31 Juli 2025

Fränkische Saale: Von Neustadt nach Gemünden

Da Karl der Große sowieso schon per Schiff die Saale hochgetuckert war, um Bad Neustadt zu gründen, baute er auch noch was für sich selbst: Die Pfalz Salz. Sehen kann man die nicht, und dass sie hier stand, wissen wir nur durch das Erdmagnetfeld. What? Ja, mit geomagnetischer Prospektion kann man anhand von Veränderungen im Magnetfeld zum Beispiel Mauern unter der Erde ertasten, ohne sie auszubuddeln. So wissen wir, dass a) sich die Saale seit dem Mittelalter nur um wenige Meter verschoben hat und b) die magnetische Struktur am Ostufer viel rauer und unruhiger ist - kein Wunder, da war es höher und hochwassergeschützter, aber trotzdem nah am Wasser, super Bauland also.

Für ein Thermaltal war es überraschend breit und leer. Die meisten Dörfer laufen leider langgestreckt an lauten Landstraßen, was sie eher ungemütlich macht. Einige stechen allerdings mit kuriosen Flaschenzug-Brunnen oder noch drehenden Wassermühlen heraus.
Die Landschaft dagegen ist angenehm und unaufgeregt mit ihren ewigen Erhebungen aus Wald an den Rändern.

Ansehnlicher sind da die Burgen. Am meisten zu sehen bekam ich von Schloss Aschach, das lag direkt am Radweg.

Ebenfalls vorhanden: Jede Menge lange alte Brücken. Unter dieser hier musste ich durchschlüpfen und las dabei ein Schild, das man beim Hindurchschlüpfen unter eine historischen Brücke wirklich nicht lesen möchte, nämlich: Vorsicht, herabfallende Betonteile.
Hoffentlich nehmen sich die Bauarbeiter daneben als nächstes dieser Betonteile an.

Übrigens fährt auf dieser Strecke Deutschlands letzte Postkutschenlinie, von Bad Bocklet nach Bad Kissingen. Na, wenn die Pferde da immer noch Bocklet drauf haben...
In der nächsten Kurve des Saaletals verbreitet ein eigenartiges Ensemble aus Holzschuppen, Wassermühle und Bohrturm ein kleines bisschen Wildwest-Atmosphäre, wozu sicher auch die heißflimmernde Luft beitrug. Aber hier verbergen sich keine Kuhherden oder Ölbohrtürme.
1904 waren den Bayern die Quellen in Bad Kissingen nicht genug, und sie bohrten nach neuen. Schon 102 Meter unter der Erde wurden sie fündig, aber die bayrischen Bohrer waren neugierig und machten noch ein ganz kleines Stückchen weiter - so bis 913 Meter Tiefe. Sie wollten einfach wissen, was da noch für Gesteinsschichten kamen. Am Ende schütteten sie alles unter dem Mineralwasser aber wieder zu.

Ich ging einmal ums Gebäude rum, bis ich endlich eine Schiebetür fand, die sich öffnen ließ.
Im selben Moment sprudelte es los. Eine Metallkugel mit drei Rohren ließ Wasser in eine Tonschüssel plätschern. Wer hätte gedacht, dass sich in der ollen Holzwand eine Lichtschranke versteckt? Der Luitpoldspring ist eine Mineralquelle, die nach einem bayrischen Prinzregenten benannt wurde. Für meinen Geschmack ist die Lichtschrankenquelle einen Tacken zu salzig, aber bei dem Wetter war ich nicht wählerisch. Das Wasser soll bei Gefäßerkrankungen helfen. Und tatsächlich litt mein Gefäß (Trinkflasche) unter einer Erkrankung (innere Leere), von der sie der Luitpoldsprudel erfolgreich heilen konnte.
Dieses Wasser war vor 10 000 Jahren ein Gletscher aus der Würm-Eiszeit, je tiefer, desto älter. Aber damit ist es noch ein totaler Jungspund im Vergleich zum Salz, denn das ist hier vor 250 Millionen Jahren im Zechsteinmeer getrocknet. (Diesem Meer bin ich unter anderem schon im Erlebnisbergwerk Meerkers begegnet, es reichte aber bis nach Franken.)

Bald darauf fuhr ich auch schon in die wichtigste Kurstadt der Saale rein, und für einen Moment dachte ich, es hätte mich ans Mittelmeer verschlagen - die braunen Häuser, die Palmen und das Wetter, und mittendrin blühen 12 000 Rosenstöcke an der Saale. Die konnte ich aber nur mit Abstand bewundern, denn der Rosengarten am Ufer ist Fußgängern vorbehalten. Ich fuhr über die geschwungene Brücke rüber, und an der nächsten Brücke zurück in die Innenstadt.

Die hätte ich mir eigentlich sparen können, denn die war wieder überwiegend aufgeheizt und beige. Da halfen auch die grünlichen Wassersäulen nicht viel.
Bad Kissingen gehört noch nicht so lange zu Bayern, erst seit 1814 (der Kurbetrieb gab es da schon seit fast 300 Jahren). Trotzdem haben die Bayern nicht nur die ganze heutige Architektur aufgebaut, auch ihre Regenten kamen gern her und überhaupt die ganze Elite von Tolstoi bis Bismarck, der ein totaler Bad-Kissingen-Fanboy war. (Und das, obwohl der Name darauf hindeutet, dass die Menschen hier besonders schlecht küssen.)

