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Flüsse

Noch mehr Radreisen

05 Juli 2023

Ilm: Von Bad Berka nach Großheringen

ILM

Des Flusses dritter Teil
Eine Fahrradtour in drei Akten

Erster Akt
Zwischen Bad Berka und Weimar

GOETHE (radelt voraus) Vom Eise befreit sind Ilm und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick.
Im Ilmtal grünet Hoffnungsglück.
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
zog sich in rauhe Berge zurück.
ICH (verzieht gequält das Gesicht)
Von dort traktieren uns, fliehend, nur
schmerzhafte Schauer kornigen Eises
in Streifen über die grünende Flur.
GOETHE Aber die Sonne duldet kein Weißes.
Überall regt sich Bildung und Streben,
das Mühlrad erweckt sie zu lautstarkem Leben.
ICH Die Waidpflanzen und Nutrias
entsendet sie ins grüne Gras.
GOETHE Doch an Blumen fehlts im Revier.
ICH (deutet auf die Buchfarter Holzbrücke)
Sie nimmt rote Warnhinweise dafür.
Damit auf den Brücken wir nicht verunglücken,
beglücken uns Warnschilder hier ohne Lücken.

GOETHE (schiebt sein Rad einen Hügel im Wald hinauf)
Kehre dich um, aus steilen Höhen
vom Wald zur Stadt zurückzusehen.
(betritt Weimar über den Park an der Ilm)
Sieh nur, sieh! Wie behend sich die Menge
durch Fußgängerzone und Parks zerschlägt.
Wie an des Flusses berauschender Länge
so mancher Hund zum Geschäft wird bewegt.
Aus alter Häuser hellen Gemächern,
aus breiter Straße mit gelben Fassaden,
dem Labyrinth von Giebeln und Dächern,
Touristinfo, Schloss und aus Andenkenladen,
aus des Bauhauses kantiger Pracht
sind sie alle ans Licht gebracht.
Zufrieden jauchzet groß und klein:

CHRISTOPH WERNER 
GOETHE O Weimar! Dir fiel ein besonder Loos!
Wie Bethlehem in Juda, klein und groß.
Bald wegen Geist und Witz beruft dich weit
Europens Mund, bald wegen Albernheit.
Sag ich's euch, geliebte Bäume,
die ich ahndevoll gepflanzt,
als die wunderbarsten Träume
morgenröthlich mich umtanzt.

ECKERMANN Glücklich Weimar! Von den Städten allen
stichst du, kleine, wunderbar hervor.
Aus der Steinzeit mag dein Name hallen,
welcher stammt von dem geweihten Moor.
Man wird stets nach großen Männern fragen,
die in schönen Zeiten hier gestrebt,
und mit edlem Neid wird man beklagen,
dass man mit den Edlen nicht gelebt.
LISZT Die Stadt wie eine Blume,
so schön nach altem Brauch.
Ich schlief in Weimars Stube.
BACH Ich auch!
ANDERSEN Ich auch!
LUTHER Ich auch!

GOETHE Mondschein füllet Busch und Tal
still mit Nebelglanz,
löset endlich auch einmal
meine Kleider ganz.

Fließe, fließe, lieber Fluss!
Baden macht mich froh.
So verrauschte Scherz und Kuss
und die Scham also.

Das war damals unerhört,
aber wirklich wahr:
In der Ilm ganz ungestört
trieb ich FKK.

Steig ich aus dem Fluss hinaus,
ist der Weg nicht weit.
Wandle in mein Gartenhaus
in der Einsamkeit.

Wenn im Sommer noch um acht
Hitze überquillt,
schlaf ich im Balkon die Nacht.
ICH Das klingt voll gechillt.

GOETHE Rausche, Fluss, das Tal entlang,
ohne Rast und Ruh.
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!

ICH (verkneift sich ein Lachen)
Goethe, sag mal, ist das echt,
hier dein Schreibtischstuhl?
GOETHE Ja, was ist denn daran schlecht?
ICH Nichts, ich find ihn cool.

