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Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

05 Juni 2024

Saale: Von Calbe nach Barby

 Saalegeprahle V: Die Flachsaale


An der Saale grünem Deiche
liegen Felder hell aus Gold.
Ihre Halme sind gemähet,
neue bereits ausgesähet.
Hier ist Platz, soviel ihr wollt! 

Das ist Calbe. In ihrem Wappen hat die Stadt ein Kalb, und ich glaube, jetzt weiß ich auch, woher der Name kommt. Die Spezialitäten von Calbe sind: Industriekonserven für Sauergemüse, Zwiebeln, Schaffwolle fürs Militär. Vor der Industrialisierung kassierten sie einfach bei den Durchreisenden von Leipzig nach Magdeburg, zumindest bis die Straße nach Bernburg verlegt wurde. Klingt nach einer eher pragmatischen Stadt, und so sieht Calbe auch aus.
Aber trotzdem waren sie gut Freund mit den Mageburger Erzbischöfen, weil die ihnen das Marktrecht gegeben hatten. Entsprechend blieben die Calber eher abergläubisch, machten engagiert bei Hexenverbrennung und Reichsprogramnacht mit und brachten Zeichen auf ihren Häusern an, um sich von den 10 Prozent Reformierten abzugrenzen.


Kein Wunder, dass sich die Bischöfe bei diesen Händlern wohlfühlten. Auf der Insel direkt nebenan bauten sie ihr Sommerhaus, das Kloster Gottesgnaden. Wer da langfahren will, muss aber genau nachschauen, ob die Fähren fahren (manchmal nur von 8 bis 12 Uhr, fast wie bei einer Behörde). Das Ende der Saale ist ein bisschen vertrackt, je nach gewählter Route braucht man ein bis zwei Fähren.
Aber ich bin morgens und abends rund um Calbe gefahren, als noch gar keine Fähre fuhr, und darum komplett am linken Ufer geblieben.

War auch total schön da, lauter Parks, und es ist sogar etwas kürzer - keine Ahnung, warum man sich überhaupt den Kopf machen soll.
Die andere Vertracktheit der Saalemündung kann ich nicht so leicht umgehen: Bahnhofsmangel. Der letzte Bahnhof heißt Calbe-Ost. Das klingt nach dem hinterletzten Kaffbahnhof, und diese abgerissene Bahnbrücke verheißt auch nichts Gutes, oder? Tatsächlich kommt man überraschend schnell nach Halle und von da aus überallhin weiter - viel schneller als in Nien- oder Bernburg. Nur muss man dafür halt von der Mündung nochmal dieselben 11 Kilometer zurückradeln. Die Karte schlägt vor, stattdessen gleich die 46 Kilometer nach Magdeburg durchzufahren.
Das hier war die erste länderübergreifende Bahnstrecke Deutschlands (zwischen Preußen und Köthen-Anhalt). Der Ostbahnhof ist noch heute drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, weil ein Graf damals dieses gefährliche Teufelsfahrzeug nicht auf seinen Ländereien haben wollte.

An der letzten dreieckigen Schutzhütte war der Weg gesperrt, aber die einzige erkennbare Komplikation bestand darin, dass der Kies ein bisschen heller war.

Die untere Saale in ihrer vollkommenen Flachheit ist zwar nicht gerade der beste Sonnenschutz, aber ihre gelben Felder sind auch ein schöner Anblick. Woran erkennt man die Nähe zur Elbe? An den Deichen natürlich, für den Fall, dass die Elbe ein bisschen zu nah heranwill an die Saaledörfer.

Die letzte Saalestadt heißt (zur Freude vieler Kinder) Barby und hat (zur Enttäuschung aller Kinofans) keine Städtepartnerschaft mit Oppenheim am Rhein und (zur Enttäuschung aller Bahnreisenden) nicht mal einen Bahnhof.
Obwohl der Name eigentlich (leider nicht ganz unpassend) am kahlen Bogen bedeutet, steht hier trotzdem ein Museum voller Barbiepuppen, man muss sich halt an die Erwartungen anpassen.

Dazu passen auch irgendwie zwei Türmchen namens Barbie und Ken Prinzesschen und Prinz an der überraschend hübschen Außenseite der Stadt.
Als die Grafen von Barbie ausgestorben sind, hatte das komischerweise die Folge, dass die Stadt ein prächtigeres Schloss bekam - der nächsthöhere Graf legte wohl mehr Wert auf barocken Pomp. Als auch er kein Interesse mehr daran hatte, pachtete die Herrenhuter Brüdergemeinde den Bau und machte eine Akademie draus. In den nächsten Jahrhunderten wurde darin folgendes gelagert: Bücher, Getreide, verwundete Soldaten, Lehrer, Schüler, Vertriebene, das Grundbuch von Barby.

Nun fuhr ich schon neben der Elbe her, denn ich näherte mich der Mündung aus einer ganz anderen Richtung. Man sollte meinen, wenn alles flach ist, können die Wege viel direkter aufs Ziel zuführen, aber das Gegenteil ist der Fall: Weil die Saale so weite Schleifen dreht und die Gegend eh so dünn besiedelt ist, wird die Radroute immer zickzackiger.
Dieses an den Baum genagelte Rad weist mich nun endlich zum letzten Zack.
Kurz vor dem Ende pendelt eine Elbfähre nach Walternienburg.

Dann erschien die Spitze dieser zwei großen Flüsse hinter dem Deich. Ein kleines blaues Schifffahrtszeichen markiert die Stelle, an der die Elbe ihren zweitgrößten Nebenfluss aufnimmt. Ein schöner Blick, sogar die Auenwälder der Saale sind hier besser zu erkennen. Aber ich fuhr lieber noch ein bisschen näher ran.
Die Stelle heißt Saalhorn und verrät damit schon, was hier außer Bier und Korn noch gelagert wurde. (Salz. Haben Sie etwa nicht aufgepasst?) Für die Elbe brauchte es größere Schiffe, also musste hier alles umgeladen werden. Der König hatte die Saaleschiffer aus irgendeinem Grund besonders lieb, sie durften sich Matrosen nennen und ihren Schiffen offizielle Namen geben. Die Elbschiffer waren eifersüchtig, und so war das Saalhorn ein Ort vieler Schlägereien zwischen den Flüssen. Was versöhnte die Feinde am Ende? Natürlich ein gemeinsamer Feind, die einmarschierenden Franzosen.

