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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

01 Juni 2024

Saale: Von Münchberg nach Saaldorf

Saalegeprahle I: Die Saalegrenze


An der Saale kleinem Strande
leben Bayern laut und froh.
Fleisch tut ihnen gut gefallen,
dazu trinken, lachen, lallen.
Man versteht sie gerade so.


Das ist Münchberg. Die Stadt ist, wie der Name schon sagt, bayrisch und bergig. Und hat einen rosa Bahnhof. Viel mehr kann ich zu ihr auch nicht sagen, denn dazu hätte ich einen extra Berg in die Innenstadt bezwingen müssen. Und das wollte ich nicht.
Auf mich warteten mehr als genug Berge. Ich starte ich mit einer neuen Herausforderung - dem zweitschwierigsten Nebenfluss der Elbe.

Ein Nebenbach, die Pulschnitz, entspringt bereits im Keller eines Hauses in Münchberg. Aber bis zur richtigen Quelle sollen es noch 12,5 Kilometer sein. Für mich ein bisschen weniger, weil ich statt der vorgeschlagenen verwinkelten Route lieber den großen Straßen gefolgt bin, was als Strecke auch ganz in Ordnung war. Am Horizont ragte eine grüne Wand in die Höhe, die noch eine Nummer höher ist als die Hügel unter meinen Rädern: Das Fichtelgebirge.

Die Durstigen. An sie erinnere ich mich als erstes. Matte Seelen, die durch den Wald taumeln und nach Flüssigkeit lechzen, obwohl sie überall welche ausdünsten (vor allem unter den Armen). Das ergibt keinen Sinn, doch ich muss sie nicht verstehen, ich muss ihnen helfen. Das ist meine erste Prüfung. Mindestens alle tausend Jahre muss ich einem von ihnen das Leben retten, nur dann darf ich existieren. Tausend Jahre sind für die Durstigen ein unüberwindlicher Abstand, weil sie Zeit anders wahrnehmen. Für mich sind all die Jahre und alle Seelen, die an meinem Anfang vorbeigewandert sind, nebeneinander aufgereiht, und ich muss nur die richtigen auswählen und retten.

-800 Ein Schmied, dem das Wasser ausging, einer der ersten, der sich in der Eisenzeit vom Donautal hinauf in die Gebirge Bayerns wagten.
2 Eine Bäuerin, die ein entflohenes Tier sucht und nicht genug Vorräte mitgenommen hat.
867 Ein junger Jäger mit sehr schlechtem Orientierungssinn, der den Rückweg im Gestrüpp zwischen den Felsklüften nicht wiedergefunden hat. Er war besonders dankbar und wollte mir irgendetwas im Gegenzug geben. Als ob es nicht genug wäre, tausend Jahre weiterexistieren zu dürfen! Er bestand trotzdem darauf, allen von der Flussnymphe Salaha zu erzählen, die ihn gerettet hatte.
1794 Ein Oberbergmeister namens Alexander von Humboldt. Er überprüfte das Bergwerk, das die Menschen inzwischen um mich herum gebaut hatten, wodurch sie auch meine Quelle verschoben hatten. Als ich mit ihm sprach, erfuhr ich, dass die Mundpropaganda des Jägers nicht richtig funktioniert hatte. Mein Name war zwar damals urkundlich aufgeschrieben worden. Aber nun behaupteten alle, Saale oder Saalaha bedeute "salziges Wasser". So ein Unsinn! Kann Salzwasser etwa Menschenleben retten? Es bedeutet "weidenbestandener Fluss"! Auch in dem Bergwerk wird kein Salz abgebaut, sondern nur Gelbkreide, mit der die Menschen Dinge ocker anmalen wollen.

