ILM
Des Flusses zweiter Teil
Eine Fahrradtour in zwei Akten
1. Akt
Zwischen Stadtilm und Kranichfeld
GOETHE Der Vorwitz lockt uns in die Weite,
Kein Fels ist zu schroff, kein Steg zu schmal.
Der Unfall lauert an der Seite,
doch heut entgehen wir der Qual.
Schon treibt die übermotivierte Regung
gewaltsam uns bald da, bald dort hinaus.
Und von all der tagtäglichen Bewegung
ruht man des Nachts dann endlich wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
unbändig müde wie ein Stein,
schläft man, am Leib ganz schön zerschlagen,
auf einem hartem Lager ein.
Indessen ich hier still und atmend kaum
die Augen zu den freien Sternen kehre,
Und, halb erwacht und halb im schweren Traum,
mich kaum des schweren Traums erwehre.
Verschwinde Traum! Wie dank’ ich, Musen, euch!
Dass ihr mich heut auf einen Pfad gestellet,
wo auf ein einzig Wort die ganze Gegend gleich
zum schönsten Tage sich erhellet.
Die Wolke flieht, der Nebel fällt.
Die Schatten sind hinweg. Ihr Götter, Preis und Wonne!
Es leuchtet mir die wahre Sonne,
Es lebt mir eine schönre Welt.
Das ängstliche Gesicht ist in die Luft zerronnen.
GEBSER (kriecht aus der Dienstedter Karsthöhle)
Auch ich schrieb so manches Gedicht
und komponierte sogar Lieder.
Doch liest man die Werke heut nicht.
Ihre Bekanntheit kehrt nicht wieder.
Ganz anders erreichte ich Ruhm,
grub Gräber und Burgwälle aus.
Als Heimatforscher mein Tun
kam mit dieser Höhle groß raus.
KARSTI (tritt aus der "Hütte am Berg")
Lieber Gast, merk dir genau:
Du bist ein Mensch und keine Sau.
Drum sei gescheit, nimm deinen Dreck
in deinem Rucksack wieder weg.
Der Dank ist dir gewiss
vom nächsten, der hier ruht und isst.
BAUMBACH
Ich bin geboren im Walde
und aufgewachsen im Holz.
Ich hab an grüner Halde
gespielt mit Bogen und Holz.
Im Walde hab ich gelitten,
ward heil und habe gespielt,
Bilder in Buchen geschnitten,
zu Waldpflanzen promoviert.
Und wenn in Splitter und Scherben
mein Leben einst zerbricht.
So möcht' im Walde ich sterben.
Doch heut' und morgen noch nicht.
Hoch auf dem gelben Wagen
sitz ich beim Schwager vorn.
Vorwärts die Rosse traben.
Lustig bläst das Horn.
Felder und Wiesen und Auen,
leuchtendes Ährengold.
Möchte wohl gerne noch schauen,
aber der Wagen, er rollt.
ICH Hoch auf dem Sattel stehen
will ich am Lenker vorn.
Vorwärts die Ritzel drehen.
Klingel hab ich statt Horn.
Der Felsmühlenwand kann ich winken.
Ein Dorf namens München so hold.
Dort könnte ich wohl etwas trinken.
Aber das Fahrrad, es rollt.
Die Wassermühle in Stedten
hat ein Aquarium.
Fische der Ilm, die schweben
federleicht drin herum.
Auch kann ich die Straußenfarm sehen,
wo manch großer Vogel gern tollt.
Dort könnte ich wohl essen gehen.
Aber das Fahrrad, es rollt.
BAUMBACH
(betritt das kleine Baumbachmuseum)Tief unter beiden Schlössern
kam ich dereinst auf die Welt
und zog auf Kutschen und Rössern
fort aus Kranichfeld.
Naturwissenschaften und Liebe,
da hatte ich keinen Erfolg,
doch mit meinen Epen und Liedern,
da kam mein Ruhm angerollt.
Hoch über einfachen Leuten
schreibt der Herr Goethe sein Werk.
Niemand versteht es bis heute,
man fühlt sich als geistiger Zwerg.
Zur Schulzeit, da mussten wir leiden.
GOETHE Das war doch nicht so gewollt!
BAUMBACH Man soll bodenständig nur schreiben.