Dafür, dass die Mündung direkt da drüben war, schien sie mir ganz schön versteckt. Der Deich hatte sich zwar zu einem Grünstreifen abgesenkt, aber die Gräser und Hecken gaben ihr bestes, damit ich kein Foto aus direkter Nähe schießen konnte.
Der Radweg endet an einer Wendeschleife aus Betonplatten. Obwohl diese Ecke so versteckt ist, merkt man doch, dass hier öfter Reisende vorbeikommen - ein Rastplatz, Infotafeln und eine intakte Stempelstelle markieren das Ende vom Fluss, der einfach alles haben will - auf den letzten Drücker sogar noch sachsen-anhaltisches Ödland und Elb-Deichland.

Und der Radler zieht von dannen,
denn die Trennungsstunde ruft.
Und er dichtet Abschiedslieder,
Lebewohl tönt ihm hernieder.
Gräser wehen in der Luft.

04 Juni 2024

Saale: Von Weißenfels nach Calbe

"Ibiza und Malle kennen alle. Aber wer kennt das Land zwischen Magdeburg und Halle?"
-Rainald Grebe-


Saalegeprahle IV: Die gegensätzliche Saale

An der Saale hellem Strande
stehen Zwillingsstädte stolz.
Ihre Türme auferstanden
aus dereinst zerstörten Landen.
Auf den Inseln wächst das Holz.

Ein bisschen hügelig ist er immer noch, der Weg durch die Saalewäldchen.

Auf einem dürren Berg steht Bad Dürrenberg - noch eine Kurstadt mit so einem gigantomanischen Gradierwerk mit Pool, und aus irgendeinem Grund steht obendrauf sogar eine Windmühle. Es ist das längste zusammenhängende Gradierwerk in Europa, und auch sonst ist das eine Kurstadt der Superlative.
Auf einem Brett lag ich einen Halm, an dem das Salzwasser seit Urzeiten heruntergeronnen sein muss, bis er irgendwann runterfiel. Er war längst vollkommen verkrustet und umschlossen von einem harten Stück Kalkstein. Ich brach ihn auf, um zu sehen, ob da noch der ursprüngliche Schwarzdorn-Halm drin ist. War er, aber nur noch als schmierig-schwarzer, annähernd runder Rückstand. 

Diese Buchstaben geben einen ganz dezenten Hinweis, welcher Dichter hier möglicherweise auf Kur war. Einer der Buchstaben ist zugleich ein Bücherregal.

Das ist der Rössener Hügel. Da drin wurden irgendwann zwischen Steinzeit und Mittelalter sechs Menschen begraben.
Jahrhunderte später kam der Architekt Karl Barth und baute rundherum die Gartenstadt Leuna. Die Arbeiter sollten möglichst grün wohnen, und in unregelmäßigen, nicht zu geraden Straßen, damit keine Monotonie aufkommt. Ach, wie schön! So schöpften die Arbeiter Kraft, um... im größten abgeschlossenen Chemiepark Deutschlands Sprengstoff für den Ersten Weltkrieg zu bauen und die Natur im ganzen Umkreis zu ruinieren. Menschen sind schon seltsam.

So wie Rössen eigentlich schon zu Leuna gehört, gehört Leuna eigentlich schon zu Merseburg. Eine gegensätzliche Stadt: Einerseits die ganze Chemieindustrie und andererseits das alte Schloss und der Dom oben auf dem Hügel. (Nicht ganz so prächtig ist die kleine Staupensäule hinten links im Bild, an der Straftäter für Kleinigkeiten ausgepeitscht wurden.)
Der Saaleradweg beschränkt sich aber auf den historischen Teil, zuerst hoch zum Marktplatz...

...dann wieder runter und unter der Mauer mit erhabenem Ausblick am Domberg lang.
Im Keller des Doms wurde ein ganz besonderes Buch entdeckt. Es ist das einzige geschriebene Überbleibsel einer ausgestorbenen Religion (germanisches Heidentum) in der Sprache, die ihre Anhänger sprachen (Althochdeutsch). Die Merseburger Zaubersprüche sind eine Sammlung von Reimen, mit denen man unsagbar unheimliche heidnische Dinge veranstalten kann, zum Beispiel kranke Pferde heilen. (Tierärzte hassen diesen Trick!)

Ich musste mich einmal neben der Eisenbahn vorbeizwängen, es folgte ein ziemlich verschnörkelter Abschnitt um die Flussschleifen in der Nähe der Elster-Mündung, mit kleinen Teichen und Deichen.

Dann folgte ich dem straßenbegleitenden Radweg in die größte Saalestadt rein. So wie Leuna eigentlich schon zu Merseburg gehört, gehört Merseburg eigentlich schon zu Halle. Die Stadt schickte mich direkt auf einen ewig langen Baustellenumweg durch 12 verschiedene Wohnorte aus immergleichen weißen Wohnblocks, grauen S-Bahn-Gleisen und grünen Parks. Die gelben Pfeile leiteten mich immer weiter vom Fluss weg, und ich zweifelte schon, ob ich die Saale heute noch wiedersehen würde.
Irgendwann konnte ich dann doch zurück und direkt rauf aufs Wasser - hier hat der Fluss Inseln. Halle hat seine Parks größtenteils auf diese Inseln outgesourct.

So viele Naherholungsinseln benötigen viele Brücken. Direkt im Zentrum ist die Saale vor lauter Brücken kaum noch zu erkennen. Auf einer Brücke zog sich eine praktisch endlose Baustelle dahin. Auf dem engen Gang zwischen den Bauzäunen drängten sich die Fußgänger, und weil meine Brückenausfahrt gesperrt war, musste ich bei Baulärm in praller Hitze ewig in die falsche Richtung schieben.

Die Zwillingsstädte Halle-Leipzig bilden einen Ballungsraum, und Halle ist die moderne der beiden Städte, die dem Land Rübenzucker, Pietismus, Maschinenbau und Sozialdemokratie beschert hat.