2072 Eine Radfahrerin, verletzt in einem Unwetter von einem fallenden Baum. Von denen gab es für einige Jahrzehnte recht viele, bis die Stürme zu stark wurden. Vom Bergwerk sind längst alle Spuren verschwunden, mein neues steinernes (Ge)Wand und meine Rinne sind schon wieder recht verwittert. Ich kann weniger und unregelmäßiger Wasser herauspressen in diesen Jahren, doch es reicht, um ihre Seele zu bewahren.
3070 Ein verärgerter wissenschaftlicher Berater einer Erdenpolitikerin, der seinen Job gekündigt hat, als sich diese für den Austritt aus der Föderation der Planeten aussprach. Vor lauter Ärger vergaß er seinen Mikroreplikator und Taschentransporter während seiner Bergwanderung.
Danach kann ich nichts mehr ausrichten. Die Menschen haben sich in etwas Neues verwandelt und alle Probleme mit der Flüssigkeitszufuhr hinter sich gelassen.
Ich habe meine Prüfung bestanden, ich darf leben. Also stürze ich mich die steinerne Mauer hinunter und tauche ein in den vor Leben pulsierenden Wald.

Ja, so ähnlich muss die Stelle aussehen aus Sicht des Flusses. Zumindest der (ganz, ganz geringfügig bearbeiteten) Sage zufolge. Es ist eine herrliche Quellenstelle, wunderbar ausgebaut mitsamt Rasthütte und angenehm schattig, und es sprudelt sehr kräftig in die steinerne Rinne. Auch der Waldweg dorthin ist völlig in Ordnung. Das hatte ich mir alles viel schlimmer vorgestellt. Bin ich wirklich 707 Meter hoch, nur 70 Meter vom Gipfel des Großen Waldsteins entfernt?

Der Fluss wird in Bayern manchmal Sächsische Saale genannt, um ihn von der Fränkischen Saale zu unterscheiden. Das ergibt aber null Sinn, weil beide durch Franken fließen, aber keine von beiden durch Sachsen. (Jaja, historische Gründe, Sachsen war mal größer, ich weiß.)

Dieser Wald war begehrt. Brennstoff war schon Jahrhunderte vor Öl und Wärmepumpe ein Streitpunkt, Adlige und die Stadt Münchberg zofften sich um das kostbare Brennholz und handelten immer wieder komplexe Kompromisse aus. Bis heute garantiert der Bürgerrezeß von 1699 den Münchbergern eine bestimmte Menge Holz, aber nur, wenn genug da ist.


Ich rede immer von Münchberg, dabei ist die erste Stadt an der Saale doch Zell im Fichtelgebirge. Ein idyllisches Örtchen, insbesondere auf dem Rückweg, wenn es bergab geht. Die Saale fließt weitgehend verborgen zwischen den steinernen Häusern und Blumen vorbei. 

Auch zum Radweg hält sie großen Abstand. Hier kann man sie immerhin an der Baumreihe gut erkennen, mitunter waren auch ganze Hügel dazwischen.
Aber abgesehen von Bergen (und vor denen wurde ich ja reichlich gewarnt) ist der Weg zwar nicht lückenlos, aber schon echt gut ausgebaut. Immer wieder prangt unmissverständlich das Logo auf dem Asphalt, für alle, die die Wegweiser übersehen haben sollten.

Ach, ihr Menschen nutzt doch selbst bei diesem Wetter jede Möglichkeit, um euch vor den sengenden Strahlen zu verstecken. Wollt ihr mir da vorhalten, dass ich es genauso mache (nur eben erfolgreicher)?
Der beste Sonnenschutz sind, wie ihr seht, Weiden, auf Lateinisch Salix. Glaubt ihr mir nun, woher mein Name stammt?

Ich spüre gelangweilte Seelen in Käfigen. Ihre Körper werden in kleinen Buden in platter oder länglicher Form gebrutzelt. Nun, alles Leben muss enden, das weiß ich, doch vorher sollte es wirklich leben.

In Schwarzenbach strömt die Saale gleich hinter den schlingpflanzenbewachsenen Mauern dahin.
Gestaut wird sie bisher noch nicht, nur ihre Nebenflüsse. (Einer davon zum Untreusee. Keine Ahnung, was dieser Fluss angestellt hat.)

Aber sie haben mich trotzdem ganz schön verändert: Ich sollte die Färbereien, Gerbereien, Mühlen und natürlich das Mulzhaus (damit ihr Bier habt) versorgen, die Fische sollen aber bitte auch noch irgendwie über eine Treppe urchkommen, und ach ja, große Überschwemmungen wie 1916 soll es bitte nicht geben, dazu müssen noch Granitplatten hin. Es tut mir ja leid, dass ich in diesem Moment die Kontrolle verloren habe, aber war einfach zu viel Stress und Regen.

