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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

04 Juni 2024

Saale: Von Weißenfels nach Calbe

"Ibiza und Malle kennen alle. Aber wer kennt das Land zwischen Magdeburg und Halle?"
-Rainald Grebe-


Saalegeprahle IV: Die gegensätzliche Saale

An der Saale hellem Strande
stehen Zwillingsstädte stolz.
Ihre Türme auferstanden
aus dereinst zerstörten Landen.
Auf den Inseln wächst das Holz.

Ein bisschen hügelig ist er immer noch, der Weg durch die Saalewäldchen.

Auf einem dürren Berg steht Bad Dürrenberg - noch eine Kurstadt mit so einem gigantomanischen Gradierwerk mit Pool, und aus irgendeinem Grund steht obendrauf sogar eine Windmühle. Es ist das längste zusammenhängende Gradierwerk in Europa, und auch sonst ist das eine Kurstadt der Superlative.
Auf einem Brett lag ich einen Halm, an dem das Salzwasser seit Urzeiten heruntergeronnen sein muss, bis er irgendwann runterfiel. Er war längst vollkommen verkrustet und umschlossen von einem harten Stück Kalkstein. Ich brach ihn auf, um zu sehen, ob da noch der ursprüngliche Schwarzdorn-Halm drin ist. War er, aber nur noch als schmierig-schwarzer, annähernd runder Rückstand. 

Diese Buchstaben geben einen ganz dezenten Hinweis, welcher Dichter hier möglicherweise auf Kur war. Einer der Buchstaben ist zugleich ein Bücherregal.

Das ist der Rössener Hügel. Da drin wurden irgendwann zwischen Steinzeit und Mittelalter sechs Menschen begraben.
Jahrhunderte später kam der Architekt Karl Barth und baute rundherum die Gartenstadt Leuna. Die Arbeiter sollten möglichst grün wohnen, und in unregelmäßigen, nicht zu geraden Straßen, damit keine Monotonie aufkommt. Ach, wie schön! So schöpften die Arbeiter Kraft, um... im größten abgeschlossenen Chemiepark Deutschlands Sprengstoff für den Ersten Weltkrieg zu bauen und die Natur im ganzen Umkreis zu ruinieren. Menschen sind schon seltsam.

So wie Rössen eigentlich schon zu Leuna gehört, gehört Leuna eigentlich schon zu Merseburg. Eine gegensätzliche Stadt: Einerseits die ganze Chemieindustrie und andererseits das alte Schloss und der Dom oben auf dem Hügel. (Nicht ganz so prächtig ist die kleine Staupensäule hinten links im Bild, an der Straftäter für Kleinigkeiten ausgepeitscht wurden.)
Der Saaleradweg beschränkt sich aber auf den historischen Teil, zuerst hoch zum Marktplatz...

...dann wieder runter und unter der Mauer mit erhabenem Ausblick am Domberg lang.
Im Keller des Doms wurde ein ganz besonderes Buch entdeckt. Es ist das einzige geschriebene Überbleibsel einer ausgestorbenen Religion (germanisches Heidentum) in der Sprache, die ihre Anhänger sprachen (Althochdeutsch). Die Merseburger Zaubersprüche sind eine Sammlung von Reimen, mit denen man unsagbar unheimliche heidnische Dinge veranstalten kann, zum Beispiel kranke Pferde heilen. (Tierärzte hassen diesen Trick!)

Ich musste mich einmal neben der Eisenbahn vorbeizwängen, es folgte ein ziemlich verschnörkelter Abschnitt um die Flussschleifen in der Nähe der Elster-Mündung, mit kleinen Teichen und Deichen.

Dann folgte ich dem straßenbegleitenden Radweg in die größte Saalestadt rein. So wie Leuna eigentlich schon zu Merseburg gehört, gehört Merseburg eigentlich schon zu Halle. Die Stadt schickte mich direkt auf einen ewig langen Baustellenumweg durch 12 verschiedene Wohnorte aus immergleichen weißen Wohnblocks, grauen S-Bahn-Gleisen und grünen Parks. Die gelben Pfeile leiteten mich immer weiter vom Fluss weg, und ich zweifelte schon, ob ich die Saale heute noch wiedersehen würde.
Irgendwann konnte ich dann doch zurück und direkt rauf aufs Wasser - hier hat der Fluss Inseln. Halle hat seine Parks größtenteils auf diese Inseln outgesourct.

So viele Naherholungsinseln benötigen viele Brücken. Direkt im Zentrum ist die Saale vor lauter Brücken kaum noch zu erkennen. Auf einer Brücke zog sich eine praktisch endlose Baustelle dahin. Auf dem engen Gang zwischen den Bauzäunen drängten sich die Fußgänger, und weil meine Brückenausfahrt gesperrt war, musste ich bei Baulärm in praller Hitze ewig in die falsche Richtung schieben.

Die Zwillingsstädte Halle-Leipzig bilden einen Ballungsraum, und Halle ist die moderne der beiden Städte, die dem Land Rübenzucker, Pietismus, Maschinenbau und Sozialdemokratie beschert hat.