Der Bahnhof hat ein Fahrradparkhaus, in dem man das Rad hinter einer Art Aufzugtür platziert, und der Roboterarm schiebt es automatisch hoch in eine Art Regalfach. Wenn solche Dinger als Kurzvideos in sozialen Medien kursieren, dann meistens aus Japan, Singapur oder zumindest den Niederlanden. Es wäre ja längst nicht so beeindruckend, wenn man wüsste, dass so ein Teil auch in Sachsen-Anhalt steht.

Aber Halle hat auch historische Gebäude, sonst hieße es wohl kaum die Stadt der fünf Türme. Mal sehen, der weiße Dominikaner-Dom hat drei Schiffe und null Türme. Die Marktkirche hat drei Schiffe und vier Hausmannstürme. (Ihr Motto: In allen vier Ecken soll Aussicht drin stecken.)

Fehlt noch einer. Wo ist der fünfte? Vor der Marktkirche (und damit vermutlich auf besagtem Markt). Der Rote Turm ist nicht rot und ein ziemlicher Außenseiter. Er war mal der Glockenturm der Kirche, wurde dann aber aus Versehen ein Symbol des selbstbewussten Bürgertums.

Von innen sieht die Marktkirche aus, als bestünde sie aus sehr, sehr kompliziert gefaltetem Origami.

Der Name Halle (Saale) wird natürlich oft mit Salz in Verbindung gebracht, und zwar gleich doppelt, denn sowohl Halle als auch Saale könnten von Worten für Salz abstammen. Dieses Salz wurde auf den Inseln wortwörtlich aus dem Boden gepumpt, und zwar in hübsch restaurierten Fachwerkhäuschen mit großen Schornsteinen. (Haben Sie je ein Fachwerkhaus mit so einem langen Schornstein gesehen?) Das Salinenmuseum da drin war geschlossen, wie überhaupt jedes Museum auf der heutigen Strecke wegen Ruhetag oder Umbau.
Dann mache heute eben weniger Sightseeing und rase etwas oberflächlicher durch. Aber erstmal runterkühlen im Freibad hinter der Saline. Es hatte kein Salzwasser, dafür fand gerade irgendein Kinderfest statt. Die Hitze trieb mich ins Wasser, die Geräuschkulisse trieb mich wieder raus.

Auf der nächsten Insel zieht eine Schmalspurbahn einen engen Gleiskreis. Mit ihr kann man lächerliche Entfernungen überwinden, auf denen man zu Fuß wahrscheinlich schneller wäre. Solche Bahnen gehören nicht nur in Freizeitparks zum guten Ton, sondern auch in den Parks von Sachsen-Anhalt - Bernburg nachher hat zum Beispiel auch so eine.

Nachdem ich das Haller Inselhopping abgeschlossen hatte, verabschiedete sich Halle dann aber noch mit einem echt spektakulären Anblick - links braune Klippen, rechts Burg Giebichenstein. Die Erzbischöfe haben solche Burgen in der Stadt platziert, um die selbstbewussten Bürger zu unterwerfen. Mit mäßigem Erfolg, schließlich strömten die Studenten trotzdem in die Stadt, um Aufklärung und Pietismus zu studieren.

An der Saale langem Strande
liegen Örtchen still und leis.
Ihre Wände sind verfallen,
unbedeutend ihre Hallen,
doch die Hügel noch sehr nice!

Was kommt hinter Halle? Ich hatte keine Ahnung, mit diesem Teil des Flusses hatte ich mich kaum beschäftigt. Ich hatte so wenig Ahnung, dass ich direkt falsch abbog - wodurch ich aber wahrscheinlich sogar Strecke sparte.
Ich hatte so wenig Ahnung, dass ich versehentlich in Polen landete - wo sonst sollte ein Dorf Neuragoczy heißen? Ich hatte so wenig Ahnung, dass ich auf der Fähre von Neuragoczy stumpf wartete, dass der Fährmann wie auf den meisten Fähren zum Kassieren vorbeikam. Bis ich irgendwann sah, dass alle in sein Häuschen liefen - der Mann war so schlau, keinen einzigen Schritt aus seiner angenehm schattigen Hütte zu tun.
Auf der Saale treiben extrem viele gelbe Bojen. Ich habe einen ganz neuen Verdacht, wo die verschwundenen Grenzbojen aus dem estnischen Narva hingelangt sein könnten, von denen neulich in der Zeitung zu lesen war.

Im slawischen Dörfchen Döblitz setzte ich mich mit einer Mahlzeit an den Dorfteich, als ein Döblitzer zum Smalltalk vorbeikam. Er empfahl mir einen Besuch in der Dorfkirche, in der er ohnehin noch etwas im Garten erledigen müsse. Als ich dann aufgegessen hatte und vor der Kirche stand, hatte er schon erledigt, was immer er zu tun hatte, und war weg.
Ich weiß selbst nicht, wie ich das hinbekommen habe, aber ich habe drei Anläufe gebraucht, um in dem kleinen Dörfchen das noch kleinere Kirchlein in einer versteckten Seitenstraße zu finden. Die Kirche war schon immer der Mittelpunkt des Dorfes, behauptet eine Infotafel - das kann nur im übertragenen Sinne gemeint sein.

Auch im Inneren ist alles, Bänke, Empore und Kanzel, sehr klein und kompakt zusammengeschoben. Fast schon ein Tiny House unter den Kirchen.
Sie besteht aus braunen Porphyrsteinen, von denen waren aber anfangs nicht mal genug da, um die Kirche mit einem Turm auszustatten. Was ich noch nicht wusste: Dieses Gestein würde mich bald sehr viel mehr beeindrucken.

Züge fahren auf diesen Gleisen nicht mehr. Eindeutig: Hier im Norden ist der Ballungsraum Halle-Leipzig ziemlich schnell und abrupt vorbei. Die Besiedelung ist dünner als ein Topmodel.