Die obere Saale ist eigentlich kein so wilder Fluss, aber hier rauscht doch die eine oder andere Stromschnelle.

In Oberkotzau kotzte der Himmel. Mit anderen Worten, es regnete in Strömen. Die versprochene Sommersonne ließ sich noch etwas Zeit.
Die Bayern lieben ihre Schweine so sehr, dass sie ihren Statuen aufgestellt haben. Wahlweise in Originalform (in Oberkotzau) oder als Würstchenverkäufer, pardon, Wärschtlamo (in Hof). Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat Oberfranken die meisten Brauereien, Metzgereien und Bäckereien auf diesem Planeten. (Kein Scherz.)
Aber auch das katholische Bayern ist präsent: Kleine Skulpturen in Form aufgeschlagener Metallbücher verkünden am Saaleufer Bibelverse.

Hier habe ich einen Abstecher zu einem besonderen Park unternommen. Der Summa-Park ist eine Grünanlage mit Spielplätzen und Fitnessgeräten am Nebenfluss Schwesnitz, gestiftet ursprünglich vom Baumwollfabrikanten Lorenz Summa. Ein Teil davon ist der Fernwehpark. Das ist eine Sammlung von Ortschildern aus aller Welt. Von einem Amphitheater gehen sternförmig die über und über mit Schildern benagelten Holzpfosten ab.
Rovaniemi (Finnland), Mödlareuth, Lübeck... ich sah zwar keine Ortsnamen von der Saale, dafür habe ich viele schon im Zusammenhang mit dem Eisernen Vorhang gehört. Der ist schließlich auch nicht weit, und sein Untergang hat den Fernwehpark inspiriert. Ursprünglich stand sie in Hof, wo der Radweg an der Innerdeutschen Grenze endet, musste dann aber nach Oberkotzau verlegt werden, wo mehr Platz ist. Auch sonst ist das hier durchaus ein Grenzgebiet: Tschechien ist nicht weit, und die Wasserscheiden zur Eger und zum Main ebensowenig.

Ganz hinten stehen die Signs of Fame, signierte Schilder von Promis. Wie Schilder sehen sie nicht aus, eher wie Werbeplakate von Konzerten. Und der Text ist immer derselbe:
Andrea Berg grüßt die Besucher des Hofer Fernwehparks Signs of Fame. For a peaceful world.
Helene Fischer grüßt die Besucher des...
Waren die verpflichtet, immer denselben Standardtext zu nehmen? Oder wie zum Geier sind die mit so wenig Kreativität berühmt geworden?

Abwechslungsreicher ist da die Sammlung kurioser Ortsnamen. Wo wäre die auch besser aufgehoben als in Oberkotzau? Neben allerlei Vulgaritäten darf natürlich der längste Orts(teil)name Deutschlands nicht fehlen (Schmedeswurtherwesterdeich bei Brunsbüttel), und der längste Ortsname Europas, dieses walisische Llanfairdingsda, das ich jetzt nicht abtippen werde. (Ein Schumacher hat sich den Namen ausgedacht, um Aufmerksamkeit für den Wirtschaftsstandort zu erregen und endlich einen Bahnanschluss zu bekommen.)

Nanu, Region Entenhausen? Ja, das obere Saaletal hat eine besondere Beziehung zu den amerikanischen sprechenden Enten. Erika Fuchs, die Übersetzerin der Donald-Duck-Comics, hat in Schwarzenbach gelebt, dort ist ihr ein eigenes Comic-Museum gewidmet. Dabei hat sie für die deutsche Version Oberkotzau, Schnarchenreuth und andere lustige Ortsnamen eingesetzt. Entenhausen ist in Oberfranken!, behauptet also der Fernwehpark. Tatsächlich kommt in den Comics eine Karte vor, die Entenhausen inmitten von Kleinschloppen, Kirchenlamitz und so weiter zeigt. Das Ganze aber auf einem Kontinent, der eher nordamerikanisch aussieht...