Dichtung ist da für das Volk.
Sitzt einmal ein Gerippe
hoch auf dem Wagen vorn,
trägt statt Peitsche die Hippe,
Stundenglas statt Horn,
ruf ich nach qualvollem Leiden:
"Ade, die ihr leben wollt.
Will ich überhaupt denn noch bleiben?
Egal, der Wagen, er rollt."
Viele Mieter hat im Haus
die dreihundertjährige Linde.
Tief im Keller wohnt die Maus.
Sie hungert dort mit ihrem Kinde.
Menschen formten einst den Spross,
tanzen dort zum Fest,
heute nur im Erdgeschoss,
früher im Podest.
Stolz auf seinen roten Rock
und gesparten Samen
sitzt ein Protz im ersten Stock.
Eichhorn ist sein Namen.
Weiter oben hat der Specht
seine Werkstatt liegen,
hackt und zimmert kunstgerecht,
dass die Späne fliegen.
Auf dem Wipfel im Geäst
pfeift ein winzig kleiner
Musikante froh im Nest.
Miete zahlt nicht einer.
2. Akt Zwischen Kranichfeld und Bad Berka
UHL Themalbad - ach, das tut so gut!
Ja, manche kuren wochenlang.
Und meistens braucht' ich etwas Mut,
denn Kneipp-Anwendung macht mich bang.
ICH Zum Stausee Hohenfelden hoch,
zur Avenida-Therme.
Der Schweiß, er juckt, und das ist doof.
Darum bezahl ich gerne.
UHL Ich bin kein Kurgast. Dann und wann
nur geh ich hin, auch das ist fein.
Nichts Knackiges man sehen kann,
nur Alte kommen meist hinein.
ICH Selbst alte Dichter sprangen rein.
Doch wollten sie darüber dichten?
O nein, das taten sie mitnichten.
Denn alles, was wir dazu kennen
sind Elegien, wo sie flennen,
weil Frauen sich in Bädern trennen.
Die Steigung tief im Wald wird stärker
und der Asphaltweg neigt sich steil.
Selbst Mountainbiker finden's geil.
Erst dann erreichen wir Bad Berka,
das "Goethe-Bad im Grünen" heißt
(deutet auf Goethe)
und wirklich oft auf dich verweist.
Goethebrunnen und Goetheallee,
Goethe-Gedenkstein und Goethe-WC.
GOETHE Das ist zu viel der Ehre, oje.
ICH Ein "Klein Venedig"? Eher nein.
Dafür ist das Eck viel zu klein.
Am Goethe-Zeughaus steht dann schon
die nächste Eisenbahnstation.
Und noch vor dem Goethepark
endet dieser schöne Tag.
FALLADA
Meine Eltern fürchteten, ich bringe mich bald um,
und schicken mich nach Berka in ein Satanorium.
LENZ Seele der Welt, unermüdete Sonne!
Mutter der Liebe, der Freuden, des Weins!
Auch ohne dich erstarret die Erde
und die Geschöpfe in Traurigkeit.
Gute Laune, Lieb und Lachen
soll mich hier
unaufhörlich glücklich machen...
Goethe?! Ich floh doch nach Berka vor dir.
Bist du mir gefolgt? Was suchst du denn noch hier?
GOETHE (flüstert) Wir hatten uns etwas entfremdet.
Ich wollte nicht, dass es so endet.
LENZ Von nun an die Sonne in Trauer.
Von nun an finster der Tag.
Des Himmels Thore verschlossen!
Wer ist der wieder eröffnen,
mir wieder entschließen sie mag?
Hier ausgesperret, voll doof,
sitzt der Verworfne und weint.
Denn in der Schule, am Edelhof
dort residiert nunmehr der Feind.
O traure, traure Deutschland.
Unglücklich Land! Zu lange brach gelegen!
Deine Nachbarinnen blühen um dich her voll Früchte
wie goldbeladne Hügel um einen Morast.
Hasch ihn, Muse, den erhabenen Gedanken -
es sind ihrer nicht mehr,
Ihre Schwestern haben die Griechen und Römer
und die Hetrurier weggehascht.
GOETHE Er hält von der deutschen Dichtung nicht viel.
ICH Schon klar, denn er sagt das nicht allzu subtil.
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