Ich zog mich zurück zur verkehrsreichen Hauptstraße und auf den Bürgersteig...
"Hallo, nein, wir arbeiten hier!", schimpfte ein Arbeiter im Leiterwagen, der noch ein gutes Stück entfernt die Bäumchen in Würfelform zurechtschnitt und wohl glaubte, ich wolle in seine Richtung und mich irgendwie an seinem Fahrzeug vorbeiquetschen. Schon gut, ich wollte doch bloß kurz in den Schatten was trinken...
Auf der anderen Seite suchte ich mehr von der mediterranen Pracht und wurde fündig. Die Quellen in diesem Komplex heißen Rakoczy und Pandur und helfen bei Stoffwechselstörungen. Aber was steht da? Tragen Sie an das Ambiente angepasste Kleidung. Wie gemein: Wer Probleme mit dem Stoffwechsel hat, muss als erstes seinen Stoff wechseln, bevor er kuriert wird.
Mehr Rosen, mehr Palmen, mehr Springbrunnen laden in die größte Wandelhalle Europas ein.
Oder auch nicht. Zwar gab es kein Tor, aber das Schild bat mich, doch bitte meine Eintritts- oder Kurkarte bereitzuhalten. Hier kostet auch das Geld, was in anderen Kurstädten kostenlos ist - sogar in Karlsbad, das noch vor Kurzem buchstäblich ein Hotspot russischer Oligarchen war. Das ist dann wohl der Beweis, dass in Bad Kissingen wirklich die reiche Elite lebte.

Noch kühler und kostenlos ist der nächste Abschnitt, ein herrlicher Kiesweg durch den Seitenwald über der Saale. Aaah!

Keinen Schatten, aber andere Abkühlung fand ich im Kneippbecken unterhalb der Trimburg. Aaah...aaaargh, die Steine rundherum glühen ja!
Kneipp soll ja ein Wechselbad von heiß zu kalt sein, und die Luft übernahm den heißen Part vollständig, sodass sich das Wasser voll und ganz auf das Kalte konzentrieren konnte. Aber dass das Wechselbad an den Fußsohlen besonders intensiv sein soll, war mir neu.

Ein Zirkus am Wegesrand hatte gerade eine Vorstellung, und spärlicher Applaus brandete nach draußen. Ist das jetzt so ein richtiger Zirkus oder so ein Mitmachzirkus für Kinder? Von der Größe her anscheinend irgendwo dazwischen.

Ein Haufen Radioteleskope oder so drängten sich auf einem Feld zusammen und lauschten dem Zirpen der Grillen. Hier musste ich ein paar kleinere Hügel rauf- und runterstrampeln.

Die Innenstadt von Hammelburg sieht ähnlich steingepflastert-gelblich aus wie in den Städten bisher, aber diesmal ist das keine Kurstadt, sondern eine nüchterne Handelsstadt. Sogar der Name hat nichts mit Rindviechern zu tun, sondern bedeutet Burg am Hang.
Größter Arbeitgeber ist aus irgendeinem Grund die Bundeswehr. Noch immer ein Überbleibsel wegen der Sowjets drüben in Thüringen? Die Grenze ist doch schon ein gutes Stück entfernt.

Die letzten Kilometer konnte ich ganz herrlich durch die Kurven des Tals rasen, fast ohne auf die Karte zu schauen. Ich musste das Tal kein einziges Mal verlassen, und die steilen oder verwinkelten Abschnitte blieben doch sehr im Rahmen.
Damit diese schöne Strecke nicht zu einer Aschwüste wird, bemüht sich ein tapferes Einmachglas, Waldbrände zu verhindern. Es ist an die Bank gebunden und fleht mit den Worten Für Zigaretten - Danke! alle Raucher an, dieses Tal nicht zum selben Schicksal zu verurteilen, das während dieser Tage der Harz und Thüringer Wald erleiden mussten.

Weitere kuriose Beobachtungen:
Eine komische Holperbrücke, die anscheinend einfach über den Fluss gelegt worden war und laut einem Schild als Fähre bezeichnet wurde. Aufgrund einer kurzen Umleitung musste ich da sogar rüber.
Und ein Backhaus mit derart verschnörkelter Schrift, sodass es aussah, als stünde da Brechhaus. Aber ich bin mir relativ sicher, es war ein Backhaus.

Insgesamt ist der Fränkische Saaleradweg wirklich sehr geradlinig und super ausgebaut für einen eher kleineren Fluss.
Kein Wunder, dass ich früh in Gemünden am Main ankam - wo ich dann doch noch die Orientierung verlor. Von der Fränkischen Saale zweigt ein Mühlgraben ab, der eigentlich kein Graben ist, sondern so breit wie der ganze restliche Fluss. Ich folgte der Insel zwischen Saale und Mühlgraben bis zum Ende, nur damit mir dann ein breiter Campingplatz die ganze Spitze für sich beanspruchte. Toll, wie soll ich da die Mündung sehen? Erst ganz links (im Bild aber rechts) hinter dem "Graben" drängt sich eine kleine Altstadt mit leicht unterdurchschnittlich engen Gässchen zusammen.

Lauter lange Brücken überspannen die Flüsse von Gemünden, aber auf die kommt man nicht so leicht rauf. Am Ende blieb mir keine bessere Wahl, als das Rad eine verwinkelte Holztreppe hochzutragen und über zig Brücken zu fahren, unter Autobahn und Gleisen hindurch, bis ich endlich einen Blick darauf erhaschen konnte, wie die Fränkische Saale gut versteckt in den Bäumen in den Main mündet. Die Kanufahrer haben es da leichter, die können da direkt durchpaddeln, was sie anscheinend auch von Kindesbeinen an gern tun. Zumindest wurde auf der Insel in der Saale gerade eine Gruppe Kindergartenkinder mit Booten und Paddeln ausgerüstet.