Die wenigen Städtchen haben nichts vom Leben und der Kultur des klassischen Saaletals. Das hier zum Beispiel ist die Mühlen- und Schifferstadt Alsleben a.k.a. Wenn man eine Saalestadt bei Wish bestellt. Das rote Rathaus könnte so ähnlich auch an der Thüringer Saale stehen, aber der leere Platz mit dem abbröckelnden Putz?
Ausgerechnet auf diesem Rathausplatz steht auf einmal eine Stempelstelle, wie man sie eher von Harzer Bergwanderungen kennt. Im Salzlandkreis von Sachsen-Anhalt stehen diese roten Kästen überall, obwohl weit und breit alles flach und nicht übermäßig spannend ist.

Außenrum hat Alsleben eine Stadtmauer mit Saaltor und sieht besser aus. Die anderen Orte haben sich auf irgendein Exportgut konzentriert, die Alslebener waren eher Experten dafür, das Zeug zu transportieren. An diesem Ufer bauten sie im 19. Jahrhundert Schiffe, organisierten die Saaleschifffahrt und wurden zur wichtigsten Schifferstadt der ganzen Saale, auch bekannt als Klein Hamburg. So wird die Stadt heute vermutlich nur selten genannt. Schon gar nicht von Hamburgern.

Trotzdem hat mich etwas sehr positiv überrascht: Die Landschaft zwischen den Orten. Die kann es fast mit dem klassischen Saaletal aufnehmen! Ich dachte, jetzt kommt schon Flachland. Von wegen, jetzt kommen die Brachwitzer Alpen!
Was man auf diesem Foto sieht: Der Fluss befand ich ein gutes Stück unter mir.
Was man nicht sieht: Gleich hinter dem Gras geht ein brauner Fels direkt abwärts.

Die Brachwitzer Alpen bestehen aus Porphyrfelsen und Feuchtgebieten, in denen 90 Arten der Roten Liste in der Hitze vor sich hinbraten. Mich hätte es nicht überrascht, wenn auch ein paar Eidechsen unter diesen 90 wären.
Klar, im Vergleich zu den letzten Tagen ist es schon relativ flach. Aber im Vergleich zu dem, was ich erwartet hatte, waren es wirklich Alpen. Es machte einen Heidenspaß, um diese braunen Kuppen zu kurven.

Immerhin 30 Meter tief ist das Tal in den Boden eingeschnitten. Noch weiter streckt es sich in die Breite - die Saale hat jede Menge Kies verschoben und das Salz darin aufgelöst, das Ergebnis sind ausladende Kurven.
Dieser Garten sieht mir verdächtig nach dem letzten Weinberg an der Saale aus.

Kurz vor der nächsten Stadt begegnete ich der Feuerwehr. Sie bespritzte die Saale gerade sehr engagiert mit Wasser. Da der Fluss, soweit ich das beurteilen konnte, nicht in Flammen stand, handelte es sich wahrscheinlich um eine Löschübung.

Danke, aber das ist gar nicht nötig, im Moment habe ich genug Wasser. Wo wart ihr die Jahre davor, als ich euch brauchte?

Allmählich wird die Saale doch noch flach, dafür aber wieder urbaner. Zwei Städte, in denen je ein Nebenfluss aus dem Harz mündet, folgen dicht hintereinander: In Bernburg die Wipper und in Nienburg die Bode. Der letzte Saaleberg gibt nochmal alles, um zu beeindrucken, deswegen steht die imposante Burg von Bernburg obendrauf. Dann wird es wirklich platt.

Macht nichts, die Strecke macht trotzdem Laune. Sowohl für Radler als auch für Landwirte, die hier guten Lößboden finden. Nur wenige Böden in Mitteleuropa sind so lange dauerhaft besiedelt. Das weiß man eigentlich nur wegen der Grabhügel, die großzügig in den Boden gebuddelt wurden. (Wozu an Fläche sparen, wenn man mehr als genug davon hat?)
In wunderbaren Schnörkeln sauste ich um die Altarme und Neuarme des Flusses in den Sonnenuntergang hinein, bis mir auf einmal auffiel: Ups, es ist ja kaum noch Strecke für morgen übrig. Heute schaffe ich es zwar nicht mehr zum Ziel, aber vermutlich schon morgen früh! Das wird mal eine ungewohnte Ankunftszeit.

03 Juni 2024

Saale: Von Rudolstadt nach Weißenfels

 Saalegeprahle III: Die klassische Saale

An der Saale hellem Strande
stehen Burgen stolz und kühn.
Ihre Dächer sind gefallen
und der Wind streicht durch die Hallen.
Wolken ziehen drüber hin.

An der Saale grünem Strande
liegen Städte mittelgroß.
Dichter dichteten in ihnen.
Salz und Wein und viele Schienen.
Hier ist eine Menge los.

Ab jetzt fahre ich parallel zur Gera und Ilm, und es gibt eindeutig Gemeinsamkeiten: Zwar ist das Gebirge zu Ende, aber nun folgt quasi das Vorgebirge. Der Weg ist immer noch ziemlich wellig, aber verglichen mit dem Gebirge die reinste Wohltat. Der Radweg geht erstmal geradewegs durch die Felder am Talrand.


Der Saale-Orla-Kuss ist die erste Mündung eines Nebenflusses, die mit einer Rasthütte ausdrücklich markiert ist.
Sumpfbiber wohnen hier nach wie vor der Saale, die springende Lachse dagegen sind ausgestorben.

Die Burg von Orlamünde ist "auf sanfte Art verfallen" - eine Umschreibung dafür, dass viele Orlamünder dachten: Jippi, gratis Baumaterial! Als ich den Höhenunterschied zur Burg mit eigenen Augen sah, beschloss ich spontan, dass ich kein gratis Baumaterial benötigte.
Da oben predigte ein radikaler Pastor namens Andreas Bodenstein unter dem seltsamen Künstlernamen Karlstadt. Er trug Bauernkleidung, machte Handarbeit, zerstörte Heiligenbilder und nahm den vertriebenen Thomas Müntzer auf, mit dem Humanismus hatte er es dagegen eher nicht so. Martin Luther waren die beiden eindeutig zu radikal. Er kam für eine öffentliche Thüringer Talkshow nach Orlamünde, um den extremen Müntzer argumentativ zu zerlegen - und zog geschlagen ab. [hier Anspielung auf die Thüringer CDU einfügen]

Diese Eutersdorfer Schaukelbrücke ist zwar nicht die neuste, aber als sie 1908 öffnete, war das Design gewagter als ein Minirock und wurde zum Vorbild für Hängebrücken auf der ganzen Welt.