Der Bahnhof hat ein Fahrradparkhaus, in dem man das Rad hinter einer Art Aufzugtür platziert, und der Roboterarm schiebt es automatisch hoch in eine Art Regalfach. Wenn solche Dinger als Kurzvideos in sozialen Medien kursieren, dann meistens aus Japan, Singapur oder zumindest den Niederlanden. Es wäre ja längst nicht so beeindruckend, wenn man wüsste, dass so ein Teil auch in Sachsen-Anhalt steht.

Aber Halle hat auch historische Gebäude, sonst hieße es wohl kaum die Stadt der fünf Türme. Mal sehen, der weiße Dominikaner-Dom hat drei Schiffe und null Türme. Die Marktkirche hat drei Schiffe und vier Hausmannstürme. (Ihr Motto: In allen vier Ecken soll Aussicht drin stecken.)

Fehlt noch einer. Wo ist der fünfte? Vor der Marktkirche (und damit vermutlich auf besagtem Markt). Der Rote Turm ist nicht rot und ein ziemlicher Außenseiter. Er war mal der Glockenturm der Kirche, wurde dann aber aus Versehen ein Symbol des selbstbewussten Bürgertums.

Von innen sieht die Marktkirche aus, als bestünde sie aus sehr, sehr kompliziert gefaltetem Origami.

Der Name Halle (Saale) wird natürlich oft mit Salz in Verbindung gebracht, und zwar gleich doppelt, denn sowohl Halle als auch Saale könnten von Worten für Salz abstammen. Dieses Salz wurde auf den Inseln wortwörtlich aus dem Boden gepumpt, und zwar in hübsch restaurierten Fachwerkhäuschen mit großen Schornsteinen. (Haben Sie je ein Fachwerkhaus mit so einem langen Schornstein gesehen?) Das Salinenmuseum da drin war geschlossen, wie überhaupt jedes Museum auf der heutigen Strecke wegen Ruhetag oder Umbau.
Dann mache heute eben weniger Sightseeing und rase etwas oberflächlicher durch. Aber erstmal runterkühlen im Freibad hinter der Saline. Es hatte kein Salzwasser, dafür fand gerade irgendein Kinderfest statt. Die Hitze trieb mich ins Wasser, die Geräuschkulisse trieb mich wieder raus.

Auf der nächsten Insel zieht eine Schmalspurbahn einen engen Gleiskreis. Mit ihr kann man lächerliche Entfernungen überwinden, auf denen man zu Fuß wahrscheinlich schneller wäre. Solche Bahnen gehören nicht nur in Freizeitparks zum guten Ton, sondern auch in den Parks von Sachsen-Anhalt - Bernburg nachher hat zum Beispiel auch so eine.

Nachdem ich das Haller Inselhopping abgeschlossen hatte, verabschiedete sich Halle dann aber noch mit einem echt spektakulären Anblick - links braune Klippen, rechts Burg Giebichenstein. Die Erzbischöfe haben solche Burgen in der Stadt platziert, um die selbstbewussten Bürger zu unterwerfen. Mit mäßigem Erfolg, schließlich strömten die Studenten trotzdem in die Stadt, um Aufklärung und Pietismus zu studieren.

An der Saale langem Strande
liegen Örtchen still und leis.
Ihre Wände sind verfallen,
unbedeutend ihre Hallen,
doch die Hügel noch sehr nice!

Was kommt hinter Halle? Ich hatte keine Ahnung, mit diesem Teil des Flusses hatte ich mich kaum beschäftigt. Ich hatte so wenig Ahnung, dass ich direkt falsch abbog - wodurch ich aber wahrscheinlich sogar Strecke sparte.
Ich hatte so wenig Ahnung, dass ich versehentlich in Polen landete - wo sonst sollte ein Dorf Neuragoczy heißen? Ich hatte so wenig Ahnung, dass ich auf der Fähre von Neuragoczy stumpf wartete, dass der Fährmann wie auf den meisten Fähren zum Kassieren vorbeikam. Bis ich irgendwann sah, dass alle in sein Häuschen liefen - der Mann war so schlau, keinen einzigen Schritt aus seiner angenehm schattigen Hütte zu tun.
Auf der Saale treiben extrem viele gelbe Bojen. Ich habe einen ganz neuen Verdacht, wo die verschwundenen Grenzbojen aus dem estnischen Narva hingelangt sein könnten, von denen neulich in der Zeitung zu lesen war.

Im slawischen Dörfchen Döblitz setzte ich mich mit einer Mahlzeit an den Dorfteich, als ein Döblitzer zum Smalltalk vorbeikam. Er empfahl mir einen Besuch in der Dorfkirche, in der er ohnehin noch etwas im Garten erledigen müsse. Als ich dann aufgegessen hatte und vor der Kirche stand, hatte er schon erledigt, was immer er zu tun hatte, und war weg.
Ich weiß selbst nicht, wie ich das hinbekommen habe, aber ich habe drei Anläufe gebraucht, um in dem kleinen Dörfchen das noch kleinere Kirchlein in einer versteckten Seitenstraße zu finden. Die Kirche war schon immer der Mittelpunkt des Dorfes, behauptet eine Infotafel - das kann nur im übertragenen Sinne gemeint sein.