Nun konnte ich immer öfter direkt am Wasser fahren, und die ersten Felswände versüßten mir die Strecke in die erste große Saalestadt noch mehr. Zwei Felsen heißen Frosch und Maus, sind aber nicht wirklich als solche zu erkennen.

Die Stadtmauer sieht beinahe wie die nächste Felswand aus, und Pflanzen ergießen sich darüber wie dunkelgrüne Wasserfälle.

Auf den ersten Blick ist Hof vor allem sehr, sehr beige. Aber je weiter ich in Richtung Rathaus vordrang, desto öfter tauchten auch andere Farben auf.

Ein Themenweg folgt dem Dichter Jean Paul, der in Hof und im Dorf Joditz (zu erkennen am achteckigen gelben Zwiebelturm) lebte.
Jean war zu seiner Zeit der populärste Dichter Deutschlands - noch vor Goethe, der erst später auf den ersten Platz aufstieg. Kein Wunder, Paul ließ sich schließlich inspirieren von diesen neuen Hightech-SciFi-Fluggeräten, die in Frankreich gerade entwickelt wurden (Ballons), und so was bringt natürlich mehr Klicks als schon hundertmal durchgekauter Stoff wie ein Pakt mit dem Teufel oder Selbstmord weil Liebe.

Genau wie Goethe hatte er viele Frauengeschichten und ließ ständig Verlobungen platzen. Die Damen warnen trotzdem fast nie sauer, eine besorgte ihm danach sogar eine Wohnung. Befreundet war er auch mit Helene Köhler, der Tochter des Bürgermeisters und Gewürzhändlers. Er lagerte seine Waren auf den Ostindischen Gewürzinseln. So umschrieb sie jedenfalls der Dichter, eigentlich waren das bloß künstliche Saaleinseln aus Schutt, die beim Bau des Mühlgrabens entstanden waren.

Ostindisch? Stinken die Wässer in Indien etwa auch so wie ich in diesen Jahren, in denen alle ihre Körperwässer in mich reinkippten?
Naja, mein Bewusstsein kann diese eklige Epoche zum Glück einfach verlassen, wenn ich es möchte. 
"Die Saale gleich mir im Fichtelgebirge entsprungen", hat Jean geschrieben - so weit, so offensichtlich. Der Dichter Wolfgang Stefan hat mich besser verstanden: "Für das Wasser, wie für die Sonne, gibt es keine Zeit."

Die Strecke zwischen Hof und Joditz ist er als Kind oft zu Fuß gegangen, und angeblich stehen hier Tafeln mit amüsanten Geschichten aus seinem Leben.
"Hier liegt Jean Pauls Bruder vergraben, der 1789 in der Saale ertrank, weil er entweder ermordet wurde oder Selbstmord beging, deshalb durfte er nicht richtig bestattet werden."
Äh, ja. Sehr amüsant.

Die Wege werden hinter Hof (Hinterhof, höhö) etwas wilder. Eine dicke Autobahnbrücke überspannt die sprudelnde Saale.

So. Aber nun beginnt das große Problem des Saaleradwegs. Kaum ein Radweg hat mir so widersprüchliche Signale gesendet. Nach den allerschönsten Routen kommen immer wieder lange, steile und stark befahrene Hauptstraßen. Und solange es die gibt, bleibt es eine echte Abenteuertour. Wenn auch nicht ganz so schlimm, wie ich sie mir vorgestellt hatte.


An der Saale dunklem Strande
standen Grenzer mit Gewehr.
Ihre Türme sind gefallen.
Nimmer ihre Schüsse hallen
und vorbei die DDR.