Die erste Stadt des Tages heißt Kahla. Und wenn Sie jetzt denken: Die sieht ja ganz schön bergig aus - scrollen Sie nochmal hoch nach Orlamünde.
Ein Mauerring umringt die Altstadthäuser und scheint aus der Ferne gesehen selbst aus Häusern zu bestehen. Die meisten Kahla-Bürger waren Bauern, bis sie die Porzellanherstellung für sich entdeckten.

Ist Kahla wirklich so kahl? Schwer zu sagen, so früh morgens schlief die Stadt noch. Mintgrünes Fachwerk und braune Arkaden lassen die Hauswände jedenfalls nicht kahl aussehen.

Vorhin eine Mündung am Wegesrand, nun eine Überlaufquelle: An dieser Verwerfungsstelle strömt das Wasser in langsamen, hypnotischen Sandwirbeln aus dem Boden. Die Quelle Suppiche ist eine kleinere Version der niedersächsischen Schwindebachquelle. Ohne den Hinweis in der Karte hätte ich diese unauffällige Pfütze gar nicht weiter beachtet, aber der Zwischenstopp hat sich gelohnt.

Immer mal wieder sind Stücke vom Berg abgestürzt, haben die Saale verschoben und längst vergessene Steinzeitdörfer freigelegt. Große Felswände ragen dann aus den Bergen, riesige braune Riffel, im Vergleich zu dem chaotischen grauen Zeug oben im Schiefergebirge sehen die geradezu ordentlich aus. Diese Wände sind alt: Sie wurden geboren, als sich im Quartär das Klima änderte, die Flüsse anders flossen und tiefe Täler bildeten. Je weiter man die Flussterrassen runtergeht, umso jünger wird der Boden. Hier unten zu meinen Füßen ist er am jüngsten, weil die Gletscher der Elster-Eiszeit und die Saale so viel Gestein verschoben haben. Mir egal, ich schleppe mich jetzt trotzdem nicht nach oben zum alten Zeug.
Die Felswände schützen nicht nur das Tal, sondern reflektieren auch Sonnenstrahlen. Dadurch ist der Winter hier warm, der Frühling früh, und der Sommer... den spüre ich gerade heftig im eigenen Nacken. Sogar Aprikosen wachsen hier.
Die größte Stadt im klassischen Saaletal kündigt sich von Weitem durch einen seltsamen Anblick an: Unter einer enormen Felswand überwinden die Betonbögen der Autobahn das komplette Tal, verschwinden dann per Tunnel in einem dicken grünen Erdwall (sorry, das hat nicht alles aufs Foto gepasst), auf dem sich ein Park erstreckt, und direkt dahinter die ersten Wohnblocks. Für sich genommen ist das alles nichts Besonderes, aber in der Summe mutete dieses Panorama irgendwie skurril an.

Der Saaleradweg schlängelt sich um diesen Tunnelwall herum und darüber hinweg, wobei er zuerst durch einen grafittibesprühten Betontunnel (öh, Großstadt halt) und dann plötzlich durch diese coole Schlucht (Nanu, das kam jetzt unerwartet!) gleitet.

Wie lässt sich dieses Tal am besten beschreiben? Mit weißer Farbe!

Übers Stauwehr, unter dem Bahnhof und neben der Straßenbahn bin ich in die Stadt eingetaucht. Ja, es ist ja eine ganz schöne Stelle - aber dass der Bahnhof statt Hauptbahnhof Jena Paradies heißt, ist dann doch etwas übertrieben. Zumal es in Bahndurchsagen mit englischer Aussprache klingt wie eine nicht jugendfreie Schauspielerin.

Schiller nochmal! Schillers Gartenhaus ist nicht ganz so naturnah wie sein Gegenstück, Goethes Gartenhaus in Weimar. Direkt um die Ecke braust die Hauptstraße durch die Innenstadt. Dafür ist der Garten dann doch überraschend ruhig.
Hier wohnte Schiller, als er an der Uni unterrichtete, die damals noch nicht nach ihm benannt war. Nach ihm zogen die Direktoren der benachbarten Sternwarte ein.

Jena war auch mal eine eigene Hauptstadt, genau wie Weimar, Eisenach, Erfurt und sogar (was zur Hölle) Marksuhl. Gefühlt jede zweite Stadt, die ich auf meinen Thüringer Touren besucht habe. Wie viele deutsche Staaten gab es hier bitte? Zu viele, denn die Thüringer hatten ein dummes Erbrecht. Statt dem ersten Sohn alles zu geben (und dann trotzdem mit seinen Onkeln und Brüdern kämpfen zu lassen, wie es sich gehört), haben die Papas das Erbe jedes mal geteilt. Was bei Geld funktioniert, ist bei Staaten total unpraktisch. Als Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar 1662 starb, war das Land schon so zersplittert, dass sogar seine vier Söhne merkten: Mist, Papas Land ist zu klein, um es zu vierteln. Sie nahmen sich zwar unterschiedliche Residenzstädte, wechselten sich aber mit dem Regieren des kompletten Gebiets ab. Bis einer von ihnen jung starb, dann dachten übrigen drei: Och, in drei Teile, das geht ja noch. So wurde Bernhard, der jüngste Sohn, Herzog von Sachsen-Jena. Um alles noch unpraktischer zu machen, waren fast alle seiner Gebiete Exklaven, also gar nicht mit Jena verbunden.

In Jena wurde der Vers Auferstanden aus Ruinen sehr wörtlich genommen.
Oder wie Andreas Gryphius sagen würde: Was dieser heute baut, reißt Jena morgen ein.

Nein, Scherz beiseite, Jena hat eine sehr ansehnliche Innenstadt aufgebaut, und sie wissen sogar, was auf einen Marktplatz gehört: Restauranttische. Mittagszeit!