30 Juli 2025

Fränkische Saale: Von Königshofen nach Neustadt

Bei der Ausfahrt aus Bad Königshofen bin ich erstmal im komplett falschen Dorf gelandet, weil das Fahrradschild nur die Radrouten Meinungen - Haßfurt und Merkershausen - Bad Königshofen Süd kannte. Logisch, die sind bestimmt viel bekannter als der Fränkische-Saale-Radweg.
Allzu lange wollte ich in der Gegend nicht anhalten, sonst bauen die womöglich auch mein Fahrrad in ihren Gartenzaun ein.

Dann aber ging es ganz einfach am schattigen Flussufer vorbei. Die Saale ist noch ein schmaler, etwas unmotivierter brauner Wurm.

Geht's noch einfacher? Jup, hier beginnt eine Bahntrasse, Königshofen war also auch mal an die Bahn angebunden.

Noch ist das Grabfeld eine gelbliche Hochebene, in der sich die Saale als grüne Baumreihe durch die Felder schlängelt. Schön, aber jetzt nicht gerade Bayerns spannendste Landschaft.

Doch langsam bäumten sich die Wälder am Horiziont auf, rückten näher und umschlossen die Saale, die prompt anfing, aufgeregt zu plätschern. Sie taucht jetzt ein in eins der tiefen grünen Täler rund um den Main - ihr eigenes, versteht sich.

Die Verkaufshäuschen der Bauern sind viel zu gesund und bieten nur rohes Gemüse (und einmal rohe Milch) an. Von hausgemachtem Eis weit und breit keine Spur.
Gerade mal 27,5 Kilometer sind es bis zur nächsten Kurstadt. Kurz vor dem Ziel wird das Tal etwas breiter (ich fuhr mit ein paar Unterbrechungen noch immer auf der Bahntrasse), und an der Mündung der Streu kommt die Bahnlinie aus Thüringen und Mellrichstadt dazu.

Bad Neustadt an der Saale wird mit hoher Frequenz durchfahren von eigenwilligen Busfahrern, die mir schon mehr als einen Radtourplan durchkreuzt haben (was im Wesentlichen auch der Grund ist, warum ich an diesem Tag nur so eine kurze Etappe gefahren bin, denn ich musste ja erstmal irgendwie nach Königshofen kommen).
Die Altstadt auf dem Hügel hat eine fast komplett erhaltene Stadtmauer, aber nur ein Tor, das Hohntor. Dahinter kommen erstmal ein paar Fachwerkhäuser, doch je tiefer ich reinging, umso mehr muss ich voller Hohn sagen: Da gibt es schönere Altstädte.

Auf der linken Marktplatzseite steht Fachwerk, sonst rutschte mein Blick oft an eintönigem Beige ab.
Angeblich ist die Altstadt nur eine romantische Geste: Karl der Große hat sie herzförmig bauen lassen, als Geschenk für seine Frau Fastrada, die offenbar auf beige stand. Die Legende um Fastrada ist fast wahr - zumindest steht fest, dass der große Karl die Stadt gegründet hat.
Aber es war eine ganz andere Frau, die Gräfin von Haxthausen, die der Stadt ein Badehaus gab und damit schon mal ankündigte, was mich an der restlichen Saale erwartet - ein Thermaltal.

29 Juli 2025

Fränkische Saale: Von Alsleben nach Königshofen

Die Saalegrenze I

Länge: 10 km
Grenzquerungen: 0
Bundesländer: Bayern/Thüringen
Seite: West
Erkenntnis: Bürgermeister machen an sich korrekte, aber unvollständige Quellenangaben.

Es gibt noch einen zweiten Fluss namens Saale, der ein bisschen unbekannter ist (aber immerhin bekannter als die kurze Saale bei Hannover, die in die Leine fließt). Die erste Fränkische Saaletappe kenne ich schon von meiner Iron Curtain Tour (in die entgegengesetzte Richtung).

Die Fränkische Saale entspringt bei Alsleben in einer Art halbfertigem Brunnen aus Ziegelsteinen. Ich füllte eine Trinkflasche auf. Nach Angaben des Bürgermeisters sei das Wasser schließlich trinkbar, schreibt der Reiseführer. Überrascht schmeckte ich so ungefähr das beste Quellwasser der Welt. Doch schon ein paar Stunden später war es eher eklig. Sprich: Das Wasser ist trinkbar, aber mit sehr kurzem Haltbarkeitsdatum.
Die Quelle liegt nur wenige Meter von der Grenze nach Thüringen entfernt. Anders als ihr längerer Kollege, die Sächsische Saale, hat die Fränkische Saale den Status als Grenzfluss haarscharf verfehlt. Ist vielleicht auch besser so, wer weiß, was die DDR in sie reingekippt hätte. Da wäre der Fluss bestimmt überhaupt nicht trinkbar gewesen.
(Wie ich jetzt erst auf der Onlinekarte sehe, gibt es ein paar Kilometer weiter südlich auch noch einen Saaleursprung, anscheinend auch einer Art gefasste Quelle in einer Baumgruppe mit WC.)

Bevor in Bayern die Sonne aufsteigt, steigt der Nebel auf. Das Wasser verströmt weißen Dunst, als würde es langsam verdampfen. Dabei war es längst nicht warm genug zum Verdampfen. Genau genommen war rein gar nichts um diese Uhrzeit warm genug.
Dies ist das obere Tal der Fränkischen Saale. Ich folgte der Linie aus Schilf und Bäumen, in der sich der kleine Fluss verbarg.