GOETHE Immer sitzen ist nicht gut
im Gesäßbereich.
Wie im Fahrradsattel tut
man hier stehn zugleich.

ERLKÖNIG Wer saß hier im Häuschen bis nachts um vier?
Das war der Goethe mit seinem Papier.
Er hielt seine Feder ganz fest im Arm,
bis schlagartig eine Idee ihm kam!

ICH Herr Goethe, was schreibst du da für ein Gedicht?
GOETHE Kennst du, o Leser, den Erlkönig nicht?
Vernunft gegen Phantasie, mein Lieber!
ICH Ach so, alles klar, das Kind hat Fieber.


GOETHE (wegwerfende Handbwegung)
Ja, gut, die Deutung gibt es auch.
Oder vielleicht wird es missbraucht?
Es geht darin um so viel mehr!
ICH Schon klar, die Krankheit ist sehr schwer.
GOETHE (vollführt einen Facepalm)

Freitag reichen nicht die Räume
für mein ganzes Personal.
Samstag miet ich was und träume.
Sonntag kauf ich's mir, egal.
SCHILLER (hustet) Goethe, hätt ich nur dein Leben!
Du bist so ein Glückspilz, Mann.
Kauft der Herzog dir mal eben
noch ein Haus am Frauenplan.
Für mein Haus mitten in Weimar
hab ich lange Zeit gespart.
Ich war ein Rebell, kein Schleimer,
und mein Leben krank und hart.
GOETHE Ach herrje, mein alter Knabe,
warum hast du nichts gesagt?
Nimm den Titel hier als Gabe,
und den Job als Herzogsrat.
SCHILLER (keucht) Tja, jetzt bin ich zwar im Adel,
aber macht mich das gesund?
Doch ich schreibe ohne Tadel
noch zwei Werke fertig und... (bricht zusammen)
HERDER (stürmt wütend herein)
Goethe, sag mal, bist du blind?
Wie arm und krank die Menschen sind!
Und du findest trotzdem echt
Frankreichs Aufständische schlecht?
WIELAND Padawan, was soll das werden?
Kombiniert doch euer Hirn.
Statt zu streiten hier auf Erden
werdet Weimars Viergestirn!

ICH Am Donnerstag gibt es Epochen
vorgekaut und komprimiert
im Weimarhaus mit alten Knochen
und Effekten präsentiert.
Freitag dann der Dichter Räume,
diesmal mit etwas mehr Zeit,
wo das Lesen ich versäume.
Dafür sorgt der Audioguide.
GOETHE Spiel und Tanz, Gespräch, Theater,
sie erfrischen unser Blut.
Lasst den Wienern ihren Prater,
Weimar, Ilmtal, da ists gut.

TUCHOLSKY (ruft vom Balkon des Nationaltheaters)
Wir haben den Laden übernommen.
Im Ausverkauf! Im Ausverkauf!
Die Fürsten sind uns abhanden gekommen.
Im Nurmi-Lauf! Im Nurmi-Lauf!
Wir sind eine Republik.
Was sollen wir Ihnen sagen?
Wir bitten, das unserem Vorgänger
geschenkte Vertrauen auf uns zu übertragen.

In Weimar, der Avantgarde der Moderne.
Im Bauhausstil! Im Bauhausstil!
Berät sich die deutsche Versammlung doch gerne.
Der Krach in Berlin war uns einfach zu viel.
Wir sind eine Republik
mit schwarz-rot-gelben Attrappen.
Die Verfassung ist fertig, zu Ende der Krieg.
Es wird hoffentlich schon alles klappen.

Zweiter Akt
Zwischen Weimar und Apolda

HERDER (verlässt den Park an der Ilm)
Die Sonne blinkt mit hellem Schein
so freundlich in die Welt hinein.
Mach's ebenso! Sei heiter froh!
Die Leutraquelle rieselt fort
vom auf Antik getrimmten Ort.
Mach's wie der Quell! Und radel schnell!
Der Sumpfwald streckt die Äste vor.
Das Viadukt strebt kühn empor.
So wild, o welch ein Gärtner-Graus,
sah auch der Ilmpark anfangs aus.
Mach's wie der Baum! Im sonnigen Raum!
Der Vogel singt sein Liedchen schnell,
freut sich an Sonne, Baum und Quell.
Mach's ebenso! Sei rüstig froh!