Auch im Inneren ist alles, Bänke, Empore und Kanzel, sehr klein und kompakt zusammengeschoben. Fast schon ein Tiny House unter den Kirchen.
Sie besteht aus braunen Porphyrsteinen, von denen waren aber anfangs nicht mal genug da, um die Kirche mit einem Turm auszustatten. Was ich noch nicht wusste: Dieses Gestein würde mich bald sehr viel mehr beeindrucken.

Züge fahren auf diesen Gleisen nicht mehr. Eindeutig: Hier im Norden ist der Ballungsraum Halle-Leipzig ziemlich schnell und abrupt vorbei. Die Besiedelung ist dünner als ein Topmodel.

Die wenigen Städtchen haben nichts vom Leben und der Kultur des klassischen Saaletals. Das hier zum Beispiel ist die Mühlen- und Schifferstadt Alsleben a.k.a. Wenn man eine Saalestadt bei Wish bestellt. Das rote Rathaus könnte so ähnlich auch an der Thüringer Saale stehen, aber der leere Platz mit dem abbröckelnden Putz?
Ausgerechnet auf diesem Rathausplatz steht auf einmal eine Stempelstelle, wie man sie eher von Harzer Bergwanderungen kennt. Im Salzlandkreis von Sachsen-Anhalt stehen diese roten Kästen überall, obwohl weit und breit alles flach und nicht übermäßig spannend ist.

Außenrum hat Alsleben eine Stadtmauer mit Saaltor und sieht besser aus. Die anderen Orte haben sich auf irgendein Exportgut konzentriert, die Alslebener waren eher Experten dafür, das Zeug zu transportieren. An diesem Ufer bauten sie im 19. Jahrhundert Schiffe, organisierten die Saaleschifffahrt und wurden zur wichtigsten Schifferstadt der ganzen Saale, auch bekannt als Klein Hamburg. So wird die Stadt heute vermutlich nur selten genannt. Schon gar nicht von Hamburgern.

Trotzdem hat mich etwas sehr positiv überrascht: Die Landschaft zwischen den Orten. Die kann es fast mit dem klassischen Saaletal aufnehmen! Ich dachte, jetzt kommt schon Flachland. Von wegen, jetzt kommen die Brachwitzer Alpen!
Was man auf diesem Foto sieht: Der Fluss befand ich ein gutes Stück unter mir.
Was man nicht sieht: Gleich hinter dem Gras geht ein brauner Fels direkt abwärts.

Die Brachwitzer Alpen bestehen aus Porphyrfelsen und Feuchtgebieten, in denen 90 Arten der Roten Liste in der Hitze vor sich hinbraten. Mich hätte es nicht überrascht, wenn auch ein paar Eidechsen unter diesen 90 wären.
Klar, im Vergleich zu den letzten Tagen ist es schon relativ flach. Aber im Vergleich zu dem, was ich erwartet hatte, waren es wirklich Alpen. Es machte einen Heidenspaß, um diese braunen Kuppen zu kurven.

Immerhin 30 Meter tief ist das Tal in den Boden eingeschnitten. Noch weiter streckt es sich in die Breite - die Saale hat jede Menge Kies verschoben und das Salz darin aufgelöst, das Ergebnis sind ausladende Kurven.
Dieser Garten sieht mir verdächtig nach dem letzten Weinberg an der Saale aus.

Kurz vor der nächsten Stadt begegnete ich der Feuerwehr. Sie bespritzte die Saale gerade sehr engagiert mit Wasser. Da der Fluss, soweit ich das beurteilen konnte, nicht in Flammen stand, handelte es sich wahrscheinlich um eine Löschübung.

Danke, aber das ist gar nicht nötig, im Moment habe ich genug Wasser. Wo wart ihr die Jahre davor, als ich euch brauchte?

Allmählich wird die Saale doch noch flach, dafür aber wieder urbaner. Zwei Städte, in denen je ein Nebenfluss aus dem Harz mündet, folgen dicht hintereinander: In Bernburg die Wipper und in Nienburg die Bode. Der letzte Saaleberg gibt nochmal alles, um zu beeindrucken, deswegen steht die imposante Burg von Bernburg obendrauf. Dann wird es wirklich platt.

Macht nichts, die Strecke macht trotzdem Laune. Sowohl für Radler als auch für Landwirte, die hier guten Lößboden finden. Nur wenige Böden in Mitteleuropa sind so lange dauerhaft besiedelt. Das weiß man eigentlich nur wegen der Grabhügel, die großzügig in den Boden gebuddelt wurden. (Wozu an Fläche sparen, wenn man mehr als genug davon hat?)
In wunderbaren Schnörkeln sauste ich um die Altarme und Neuarme des Flusses in den Sonnenuntergang hinein, bis mir auf einmal auffiel: Ups, es ist ja kaum noch Strecke für morgen übrig. Heute schaffe ich es zwar nicht mehr zum Ziel, aber vermutlich schon morgen früh! Das wird mal eine ungewohnte Ankunftszeit.

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