Aus Gründen, zu denen ich gleich komme, hatte ich am Abend vorher während meiner Iron Curtain Tour folgendes Problem: Es dämmerte schon so massiv, dass ich die Suche nach einem guten Schlafplatz quasi halbblind durchführen musste. Bei Eyershausen bog ich planlos ab in einen Wald. Wie sich herausstellte, bestand der "Wald" zu je einem Drittel aus spitzen Dornen, eisigem Sumpfwasser und abgeholzten Baumstümpfen.
Alles in allem habe ich schon besser geschlafen.

An der Wallfahrtskirche von Ipthausen befindet sich die größte bayrische Anlage mit Beos. Das sind unauffällige schwarze Vögel aus Nord- und Hinterindien, die besser sprechen können als die meisten Papageien. Im Rostocker Zoo hatten wir damals ein paar sehr begabte Beos, die mich sogar mit meinem Namen ansprechen konnten - doch leider kam der Tag viel zu früh, an dem wir feststellen mussten, dass sie auch in artgerechter Haltung höchstens 25 Jahre alt werden.
Umso mehr freute ich mich auf ihre bayrisch-katholischen Artgenossen. Der Bergbeo heißt wissenschaftlich sogar gracula religiosa, weil ihnen Gebete beigebracht wurden. Ein paar christliche Beos, die Psalmen rezitieren oder "Gloria in excelsis Beo" singen - das wäre jetzt genau das richtige zur Aufmunterung! Doch während die kunterbunten Papageien noch munter herumflatterten und kreischten, war die Beo-Voliere sehr viel zugewachsener. Die Mittelbeos namens Schlumbes und Schatzi ließen weder von sich sehen noch von sich hören. Schade...

Wir befinden uns im Grabfeld, ein etwas eigenartiger Name für eine Landschaft. Der Sage nach hatte eine Königin in der Region einen Ring verloren. Auf der Suche ließ sie das komplette Land umgraben (ihre Nazghul waren bestimmt begeistert, zu Gartenarbeit abkommandiert zu werden), zack, schon hieß das Land Grabfeld. Als sie den Ring endlich fand, errichtete sie am Fundort aus Dankbarkeit einen Königshof, zack, schon stand da die Stadt Bad Königshofen im Grabfeld. Das Fachwerk und die Wandmalereien (rechts) machen schon was her, auch wenn die Altstadt nicht mehr ganz so frisch wirkt.
Königshofen und das Grabfeld waren schon lange Grenzland und Bollwerk gegen den kommunistischen barbarischen Nordosten. Die Römer nannten die Grenzstadt Chuningishaoba (ich weiß nicht, wonach das klingt, aber jedenfalls nicht nach Latein) in pago Graffeldi, Graf Berthold hatte später so gute Connections zum bayrischen König, dass er die Festungsstadt weiter ausbauen durfte, im Dreißigjährigen Krieg verkackte die Stadt trotzdem komplett gegen die Schweden. Ein paar Stadtmauern und Waffenlager stehen noch, so richtig ist die sternförmige Gestalt von damals aber nicht mehr zu erkennen.

In diesem Grabfeld war nun leider meine Kette gerissen. Zwar hatte Königshofen laut Website eine Radwerkstatt, doch meine Chancen, dass die Werkstatt um die Zeit in einer solch kleinen Stadt noch geöffnet hatte, standen fast ebenso schlecht wie die, durch sorgfältiges Umgraben des Bodens eine neue Kette zu finden.
Aber ich griff nach dem Strohhalm. Also, der Werkstatt, nicht dem Umgraben. Als ich mich dem Bikeshop Grabfeld näherte, stand die Tür tatsächlich offen. Sollte ich Glück haben? Es war zwar nicht der Werkstattbesitzer, der war während die nächsten Tage unterwegs. Aber seine Frau war nicht nur bereit, eine neue Kette zu verkaufen, sondern auch, einen anderen Fahrradmechaniker im Ruhestand aus dem Nachbarhaus herbeizuklingeln. Der allerdings auch nicht da war. Macht aber nichts, ich habe die Kette allein eingefädelt bekommen. Zwar nicht ganz perfekt, sodass ich die nächsten Tage nicht alle Gänge nutzen konnte. Aber immerhin.
Insofern eine klare Empfehlung an den genialen Bikeshop Grabfeld, der sogar erstklassigen Service leistet, wenn er eigentlich geschlossen ist. Danke!
Nur leider hatte die gerissene Kette durch den Zeitverlust trotzdem eine Kettenreaktion ausgelöst, und daher eben die suboptimale Nacht.

Aber Königshofen ist auch eine Kurstadt. Im Park schob sich eine Glastür auf und offenbarte eine Trinkhalle, die so ganz anders aussah als die aus Tschechien. Und das nicht nur, weil die Pappbecher gratis waren. Inmitten weißer Moderne und grauer Sitzmöbel sprudelte das Heilwasser aus den Metallhähnen. Die Urbani-Quelle schmeckte leicht salzig, aber noch okay, bei der Regius-Quelle dagegen kostete mich das Schlucken viel Überwindung.