So erreichte ich den 12,5 Kilometer langen Abschnitt, auf dem die Saale wirklich eine Grenze ist, vor 35 Jahren sogar noch viel mehr als heute. Die Grenze traf die Saale in einer uneinsehbaren, verlassenen Flussschleife, während ich noch weiter oben über die Hauptstraße keuchte. Erst in Hirschberg stieß ich auf die Saalegrenze.
Hier produzierte die größte Lederfabrik Europas Schuhsohlen. Die Fabrik finanzierte nebenbei den Bau von Bahngleisen, Schulen, Wohnhäusern, einem Freibad und der Saalebrücke. Letztere wurde in aller Bescheidenheit Heinrich-Knoch-Brücke genannt. Heinrich Knoch war rein zufällig der Typ, der die industrielle Produktion in der Lederfabrik eingeführt hatte.
Die Nazis sprengten die Brücke und nahmen damit ihren angeblichen Erzfeinden, den Kommunisten, die Arbeit ab. Als die Fabrik im Sozialismus verstaatlicht wurde, kamen ab sofort auch komplette Schuhe und andere Kleidungsstücke aus Hirschberg. Im November 1989 wurde die Brücke in nur fünf Tagen wieder aufgebaut und Brücke der Freiheit genannt. Heinrich-Knoch-Brücke hätte auch nicht mehr so gut gepasst, denn die meisten Fabrikgebäude wurden in den nächsten Jahren abgerissen.

Vor dem Schloss erinnert ein ungewöhnlich groß geratenes Mahnmal an die Toten der Weltkriege.

Ich blieb vorerst auf der bayrischen Seite. Sie bleibt bergig, aber immerhin geht es auf einem richtigen Radweg weiter. Kleine Bäumchen machen ihn zu einer Allee, gefällt mir.

Ich kenne die Strecke ja schon von der Iron Curtain Tour letztes Jahr. Damals verlangte mein Magen dringend nach einem Frühstück, ohne dass ein Bäcker in Sicht war. Da fiel mir etwas auf: In der Karte ist das Brückenrasthaus Frankenwald eingezeichnet, direkt an der Autobahn. Erinnerungen blitzten auf: Eine Raststätte, welche die Autobahn als Brücke überspannt, die man also von beiden Seiten betreten kann. Bei irgendeiner Autofahrt muss ich dort schon einmal gegessen haben.
Das wär doch mal was, auf einer Radtour auf einer Autobahnraststätte essen. Aber kommt man da von außen rein? Autobahnen sind doch mit Zäunen abgeriegelt, um Rehe vom Suizid abzuhalten.
Doch der Zaun hat eine geheime Lücke. Kein Verbotsschild, also nichts wie rein! Diese Viehsperre hält vielleicht Wildtiere fern, aber keine hungrigen Radler.

Das Rührei hatte zwar, naja, Raststättenqualität, aber allein schon die hochgezogenen Augenbrauen über schlaftrunkenen Augen, als ich mit dem Rad auf dem Parkplatz einfuhr, waren den Abstecher wert.

Genau wie bei der Fränkische Saale steigt morgens ein Nebelband aus dem Wasser auf, als würde ein zweiter, dunstiger Fluss dem Licht der aufgehenden Sonne entgegenfließen. Die beiden Saalen (Ist das der richtige Plural?) haben doch einiges gemeinsam.
Die Iron-Curtain-Strecke am Südufer geht auf einer steilen Hauptstraße weiter. Tja, mit solchen schwierigen Wegen fügt sich die Saale zumindest gut in den Iron Curtain Trail ein.

Und die Steigung macht das neblige Panorama noch besser! Auf dem Weg liegt eine alte Abraumhalde für Schiefer. Im Thüringer Schiefergebirge ist Schiefer das Baumaterial, seit 200 Jahren auch im großen Stil: Er schützt das Holz der Häuser im kühlen, feuchten Klima vor der Fäulnis, und er vor Ort in großen Mengen vorhanden. Was gibt es besseres?
Aber nur 5 Prozent des Schiefers war geeignet, um damit Dächer zu decken, der Rest wurde in solchen Haufen abgeladen. Anders als bei Abraumhalden von Kalibergwerken sind die Schieferhalden sogar gut für die Natur, viele Arten fühlen sich darin wohl.