GOETHE (flaniert durch den Tiefurter Schlosspark)
Wie lange liebst du mich schon, ohne mich zu kennen?
Ich weiß es ganz gewiss, du liebst nur mich allein.
Und dieses muntre Herz ist auch auf ewig dein.
ICH Wer mag der Adressat dieses Gedichts wohl sein?
Ist die Theorie wohl wahr?
Herzogin Amalia?
GOETHE Ganz gewiss nicht. Nein, nein, nein.
ICH Besuchst du sie nicht manchen Tag
in ihres Schlosses weitem Park?
GOETHE Ich war doch BFF mit August, ihrem Sohn!
Drum sag, ein wenig awkward wäre die Liebschaft schon.
Wir Dichter erlangten von beiden die Gunst,
sie förderten (fast) freie Meinung und Kunst.
Deutschlands älteste Verfassung (diese hieß auch "Grundgesetz")
haben nur für Sachsen-Weimar beide hier in Kraft gesetzt.
WIELAND Was hab ich leider ohne Frucht
an diesem Abend nicht versucht,
um meiner Fürstin zu Preis und Ehren,
in dieser Gratulantenzeit
die dreimal drei Kastalische Dören
zu einem Liede zu beschwören?
ICH (nickt wissend) Und noch einer, der auf sie steht.
GOETHE Doch sieh nur, wie er heimwärts geht.
Er hat nach all dem Rumgejubel
genug von Weimars lauten Trubel.

WIELAND (sitzt vor dem Wielandgut in Oßmannstedt)
Das Gärtlein still vom Busch umhegt,
das jeden Monat Rosen trägt.
Das gern mein Gutshaus in sich schließt,
weil sein Bewohner es genießt.
Es lebe hoch!

Insel aus Frieden und aus Glück.
Nach Weimar geh ich nie zurück.
In Erfurt binnen einer Stunde,
ganz ohne Parks, geh ich zugrunde.
Das wäre doof!

Ich lebe in gestutzten Pflanzen.
GOETHE Nun sollen wir bei dir antanzen.
WIELAND Begrabt mich an der Ilm zum Schluss,
in einer Holzkiste am Fluss.
Er lebe hoch!

SCHILLER (kommandiert Glockengießer)
Fest gemauert in der Erden
steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muss die Glocke werden.
Frisch Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
rinnen muss der Schweiß.
Und heut Abend noch, jawoll, da
steht die Glocke in Apolda.

Zum Werke, das wir ernst erschaffen,
geziemet sich ein ernstes Wort.
Wir müssen eine Glocke machen.
Sonst ziehen alle von hier fort.
Apolda hat nicht viel zu bieten.
Sogar das Hügelland ist leer
und eure Schriftsteller sind Nieten.
Ich weiß, ich weiß, das ist nicht fair.
Aber es naht schon die Moderne
und mit ihr kommt die Industrie.
Den Webstuhl bauen wir doch gerne.
Mechanisch? So was gab's noch nie!
Wir gießen viele Glockenarten
für all die Städte, und bald schon
einen kompletten Glockengarten!
Die größte schwingt im Kölner Dom.

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
doch recht trocken lasst es sein,
dass die eingepresste Flamme
schlage zu dem Schwalch hinein.
Kocht des Kupfers Brei!
Schnell das Zinn herbei!
Dass die zähe Glockenspeise
fließet nach der rechten Weise.

Dritter Akt
Zwischen Apolda und Großheringen

UNBEKANNT Wir kleinen Niederroßlaer wissen, wie es war
mit Miss Baba vor 150 Jahr.
Artisten und Tiere machten Rast
auf dem großen Platz.

Ein Elefant namens Miss Baba war auch dabei,
hungrig kam er an Niederroßla vorbei.
So hat das Tier vom Hunger besessen
einen Haufen gefrorener Rüben gefressen.