Viel erholsamer ist der große, lauwarme Heilwassersee. Der liegt im Außenbereich der Frankentherme, ein kleines Schwimmbad für Familien und Entspanner (eher weniger für Sportler und Adrenalinjunkies). Doch die größte Besonderheit thront auf dem Thermendach - diese Königshofener Vögel sollten mich nicht enttäuschen. Auf einem Kamin der Therme schnäbelte und streckte sich ein Storchenpaar behaglich unter den warmen Dämpfen. Ihre Kinder waren nicht so sehen, oder wahrscheinlich schon ausgeflogen.
Wie es dazu kam, ist im Detail auf frankentherme.de nachzulesen. 2020 versuchte zum ersten Mal ein Storchenpaar auf dem Kamin zu bauen, es klappte aber nicht so richtig. Die Betreiber waren aber so große Storchenfans, dass sie ihnen im nächsten Jahr ein Nest bereitstellen wollten. Eine Schlosserei baute das Nest kostenlos, die Feuerwehr brachte es an, und die Störche Adele und Schorsch belegten es. Heraus kamen zwei Küken namens Mina (nach der Mineralheilquelle) und Lui (nach dem Luitpoldbrunnen, ein bisschen Eigenwerbung muss sein). Seitdem dokumentiert die Website genau, wie viele Eier jedes Jahr auf dem Kamin lagen und wie viele Störche daraus erfolgreich geschlüpft sind. Per Youtube gibt es sogar einen Livestream ins Nest.

27 Juli 2025

Lahn: Von Runkel nach Lahnstein

Filahne! Den letzten Tag hatte ich mir nach Betrachten der Karte lahnsinnig bergig und Tandem-ungeeignet vorgestellt, aber tatsächlich wäre er wahrscheinlich auch mit Tandem klargegangen. Der schöne Uferweg ab Weilburg geht nämlich noch weiter.


Die Tetra Pak AG (ja, das schreibt man so) zeigt stolz, dass sie seit 77 Tagen unfallfrei ist. Ist das wirklich ein guter Wert, sind Tetrapacks so gefährlich?

Die nächste Fachwerkstatt ist sehr auf Fahrräder eingestellt. Zumindest kommuniziert sie vor dem Brückentor auf der Alten Lahnbrücke ein ganz strenges Verbot, Zweiräder zu überholen. Über diese Brücke lief die Handelsstraße von Antwerpen nach Byzanz/Istanbul. Die Limburger wurden reich, indem sie für diese Brücke neben Überholverbot auch Zölle anordneten, obwohl der König das gar nicht erlaubt hatte.
Und auf der Radstätte vom Radweg Deutschen Einheit läuft sogar das Display und zeigt genau das Startmenü an, das es zeigen soll. Mehr als dieses Menü zeigt es leider nicht, denn der Bildschirm reagiert weder auf Berührung noch auf Mausklicks. Trotzdem ist das die am besten funktionierende Radstätte auf dem RDE.

Selbst in manchen der engen Altstadtgassen darf man Rad fahren, wenn die Situation es zulässt. Anfangs ließ es die Situation zu, denn die Gassen waren leer bis auf eine etwas abgehalfterte Frau, die umherirrte, Gott und die Welt beschimpfte und dem Haus der Sieben Laster die Zunge herausstreckte.
Das Haus streckte ihr die ebenfalls die Zunge raus.
Genau genommen hatte das Haus sogar damit angefangen. Denn an den Köpfen der Fachwerkbalken glotzen sieben bunte Gesichter auf die Straße und stellen die sieben Todsünden dar (im Bild von links nach rechts: Wollust, Unmäßigkeit, Zorn und Trägkeit). Welche Art von Zungeausstrecken, Schnauzbart und dämlichem Gesichtsausdruck nun genau für welche Todsünde steht, ist auf den ersten Blick nicht so ganz eindeutig. Bei der Limburgerin, die im Clinch mit diesem Haus lag, lag die Sache schon klarer: Das sah stark nach Zorn aus.

Genau wie in Wetzlar war die Stadt erst sehr wichtig und dann plötzlich nicht mehr so, was eine super Voraussetzung ist, um viel Altstadt zu erhalten. Alles ist krumm und schief und süß und trotzdem frisch wie aus dem Ei gepellt. Auf dem Fischmarkt prangen noch immer Metallfische an den Fassaden.
Genau wie in Frankfurt heißt der zentrale Platz in der Altstadt einfach nur Römer. Wobei ich bei der Enge gar nicht so leicht erkennen konnte, wo da jetzt der Platz sein soll. Mittendrin steht nämlich nochmal ein Fachwerkblock: Römer 2-6. Hinter diesem eher stumpfen Namen verbirgt sich das älteste freistehende Haus Deutschlands (von 1289). Obwohl, wieso ist das freistehend, wenn sogar der Name sagt, dass das eigentlich fünf Häuser sind? Wann zählt etwas als Haus und nicht als Häuserblock?

Der Vergleich mit Wetzlar war natürlich nicht ganz fair, denn erstens ist Limburg schon eine Nummer größer und zweitens kam Limburgs Einfluss nicht aus der Justiz, sondern aus dem Handel und der Kirche. Womit wir beim Thema wären.
"Erinnerst du dich noch an Tebartz van Elst?", fragte ich.
"Na klar."
"Und war er auch das erste, woran du bei Limburg denken musstest?"
"Jap."
Was sind schon über tausend Jahre Geschichte gegen einen Bischof, der sich am Haus der sieben Laster von der Gier inspigieren ließ und verheimlichte, dass seine neues Bischofshaus 31 Millionen statt 2 kostet? Das Bauprojekt, das vor einer Ewigkeit in den Schlagzeilen stand, steht längst fertig direkt neben dem Dom, ein seltsames Ensemble aus Stadtmauern, einem Limburger Fachwerkhaus (diesmal wirklich freistehend) und einer eigenartigen Black-Box-Kapelle (rechts im Bild). So groß sieht das Ding gar nicht aus (was vielleicht ein Grund war, warum der Bischof sich noch eine Extrawohnung unten in den Fels fräsen ließ). Bei der schlechten Presse ist es kein Wunder, dass der neue Bischof Bätzing nicht darin wohnt, sondern alles als Museum für Reliquien und Archäologie freigegeben hat. Das Schlafzimmer ist nun ein Lagerraum. Und wo schläft nun der arme Elst? Keine Sorge, dem geht's gut, er ist jetzt Kurienbischof in Rom.