Nur mit der Freundlichkeit ist es in Jena nicht so weit her. Als ich das Stadtmuseum in einem der ältesten Häuser betrat, blaffte es mir entgegen: "Aber nicht damit!" - Meine Trinkflasche sollte gefälligst draußen bleiben.

Der Museumskeller ist noch ein echtes Gewölbe und hat allerhand Kreuze und Heiligenfiguren aus den zig Kirchen von Jena ausgestellt.
Das Treppenhaus ist sehr originell: Mehrere Zeitstrahlen (Weltgeschichte, Landesgeschichte, Architektur, Kultur, Uni Jena) voller Bilder und Fakten laufen nebeneinander. Ich stieg durch die Zeitalter aufwärts, die sich immer weiter ausdehnten, bis im 19. Jahrhundert 30 Jahre eine komplettes Treppenstück einnahmen. Grund dafür sind die Studenten.
Wegen der Pest zog die Uni Wittenberg ständig nach Jena um, bis Jena sagte: Jetzt reicht es, da können wir ja genauso gut eine eigene gründen. Und sie dann prompt wegen der Pest nach Saalfeld verlegen. Erst im 18./19. Jahrhundert kam die Uni richtig aus dem Tee und sollte ganz Deutschland verändern.
Die Studenten auf dem Uni-Zeitstrahl waren schon immer für Veränderung zu haben: Erst wurden sie zu strengen Luther-Fans, später gründeten sie an der Jenaer Uni die erste Burschenschaft, die viel zum Wartburgfest und der Idee des deutschen Staates beitrugen, auch die Farben Schwarz-Rot-Gold gehen mehr oder weniger auf sie zurück (wie genau sie auf die Farben gekommen sind, ist umstritten).
Die Türen zu den Fotografie-Ausstellungen waren verschlossen, denn die werden immer mal umgebaut.
In der Mitte des Treppenhauses steht ein Vertikalseisometer. Jena ist seit Langem ein Zentrum der deutschen Erdbebenforschung - schließlich liegen überall ringsrum Felsen, aus deren Verformungen man herauslesen kann, wann es wo gebebt hat.
Das Gerät überwacht für ganz Mitteldeutschland, ob es irgendwo zu beben beginnt. 30 Erdbeben hat Thüringen pro Jahr, zwei davon können Menschen wahrnehmen, 1872 wurde zum letzten Mal ein Gebäude beschädigt. Auch wenn gerade nichts bebte: Irgendwelche mikroskopischen Bewegungen der Erde hat es aufgezeichnet, die Linie ging ständig leicht auf und ab. Kein Wunder, dass der Apparat lospiepste, als es 2012 in einem ganz anderen Stadtteil zu einer Gasexplosion kam.

In der ersten Etage betrat ich knarzend die Alte Göhre. So heißt der große Hauptraum in einem Jenauer Stadthaus. Seine Holzbohlen tragen sich selbst, ohne dass man sie mit dem Rest des Hauses verbinden muss - man konnte den Raum also auseinanderbauen und woanders im Haus zusammensetzen, wenn man Lust auf Abwechslung hatte.
Der Stahlball in der Mitte ist eine Himmelskugel von 1661. Wer den Kopf reinsteckt, dem blinken Löcher in der Dunkelheit wie Sterne am Himmel entgegen, die erste Version eines Planetariums.

Ernst Haekel hat in Jena die Evolutionslehre vorangetrieben, Goethe und Loder den Zwischenkieferknochen entdeckt und Carl Zeiss die Produktion von Brillen und Mikroskopen revolutioniert. Sein Geschäftspartner war ein Chemiker namens Ernst Abbe, ein Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, der seinen Arbeitern schon um 1900 den Achtstundentag und Pension gewährte, lange bevor er es gesetzlich musste. Dabei hätte er es wahrscheinlich sogar gern gesetzlich gemusst, schließlich war sein Motto: Keine Wohltaten, bessere Rechte! Die Bergarbeiter in Saalfeld wären erstaunt gewesen. Sogar noch erstaunter als Abbe, der in einem Video im Museum eine Zeissreise ins 21. Jahrhundert unternimmt und sieht, dass sein Unternehmen unter dem Namen Jenoptik noch immer weiterläuft. 

Beim Rausfahren aus Jena begleiteten mich viele lokale Wochenendradler. Einer hatte auf dem Helm ein rotes Display und sah damit einem Polizeiwagen oder einer polnischen Strandpromenade erstaunlich ähnlich. Statt wichtiger Verkehrshinweise oder einem Warnblinker fuhr jedoch immer nur dieselbe Botschaft über seinem Nacken: Hakuna Matata.

Studieren in Jena hatte seine Risiken: Im Jahre 1829 ertranken sieben Studenten in der Saale. Irgendwas an der Kunitzer Fähre war lebensgefährlich, ständig forderte sie Menschenleben. Der Bruder eines Studenten kam ans Ufer und wollte seinem Bruder ein Denkmal setzen. Ein pragmatischer Pfarrer überzeugte ihn, lieber für eine Brücke zu spenden.
Wenig später stand sie da: Die Kunitzer Hausbrücke, ein Tunnel aus Holz. Okay, eigentlich ist sie von 2012, aber ihr Vorbild von 1832. Wer hat sie kaputtgemacht? Das Jahr 1945. Wegen des Hochwasserschutzes liegt sie viel höher als die erste Version.

Die drei Dornburger Schlösser aus drei verschiedenen Stilepochen lagen mir zu weit oben. (Ob es tatsächlich masochistisch-kultivierte Radsportler gibt, die sich nach der Stausee-Strecke wirklich noch alle empfohlenen Schloss-Ausflüge die Berge hinauf antun?) Ich beließ es lieber bei dieser erstaunlich schmalen, aber hohen Kirche aus der Zeit des, äh, Barock?

Die folgende Strecke hat mich etwas an die Werra erinnert: Immer jeweils fünf Kilometer, die ein bisschen anders aussahen. Mal ein Radweg auf dem Feld in praller Sonne, mal eine kleine wellige Straße im Schatten der Flussbäume.