Auf meiner Saaletour wollte ich etwas anderes probieren und bin auf halber Strecke der Grenzsaale ans Thüringer Nordufer gewechselt. Google Maps hat hier allerhand versteckte Highlights eingezeichnet, Höhlen, Klippen und so was.
Ich konnte sie nicht alle besuchen, aber zumindest diese grüne (und nicht ganz so versteckte) Aussichtsplattform in Pottiga lag ganz nah am Radweg und 31 Stufen ragten einladend ins Panorama hinein. Sie steht auf dem Wachhügel. Gewacht haben hier die Bauern (die damals für das Kloster in Saalfeld ackerten), ob Räuberbanden aus Franken rüberkommen. Und weil der Blick dabei so schön war, wurde der Wachhügel ein beliebter Treffpunkt. Kein Wunder, dass die Dorfbewohner nach der Wende so etwas hingebaut haben - sie waren schon lange mehr als Bauern, verdienten Geld mit dem Hammerwerk oder der Wallfahrtskapelle. Und auch heute pendeln nicht alle, manche verkaufen in Pottiga Versicherungen oder entwickeln Software. Die Tafel zur Dorfgeschichte wirkt wie ein aufgepeppter Lebenslauf zum Angeben.

Puh, hier musste ich mich durch Vulkangestein fressen, deswegen ist es so eng. Danach kommt wieder Ton, der lässt sich viel leichter auflösen, also wird das Tal ein bisschen breiter.

Der Fluss macht so große Schleifen, dass ich auf der Plattform weder Hirschberg noch Blankenstein erblicken konnte, weder den Anfang noch das Ende des eigentlich ziemlich kurzen Grenzabschnitts. Auch wenn auf dem Geländer die Richtung und Entfernung zu diesen Orten markiert waren. Dennoch ist der Postkartenblick unbedingt eine Pause wert.
Einige Besucher fanden, man müsse hier nicht nur die Ortschaften aufschreiben, sondern auch ausgewählte Einwohner. Aus diesem Grund stand zwischen den Ortsnamen gekritzelt, in welche Richtung man Dietmar und Deine Mutter sehen kann. Alles Lüge: Meine Mutter war dort unten nirgendwo zu sehen.

Auf der Fahrt aus Pottiga raus muss ich einen Wegweiser übersehen haben. Gott sei Dank habe ich den übersehen! Denn als mich ein Mann vor seinem Haus fragte, wohin ich wolle, schickte er mich auf den nächsten Waldweg. Das war definitiv nicht das, was die Karte sagte, aber er versicherte mir, so käme ich direkt nach Blankenberg. Tja, die Karte verspricht eh nur steile Straßen (wenn auch nicht ganz so große wie am Südufer), also warum nicht probieren? Ich rauschte den Berg hinunter und kam auf einem grasigen Gleisgebiet zwischen einer Felswand und einer alten Papierfabrik heraus.
Hier steht seit 1730 eine Papiermühle (eine Mühle sogar noch 500 Jahre länger). Alle wollten ihr hochwertiges Papier, die Eigentümer kauften sich neue Fabrikstandorte und moderne Maschinen aus London.

Diese Fabrik hier überstand die Wende eher schlecht. Dubiose Geschäftsleute kauften ihn, versprachen ein Museum, altes Handwerk und Tourismus wiederbeleben. Die Gemeinde wurde etwas skeptisch, als die Wiederbelebungsstrategie folgendermaßen aussah: Die wertvollen Teile wegschaffen und dafür eigenes Gerümpel abstellen. Sie mussten zwangsvollstrecken, um das Schlimmste zu verhindern.

Aber nebenan in Blankenburg rollt weiterhin frisches Papier vom Fließband!

Schmalspurbahnen verbanden die unterschiedlichen Standorte. An der geschlossenen Papierfabrik startet ein Betonplattenweg - der einzige an der Innerdeutschen Grenze, bei dem auch noch Gleise mit drin sind. Trotzdem lässt er sich richtig gut fahren, und er verläuft auch noch flach direkt zwischen dem Fluss und hohen Felswänden! Wieso bitte führen Saaleradweg und Iron Curtain Trail nicht hier lang, das ist doch viel schöner? Bin ich etwa der erste, der diese Strecke entdeckt hat?

Auch im Bergbau war Pottiga aktiv - diese Lore zog (bereits elektrisch) Erz aus einem Versuchsstollen.