Am Dom mussten wir kurz warten, es fand eine Messe statt. Kein Wunder, denn hier findet noch jeden Tag um 10 eine statt. Und kaum war sie vorbei, starteten sofort die Domführungen. Na, hier ist ja richtig Betrieb.
Der Dom hat sieben Türme, keine Kirche in Deutschland hat mehr (oder gleich viele). Von außen ist der Dom weiß mit roten Streifen, also im Prinzip genau wie ein Limburger Fachwerkhaus. Und von innen... also, ich habe mich noch nie in einer Kirche so sehr wie in einem Innenhof gefühlt. Die vielen Fenster mit Gängen dahinter, die ganze Helligkeit und die Kreuzung aus zwei Kirchenschiffen, da musste ich mich doch einmal mehr daran erinnern, dass ich in einem Gebäude war und nicht auf der Straße.
Der Dom ist so wahnsinnig hell, weil 1968 ein paar Restauratoren vier Jahre lang sehr vorsichtig, aber intensiv dran rumgeschrubbt haben. Es waren nicht allein die Abgase des Industriezeitalters, die sie abkriegen mussten, sondern auch jede Menge Kerzenruß aus den Jahrhunderten davor. In einem Seitenraum (unten links) haben sie mit Absicht ein paar Bögen schwarz gelassen, damit mit man auch einen authentischen Eindruck hat, wie hart sie geschuftet haben wie die Kirche während des Großteils ihrer Geschichte aussah.

Dabei wurden auch jede Menge Bilder aus dem Mittelalter freigelegt. Einige haben sie neu ausgemalt, aber andere hatten noch genug Farbe, dass man sie so lassen konnte. Wo hat man sonst Gelegenheit, ganz locker an 800 Jahre alten Bildern vorbeizugehen, so nah, dass man sie anfassen könne (aber nicht sollte).
Vor diesem Bild liegt das Grab von Konrad Kurzbold. Dieser kurze Graf hat kurzerhand vor über tausend Jahren kurzentschlossen das St.-Georg-Stift gegründet, der Ursprung der Stadt und gleichzeitig der Grund, warum ihre Geschichte (sogar bis heute in unseren Köpfen) so eng mit der Kirche verknüpft ist.

Wir wechselten von Hessen nach Rheinland-Pfalz, fuhren in Diez über die erste Steigung drüber und kurz an der Straße, dafür aber mit Blick auf das Grafenschloss und (zur Abwechslung mal nicht rote) Fachwerkhäuser. Eigentlich bietet Diez das schönste Stadtpanorama auf der Radstrecke, in Limburg war der Blick vom anderen Ufer immer etwas verdeckt. Die Grafen hier hatten einen besonderen Draht zu den Niederländern und haben ihnen beim Zurückerobern von den Spaniern geholfen. Mit Auswirkungen bis heute: Die damalige Familie sind direkte Vorfahren des heutigen niederländischen Königs, und die Niederlande haben die Sanierung von Schloss und Museum kräftig mitbezahlt.

Dann wurde es wieder still in der Lahndschaft. Sogar das Wasser war außergewöhnlich ruhig. Fließt da überhaupt noch was? Im Wasser war kaum noch Bewegung zu sehen, und als uns in der nächsten Kurve der Wind entgegenblies, sah es aus, als würde die Lahn rückwärts fließen.
Sogar Seerosen überleben in diesem stillen Wasser. Da muss gleich definitiv ein Stauwehr kommen. (Es kam eins.)

Das nächste Stück war bis vor Kurzem lebensgefährlich: Auf der steilen Serpentinenstraße nach Holzappel (der offiziellen Route) gab es schwere Unfälle, und auf dem abbröckelnden Pfad am Ufer stürzte ein Radfahrer sogar tödlich ab. Die Bürgerinitiative empfahl einen (auch sehr steilen) Schleichweg über Privatgrundstücke, mein Reiseführer rät, einfach eine Station Zug zu fahren.
Zum Glück ist das alles Vergangenheit, denn die Lücke wurde geschlossen mit der sogenannten Zwei-Brücken-Lösung.
"Klingt das für dich auch nach Nahostkonflikt?"
"Jap."
Naja, ich hoffe für alle Beteiligten, dass die Lösung nicht ganz so schwierig war. An den felsigen Hängen des Gabelsteins (hinten im Bild) wechselten wir auf besagten zwei silbrigen Brücken kurz ans linke Ufer und zurück, und fertig war der Lack.

Der Gabelstein war übrigens der letzte Fels, der auf -stein endet. Ab jetzt gibt es Allerley-Felsen: Wolfslei, Liebeslei, Kux-Lay... ein klares Zeichen, dass wir uns dem Mittelrhein (inkl. Loreley) nähern. Die Burgen obendrauf sind Privatbesitz.
Aber nun ließ unsere Leystung allmählich nach. In Limburg hatten wir noch keinen Hunger, jetzt schon. Nach ein paar Kilometern straßenbegleitendem Radweg kehrten wir in Obernhof in den erstbesten Campingplatz-Imbiss mit dem genderqueeren Namen Tante Horst ein und erwarteten nichts Besonderes. Auf jeden Fall keinen so netten Herrn, der ein frisch geklopftes und ungewöhnlich gutes Schnitzel brachte.