Aber Moment mal, hat die Werra Weinberge? Nope, jetzt beginnt die Weinregion Saale-Unstrut. Die kenne ich zwar schon von der Unstrut, aber gleich am ersten Weinberg in Kaatschen konnte ich etwas Neues an dieser Landschaft erkunden: Der Weinrosenweg windet sich eine Steintreppe hinauf und zeigt, welche bunten Blumen sich in der Nähe der begehrten Trauben wohlfühlen.
Kaatschen wird sich mit weiteren Aufstrebungen zu einem idyllischen Weindorf entwickeln!, meint ein Schild bescheiden. Seid ihr etwa noch keins?

Erst am Ende der Treppe wachsen dann die richtigen Weinfelder - auf diesem Bild gerade nicht ganz so steil. Bald gesellt sich der Radweg eine Etage höher zu ihnen. Auf diesem Hang zum Alkohol verläuft die Grenze von Thüringen nach Sachsen-Anhalt, und irgendwo über der Ilmmündung (auf diesem zugewachsenen Ufer kaum zu erkennen) wechselte ich ins letzte, aber größte Bundesland der Saale.

Und genau wie nach dem letzten Grenzwechsel wird erstmal eine neue Brücke mitten durchs Tal gebaut - eigentlich sogar mehrere.

Keine leichte Aufgabe, denn das Tal verengt sich an dieser Stelle nochmal. Dieses enge Grenzgebiet heißt Thüringer Pforte. (Die coole Flussklippe auf dem Bild ist eigentlich schon Sachsen-Anhalt, aber es war die Stelle, die am meisten nach einer engen Pforte aussah.)
Diesmal schickte mich sogar die Hauptroute auf wilden Pfaden irgendwelche Berge hoch zu weiteren Burgen, aber nein, ich nahm lieber die flache Strecke auf der Hauptstraße.

Dichter, Wein, Klippen, Industrie, Stauseen, Großstädte, Burgen... die Saale will einfach alles auf haben. Also selbstverständlich auch Kurstädte mit Salzwasser.
Bad Kösen war anfangs keine Kurstadt, sondern eine Floßstadt mit ordentlich Holz vor der Hütte. Zweimal im Jahr trafen sich 800 Flöße auf dem Wasser, um das Holz von weiter oben auf der Saale zu verticken. Die Floßarbeiter zimmerten sich einfache Holzhütten, aus denen eine leicht entflammbare, aber zum Glück feuchte Stadt heranwuchs.
Bis eines Tages Sole aus dem Boden gebohrt wurde. Dank ihrer Erfahrung im Umgang mit Holz zimmerten die Kösener im Jahr 1780 für das Salzwasser etwas ganz Besonderes zusammen - Wasserräder mit Wellenbädern (wie auch immer die damals funktioniert haben) und ein Kunstgestänge. Die hölzernen Stangen und Rinnen rinnen quer durch den kompletten Ort. Solch ein altes Kraftübertragungssystem gibt es sonst nirgendwo in Europa.

So kommt das Wasser bis hinauf auf den Berg. Und hier steht ein echter Gigant von einem Gradierwerk. So ein großes habe ich noch nie gesehen! Schon Kilometer vorher konnte ich es am anderen Ufer ausmachen. An manchen Stellen hat es Holztürme, zu denen Treppen hinaufführen - die alten slawischen Fürsten von Mecklenburg hätten so ein Teil wahrscheinlich direkt zu ihrer Festung gemacht. Die Schilfhalme sind total versalzen von all dem Salzwasser, das über Jahrhunderte runtergeflossen ist.
Mal sehen... auf den Türmen steht niemand, da kommt man wohl nicht rauf, schade. Aber zumindest auf den Gang rund ums Gradierwerk wird man ja wohl raufkommen, oder? Warum läuft dort niemand? Die Menschen spazieren alle eine Etage tiefer durch den Park, aber spürt man dort überhaupt noch eine Wirkung? Zugegeben, ein kleines bisschen salziger fühlt sich die Luft schon an, aber der Unterschied ist bei Weitem nicht so groß wie in Bad Sooden-Allendorf. Endlich fand ich eine kleine Treppe rauf. Sie endete direkt an einer versperrten Tür, und dort oben sah ich, dass es überhaupt keinen hölzernen Wandelgang um das Bauwerk gibt, sondern nur ein... Becken. Kann es sein, dass ausgerechnet dieses gigantischste aller Gradierwerke auch das Nutzloseste ist?
Ursprünglich nicht: Das Ding sollte eigentlich nur die Sole besser machen, indem es die nutzlosen Salze raussiebt, bis 8 Prozent Kochsalz drin sind. Dass es gesund ist, daneben zu atmen, wurde erst später entdeckt - aber auch mit Abstand war die medizinische Wirkung stark genug, um den Koloss vor dem Abriss zu schützen.

Auch als nächstes wählte ich eine Abkürzung, diesmal aber nicht an der Straße, sondern auf einem freundlichen Feldweg an der Kleinen Saale - einem tiefschwarzen und total zugewachsenen Nebenarm.

Er versorgte das Kloster Schulpforte mit Wasser. Der Name ist wortwörtlich gemeint, denn nach der Reformation wurde daraus eine Fürstenschule. Die war zwar nicht mehr religiös, dafür bestimmte der Fürst, was die kleinen Friedrichs (die mit Nachnamen Kloppstock oder Nietzsche hießen) lernen mussten.

An der Stelle, wo sich die Kleine Saale wieder mit der großen vereint, hat jemand ein Kilo Möhren ausgekippt.

Und dann zeigte die Saale, dass sie nicht nur schwierig sein kann. Sie kann auch einen der schönsten, traumhaftesten Flussradweg-Abschnitte in ganz Deutschland haben. Der Naumburger Traumbogen (so nenne ich den einfach mal) windet sich mit etwas Abstand um Naumburg, vorbei an der Unstrut-Mündung im Blütengrund mit Blick auf Weinberge und Weingüter.

Ab und zu rücken die Felswände noch mal nah heran, meistens sind die Berge aber auf dem Rückzug. Auf mindestens einer Seite ist bereits offenes Feld. Aber genau das macht den Radweg eben so traumhaft angenehm.

