burg da sieht nicht ganz so hoch aus, die kannst du dir nochmal anschauen.
Dieser herrliche Buntsandstein ist 90 Meter dick und rot, weil vor 20 Millionen Jahren kleine tropische Seen ausgetrocknet sind, in denen Ton zurückblieb.

Der Aufstieg war in der Tat kurz, aber intensiv - und brachte mich durch eine der ungewöhnlichsten Dorfstraßen überhaupt. Ja, dieses Foto ist wirklich mitten im Ort entstanden. An Privatsphäre mangelt es den Bewohnern auf jeden Fall nicht - in dieser Straße wird jedes einzelne Haus zur Höhenburg! Aber um besagte Privatsphäre zu respektieren, bin ich doch lieber bis ganz hinauf in die richtige Höhenburg geradelt.

Schon das war ein wenig fragwürdig: Der bunt und blumig bewachsene Burghof zwischen den verfallenen Mauern war jederzeit zugänglich, und auch die Tür zum Turm stand offen - aber innendrin bat ein Zettel, doch bitte vorher einen kleinen Eintrittspreis unten im Restaurant zu hinterlegen. Nur dass bei diesem Restaurant weit und breit niemand zu sehen war.

Ich bin trotzdem mal das knarzende Treppenhaus hinaufgestiegen - in der Hoffnung, dass unterdessen niemand unten zuschließt.

Auf den Zwischenetagen stehen staubige Glaskästen. Die kleine Ausstellung widmet sich aber gar nicht so sehr Adligen und Rittern, sondern den unterschiedlichen Handwerkern an der Saale. Diese Netze dienten zum Beispiel dem ältesten Gewerbe der Welt Saale: Fischerei.
Mit den vielen Fischarten der Saale haben mal richtig viele Menschen ihren Lebensunterhalt zusammengefischt. 1901 holte ein Fischer 326 Lachse im Jahr aus dem Fluss. 1911 wurde der  allerletzte Flusslachs gefangen. Was war passiert?

Was passiert ist? Bei den neuen Wehren habt ihr meistens die Fischtreppen vergessen, außerdem hatte die Kaliindustrie begonnen, ihren Müll in mich zu gießen. Das brennt, aah!

Tja, zu den Adligen der Burg gibt es weniger zu erzählen. Dass die Burgruine Schönburg so gut erhalten ist, liegt an den Thüringer Teilungen - auf einmal war sie strategisch komplett egal und keiner interessierte sich mehr für sie. Schöne Ausblicke waren damals halt nicht so wichtig wie taktische Positionen - außerdem hat wahrscheinlich jede Saaleburg eine schöne Aussicht.

Die mehr oder weniger letzte klassische Saalestadt ist Weißenfels. Einen weißen Fels habe ich nicht gesehen, dafür ein weißes Schloss, des von der Größe her viele Felsen übertrifft.
Weißenfels war auch mal kurz Hauptstadt eines Fürstentums. Die Fürsten orientierten sich am französischen Sonnenkönig und bauten Barock, was das Zeug hielt. Als das Zeug nicht mehr hielt, gingen sie pleite und starben aus. Mangelnder Kindersegen und Geldverschwendung waren die einzige Möglichkeit, Thüringens und Sachsens Zersplitterung in immer kleinere Herzogtümer auszubremsen.
Obwohl Weißenfels keine Hauptstadt mehr war, lebten hier Künstler wie Bach und Novalis, und danach wurde die Stadt ein Zentrum der Schuhindustrie. Mal im Ernst, wieso waren die Städte im klassischen Saaletal nur so erfolgreich? Wahrscheinlich das schöne Wetter durch die sonnenreflektierenden Felsen, darum wollten alle Fachkräfte hinziehen.

Am Saaleufer hatte sich ganz Weißenfels zum Public Viewing versammelt. Ordnungskräfte ließen keinen mehr rein, und so verfolgten ein paar Zuschauer das Spiel von der Saalebrücke.

Bei Weißenfels ist der Naumburger Traumbogen allmählich zu Ende. Ein steiler Hügel lag im Weg, dann bestanden auf einmal mehrere Kilometer neben dem Gewerbegebiet aus seltsamen Baustellen-Metallplatten, die zwingend alle fünf Meter ein anderes Riffelmuster haben müssen. Und in der Ferne nehmen die Bergrücken immer weiter ab.

So kommt es, dass die nächste Ruine komplett ebenerdig neben dem Fluss liegt. In dieser Lage konnte sich die Wehrkirche von Schkortleben nur schlecht gegen Hochwasser und Vandalismus wehren, und so war sie in ihrer lückenhaft überlieferten Geschichte eigentlich meistens baufällig, auch wenn ihr die Fürsten neue Fenster oder Orgeln spendierten.


Aber ganz egal, wie sehr sich die Landschaft und alles verändern mag, eine Konstante bleibt: Glühwürmchen! Als die liebenswerten grünen Pünktchen mich erneut umschwirrten, beschloss ich, sie diesmal mit der Kamera festzuhalten. Auch wenn mir das Unterfangen ziemlich aussichtslos erschien, denn sobald man ihnen zu nahe kommt, knipsen sie das Licht in ihrem Hintern aus. Und dann sind sie im nächtlichen Wald ungefähr so gut zu erkennen wie ein Weißweintropfen in einer vollen Badewanne.
Mit etwas Abstand fotografiert zischten sie mir durchs Bild und produzierten kleine Striche, die auf Fotos wirken wie Neon-Raupen aus den 80ern oder sehr, sehr kleine Sternschnuppen. Faszinierend, aber so sehen die Tierchen mit bloßem Auge nicht aus.

Die einzige Lösung, um einigermaßen darzustellen, wie ich sie gesehen habe: Ein Video drehen und davon einen Screenshot machen.

Droben blinken grüne Punkte
in des Waldes dunklem Grund.
Radler, schauet in die Nähe!
Glühwürmchen, so weit ich sehe!
Herz ist heiter und gesund.

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