So, nun kam eigentlich der einzige wirklich schwierige Abschnitt, wo es mit dem Tandem kritisch geworden wäre. Wir hechelten und schoben den schlimmsten Anstieg zum Kloster Arnstein hoch, danach lief der Kiesweg die ganze Zeit an den Felswänden auf und ab. Einmal war sogar ein Stück des Weges abgestürzt und abgesperrt. Aber selbst das ging noch.

Dieser Bereich ist eine der wenigen Stellen, wo noch die superseltene Würfelnatter lebt, eine komplett harmlose Wasserschlange mit quadratischen Flecken auf dem Kopf, die kleine Fische frisst.

Die Lahn hat schon einen seltsamen Aufbau: In der Mitte ist sie eher flach, und das klassische enge Lahntal mit den berühmten Städtchen, Weinbergen und Badeorten kommt gegen Ende. Ein bekanntes Städtchen ist sicherlich Nassau - ganz sicher nicht wegen seiner Größe, sondern deshalb, weil wichtige Adlige ein Nassau im Namen hatten. Sie zogen im Laufe in der Zeit von der hohen Burg runter in die Stadt und irgendwann in die Niederlande und Luxemburg, wo ihre Nachkommen noch heute wichtig sind.

Auf der nächsten Infotafel behauptete ein Soldat namens Astericus Flavius, wir würden jetzt schon wieder eine Grenze überqueren: Von GERMANIA LIBERA ins IMPERIUM ROMANUM (Provinz GERMANIA SUPERIOR).
Aus den Bergen des Taunus kommt der Limes inklusive Limes-Radweg, der einzige andere Grenzradweg neben dem Eisernen Vorhang. Genau wie an der Innerdeutschen Grenze sollen da oben immer noch Wachtürme stehen, so nah, dass ich den ersten eigentlich hätte erkennen müssen. Konnte ich aber nicht, alles, was ich sah, war ein mutmaßlicher Solebohrturm. In Wahrheit sind von den Römertürmen nur Nachbauten oder Fundamente übrig. Ab jetzt ist die Lahn mit der Grenze des Römischen Reichs identisch, aber weitere Wachtürme aus der Antike tauchten nicht auf. Trotzdem reichte schon die theoretische Anwesenheit des Limes aus, um meine "Wann hast du das letzte Mal an das Römische Reich gedacht?"-Uhr erfolgreich auf 0 zurückzusetzen. (Besser das als die Unfalluhr bei der Tetra Pak AG.)

Und dann ist da noch Bad Ems, das in vielerlei Hinsicht aussieht wie das Karlsbad Deutschlands. Es besteht im Prinzip aus einer Kette von Kurhotels auf einer endlosen Promenade an der grauen Ufermauer. Darüber Felsen, Wald und eine steilsten Standseilbahnen der Welt. Weil dort gerade alles für eine Sportveranstaltung oder so abgesperrt war, haben wir uns das Ganze nur vom anderen Ufer aus angeguckt. In einem der ältesten Heilbäder nördlich der Alpen fühlten sich unter anderem der Hochadel, Russen (für die extra eine orthodoxe Kirche gebaut wurde) und Glücksritter (bis die Preußen ihr Casino verboten) wohl.
Aber wenn so hohe Tiere hier unterwegs sind, dann passiert eben auch mal mehr, als dass sie bloß baden, rumlaufen und Wasser trinken: Richard Wagner hat hier eine Oper fertiggeschrieben und König Wilhelm während seiner Kur einen Krieg begonnen und sich selbst zum Kaiser gemacht, also quasi. Am 13.7.1871 spazierte der Kur-Kaiser über die Promenade, als der französische Botschafter aufkreuzte und verlangte, er sollte versprechen, nie wieder einen Deutschen zu unterstützen, der Anspruch auf den spanischen Thron haben könnte. Der verdutzte Willi erklärte, so was könne er ja jetzt nicht einfach so Hals über Kopf versprechen. Als Bismarck in Berlin den Bericht bekam, kürzte er den Großteil weg, damit es so aussah, als hätte der Kaiser ganz provokant die kalte Schulter gezeigt und bloß gesagt, dass er ihm nichts zu sagen habe. Bismarck fragte nochmal nach, ob Deutschland auch gut gerüstet für einen Krieg sei, dann schickte er der Presse die Emser Depesche und wartete ab, bis Frankreich den Krieg erklärte. Den Krieg, der das Deutsche Kaiserreich vereinigen würde. Aber gut, letztendlich waren damals beide Regierungen scharf auf Krieg, also wäre es Quatsch, einem Blatt Papier oder Bad Ems die Schuld zu geben.

Der Bahnhof von Bad Ems hat die kleinste Bahnhofshalle Deutschlands - als hätte man diese riesigen Stahl- und Glasbögen aus Frankfurt Hbf, Hamburg Hbf & Co. zu heiß gewaschen und dann einem Dorfbahnhof übergestülpt. Eigentlich sollte die Halle schon längst restauriert sein, aber... naja, das hier sieht ganz und gar nicht fertig aus. Die ganze Lahntalbahn ab Limburg ist immer noch eine Baustelle bis werweißwann, weshalb wir nachher für die Rückfahrt über Frankfurt fahren müssen. Theoretisch sollte alles Anfang Mai öffnen, und sogar die Bahnapp hat wenige Tage vorher alle Züge in der App angezeigt. Die DB hat nicht mal ihrer eigenen App mitgeteilt, dass sie die Bauarbeiten nicht rechtzeitig fertigkriegen, geschweige denn der Öffentlichkeit.