Glücklich rollte ich bis in die Doppelstadt Blankenberg, und wechselte auf der Brücke direkt rüber auf die bayrische Hälfte, die Blankenstein heißt. Blankenstein besteht aus besagter Papierfabrik, steilen Straßen, einem Bahnhof und dem Selbitzplatz. Dieser Park am Nebenfluss Selbitz ist ein großes Wanderdrehkreuz, in dem der Rennsteig und andere Fernwanderwege starten. Die Blankensteiner haben sich viel Mühe gegeben, ihn entsprechend thematisch zu gestalten, zum Beispiel mit einem Spielplatz in Form eines Wanderschuhs.
Gerade fand in einem weißen Zelt irgendeine Veranstaltung statt, doch bisher mit spärlichem Publikum. Der Gitarrensänger mühte sich trotzdem tapfer, mit seinen Schlagern so etwas wie Stimmung zu erzeugen.

Die Grenze folgt jetzt noch ein Stückchen der Selbitz, ehe sie in den Bergen verschwindet. Ich habe einen Ausflug unternommen und bin dem Fluss noch ein bisschen weiter gefolgt, dorthin, wo er richtig spektakulär werden soll. Das Höllental erwartet mich.
Bei dem Namen hatte ich mir so etwas vorgestellt wie die Harzer Bodeschlucht, doch es kam anders. Die Felswände nahmen zwar immer mehr zu, dunkel und schartig und herrlich anzusehen, aber so ein richtig reißender Canyon wurde daraus nicht.
Das ist Diabas, also Vulkangestein, oder genauer gesagt, richtig altes Vulkangestein aus dem Erdaltertum (sonst hieße es Basalt).

Das Zeug wird gern bei Beton untergemischt. Und so finden sich sogar in diesem völlig versteckten Tal ebenso vergessene Züge, Ruinen und Wasserkraftwerke.

Das Wasser der Selbitz verbarg sich lieber inmitten der Pflanzen und umspülte sie mit einem Rauschen, das eher verträumt als dramatisch klang. Sonst war es still. Richtig still.
Und dann tauchte mitten im Nirgendwo eine alte Eisenbahnbrücke über mir auf, ein wirklich sehr lostes Lost Place.

Auch die Saale hat solch eine Brücke, aber da fahren noch richtige Züge drüber. Die mich nun allerdings verlassen - hier beginnt ein langer Abschnitt ohne Eisenbahn und mit nur wenigen Bussen, und wenn, dann oft solche Minidinger, in die kein Fahrrad passt. Da muss ich jetzt heil durchkommen.

Endlich konnte ich die Straße verlassen und einen Uferweg nehmen, auch wenn der längst nicht immer so flach war wie auf diesem Bild.
Die Saale wurde plötzlich immer breiter und verwandelte sich in

Stausee Nr. 1: Bleilochtalsperre


Die Stauseen der Saale sind dermaßen groß, dass sie auch viele Nebenbäche zu dicken Nebenarmen anstauen. Die musste ich meistens auf einem extra Umweg umrunden, bis sie irgendwann mal schmal genug für eine Brücke waren.
Dann konnte ich endlich auf der großen Brücke über den Haupt-Stausee rüber nach Saaldorf. Das heißt, nachdem die Bauampel auf Grün geschaltet hatte. Offenbar sind die Saalburger unzufrieden mit ihrer Brücke und bauen gleich daneben eine neue.

Puh. Schon dieses erste Stückchen der Saale-Stauseen war nicht ohne. Aber trotzdem: Mein Ziel ist es, hier morgen wieder rauszukommen.

Abends im Wald erschien auf einmal ein kleiner grüner Punkt. Na so was, ich hatte schon seit Jahren kein Glühwürmchen mehr gesehen! Dann kam der nächste, und bald kreuzten mindestens fünf von ihnen über meinem Schlafsack hin und her.

Die Saalegrenze

Länge: 12,5 km
Grenzquerungen: 2
Bundesländer: Bayern/Thüringen
Seite: fast nur West (Iron Curtain Trail) oder etwa gleich viel (Saaleradweg)
Erkenntnis: Erfolg und Misserfolg liegen nur wenige Kilometer auseinander.

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