Jetzt plagten sie Bauchschmerzen gar sehr.
Miss Baba konnte gar nicht mehr.
Bald nahten ein paar Sänger.
Miss Baba wurde immer bänger.

Die Sänger erkannten bald die Lage
und zogen den Dorfpolizisten zu Rate.
Der Elefant muss aus Niederroßla raus, auch mit Qualen,
sonst müssen wir für den Schaden zahlen.

Also kitzelten die Niederroßlaer Miss Baba so sehr,
dass der Elefant loslief, das war gar nicht fair.
In der Wersdorfer Hohle, da ging es nicht mehr,
da legte sich Miss Baba quer.

Schluss mit Kitzeln und Gewimmel.
Miss Baba war im Elefantenhimmel.
Elefantenkitzler hat man uns genannt,
verlacht zunächst im ganzen Land.
Ach, sei doch froh und lach,
unser Dorf ist Kitzelbach.

Unsere Vorfahren haben es vollbracht
und alle 25 Jahre ein Fest gemacht.
Wir Rosslaer aber ehren hier
Miss Baba, unser stolzes Wappentier.

GOETHE (rümpft die Nase)
O, welch ein grässliches Gedicht.
ICH Der Inhalt?
GOETHE Nein, das meint' ich nicht.
ICH Die feiern hier
den Tod vom Tier
vollkommen ungeniert -
weil hier sonst nichts passiert?
GOETHE Wirklich nichts? Na, wenn du meinst.
In der Wasserburg dereinst
plante mit August ich den Krieg,
Napoleon und seinen Sieg.

GOETHE Warum stehen Sie davor?
Sind nicht Türe da und Tor?
Kommen Sie getrost herein.
Sollen wohl empfangen sein.
ICH Die Ölmühle in Eberstedt,
schmiert Menschen ein mit Öl und Fett
zum Massieren und zur Speise -
beides gut auf seine Weise.
Das Mühlrad, es erzeugt nun Strom
für regionale Produktion.
Die Ilm-Insel hat einen Steg
und Bungalows schwimmen am Weg.

GOETHE Steig ich aus dem Fluss hinaus,
ist der Weg nicht weit.
Wandle in mein Gartenhaus
in der Einsamkeit.

Wenn im Sommer...
ICH Halt, Moment!
Habe ich hier gerad gepennt?
Dein Gartenhaus ist längst vorbei.
Oder steh ich auf dem Schlauch?
GOETHE Sieh doch hin, hier steht es auch.
ICH Na so was, ach du dickes Ei!
GOETHE Zwei Künstler haben provoziert
und schnell und leise
in Leichtbauweise
mein Museum parodiert.
Denn was heißt Original,
wenn man es eins zu eins kopiert?
ICH Den Besuchern wars egal,
sie kamen weiter angerannt.
Und zwischen Therme und Saline,
in Bad Sulza, an der Mine,
dient die Kopie als Standesamt.
Schau, an dieser Stelle
aus einem Häuschen kommt die
frische Kurpark-Quelle
"Carl-Alexander-Sophie".
Der Name ist ja, ach,
fast länger als der Bach!

HERDER Wenn im Tal der Rebensaft
Sonnenstrahlen streifet
und voll Blüte, Lebenskraft,
an den Hängen reifet,
schweift dein letzter Blick umher,
bleibt am Weintor hängen,
am Gradierwerk tonnenschwer
mit den langen Gängen.

ICH An der Sonnenburg wird bald
die Sonne untergehen,
wo statt einem Nadelwald
nur Grauburgunder stehen.
Erst wenn um sie Dämmrung ist,
werde ich verstehen,
dass die schönsten Tage (Mist!)
irgendwann vergehen.

Wenn sich dann die Ilm ergießt,
kalte Ströme rauschen,
quer durch Großheringen fließt,
und ich kann nur lauschen,
Ja, dann will mir scheinen:
Ach, sie werden so schnell groß,
die Flüsse, all die kleinen.

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