Immer wieder teilt sich die Ems in zwei Arme mit einer Insel in der Mitte: Der eine Arm hat ein Stauwehr, der andere eine kleine Schleuse. Aber in den Schleusen herrschte gähnende Leere, und wir sahen nichts, das größer war als ein Paddelboot. Wer große Pötte sehen will, muss noch ein paar Kilometer bis zum Rhein durchziehen.

Aber Moment, wir sind super in der Zeit, vorher machen wir noch eine kleine Wanderung. Denn jetzt mündet der Ruppertsbach in die Lahn. Glaube ich. Die Mündung habe ich nicht gefunden, die letzten Meter sind komplett unterirdisch. Aber als wir ein Stück über einen Pfad und an der Bundesstraße liefen, fanden wir endlich die Stelle, wo er in einem groß gemauerten Tunnel verschwindet. Und laut dem hölzernen Torbogen beginnt dort die Wildromantische Rupprechtsklamm.
Der Torbogen erinnerte mich an die Drachenschlucht, also hatte ich etwas Ähnliches erwartet. Ganz so wurde es dann aber nicht: Zunächst folgten wir dem Bach einen ausgetretenen Pfad hinauf. Der Pfad war dermaßen staubig und ausgetreten, dass der Schlucht trotz des Wassers, der Farne und Buchen ein bisschen die Frische fehlte. Komisch, es waren zwar einige Koblenzer Familien mit Kindern unterwegs, aber voller als die Drachenschlucht ist dieser Pfad nicht.
Die ersten Felsen schauten aus dem Staub, und wir wechselten ans rechte Ufer. Und dann ans linke. Und dann ans rechte. Und dann... immer wieder verlor sich der Pfad und wir mussten überlegen, wo genau man jetzt nach drüben treten soll.

Dann vereinigten sich die Steine zu Felswänden, in die sogar Drahtseile reingehämmert wurden. Anders als in der Drachenschlucht regnet es nicht von diesen Felsen, aber immerhin wurden die Felsen immer grüner, die Luft immer feuchter, der Staub verzog sich. Und schließlich zog sich die ganze Klamm zu einer engen Rinne zusammen, in der wir die Felsstufen hochstiegen. Herrlich, so habe ich mir das vorgestellt!
Das heißt aber nicht, dass die ständigen Uferwechsel aufhören.

Die typische Stelle der Ruppertsklamm kommt aber erst dahinter: Ein kastenförmiges Tal, dermaßen rechteckig, dass ich nicht weiß, ob ich der Natur das abkaufen soll. Während der Ruppertsbach durch einen Haufen Holz und Geröll rauscht, fallen an den Seiten gewaltige Wasserfälle aus Efeu runter. Und ganz am Schluss ein Wasserfall aus Wasser.
Dort befindet sich auch eine Brücke. Die Platzierung von Brücken in der Ruppertsklamm ist etwas komisch. Es gibt insgesamt zwei. Die eine auf dem Wasserfall (hinten im Bild) ist quasi nur eine Aussichtsplattform, denn an der Stelle wechselt man ausnahmsweise mal nicht das Ufer. Und die andere steht weiter unten im Staub an einer von ca. 986 Stellen, wo man das Ufer wechselt, wobei völlig unklar bleibt, warum ausgerechnet diese Stelle so schwierig sein soll, dass sie eine Brücke erfordert.

Lahnstein (bei Koblenz) kannte ich schon vom Rheinradweg. Die Stadt war lange geteilt in Ober- und Niederlahnstein. Oberlahnstein (im Süden) fand ich schon auf der Rheintour wegen des starken Verkehrs nicht so knülle. Das Schöne am Lahnradweg ist: Man muss nur durch Niederlahnstein. Und in Niederlahnstein konnten wir einfach auf dem Uferweg bis zur Mündung in den Rhein durchfahren: Eine Steinspitze mit einer rotweißen Stange und Gras, eher unspektakulär im Vergleich zur Moselmündung (fast) gegenüber. Aber das gelbe Schloss Stolzenfels und das Mittelrheintal an sich sorgen für Kulisse. (Lahnstein hat außerdem Burg Lahneck und Schloss Martinsburg, die sind nicht im Bild. Um alle Burgen am Mittelrhein zu fotografieren, habe ich nicht genug Urlaub.) Und so hatten wir hier einen der schönsten Momente des Tages, indem wir uns einfach bloß in die Gänseblümchen legten und... absolut nichts taten. Muss auch mal sein.
Zwei Nilgänse sahen das jedoch gans anders. Wir haben diese Art schon den ganzen Tag über gesehen, sie sind leicht zu erkennen an den rotbraunen Flügeln und den heftigsten Augenringen im Tierreich, als hätten sei drei Nächte lang durchgemacht. Viele Gänse ließen ihre jugendlichen Küken das Gras rupfen und stellten sich wachsam daneben. Eindeutig das Lahn-Äquivalent zu den Graugänsen an Rhein, auch wenn sie ursprünglich aus Afrika kommen. Bei dem Paar an der Mündung waren die Kleinen anscheinend schon aus dem Haus, aber die Beschützerinstinkte immer noch da. Sie watschelten auf uns zu und fauchten, bis... wir absolut nicht reagierten und sie sich zurückzogen, nur um zwei Minuten später wieder anzukommen.