Dieser Weg gab mir die Kraft, in Schönburg zu sagen: Ach komm, die Burg da sieht nicht ganz so hoch aus, die kannst du dir nochmal anschauen.
Dieser herrliche Buntsandstein ist 90 Meter dick und rot, weil vor 20 Millionen Jahren kleine tropische Seen ausgetrocknet sind, in denen Ton zurückblieb.

Der Aufstieg war in der Tat kurz, aber intensiv - und brachte mich durch eine der ungewöhnlichsten Dorfstraßen überhaupt. Ja, dieses Foto ist wirklich mitten im Ort entstanden. An Privatsphäre mangelt es den Bewohnern auf jeden Fall nicht - in dieser Straße wird jedes einzelne Haus zur Höhenburg! Aber um besagte Privatsphäre zu respektieren, bin ich doch lieber bis ganz hinauf in die richtige Höhenburg geradelt.

Schon das war ein wenig fragwürdig: Der bunt und blumig bewachsene Burghof zwischen den verfallenen Mauern war jederzeit zugänglich, und auch die Tür zum Turm stand offen - aber innendrin bat ein Zettel, doch bitte vorher einen kleinen Eintrittspreis unten im Restaurant zu hinterlegen. Nur dass bei diesem Restaurant weit und breit niemand zu sehen war.

Ich bin trotzdem mal das knarzende Treppenhaus hinaufgestiegen - in der Hoffnung, dass unterdessen niemand unten zuschließt.

Auf den Zwischenetagen stehen staubige Glaskästen. Die kleine Ausstellung widmet sich aber gar nicht so sehr Adligen und Rittern, sondern den unterschiedlichen Handwerkern an der Saale. Diese Netze dienten zum Beispiel dem ältesten Gewerbe der Welt Saale: Fischerei.
Mit den vielen Fischarten der Saale haben mal richtig viele Menschen ihren Lebensunterhalt zusammengefischt. 1901 holte ein Fischer 326 Lachse im Jahr aus dem Fluss. 1911 wurde der  allerletzte Flusslachs gefangen. Was war passiert?

Was passiert ist? Bei den neuen Wehren habt ihr meistens die Fischtreppen vergessen, außerdem hatte die Kaliindustrie begonnen, ihren Müll in mich zu gießen. Das brennt, aah!

Tja, zu den Adligen der Burg gibt es weniger zu erzählen. Dass die Burgruine Schönburg so gut erhalten ist, liegt an den Thüringer Teilungen - auf einmal war sie strategisch komplett egal und keiner interessierte sich mehr für sie. Schöne Ausblicke waren damals halt nicht so wichtig wie taktische Positionen - außerdem hat wahrscheinlich jede Saaleburg eine schöne Aussicht.

Die mehr oder weniger letzte klassische Saalestadt ist Weißenfels. Einen weißen Fels habe ich nicht gesehen, dafür ein weißes Schloss, des von der Größe her viele Felsen übertrifft.
Weißenfels war auch mal kurz Hauptstadt eines Fürstentums. Die Fürsten orientierten sich am französischen Sonnenkönig und bauten Barock, was das Zeug hielt. Als das Zeug nicht mehr hielt, gingen sie pleite und starben aus. Mangelnder Kindersegen und Geldverschwendung waren die einzige Möglichkeit, Thüringens und Sachsens Zersplitterung in immer kleinere Herzogtümer auszubremsen.
Obwohl Weißenfels keine Hauptstadt mehr war, lebten hier Künstler wie Bach und Novalis, und danach wurde die Stadt ein Zentrum der Schuhindustrie. Mal im Ernst, wieso waren die Städte im klassischen Saaletal nur so erfolgreich? Wahrscheinlich das schöne Wetter durch die sonnenreflektierenden Felsen, darum wollten alle Fachkräfte hinziehen.

Am Saaleufer hatte sich ganz Weißenfels zum Public Viewing versammelt. Ordnungskräfte ließen keinen mehr rein, und so verfolgten ein paar Zuschauer das Spiel von der Saalebrücke.

Bei Weißenfels ist der Naumburger Traumbogen allmählich zu Ende. Ein steiler Hügel lag im Weg, dann bestanden auf einmal mehrere Kilometer neben dem Gewerbegebiet aus seltsamen Baustellen-Metallplatten, die zwingend alle fünf Meter ein anderes Riffelmuster haben müssen. Und in der Ferne nehmen die Bergrücken immer weiter ab.

So kommt es, dass die nächste Ruine komplett ebenerdig neben dem Fluss liegt. In dieser Lage konnte sich die Wehrkirche von Schkortleben nur schlecht gegen Hochwasser und Vandalismus wehren, und so war sie in ihrer lückenhaft überlieferten Geschichte eigentlich meistens baufällig, auch wenn ihr die Fürsten neue Fenster oder Orgeln spendierten.


Aber ganz egal, wie sehr sich die Landschaft und alles verändern mag, eine Konstante bleibt: Glühwürmchen! Als die liebenswerten grünen Pünktchen mich erneut umschwirrten, beschloss ich, sie diesmal mit der Kamera festzuhalten. Auch wenn mir das Unterfangen ziemlich aussichtslos erschien, denn sobald man ihnen zu nahe kommt, knipsen sie das Licht in ihrem Hintern aus. Und dann sind sie im nächtlichen Wald ungefähr so gut zu erkennen wie ein Weißweintropfen in einer vollen Badewanne.
Mit etwas Abstand fotografiert zischten sie mir durchs Bild und produzierten kleine Striche, die auf Fotos wirken wie Neon-Raupen aus den 80ern oder sehr, sehr kleine Sternschnuppen. Faszinierend, aber so sehen die Tierchen mit bloßem Auge nicht aus.

Die einzige Lösung, um einigermaßen darzustellen, wie ich sie gesehen habe: Ein Video drehen und davon einen Screenshot machen.

Droben blinken grüne Punkte
in des Waldes dunklem Grund.
Radler, schauet in die Nähe!
Glühwürmchen, so weit ich sehe!
Herz ist heiter und gesund.